Um sich richtig zu Hause zu fühlen, braucht man eine Heimat. Also nicht die Wochnung. Sondern die Stammkneipe. Und die Zweit-Stammkneipe. Und dort ein Stammplatz wär natürlich auch nicht schlecht… aber das kann zu Komplikationen führen.
So richtig zu Hause fühlt man sich an einem Ort erst, wenn man irgendwo Stammkunde ist – wenn man die Probierphase überwunden und den richtigen Bäcker, das richtige Café, die Stammkneipe für sich gefunden hat. München müsste für David ein sehr heimeliger Ort sein: Er hat einen Bäcker, bei dem die Angestellten wissen, dass er einen Schoko-Cookie will, und ein Stammcafé, wo allen klar ist, dass Kaffee und Karotten-Ananas-Kokos-Kuchen für ihn sein können. David hat sich mit Erfolg kleine Außenstellen für sein Zuhause eingerichtet, bei denen er tagsüber vorbeischauen kann. Ich vermute sogar, dass er sich für eine Doktorarbeit entschieden hat, damit ihm sein Lieblingscafé an der Uni erhalten bleibt; damit er sich dort noch ein paar Jahre von Platon und Aristoteles entspannen kann, indem er Kuchen isst und – nur so zum Spaß! – Frauenzeitschriften durchblättert. Abenteuerhungrigen Menschen mag es bei solch einer Vorstellung kalt den Rücken herunterlaufen, aber David ist ein Gewohnheitstier. Er mag das so.
Damit könnte alles schön und gut sein – ist es aber nicht. Ein großes Problem bleibt: Davids Kopf. Denn da drin steckt die Überzeugung, dass man ihn in all seinen Stammlokalen für seltsam hält. Für eine Art Zwangsneurotiker, der seine Tage nur übersteht, wenn er stets dasselbe Gebäckstück am selben Ort einnimmt. Ich versuche, David klar zu machen, dass jeder Laden sich über Menschen freut, die treu all ihr Geld dorthin tragen. Vergeblich. Er bleibt dabei: Die Bedienungen halten ihn für komisch. Dann holt er sich eine neue Frauenzeitschrift.
Für Davids Karriere an der Uni sehe ich schwarz, wenn er bei dieser Einstellung bleibt. Ich kann sein zukünftiges Gejammer schon hören: Wie seltsam ihn seine Studenten finden – schließlich hält er seine Seminare jede Woche zur gleichen Zeit und dann auch noch im selben Raum! Im selben Fach! Was für ein Neurotiker! Und dann soll er auch noch immer dieselbe Sorte Kuchen essen … Vielleicht wäre Abenteurer als Beruf ja doch stressfreier für David.
Von Susanne Krause