Feminismus in High Heels? Die Münchner Girlgroup femme5. Foto: Roman Lang

„Wir sind stolz darauf“

Choreograf Yasin Amet Oğlou, 23, hat die Girlband „femme5“ gegründet. Für die Tänzerinnen ist es Frauenpower – aber ist das heute noch zeitgemäß?

Die fünf jungen Frauen tragen bauchfreie Tops. Mal strecken sie sich verführerisch in Jeans-Outfits, mal tanzen sie fast schon eine Spur zu gewagt in Lederoutfits. Laszives Beckenkreisen im Disco-Rhythmus. Die Haare sind mal glatt gestylt, gewellt, oder zu Zöpfen gebunden. Hohe Schuhe. Große Creolen. Das ist nicht das Revival der Spice Girls oder der No Angels. Es ist auch nicht das Jahr 2001, sondern 2021. Die fünf Frauen nennen sich femme5. „Seid euch sicher, dass wir bleiben, wenn wir kommen“, heißt es an einer Stelle in ihrem ersten Song „Telenovela“, der vor drei Monaten erschienen ist. Sie wollen Münchens große Girlgroup werden.

Gegründet hat die Gruppe der 23-jährige Tänzer und Choreograf Yasin Amet Oğlou – er erfüllt sich damit einen Traum. Eine Hommage an Girlgroups aus seiner Teenie-Zeit. Seit den Nullerjahren hat sich aber einiges verändert. Vor allem an der Art, wie Künstlerinnen sich emanzipieren, für sich einstehen. Eine Girlgroup im Jahr 2021, die ein Mann ins Leben gerufen hat? Wirklich? Wie selbstbestimmt sind die jungen Frauen? Entscheiden sie selbst, wie sie optisch auftreten? Und warum machen sie das überhaupt?

„Wir kleiden uns so, wie wir uns wohlfühlen. So verkörpern wir das Ideal unserer Selbst.“

 „Wir tragen einfach, was uns gefällt. Ich verstehe nicht, warum man sich als Frau dafür heute noch rechtfertigen muss“, sagt Lara Gluhak, 22. Ähnlich sieht es auch Anna-Bianca Werbach, 26: „Wir kleiden uns so, wie wir uns wohlfühlen. So verkörpern wir das Ideal unserer Selbst. Wir sind stolz darauf, Frauen zu sein, die sich in ihrer Haut wohl fühlen, ohne provozieren zu wollen“, sagt sie. Dass ein Mann femme5 formiert hat, spiele für sie keine Rolle: „Das Geschlecht hat für mich keine Relevanz in diesem Projekt. Yasin glaubt an uns, und wir an ihn. Das ist doch alles, was zählt“, sagt Lara.

Das Video zum Song „Telenovela“ hat aktuell auf YouTube mehr als 30 000 Aufrufe. Eine Userin schreibt: „Endlich mal wieder etwas, das an die Kindheit mit den ganzen Girlbands und Boybands erinnert.“ Jemand anderes meint: „Leider Nachmache von den Pussycat Dolls“. Hier scheiden sich die Geister. „Kritik kann gut sein. Und wir wollen ja auch polarisieren“, sagt Yasin.

Ein Blick zurück: Los Angeles, 2019. Yasin nimmt an mehreren Castings teil. Er möchte sich als Tänzer und Choreograf in den USA etablieren. Später will er dort eine Girlgroup gründen. Doch Corona kommt ihm dazwischen. Einen weiteren, längeren Aufenthalt in den USA wird es nicht geben. Entscheidend ist aber diese Zeit in Los Angeles trotzdem für ihn. Bei einem dieser Castings hat er Robin Antin kennengelernt. Eine amerikanische Choreografin, die zusammen mit der Schauspielerin Christina Applegate die Pussycat Dolls gegründet hatte. „Diese Frau war immer eine Inspiration für mich. Wegen ihr wollte ich eine Girlgroup gründen. Sie gab mir auch den Tipp, dass fünf eine gute Zahl für eine Gruppe ist“, sagt Yasin.

Anders als bei den Pussycat Dolls, den Spice Girls oder den No Angels wurden die fünf jungen Frauen von femme5 nicht gecastet. Klea Sinani, Alicia Isabelle Costa, Soraya Asena Yesilkanat, Lara Gluhak und Anna-Bianca Werbach sind mit Yasin befreundet, kennen sich über das Tanzen und waren schon als Backgroundtänzer für Künstler wie Kool Savas, Bausa oder Shirin David engagiert. Die Münchnerinnen sind zwischen 21 und 26 Jahre alt. Sie sind professionelle Tänzerinnen. Und sie sind auch gesanglich ausgebildet. „Als ich gefragt habe, ob sie mitmachen wollen, waren sie sofort dabei“, sagt Yasin. „Dadurch, dass wir schon befreundet waren, war der Start als Gruppe einfacher“, sagt Klea, 24.

Woher aber kommt Yasins Traum von einer Girlgroup? „Mir fehlt es, dass man Künstler so richtig abfeiert. Wie früher bei ,The Dome‘ zum Beispiel. Ich finde, das ist verloren gegangen“, sagt Yazin. Nicht nur Musikshows, sondern auch Realityshows, wie sie auf dem Sender MTV zu sehen waren, habe er geliebt. Seine Lieblings-Girlgroup: Destiny’s Child. „Als damals, 2004, der neue Song ,Girl‘ von Destiny’s Child herauskam, war ich im Urlaub. Ich stand draußen auf einer Terrasse und habe gehört, dass der Song gespielt wird. Da bin ich sofort hereingestürmt, habe mir eine Decke geschnappt und sie mir wie eine Art Kleid umgewickelt und habe innig mitgesungen“, sagt Yasin.

Musik und Tanzen, das liebte er schon in sehr jungen Jahren. Als ihn Freunde einmal mit zu Tanzstunden genommen haben, wusste er: Das ist es, was er will. Sogar seine Ausbildung als Gestalter für visuelles Marketing brach er später ab, um sich nur noch dem Tanzen zu widmen. „Ich habe mich von heute auf morgen komplett für das Tanzen entschieden, habe nicht auf das gehört, was andere sagen.“ Mit Erfolg. Er konnte sich in München und darüber hinaus mit seinem Talent beweisen. Seitdem unterrichtet er an einer Tanzschule in München und choreografiert. Für Lena Meyer-Landrut und Sunrise Avenue hat er bereits auf der Bühne getanzt, auch bei Apassionata hat er als Tänzer mitgewirkt. Mit femme5 will er nun sein Herzensprojekt umsetzen. Eine Boygroup, sagt er, „konnte ich mir nicht vorstellen. Frauen sind für mich das stärkste Geschlecht. Frauen an die Macht!“.

Um sich ganz dem Tanzen zu widmen, hat Yasin Amet Oğlou, 23, seine Ausbildung als Gestalter abgebrochen. Für Sunrise Avenue hat er bereits auf der Bühne getanzt. Foto: Kimbo Tran

Heißt das, die Frauen haben auch künstlerisches Mitspracherecht? Von Anfang an sei es ihm wichtig gewesen, „dass die Girls beim Songwriting stark mit eingebunden werden.“ Klappt das? Mit mehreren Köpfen an einem Song? „Wir sind ein eingespieltes Team, kennen uns gut und da ist so eine Zusammenarbeit gar kein Stress für uns“, sagt Lara. Oder wie Yasin es formuliert: „They feel each other.“ Das zeigt die Gruppendynamik. Sogar, wenn sich alle nur online sehen, ergänzt die eine die Sätze der anderen. Unterstützung im Songwriting bekommen sie außerdem von der deutsch-marrokanischen Musikerin Fairuz, die Yasin aus seiner Grundschulzeit kennt.

Ein solches Projekt auf die Beine zu stellen kostet Zeit und Geld. Kommt eine Pandemie mit Kontaktbeschränkungen dazu, macht es das nicht einfacher. Yasin hat viel von seinen Ersparnissen in femme5 investiert. „Auch meine Eltern haben mich finanziell unterstützt. Natürlich war es schwer, vor allem im zweiten Lockdown, weiterzuarbeiten. Fotostudios oder Tonstudios waren nicht zugänglich. Aber als wir nicht als Gruppe zusammenkommen konnten, haben wir über Zoom Songs geschrieben und gearbeitet“, sagt Yasin. Möglichkeiten für Liveauftritte fallen vorerst weg. Doch sie bleiben optimistisch. „Für Auftritte braucht man ja auch ein Repertoire“, sagt Anna-Bianca, die von allen „A.B.“ genannt wird. Dieses könnten sie sich jetzt erarbeiten, um dann später, wenn es wieder möglich sein wird, auch live auftreten zu können.

Sieht man sich das Telenovela-Video und den Instagram-Auftritt von femme5 an, vermitteln sie Selbstbewusstsein und Frauenpower. „Wir freuen uns auf alles, was noch kommt“, sagen sie. Dass Yasin als Gründer, Choreograf, Creative Director und Manager der Gruppe in einem agiert, ist kein Problem. Im Gegenteil: „Ich glaube sogar, dass es gut ist, wenn die Person, die die Gruppe gegründet hat, nicht selbst ein Teil davon ist. Das würde nicht funktionieren. Yasin ist auch nicht unser Vorgesetzter, bei uns entsteht nichts aus Zwang“, sagt Anna-Bianca. Yasin habe dadurch eine Außensicht auf die Gruppe. Einer, der den Überblick behält. „Jedes Mädchen hat bei uns ihren Charakter. Sie sind unterschiedlich. Bei uns soll jede strahlen. Ich kann jede von ihnen mal in die Mitte stellen“, sagt er.

„Ich will, dass die jungen Menschen in München und Deutschland ausflippen, wenn sie femme5 sehen“, sagt Yasin. „Telenovela“ ist erst der Anfang. Telenovelas erzählen meist aus weiblicher Perspektive. Es fließen Tränen. Es wird gelacht. Es gibt auch mal Drama. Am Schluss steht ein Happy End. Meistens.

Von Ornella Cosenza