Manchmal muss man zweimal hinschauen, um zu begreifen, was sich genau auf einem Bild von Eileen Aolani, 23, abspielt. Und manchmal, da versteht man es selbst beim zweiten Mal nicht ganz, welcher Gegenstand eigentlich was verfremdet – eine Annäherung
Von Ornella Cosenza
Eine Lasagneform, eine Vase oder eine Statue, zwei Hände, die von der Seite etwas ins Bild halten – damit arbeitete zuletzt Eileen Aolani. Für die Ausstellung „10 im Quadrat Volume 3“ hat sie solche Gegenstände benutzt, um die Porträts der Models zu verfremden. Manchmal hat sie durch die Gegenstände hindurch fotografiert und so das Bild verzerrt. „Meine Fotos sind mein ganz eigener Blick auf die Dinge. Meistens habe ich eine ganze Tasche voller Gegenstände dabei“, sagt Eileen, 23.
Bei einem anderen Shooting mit professionellem Model verbiegt sich die Frau vor Eileens Kamera mit dem Rücken nach hinten und formt eine Art Kurve – eine eher unnatürliche Pose. Zusätzlich verläuft ein dünner Draht aus einer Vase im rechten Bildrand über dem Kopf des Models und bildet eine ovale Linie. Das dominante Element in Eileens Fotografien sind Formen, abstrakt und verfremdete Gegenstände. Verzerrte Menschen. Manchmal muss man zweimal hinschauen, um zu begreifen, was sich genau auf dem Bild abspielt. Und manchmal, da versteht man es selbst beim zweiten Mal nicht ganz, welcher Gegenstand eigentlich was verfremdet. Aber das ist noch nicht alles: Eileen fotografiert nicht nur, sie malt und zeichnet auch. In ihren Skizzen und Malereien lassen sich – genau wie in ihren fotografischen Arbeiten – abstrakte Formen und verzerrte Linien wiederfinden. Nichts scheint hier geplant, geschweige denn gerade zu sein. Da sind verzerrte Körper und Gesichter. Die Linien sind wirr. Manch einer könnte sich an die Kunst von Egon Schiele erinnert fühlen. „Einmal hat mich ein Freund gefragt, ob ich ihn abstrakt malen könnte. Das geht nicht. Ich setze mich nicht mit einem Bild oder einer klaren Vorstellung hin. Ich fange einfach an mit dem Stift und dann entsteht etwas. Es beginnt im Geist und manifestiert sich als Form“, sagt Eileen.
Auf ihrem Arm trägt Eileen mehrere Tattoos, ein paar davon hat sie sogar selbst entworfen – eines sieht aus wie ein chaotisches, aber irgendwie doch geordnetes Gebilde aus unruhigen Linien, ähnlich wie die Fäden eines Wollknäuels. „Ich mag das krass Verzerrte gerne. Ich finde das Andersartige schön. Bei meinen Fotos will ich einen Blick dafür schaffen. Dass man ein Gesicht nicht so sieht, wie man es vor sich hat, aber es trotzdem noch ästhetisch ist.“
„Wenn alle nach Berlin gehen,
kann man hier in München keine
kreative Szene mehr aufbauen.“
Sie ist unter den zehn Fotografinnen und Fotografen der Ausstellung der Junge-Leute-Seite der SZ eine von zwei, die bisher weder Kunst noch Fotografie an einer Hochschule studiert hat. „Ich habe mich einfach noch nicht bereit gefühlt zu studieren“, sagt sie. Es sei eine bewusste Entscheidung gewesen. Vieles hat sich Eileen stattdessen selbst beigebracht. „Ich bin ein sehr praktischer Mensch. Und die meisten Dinge kann ich mir selbst aneignen oder nachlesen. Ich bilde mich selbst weiter“, sagt sie. Nach dem Abitur besuchte sie das International Munich Art Lab (IMAL), das künstlerische Arbeit und berufliche Qualifikation verbindet, machte eine Hospitanz in der Kostümabteilung der Kammerspiele und arbeitete bei einer Schneiderin. Später hätte sie auch die Möglichkeit gehabt, in Berlin zu studieren: „Ich bin da aber nicht hingegangen. Wenn alle aus München nach Berlin gehen, kann man hier keine kreative Szene mehr aufbauen, oder?“, sagt sie. Ihren Lebensunterhalt finanziert sie nicht allein durch das Fotografieren und ihre Kunst.
Aktuell arbeitet sie in einer Modelagentur und macht dort unter anderem Test-Shootings und Polas, natürliche Aufnahmen von Models für die Kartei. Am Wochenende arbeitet sie außerdem noch an der Bar im Blitz-Club. Wie lässt sich das mit Kreativität verbinden? „Ich brauche viele unterschiedliche Sachen, das Blitz gibt mir zum Beispiel die Kommunikation mit anderen Leuten, aber ich brauche immer wieder auch Ruhephasen, in denen ich mir überlege, wie es weitergeht, was als nächstes kommt“, sagt sie. Durch die vielen verschiedenen Jobs sammelt Eileen Lebens- und Berufserfahrung. „Man lernt dabei eben auch Dinge, die einem im Studium nicht beigebracht werden, und das ist wertvoll.“ Es sei aber auch schon vorgekommen, dass ihr die Leute gesagt hätten, dass sie unbedingt ein Studium brauche.
„Ich denke trotzdem, dass ich auf das stolz sein kann, was ich mir selbst erarbeitet habe, und dass das in keiner Weise weniger wert ist als die Arbeit von jemandem, der studiert hat.“ In ihrer Freizeit liest sie Bücher über Kunstgeschichte oder Psychologie. „Ich lese solche Bücher viel lieber, wenn ich weiß, dass ich das nicht muss. Dann bin ich viel befreiter, sonst würde ich schnell die Freude daran verlieren“, sagt sie. Ihre Kreativität verliert sie trotz ihres intensiven Arbeitslebens nicht aus den Augen.
Sie stellte ihre Fotografien und Skizzen im Provisorium aus, auch im Lovelace hat sie ihre Werke schon gezeigt. Eileen ist eine Lebenskünstlerin. Sie findet immer wieder neue Wege. Ihr Lebenslauf mag nicht linear sein – genau wie die Linien und Formen in ihren Fotos und Skizzen – am Ende passt trotzdem alles zusammen.
Finissage
Die Ausstellung „10 im Quadrat“ ist nur noch kommendes Wochenende im Farbenladen des Feierwerks, Hansastraße 31, zu sehen. Am Sonntag (16 bis 20 Uhr) wird die Finissage gefeiert. Es gibt einen Auftritt von Xavier D’Arcy, Singer-Songwriter und eines der Models für die Ausstellung.
Der britische Musiker und Wahlmünchner belegte vergangenes Jahr beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest den zweiten Platz und wäre beinahe nach Lissabon gefahren. Xavier D’Arcy nennt sich selbst den „Sieger der Herzen“. Vergangenes Jahr war er auf Tour in Deutschland und im europäischen Ausland. Am Samstag (16 bis 22 Uhr) findet im Farbenladen Impro-Theater, ein Talk zur Wohnsituation in München und Stepptanz-Hip-Hop der Band Swango statt.
Foto: Felix Kreutzer