Sabine Voule, 20, und John Junior Aziadovo, 19, wollen Afrodance auf Münchens Bühnen bringen. Dafür haben die beiden im vergangenen Jahr hart gekämpft – und auch Ablehnung erfahren.
Von Laura Wiedemann
Prince ballt seine Hände zu einer Faust. Schweiß perlt von seiner Stirn und über seine muskulösen Arme. Afro Beats erklingen. Prince löst seine starre Pose. Er beginnt zu tanzen. Es sind schnelle Beats. Und zu jedem Beat klopft Prince mindestens mit einem Fuß den Takt mit. Es sind viele Takte. Seine Beine bewegen sich so schnell, dass es schwer fällt zu folgen. Starke, kämpferische Bewegungen. Der ganze Körper ist in Spannung. Höllisch anstrengend muss dieser Tanz sein. Und doch wirkt Prince irgendwie gelöst, fast leicht, wie er sich in schneller Schrittfolge durch den Raum bewegt.
Sabine Voule, 20, sitzt an der Wand im Jugendzentrum am Max-Weber-Platz. Sie sieht ihrem Tanzpartner zu. Hier trainiert sie oft zusammen mit Prince, 19, der eigentlich John Junior Aziadovo heißt. Im Moment macht sie Pause. Zu sehr schmerzt ihr Körper vom vielen Training der vergangenen Tage. Auch an diesem Mittwoch waren sie schon früh am Tag hier, um noch etwas Zeit im Fitnessraum zu verbringen. Sie tragen noch ihre Sportklamotten.
Als John tanzt, spielen Sabines Schmerzen keine Rolle mehr. Ein Lächeln kehrt in ihr Gesicht zurück. Sabine klatscht. Sie feuert John an. Und springt am Ende doch auf, um mit zu tanzen. Sabine sagt: „Heute weiß ich, dass nicht jeder Tag immer gut sein muss. Manchmal fehlt mir auch die Motivation und ich würde lieber im Bett bleiben. Aber jetzt habe ich Prince. Wir motivieren uns gegenseitig. Wir haben ein gemeinsames Ziel und davon kann uns niemand mehr abbringen.“ Ihr Ziel: Afrodance auf Münchens Bühnen zu bringen. Dafür haben die beiden im vergangenen Jahr hart gekämpft.
Vor sechs Jahren kam Sabine aus Togo nach München. Sie tanzt schon fast ihr ganzes Leben. Und auch in ihrer neuen Heimatstadt hat sie jede freie Minute mit dem Tanzen verbracht. Mit Afrodance kam John, ein gebürtiger Münchner, dessen Wurzeln ebenfalls in Togo liegen, erst durch Sabine in Berührung. Schüchtern und antriebslos sei er vorher gewesen, sagt er. Ihre Freundschaft und das Training mit Sabine habe sein Leben komplett verändert. Er sagt: „Das Tanzen hat mir so viel gegeben. Selbst jetzt, wenn ich mal traurig bin, hilft das Tanzen immer.“
Dieses Gefühl wollen sie als Munich Afro Dancers an andere junge Menschen weitergeben. „Wir alle kommen, bewusst oder unbewusst, in unserem Leben mit Vorurteilen in Berührung. Durch Afrodance bekommen Menschen die Möglichkeit, hinter diese Vorurteile zu blicken. Menschen, Kulturen und die Geschichte dahinter kennenzulernen. Auch Tanz kann uns als Gesellschaft näher zusammenbringen“, sagt John. In seinen Kursen seien Jugendliche mit ganz unterschiedlichem persönlichen Background. Um so mehr habe es ihn gefreut, als er einige von ihnen gemeinsam bei der Black-Lives-Matter-Demo im Juni getroffen habe. „In unseren Kursen versuchen wir immer, verschiedene Styles und Songs zu nehmen, aus verschiedenen Ländern. Und das macht die Jugendlichen wieder offener. Sie schauen sich die Stars an, beschäftigen sich mit der Kultur, und das allein ist schon etwas sehr Großes. Auch viele Schwarze Menschen, die hier wohnen, wissen wenig über ihre Abstammung. Und auch dafür sind unsere Tanzkurse da: Um gegenseitig etwas von der Kultur des anderen zu lernen“, sagt John.
Sabine verdient ihr Geld mit Tanzen. Und auch John könnte sich vorstellen, irgendwann nur noch zu tanzen. Als Munich Afro Dancers auf der großen Bühne stehen und vom Publikum bejubelt werden, diesem Traum durften sie schon ganz nah kommen. Sie durften die Berliner Band
Seeed für einige Dancehall-Songs als Tänzer unterstützen. In der Münchner Olympiahalle. Tausende Menschen im Publikum, große Anspannung vor ihrem Auftritt und ein unglaublich elektrisierendes Gefühl auf der Bühne. „Sabine war total locker“, erzählt John. „Und ich hatte kurz vor unserem Auftritt noch das Gefühl, mich kaum bewegen zu können. Aber als wir dann raus sind, zusammen auf der Bühne standen vor so einem riesen Publikum – das war echt einer der krassesten Momente in meinem Leben.“
Überwältigt war auch Frederik Gervasoni, 39, als er seine beiden Schützlinge unerwartet auf der großen Bühne sah. Er ist Erzieher im Jugendzentrum am Max-Weber-Platz. Er kennt John und Sabine schon lange und stand beim Seeed-Konzert im Publikum: „Auf einmal kamen Tänzer auf die Bühne. Und ich konnte kaum glauben, wen ich da sehe. Da standen Sabine und Prince mit Seeed auf der Bühne. Das hat mich schon stolz gemacht.“
Im Jugendzentrum wurden sie immer unterstützt. „Das ist unser Ort. Unser Ursprung“, sagt John. Wenn John erzählt, redet er einfach drauf los. Bei Sabine ist das anders. Sie braucht Zeit, um sich zu öffnen, wirkt zu Beginn fast schüchtern. Spricht sie aber über das Tanzen, blüht sie auf. Man merkt, wie stolz sie auf ihre gemeinsamen Erfolge ist. Neben Auftritten bei Veranstaltungen, haben sie mit ihrer Tanzcrew schon Preise bei internationalen Tanzwettbewerben gewonnen oder waren in Musikvideos bekannter Künstler aus der Afroszene zu sehen.
Erfolge, die Sabine einigen ihrer ehemaligen Mitschülern und ihrer Lehrer gerne unter die Nase reiben würde. Während ihrer Schulzeit habe sie wenig Unterstützung erfahren. Viele zweifelten an ihren Träumen. „Mach was Gescheites. Diesen Satz habe ich schon so oft gehört. Es ist schade, wenn man das Gefühl hat, in der eigenen Stadt nur wenig Unterstützer zu haben. Und das ist hier leider noch Realität“, sagt Sabine. In anderen Städten wie Amsterdam oder Berlin sei das ganz anders. Dort würden junge Künstler mehr unterstützt. Dort könne die Afrodance-Szene wachsen. In München sei das schwierig.
Sabine und John haben schon überlegt, ihre Heimatstadt deshalb zu verlassen, aber das habe sich einfach nicht richtig angefühlt. „Wir bleiben in München, weil wir hier etwas verändern wollen. Für junge Menschen und für die Afro-Community“, sagt John.
Und auch für sich selbst. Sabine und John wollten eigentlich nur noch einmal ein paar Schritte durchgehen. Jetzt ist daraus ihr eigenes Tanzbattle geworden. Sie bejubeln sich. Lachen laut, wenn der andere doch mal einen kleinen Fehler macht. Grölen anerkennend für anspruchsvolle Tanzschritte. „Niemals hätte ich geglaubt, jetzt so weit zu sein. Wir sind nur zwei Personen aus einer großen Community, trotzdem glaube ich, dass wir für viele auch Vorbilder sein können. Dafür, dass es sich lohnt, dranzubleiben. Und dafür, dass man sein Schicksal selbst bestimmen kann“, sagt Sabine. Sie schaut glücklich aus.