Foto: Chiara Toki

Von Freitag bis Freitag München: Unterwegs mit Luca

Unseren Autor Luca Lang beschäftigt diese Woche das Fatiguekonzept. Ermüdet zu sein, das beschreibt seinen Gemütszustand sehr gut. Trotzdem hat er diese Woche viel vor, ob das die Counterweight in der Roten Sonne ist. Oder das Festival Sound of Munich Now Spezial. Viel Vergnügen!

Vor einiger Zeit saß ich in einem Lokal im Bahnhofsviertel einer deutschen Großstadt. Welche ist egal, schließlich lassen sich die tristen Bauten um Bahnhöfe herum meist nur durch die Straßennamen unterscheiden. Es war eines dieser Restaurants, deren Speisekarten eher an die Uni-Projekte von Grafikdesignstudierenden erinnern. Einer dieser Orte, bei denen man weiß: Jetzt ist die Gentrifizierung auch im letzten Eck des Viertels angekommen. Trotz des obligatorischen Kopfschüttelns nach jedem Wortspiel, jeder bewusst schlecht gemachten Collage blieb mir eine Seite in Erinnerung. Darauf zu sehen waren Wortkombinationen mit dem Wort Fatigue. 10.000-Steps Fatigue, Swipe-Right Fatigue, Future Fatigue und schließlich Fatigue Fatigue. Des Ermüdet-Seins müde sein. Es gibt, glaube ich, keinen Ausdruck, der meinen aktuellen Gemütszustand besser beschreiben könnte als dieser.

Zwischen elf aufgeschlagenen Büchern eingegraben (ich habe nachgezählt) bastle ich aktuell an meiner Bachelorarbeit, nebenher: Arbeiten und schreiben. Um hier aber nicht vollends in Selbstmitleid zu versinken, ist es an der Zeit aufzuwachen. Ich bin schließlich nicht nur müde, sondern des Ermüdet-Seins müde. Deshalb habe ich diese Woche endlich auch wieder einiges vor. Um den Weg von den Büchern hin zum Leben etwas weniger radikal zu gestalten, als mich mein Wecker jeden Morgen hochschrecken lässt, geht es am Freitag zuerst noch nicht direkt in das Münchner Nachtleben, sondern zu Politik, Kultur und Aktivismus. Kurz gesagt: ins Pluriversum – ein Kulturprogramm im Amerikahaus. Das zentrale Thema: Wie kann ein global gerechtes Gesellschaftsmodell aussehen? Dieser wohl aktuell größten aller Fragen nähern sich der ecuadorianische Intellektuelle Alberto Acosta und die Journalistin Sandra Weiss an, die das Programm mit Musik von „Grupo Sal“ und Projektionen des Künstlers Johannes Keitel moderieren. Außerdem ist Marilyn Machado Mosquera zu Gast, die Gründerin der seit 1993 bestehenden Gruppe PCN (Proceso de Comunidades Negras), die sich für die Rechte der afro-kolumbianischen Gemeinschaften einsetzt.

In den vergangenen Wochen hat sich bei mir aber noch eine andere Art von Fatigue eingestellt. Party Fatigue. Und eigentlich hätte ich nicht gedacht, dass ich schon mit 22 an diesen Punkt kommen würde. Ob es daran liegt, dass ich selbst die vergangenen Jahre im Nachtleben gearbeitet habe? Oder daran, dass die Pandemie nicht spurlos an einem vorbeigegangen ist? Genau sagen kann ich es nicht. Vielleicht geht das mit dem Älterwerden auch einfach schneller als man denkt. An mein erstes Mal Club kann ich mich aber noch gut erinnern. Vor mehr als vier Jahren in der Roten Sonne bei einer Counterweight. Und am Freitag findet diese Veranstaltungsreihe, die die Münchner Technokultur der vergangenen Jahre geprägt hat, zum vorletzten Mal statt. Auch wenn sie für mich wohl kürzer ausfällt als die erste, schließlich lesen sich  die elf Bücher nicht von selbst, werde ich trotz aller Müdigkeit vorbeischauen. Mindestens der Nostalgie wegen.

Am Samstag bietet sich dann gleich die zweite Möglichkeit, die prominent auf dem Desktop meines Laptops platzierte Datei mit dem Titel Bachelorarbeit zu ignorieren. Das Sound of Munich Now findet ja aktuell wieder statt. Dieses Jahr jedoch nicht nur digital, sondern auch live im Zuge des „Listen to Munich“ in der Hansa 39 des Feierwerks. Um 20 Uhr beginnt der Abend mit Konzerten, Talks und der Videoprämiere der Münchner Band „Rosa Blut“. Eintritt ist frei. Und nachdem sich bei mir, wie bei vielen jungen Menschen ein schwarzes Loch im Geldbeutel aufgetan hat, in dessen Singularität Wocheneinkauf, Nebenkosten und der berühmt-berüchtigte Münchner acht Euro Dürüm kulminieren, ist das ein Grund mehr, mich dorthin zu begeben.

Zwei Tage, drei Termine. Also erst mal genug gelebt und zurück zu den Büchern. Vielleicht bin ich ja am Sonntag schon etwas wacher. Und vielleicht hilft das auch dabei, meine Notizen zu lesen, die in einer Handschrift geschrieben sind, die wohl so schwer zu entschlüsseln ist, wie die Texte, mit denen ich arbeite.

Vor Kurzem führte ich mit einer Freundin eine Diskussion darüber, was das, was man so an der Uni an Theorie zu verstehen versucht, für die Lebenswelten bedeutet. Ihr fehlte in der Universität der Bezug zur Praxis. Nach längerem Nachdenken darüber kann es sein, dass meine Fatigue Fatigue auch daher rührt. Wenn man sich wochenlang mit einem gesellschaftskritischen Thema auseinandersetzt (grob gesagt geht es in meiner Arbeit um Rassismus und postkoloniale Strukturen in den Medien), aber nur in der Theorie, fragt man sich doch irgendwann, warum man überhaupt schreibt. Und indem man von den Büchern zum Leben, von der Theorie zur Praxis kommt, kann man sich vielleicht auch von dieser Müdigkeit lösen. Und diese Möglichkeit hat man am Montag in der Glockenbachwerkstatt, wo bei der Finissage der Ausstellung „Die Körper, die sprechen“ des kurdischen Kollektivs Avazê Xo, der Vortrag „It is still painful in your space“ mit Diskussionsrunde mit freiem Eintritt stattfindet. Das Thema des Vortrags ist Rassismus und Transfeindlichkeit in FLINTA-Räumen. Davor werde ich mich der Ausstellung und den Fotografien, die sich mit dem Überleben und Sichtbarmachen sexualisierter Gewalt beschäftigen, auseinandersetzen.

Nachdem sich am Dienstag mein Sonntag wiederholt, folgt am Mittwoch gleich noch ein Talk. Und auch noch mal kostenlos. Dieses Mal im Habibi Kiosk der Münchner Kammerspiele. Bei „Dies Das Nr. 16“ kommt Tuncay Acar mit Etem Ete ins Gespräch, „Dissident auf Lebenszeit“, wie er in der Veranstaltungsankündigung genannt wird. Etem Ete teilt dort seine politischen Erfahrungen als Oppositioneller. In Deutschland wie der Türkei. Bei der Reihe „Dies Das“ sollen Menschen, die in den dominanten Diskursen der Gesellschaft nur am Rande wahrgenommen werden, zu Wort kommen.

Geht es um die Frage, wie ich sonst, im wörtlichen Sinne wach werde, ist meine erste Antwort Musik. Und die gibt es am Donnerstag im Import Export. Dort spielen die Bands „Mount Hush“ und „Carpet“. Zwischen psychedelischer Improvisation, Experimental und Jazz werde ich mich hoffentlich gedanklich noch mal für einen Abend von meiner Bachelorarbeit verabschieden können, bevor es am Freitag zurück an den Schreibtisch geht.

Ob ich nach dieser Woche wirklich wacher sein werde? Wohl nicht. Input gibt es ja zum Überfluss – und der will erst einmal verarbeitet werden. Aber ich werde dieser Müdigkeit auch nicht müde sein. Schließlich kam zu den Büchern etwas Leben, zur Theorie etwas Lebenswelt hinzu.