Einsam durch soziale Medien: Jelena Majstorovic, 25, veranstaltet „Lightning Talks Munich“. „In der heutigen Welt ist es schwerer geworden, Menschen so richtig zu erfahren“, sagt Jelena – nicht zuletzt durch Facebook oder Instagram.
Von Elly Fleschutz
Wenn Jelena Majstorovic sich verspätet, sagt sie nicht „Entschuldigung“, sondern „Danke für deine Geduld“. Ihr Lippenstift ist knallrot, ihre Mimik hellwach und ihre Gestik entspricht der eines Charisma-Coaches. Wer sich mit ihr unterhält, dem wird schnell klar: Kommunikation ist ihr Element. Diese Leidenschaft geht jedoch weit über ihr eigenes Umfeld hinaus – die 25-jährige hat es sich zum Ziel gesetzt, das Kommunikationsproblem dieser Generation zu überwinden.
Seit zwei Jahren veranstaltet sie jeden Monat Lightning Talks (übersetzt: Blitzreden) in München, bei denen jeder eine fünfminütige Rede zu einem selbst gewählten Thema halten kann. Anschließend gibt es ein fünfminütiges Zeitfenster für das Publikum, um Fragen zu stellen und eine Diskussion zu dem Thema zu beginnen. Mit „Lightning Talks Munich“ will Jelena eine Plattform schaffen, auf der Leute sich verbinden, austauschen und Erfahrungen teilen können. Das bietet Potenzial für intellektuellen Austausch und Raum für Diskussion und Perspektivenwechsel. „In der heutigen Welt ist es schwerer geworden, Menschen so richtig zu erfahren – nicht zuletzt durch Social Media“, sagt Jelena. „Man sieht dort immer nur einen winzigen Teil von anderen. Aber auch im realen Leben kann man andere auf den ersten Blick nur nach ihrem Äußeren beurteilen. Wie viel schöner wäre es, direkt in die Ideen, Interessen und Erkenntnisse der Mitmenschen einzutauchen?“
Die gebürtige Serbin wächst von ihrem sechsten Lebensjahr an in Kanada auf, nachdem ihre Familie Europa aufgrund des Jugoslawienkrieges verlassen hat. Als Elfjährige zieht sie mit ihrer Familie nach München. „Ich würde schon sagen, dass die Umzüge mich stärker gemacht haben“, sagt Jelena über ihre Kindheit. „Es war nicht einfach, mich immer wieder neu anzupassen. Während andere Kinder gespielt haben, habe ich die neue Sprache geübt. Ich wollte immer mithalten und auf keinen Fall in der Schule versagen.“
Während ihres Kunst- und Multimedia-Studiums ist Jelena in sich gekehrt und drückt sich hauptsächlich durch ihre künstlerische Seite aus, doch das fühlt sich bald nicht mehr richtig für sie an. Sie wünscht sich mehr Verbindung mit anderen und einen extravertierteren Lebensstil. Dieser Ambivalenz von Extra- und Introversion in ihrem eigenen Leben schreibt sie heute ihren Willen zu, beide Welten zu verbinden. Da sie selbst Schwierigkeiten hatte, Kontakt zu ihren Mitmenschen aufzunehmen, ist es ihr wichtig, anderen diese Möglichkeit zu geben. Als 2016 in der Uni eine Projektarbeit ansteht, entscheidet sie sich gegen etwas Künstlerisches. Stattdessen möchte sie, dass durch ihr Projekt Menschen zusammenkommen und sich außerhalb von sozialen Netzwerken mit anderen verbinden. Zunächst veranstaltet sie Gruppenspiele im Englischen Garten, aber mit dem Winteranbruch war diese Möglichkeit nicht mehr gegeben. Durch einen Freund wird sie auf die Idee von Blitzreden aufmerksam. Das Format ist bereits dank der TED-Konferenzen beliebt, von denen Mitschnitte als TED-Talks ins Internet gestellt werden. Jelena übernimmt die Idee und passt sie für ihr Publikum an, Anfang November 2016 veranstaltet sie zum ersten Mal Lightning Talks Munich.
Die Reden und Diskussionen finden größtenteils auf Englisch statt. Die Events werden hauptsächlich über Backpacker-Plattformen wie Couchsurfing und Meet-up vermarktet, somit ist das Publikum sehr international. Die Nachfrage steigt stetig, beim jüngsten Event gab es fast 100 Gäste – beim ersten waren gerade mal 15 da. „Das erste Event war das allerschwierigste. Ich konnte nicht schlafen und habe es immer wieder vor mir hergeschoben – ich hatte richtige Angst“, sagt Jelena.
Auch bei der Präsentation der Projektarbeiten in der Uni hat Jelena Lightning Talks veranstaltet. Ein besonderer Moment für sie, der ihre Überzeugung von der Idee gefestigt hat: „Ich dachte: Das ist meine Kunst. Ich habe etwas erschaffen, das ist das Ergebnis.“ Sie möchte damit auch die Definition von Kunst erweitern: „Ich denke, auch solche Events sind Kunst – wie Performance Art mit einem praktischen Touch.“
So ein Event kann man nicht allein stemmen, vor allem, wenn es so stetig wächst. Linh Nguyen, 25, ist von Anfang an mit dabei. Nach und nach vernetzt sich ein Lightning-Talks-Team, das aktuell neben Jelena und Linh acht weitere Mitglieder zwischen 22 und 27 Jahren zählt, hauptsächlich Studenten.
Jelena hat es sich gleich am Anfang zum Ziel gesetzt, die Events sehr regelmäßig zu organisieren. „Nur wenn die Treffen ein- bis zweimal im Monat stattfinden, können sie echten Einfluss auf die Gäste haben. Ein Kunstwerk, das man sich nur einmal ansieht, ändert nichts. Man muss es sich immer wieder ins Bewusstsein rufen.“ Die Themen der Lightning Talks waren anfangs hauptsächlich intellektuell, inzwischen mischen sich aber auch viele Motivationstalks und spirituelle Themen dazwischen. Jelena ist es wichtig, zwischen diesen beiden Themenbereichen immer die Balance zu halten. Anfangs durfte jeder auftreten, inzwischen werden die Reden immer erst geprüft, bevor entschieden wird, wer auftreten darf. In ihrer Essenz haben die Inhalte aber eines gemeinsam – sie helfen bei der persönlichen Weiterbildung und Entwicklung.
Jelena selbst verdankt ihr Interesse an diesem Themenkomplex ursprünglich einem gebrochenen Herzen. Heute betrachtet sie das Scheitern einer Liebesgeschichte als einen entscheidenden Wendepunkt in ihrer Entwicklung. „Ich musste diese Erfahrung machen, um aus meiner Komfortzone zu kommen. Alles, was ich von mir selbst wollte, habe ich auf diesen Mann projiziert und mich so von ihm blenden lassen. Schließlich habe ich angefangen, mich an ihm zu messen. Ich habe mich gepusht, habe versucht, mich zu verwirklichen und klarer zu definieren, was ich will. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich seine Bestätigung gar nicht mehr brauche. Darum ist persönliche Weiterentwicklung ein sehr großes Thema in meinem Leben“, sagt sie.
Foto: privat