Sabine Voule, 20, und John Junior Aziadovo, 19, wollen Afrodance auf Münchens Bühnen bringen. Dafür haben die beiden im vergangenen Jahr hart gekämpft – und auch Ablehnung erfahren.
Schlagwort: interkulturelles
Der tapfere Schneider
Das Eigene und das Fremde, buchstäblich ineinander verwebt: Der aus Gambia geflüchtete Sulayman Jode, 20, kombiniert europäische Styles mit westafrikanischen Stoffen
Die junge Frau ist ein Hingucker. Ihr Gang und ihr Blick strahlen Selbstbewusstsein und Zufriedenheit aus. Es ist aber vor allem ihr blauschwarzes Kleid mit dem gelben Sonnenmuster, das alle Augenpaare im Raum auf sich zieht. Der Stoff kommt augenscheinlich von weit her, das Kleid ist modern geschnitten. Als das Model eine Drehung macht, umtanzt der fließende Rock ihre Beine spielend. Das Publikum klatscht.
Die Szene spielt sich nicht auf einem der großen Laufstege in New York oder Paris ab. In einem Second-Hand-Laden in der Münchner Ludwigsvorstadt wird die erste Kollektion von Sulayman Jode, 20, präsentiert, es läuft afrikanischer Hip-Hop und Afrobeat-Musik. Der junge Mann aus Gambia kombiniert europäische Styles mit westafrikanischen Stoffen aus seiner Heimat. T-Shirts, Hosen, Kleider, selbst Dirndl hat er schon angefertigt. Meistens schneidert er abends nach der Schule oder in den Ferien.
Sulayman holt gerade den Hauptschulabschluss nach. Vor drei Jahren kam er als Flüchtling aus Gambia nach München.
Er sitzt in seinem Zimmer, die Wände hängen voll mit Fotos. Freundschaften, die er in seiner neuen Heimat schließen konnte. Auf dem Tisch: das Buch „Momo“ von Michael Ende. Er selbst trägt einen einfachen grünen Hoody, zieht die Kapuze über die kurz geschorenen Haare. „Ich mag das, wenn Deutsche Stoffe aus Gambia tragen“, sagt er, „weil das zumindest zeigt, dass die Leute Interesse an anderen Kulturen besitzen.“
Sulayman ist ein dauerhaft Getriebener. Schule, Mode, Musik machen, Freunde treffen. „Einfach nur daheimbleiben? Das ist nichts für mich“, sagt er und lacht dabei herzlich und laut. Durch sein Engagement ist er viel herumgekommen: Mit seiner Band ONE Corner stand er schon auf der Bühne des Ampere, drehte ein Musikvideo im Olympiapark. Und er traf auf Konstantin Wecker bei einem Auftritt für die Sendung „Z’am rocken“ des BR. „So ein cooler Typ“, schwärmt Sulayman.
Er mag die Deutschen, besonders deutsche Musiker. Gentleman, Die Beginners oder Blumentopf zählt er zu seinen Favoriten.
In München hat er viel Unterstützung erfahren. „Wenn die Leute merken, dass du Talent besitzt, dann wollen die auch, dass du das zeigen kannst“, sagt er. So kam es, dass er während eines Praktikums als Verkäufer in jenem Second-Hand-Laden in einer Pause die Nähmaschine entdeckte. Wenig später durfte er die erste eigene Kollektion auf dem Laufsteg im Laden präsentieren. Das liegt auch an Sulayman und seiner aufgeweckten und zielstrebigen Ausstrahlung. Man merkt ihm die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme an, wenn er erzählt, eines Tages ein eigenes Geschäft mit seinen Kleidungsstücken zu führen und weitere solcher Modeschau-Events organisieren zu wollen. Während seine Hände mit jedem Wort neue Gesten zeichnen, sucht er immer wieder den direkten Augenkontakt.
Sich mit Händen und Füßen verständigen – für Sulayman war das lange Realität. Diese Zeit begann für ihn vor drei Jahren. Sein Onkel setzte sich gegen den gambischen Diktator Yahya Jammeh ein (der am 21. Januar 2017 ins Exil gegangen ist). Immer wieder wurden Oppositionelle entführt und mundtot gemacht. Das Regime sperrte Sulaymans Onkel ein und folterte ihn. Die Familie erhielt Drohbriefe. Mit Mutter und Schwester floh er in den Senegal. Zum Weitergehen waren die Schwester zu klein und die Mutter zu schwach. Also machte er sich von dort aus alleine auf den Weg. Mali, Niger, Libyen. Und dann über das Mittelmeer nach Italien.
Über die Zeit auf der Flucht spricht er nicht gerne. Keine seiner Gesten vermag es, Erlebnisse und Traumata stimmig ausdrücken. Sulayman wechselt das Thema. Er erzählt von seinen Plänen nach dem Schulabschluss. Auf eine Modeschule will er. Ein Traum, den er mit aus der Heimat hergetragen hat. „In Gambia habe ich von meiner Mutter gelernt, sie war professionelle Schneiderin“, sagt er. Fotos von den fertigen Kleidungsstücken bekommt die Mama noch immer zugesendet. Meist antwortet sie in löblichen Tönen, „auch wenn ihr manches zu haram, also freizügig, ist“, sagt er.
Dafür kommt seine Kleidung bei anderen jungen Geflüchteten fantastisch an. Er gibt ihnen ein Stück Heimat – und das Gefühl, trotz allem neu starten und etwas erreichen zu können. Sulayman spricht Freunde aus seinem Heim an, ob sie nicht für seine Show modeln wollen. Die Trauer und den Schmerz über die verlorene Heimat verarbeiten er und andere Geflüchtete in der Musik. Auch die konnte man auf der Modeschau hören. Solche Events will er in Zukunft öfters organisieren, „zusammen mit Schneidern aus Afghanistan, Deutschland oder anderen Ländern“.
Es sind Momente wie diese, in denen man merkt, wie gut Sulaymans Gespür für Integration ist. Das Eigene und das Fremde – er verwebt es buchstäblich ineinander. Die Elemente verbindet er zu etwas ganz Neuem, einer interkulturellen Symbiose. Sulayman will die vielen Menschen verschiedener Kulturen miteinander in Kontakt treten lassen. Aus dem alltäglichen Nebeneinander soll ein Miteinander werden.
Und da sind Musik und Mode fantastische Bindeglieder, „weil beides keine Grenzen kennt“, sagt Agnes Fuchsloch. Sie ist die Leiterin des Second-Hand-Ladens und hat gemeinsam mit Sulayman die Modeschau organisiert. Dabei war sie nicht nur von dessen Mode beeindruckt, auch vom Organisationstalent. „Er hat eine ganze Menge Leute dazu bewegt, ehrenamtlich als Models oder Stylisten mitzuhelfen“, erzählt sie. Sulayman verstehe es, Leute mitzureißen, „weil er eigene Ideen hat und diese dann auch unbedingt umsetzen will“.
Die Zukunft könnte gut aussehen für den jungen Gambier. Vorerst ist da allerdings auch etwas, das ihn nachdenklich macht: Sulaymans Leben und Wirken in Deutschland wird vom Staat nur geduldet. Auf die Anerkennung seines Asylantrags wartet der 20-Jährige nach drei Jahren Schule und Sprachkurs, nachdem er unzählige neue Freunde gefunden und Partys gefeiert hat, weiterhin vergeblich.
Text: Louis Seibert
Fotos: Hermon Biniam
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