Weiberfasching und Henna-Abend

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Ja, man kann in Bayern in einer Turnhalle tatsächlich einen Kulturschock erleben; allerdings findet so ein türkischer Junggesellinnenabschied in einer solchen Räumlichkeit natürlich auch nicht alle Tage statt – schon gar nicht mit Kartoffelsalat am Buffet.

Feiern in bayrischen Dorfturnhallen meide ich: Starkbierfeste, Weiberfasching und dergleichen. Dabei fühle ich mich als Zugereiste so preußisch. Heute ist das anders. Statt bayrischer Blasmusik hallt türkischer Pop von den Weichbodenmatten. Und wie ich mich fühle, das weiß ich noch nicht genau. Irgendwie blond: ich bin unter dreihundert Frauen in dieser Turnhalle die einzige Naturblondine – und die einzige, die nicht fließend türkisch spricht. Und nein, das ist kein Schützenball, es ist der Henna-Abend einer Kollegin.

Einen Henna-Abend kann man sich grob vorstellen wie einen Junggesellinnenabschied. Im Internet liest man neben genauerer Beschreibung auch verzweifelte Foreneinträge von Frauen, die auf den Henna-Abend einer türkischen Freundin eingeladen wurden und Angst haben, in ein Fettnäpfchen zu stapfen. Ich bin noch nirgendwo reingetreten. Das liegt aber hauptsächlich daran, dass ich brav auf meinem Platz sitze und freundlich dreinschaue. Dabei kann man nicht viel falsch machen.

Meine Strategie ist unschlagbar, aber auf Dauer etwas öde. So kommt es, dass ich mich von einer Bekannten auf die Tanzfläche ziehen lasse. Die Tanzfläche ist ein Faszinosum. Sie ist – ganz ohne Alkohol – seit acht Uhr brechend voll mit Frauen aller Altersklassen, die klatschend und zu Regeln, die sich meinem Verständnis entziehen, im Kreis herumfegen. Und dann bin ich mittendrin, im innersten Ring eines anatolischen Kreistanzes. Der Takt wird schneller, die hohen Töne quietschen unangenehm, meine Hände schwitzen. Eine Frau mittleren Alters mit Kopftuch stößt einen Indianerschrei aus. Und dann, irgendwie, tanzen meine Füße denselben Tanz wie all die anderen Füße.

Als ich kurz darauf dehydriert am nächsten Tisch lehne, beschließe ich, dass Feste in bayrischen Dorfturnhallen vielleicht gar nicht so fremdartig sind. Mit diesem hier habe ich mich ja auch angefreundet. Jetzt hole ich mir erst mal ein Spezi und eine Portion Kartoffelsalat. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.