Wo die wilden Nerds wohnen

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Garching ist der natürliche Lebensraum eines Mathematikstudenten. Auch Max ist ein so ein Mathematikstudent. Aber Max hat ein Problem mit Garching– mit der Entfernung. Zur Innenstadt. Zum öffentlichen Geschehen. Denn Max’ Herz schlägt auch für Geisteswissenschaften, Kultur nämlich.

Max ist Mathematiker. Er ist sogar ein extrovertierter Mathematiker. Ja, das gibt es! Max hat mir erklärt, wie man herausfindet, ob man einem Mathematikstudenten der schüchternen oder der forschen Bauart gegenübersteht: Der Introvertierte schaut beim Reden auf seine Füße, der Extrovertierte auf deine Füße.

Weil Max ein Mathematikstudent ist, verbringt er viel Zeit mit anderen Mathematikstudenten an der TU in Garching. Damit hat Max etwas, was ich das „Garchingproblem“ nenne. Wenn man etwas paranoid wäre, könnte man es auch die „Garchingverschwörung” nennen (etwa so wie die Bielefeldverschwörung). Natürlich bezweifelt niemand, dass es Garching gibt – wohl aber, ob es in Garching etwas gibt. Mit diesen Zweifeln sehen sich betroffene Studenten konfrontiert, wenn sie vor der Wahl stehen: Entweder im U-Bahn-Berufsverkehr vor sich hinvegetieren, um im geschäftigen München zu leben? Oder doch lieber den Weg zur Uni abkürzen, indem man sich im… äh, nun ja … also in Garching einmietet?

Wenigstens für Mathematikstudenten, die bevorzugt mit ihren eigenen Schuhspitzen reden, gibt es an der zweiten Lösung wenig auszusetzen. Ein Mathestudium lässt eh nur begrenzten Spielraum für Kulturprogramm. Max aber ist nicht glücklich mit Lösung zwei, da draußen in Garching. Max möchte ins Theater gehen. Oder zu einer Lesung. So Geisteswissenschaftskram halt. Aber davon trennen ihn nicht nur eine halbe Stunde in der U-Bahn, sondern auch die Fach-Nerds in seinem Studiengang: Immer wenn er Kommilitonen fragt, ob sie ihn begleiten wollen, erntet er nur betretenes Schweigen. Und Nicht-Mathematiker-Freunde zu finden, ist für Mathestudenten gar nicht so einfach. Denn selbst wenn sie in ihrem natürlichen Umfeld einen ausfindig machen, bleibt ein Problem: Der durchschnittliche Mensch weiß einfach zu wenig über das Kommunikationsverhalten des studens mathematicae vulgaris.
Es ist schon eine halbe Weltverschwörung, in die Max da geraten ist. Und das ist richtig super! Denn wenn die Garchingverschwörung publik wird, kommt vielleicht schon bald die Boulevardpresse. Und dann gibt es viel Theater – direkt vor der Haustür. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.