Neuland: Eigene Beats

image

Der Beat-Produzent Clap Cotton aka Hans Schoetz will zusammen mit Florian Malzer aka Flow One am Bass im Winter ein Album herausbringen. Das Besondere: Bei der Produktion kamen keine Samples zum Einsatz. 

Clap Cotton hatte bereits den bayerischen Mundart-Rapper Bbou für seinen Internet-Hit „Aromatherapie“ mit dem Beat versorgt. Die Botschaft der Macher und des Albums: Beats können auch ohne Fremdmaterial warm und oldschool klingen.

Das ist deshalb so neu, weil es bei Hip-Hop-Instrumentalen auf Youtube oder Soundcloud immer um die Frage der „Sample-ID“ geht: Welches ursprüngliche Musikstück hat der Beat-Produzent „gesampled“, also aus welchem Song hat er Klangschnipsel gezogen, um diese dann für seinen Track neu zu arrangieren? Die Praktik ist im Hip-Hop gang und gäbe. Viele Produzenten riskieren so für den warmen Sound alter Jazz- oder Soulplatten eine Urheberrechtsverletzung, wenn sie nicht für die verwendeten Elemente bezahlen.

Einen Teaser zu dem Albun gibt es bereits auf Youtube: „Clap Cotton x Flow One – Beat tape teaser #1“ – ganz ohne Samples, versteht sich. 

Von:  Hubert Spangler

Foto: Tomek Czochanski

Münchens kleinste Bühne

image

Hans Kohler und seine Freunde veranstalten DJ-Gigs in seinem WG-Zimmer und veröffentlichen sie anschließend im Internet. Das Konzept ist nicht neu. Allerdings hat „Hansi’s Room“ seinen ganz eigenen Charme.

Chris, Künstlername C-Ras, drückt auf Play. Der Plattenspieler beginnt zu rotieren. Ein tiefer Bassschlag wabert durch den Raum. Darauf folgt eine knackige Snare-Drum. Das Ganze wiederholt sich mit kleinen Variationen. Dann setzt ein Sample ein. So baut sich innerhalb weniger Sekunden ein Hip-Hop-Beat auf. Die Anwesenden beginnen mit dem Kopf zur Musik zu nicken. Sie hören zu, unterhalten sich, reißen Witze. Man merkt, dass sie untereinander befreundet sind – die Stimmung ist ausgelassen.

C-Ras legt nicht in einem Club auf, sondern in einem WG-Zimmer in Haidhausen. Im Zimmer von Hans Kohler, 28. „Beats kommen daheim besser rüber“, sagt Hans und lächelt. „Im Club hat man das Gefühl, man muss tanzen.“ Hier, in „Hansi’s Room“, tanzt niemand. Sie hängen ab, entspannen und sitzen auf der durchgesessenen Couch, während sich im Hintergrund die Plattenteller drehen.
 

Neben den Tischen, auf denen Plattenspieler und Mixer stehen, thront das Plattenregal. Die Sammlung besteht aus mehreren hundert Platten. Im gesamten Zimmer kleben Sticker, Poster und – wie soll man sagen – Sonstiges an der Wand. Zum Beispiel eine alte Soundkarte oder ein großer Karton-Scheck, den man typischerweise aus Gameshows im Fernsehen kennt: Er steht für das Preisgeld für eine gewonnene Breakdance-Battle. Was aber viel wichtiger ist, sind die Einrichtungsfreunde, sind die Freunde im Zimmer. Sie trinken Bier, haben Spaß und nicken mit dem Kopf zur Musik.
 

So weit, so normal. Allerdings haben es die Konzerte in diesem WG-Zimmer zu einer kleinen Berühmtheit gebracht. Denn Hans und seine Freunde filmen die Auftritte und laden sie anschließend ins Internet. So ist das Zimmer über die Zeit zu einer Plattform für lokale Produzenten und DJs geworden. C-Ras aus München etwa spielt an diesem Abend hauptsächlich Tracks seiner neuen Platte. Auch internationale Künstler haben in Hans’ Zimmer schon ihre Musik zum Besten gegeben.
 

Hans tanzt seit Langem Breakdance und ist somit eng mit Münchens Hip-Hop-Szene verbunden. Mit der Zeit beschäftigt er sich immer mehr mit der Musik und beginnt aufzulegen – vor allem Hip-Hop, Funk und Boogie. Hans und sein Mitbewohner Alexander Starck, 29, hängen oft in seinem Zimmer ab, hören Musik und laden immer wieder Freunde ein. Dabei wächst die Plattensammlung stetig. Sie legen auch immer öfter gemeinsam auf, vor dem Weggehen oder einfach so. So kommt es, dass Hans und Alex beginnen, die Gigs zu filmen. Hans erinnert sich: „Wir sind verkatert aufgestanden – es waren ja eh immer irgendwelche Leute da – und haben dann einfach angefangen aufzunehmen.“ Das war im März 2014.
 

Mittlerweile waren schon zahllose Musiker zu Gast. An diesem Abend ist es C-Ras. Neben Hans und Alex sitzt auch Stephen Nayat, 23, Spitzname Monte, auf der Couch und hört zu. Seit die Jungs angefangen haben, ist er für die Technik zuständig. „Der ursprüngliche ,Boiler Room‘ kommt am nächsten an das hin, was wir machen“, sagt Monte über ihr Projekt.
 

Der Boiler Room. Das ist eine der größten Erfolgsgeschichten innerhalb der elektronischen Musikszene in den vergangenen Jahren. Ein großer Vergleich also. Denn die Musikplattform, die damit angefangen hatte, DJ-Gigs im Internet zu streamen, ist inzwischen ein millionenschwerer Konzern. Es gibt Boiler-Room-Videos aus allen Ecken der Welt – von New York über Barcelona bis Peking. Fast jeder halbwegs angesagte DJ hatte dort schon einen Auftritt. Allerdings hat auch dieses Projekt klein angefangen, in einem winzigen Heizungsraum (zu englisch: boiler room) im Osten Londons. Ein paar Freunde mit guten Verbindungen zur Kreativszene hatten spaßeshalber begonnen, befreundete DJs einzuladen und die Auftritte im Internet zu veröffentlichen. Aus diesem Blickwinkel versteht man, was Monte meint, wenn er vom „ursprünglichen“ Boiler Room spricht. „Auf keinen Fall sind wir bloß eine Boiler-Room-Nachmache“, sagt Hans. „Die Anfangsidee ist dieselbe.“ Also Musik mit Freunden zu machen und die Atmosphäre dann noch per Internet zu verbreiten. „Wir wollen aber beibehalten, dass man Spaß hat“, ergänzt Alex. Denn für Hans und seine Freunde geht es nicht darum, erfolgreich zu sein. Für sie steht die Musik weiterhin im Vordergrund.
 

Das merkt man auch am Namen des Projekts: Hansi’s Room – analog zum Boiler Room, benannt nach dem Ort, an dem alles stattfindet. Dabei schwingt natürlich Ironie mit, denn zum Zeitpunkt des Namensgebung war der Boiler Room bereits allseits bekannt. Hans’ WG-Zimmer hingegen kannten bis dato nur Freunde. Doch das hat sich inzwischen geändert.
 

Mittlerweile gibt es eine Liste mit Musikern, die bei Hans im Zimmer spielen wollen. Zu ihnen kommen sie meistens über Empfehlungen von Freunden. „Es geht auch darum, Leute kennenzulernen“, sagt Hans. Natürlich hat Hans noch Verbindungen in die Hip-Hop-Szene. Obwohl die Jungs alle selbst eher aus dieser Richtung kommen, sind sie auch für anderes offen – „Hauptsache: gute Musik“. So ist ein kleines Netzwerk entstanden, mit durchaus ungewöhnlichen Abzweigungen. So waren digitalluc, der Beats für Edgar Wasser produziert, und erst kürzlich die Münchnerin Lisaholic bei Hans zu Gast – die selbst ernannte „Königin von Bayern“ spielte eine knapp 45-minütige Session ein. Auch internationale Künstler wie Sono aus Brasilien oder DJ Flake aus den USA haben schon Hans’ Zimmer beschallt.

Die Zugriffszahlen sind ordentlich – oft sind sie im fünfstelligen Bereich. Auch die Resonanz auf ihr Projekt ist international. „Manchmal schreiben mir irgendwelche Leute auf Englisch so Sachen wie: Danke, dass ihr mich durchs Studium gebracht habt“, sagt Hans. Vor kurzem gab es auch eine Anfrage aus Portugal, ob man nicht ein paar Hansi’s-Room-Aufkleber haben könnten. Das freut sie natürlich, trotzdem denken die Jungs nicht daran, ihr Projekt kommerzieller zu gestalten. Obwohl auch schon die erste Zahlung für Klicks auf einer Videoplattform bei ihnen eingegangen ist – elf Cent.

Von: Lukas Haas

Foto: Lukas Haas

Band der Woche: Gadda Bohème

image

Gadda Bohème machen Schlager-Musik – und rappen. Dazu kommt ein Dudelsack. Das gibt es wirklich: Die Musiker Roni Rudan (Rap), Julian Hofstetter (Rap, Dudelsack) haben jetzt bei einem Trash-Schlager-Label ihr erstes Album veröffentlicht: Traumfabrik.

Tabus kennt die Popmusik eigentlich schon lange nicht mehr. Alles, was provoziert oder was früher mal als geschmacklos galt, alles, was irgendetwas aufgreift, verleibt sich dieses immer weiter anschwellende Monster namens Popkultur ein. Unterschiede zwischen den einzelnen Genres werden kleiner, Subkultur und Mainstream verschwimmen. Doch es gibt eine Bastion, an die sich Popmusiker bisher selten getraut haben: Schlager und Volksmusik. Da verläuft eine unsichtbare Grenze, die nicht überschritten wird, obwohl sie ein wenig absurd erscheint angesichts dessen, dass sich Popmusik und Schlager im Prinzip gar nicht so unähnlich sind. Deshalb kann aber Florian Silbereisen auch mit einer Standhaftigkeit behaupten, er habe immer und ausschließlich Volksmusik gehört (das muss er auch, sonst verliert er seine Fans). Und in der Popmusik genießt man es, ein letztes Feindbild, ein letztes Tabu, eine letzte Gelegenheit zur Abgrenzung von der Bürgerlichkeit zu haben. Genau genommen ist diese Abgrenzung längst verloren und verschwommen, aber es geht hier ums Gefühl.

Um Gefühle geht es auch dem letzten wirklichen Provokateur der Popmusik: dem Schweizer Indie-Schlager-Sänger Dagobert. Denn der ignorierte diese Grenze mit provokanter Lust, als er zu Beginn seiner Karriere durch den Fernsehgarten im Frühstücksfernsehen streifte und Liebeslieder sang, deren Geschlechter-Rollen-Verständnis selbst die Großeltern der heutigen Pop-Musik-Generation als altbacken empfinden dürften. Ja, Dagobert ist das Schreckgespenst allen Fortschritts und gerade deshalb ziemlich zielstrebig voranschreitend. Mit Gadda Bohème gibt es jetzt eine Münchner Antwort darauf. Gadda Bohème rappen, doch das ist Schlager-Rap. Mit Dudelsack. Und mit einem heilsversprechenden Album namens „Traumfabrik“, das sie über das Trash-Schlager-Label Daxhill vertreiben. „Eigentlich sind die beiden Musikrichtungen sehr ähnlich“, erklären sie, wenn man sie auf diesen finalen Mash-up zweier sich erst einmal ausschließenden Lebenseinstellungen anspricht. „Beide Musikrichtungen sprechen den Menschen aus der Seele, beide haben romantische Weltvorstellungen (Heile Welt im Schlager vs. Hard Knock Life im Ghetto) und beiden Musikrichtungen wird vorgeworfen, dass sie musikalisch nicht wertvoll sind“, erklären sie weiter. Und treffen darin strukturell ganz ausschlaggebende Punkte. 

Doch wie sich nun der Authentizitätsanspruch des Ghettos mit der heilen Welt des Schlagers vereinbaren lässt, dafür haben Rapper Roni Rudan und Dudelsackspieler Julian Hofstetter einen ganz interessanten Dreh gefunden. Denn sie sind voller Schlager-Seligkeit, gleichzeitig aber ein bisschen bitter. „Unsere Songs drehen sich um das Dolce Vita“, erklären sie, „wir greifen die wirklich entscheidenden Themen auf, die den Leuten heutzutage auf den Nägeln brennen wie zum Beispiel Grillen oder Après-Ski“. Doch das Prinzip des inhaltlichen Tieffliegens geht auf in musikalisch wie textlichen Schlagergranaten („Bavaria Love“ mit dem sich halbwegs darauf reimenden „weil I di mog“ als Refrain) genauso wie in dem irish-folkigen „König für einen Tag“, das im Duktus von Falco die Ironie des Ganzen durchaus mittransportiert.

 Es ist also in guten Momenten eine Art Satire, die gleichzeitig voller Lokalkolorit auf Zugänglichkeit setzt (wie das Helmut Dietl meistens sehr vorzüglich gelang). In schlechten Momenten wirkt es einfach nur ein wenig billig. Und so ist vielleicht das stärkste an Gadda Bohème diese Ambivalenz: Einerseits erreichten sie mit „Bavaria Love“ Platz elf des Wiesnhit-Votings 2013, andererseits können sie sich ein wenig Gesellschaftskritik nicht verkneifen. 

Stil: Schlager/Dudelsack-Rap
Besetzung: Roni Rudan (Rap), Julian Hofstetter (Rap, Dudelsack)
Aus: München
Seit: 2012
Internet: www.gaddaboheme.de

Von: Rita Argauer 

Foto: Susanne Meyer

Band der Woche: Flonoton

image

Rap mal anders: Der Münchner Singer-Songwriter Florian Sauer rappt als Flonoton mit einer Akustik-Gitarre. Zu seinen Hip-Hop-Singer Songwriter-Songs kommen auch klassische Balladen.

Nachdem Punk zum britischen Lokalkolorit geworden war, sprich: seine Berserker-Kraft ein wenig verloren hatte, wusste der Hip-Hop diese Lücke ein paar Jahre später genüsslich zu schließen. Wo im Punk nur der Klang in den Krach abrutschte – Harmonien und Songstrukturen aber im klassischen Pop-Songwriting verhaftet blieben – setzten die ersten Rapper sich vom Bauplan Popmusik strukturell noch viel stärker ab: keine Melodie, und wenn doch eine Melodie, dann in der gesampelten Loop-Form der Beats. Und die Worte und der Text werden vom Rhythmus getragen, nicht aber von der Harmonie. Dass Hip-Hop eine Geste der Rebellion inne hatte, ist so schon rein strukturell bedingt. Und inhaltlich traf sich das dann wunderbar mit Trotz, mit Bürgerrechts- und Freiheitsgedanken (seit den Sechzigerjahren quasi ein Rebellions-Abziehbild). Aber es fand sich auch Gangsterromantik und nihilistische Bandenkriminalität, die selbst die bereits rebellionserprobte Vorgänger-Generationen wirklich zu provozieren wusste.

Dass die Anfangszeit des Hip-Hops aber doch auch schon eine ganze Weile her ist, zeigt sich in der Musik des Münchner Songwriters Flonoton. Oder, vielleicht sollte man besser der Rapper Flonoton schreiben. So genau lässt sich das nicht bestimmen, weil Florian Saur Gitarre-spielend rappt. Und gleichzeitig ein Hip-Hopper ist, der sich seine Beats an der Akustik-Gitarre zu Recht klopft und darauf dann dichtet. Ja, Rap mag in seinem Ursprungsbild erst einmal gar nicht zu der Songwriter-Bewegung passen, die immer noch sehr in Hippie-Idealismen oder aber im Klischeebild der musikalischen Begleitung einer evangelischen Jugendfreizeit hängt. Eine Gefahr, die Flo auch nicht umschifft, sondern vielmehr umgarnt. Tracks, die gut gelaunt auch die schlechten Seiten des Lebens betrachten und in ihren schlechteren Momenten an die A-Cappella-Gute-Laune-Besserwisser Wise Guys erinnern.

Songwriter klingen per se meist eher freundlich – außer sie sind von der melancholischen Sorte, dann klingen sie traurig. Ausgesprochen selten klingen sie jedoch wütend. Flo hat sich nun einen Gesangsstil ausgesucht, dessen Grundstruktur eher aggressiv als einlullend ist. „Vor allem, weil ich gerne Reime und Emotionen suche, die ich in Liedern verwenden beziehungsweise ausdrücken kann“, antwortet er auf die Frage, wie er zu seinem Stil kam. Daraus entstehe der etwas gegensätzliche Mix aus Balladen und so einer Art akustischem Rap, erklärt er weiter, etwas, das er gerne als „Pseudo-Rap“ bezeichne. Gleichzeitig scheint es zu sein, als versuche er die Grund-Angriffslust, die den Rap kennzeichnet, durchweg zu zähmen und auf eine Art Gesamtverträglichkeit einzukochen. Die Musik, die er nun auf einer ersten EP namens „Flozirkus“ veröffentlicht hat, ist dementsprechend ambivalent: ein einfacher Wortwitz, ein Augenzwinkern, das irgendwie schon ein bisschen ausgelutscht klingt, aber dennoch klar definiert, von was hier die Rede ist.

Die Produktion dazu ist glatt, voll und gleichzeitig transparent. Da stört nichts, die Musik wird schmeichelnd vermittelt. Die Gitarre groovt als Beat unter Flos geschmeidiger Stimme, Percussions definieren den Flow, während Flo eine Mischung zwischen Rappen und Singen vollführt, die klare Tonhöhen kennt und definiert, aber gleichzeitig auf melodische Bögen verzichtet und sich in Rhythmik und Reimschema gezielt im Hip-Hop verortet. Zwischen den Hip-Hop-Singer-Songwriter-Songs finden sich klassische Balladen, wie etwa „Blind“, mit erwartbarem Text, Klavierbegleitung und Schnulzen-Timbre. Deutlich spannender wird es, wenn er seine Songwriter-Wurzeln verlässt, wie im Opener „Angehauchte Scheiben“.  

Stil: Akustik-Songwriter-Rap
Besetzung: Florian Saur (Gitarre, Stimme, Songwriting), Live manchmal mit Band
Aus: München
Seit: 2012
Internet: www.flonoton.de

Text: Rita Argauer

Foto: Flonoton 

Band der Woche: Bloomfeld

image

Beats sind die Welt von Hubert Spangler, der seit 2012 als Bloomfeld in München seine Musik produziert. Im Gegensatz zu Beats, die normalerweise als Unterlage für Raps dienen, steht Bloomfelds Musik für sich:  „Um Collabos mit Rappern habe ich mich, um ehrlich zu sein, noch nie bemüht.“

Es ist ein brutales Bild: Ein Gesicht, anstelle der Lippen ein Reißverschluss, schmerzhaft ins Fleisch gegraben, so stellt man sich das zumindest als Betrachter vor. Eine äußere Sperre, die verhindert, dass das Sprechorgan Laute von sich gibt. Doch irgendwie passt das Bild in dieser Radikalität des versperrten Mundes, der nur von außen wieder geöffnet werden kann. Es ist ein Statement, das der Beat-Bewegung gut steht. Denn hier geht es nicht um die sich – wenn auch etwas drogenbenebelt – vehement äußernden Beatniks der Sechzigerjahre, hier geht es um Popmusik, die sich der leitenden Funktion einer Gesangsstimme völlig entzogen hat.

Ein wenig ist es auch eine Schicksalironie, dass einer der Beat-Köpfe in München von seinem siebten Lebensjahr an frühe musikalische Erfahrungen im Tölzer Knabenchor sammelte, um dann der Vokalmusik umso stärker den Rücken zu kehren. Nun bringt der mittlerweile 19-jährige Hubert Spangler Tracks heraus, die etwa „Silent Beauty & Beast Opus“ heißen, und garniert dieses File auf seiner Soundcloud-Seite mit eben jenem Bild vom Reißverschluss-versperrten Mund.

Bloomfeld nennt er sich als Musiker. Und auch hier blitzt wieder ein kleiner, vielleicht fieser Kommentar durch – immerhin prägen Jochen Distelmeyers Wortkaskaden die deutsche Indie-Klassiker-Band Blumfeld in einem ganz erheblichen Maß. Auf Wortkaskaden kann man bei Huberts Musik lange warten, denn der Beatproduzent hat sich auch von den Rappern entfremdet. Die sind bis vor kurzem Hand in Hand mit der Entwicklung neuer Beatmusik gegangen: Der Beat als groovende, pumpende Unterlage für die Worte. „Um Collabos mit Rappern habe ich mich, um ehrlich zu sein, noch nie bemüht“, erklärt hingegen Hubert, seine Musik sei ohnehin oft recht komplex, sodass sie vom Gerappten ablenken würde und im Großteil der Fälle gar keinen Raum für eine Stimme lasse.

Anders herum ist diese Emanzipation der Beats von der Stimme bei Hubert ein musikalischer Genuss. Denn seine Beats sind keine stoisch gleichbleibenden Loop-Phrasen, seine Beats blühen voll musikalischer Ideen. Da entwickeln sich Motive aus Rhythmus- und Harmoniefragmenten, da verwandeln sich die perkussiven Klänge innerhalb der Tracks – die ganz bewusst nicht als Songs bezeichnet werden können, denn singen tut hier ja niemand, die aber in ihrer Ausarbeitung über die Skizzenhaftigkeit, die dem Wort Track als einfache Soundspur inne liegt, weit hinausgehen. Denn das sind richtiggehend ausgearbeitete Werke, die der junge Musiker da auf seiner Soundcloud-Seite veröffentlicht.

Synkopen und rhythmische Verschiebungen, die dem Vier-Viertel-Takt-Diktat anarchisch ins Gesicht lachen, gibt es etwa im Stück „3x Bumm“, das mit den Fragmenten einer klassischen Gesangsstimme beginnt, die aber von den Dominanz des Beats überrollt wird. Brutal ist das, wären die Klänge von Hubert nicht so charmant, dass man ihnen gerne folgt und über das Abwürgen der Stimme schnell hinwegsieht. Deutlicher ist diese Bewegung noch in „Close to Jolene“. Das Flehen der ursprünglichen Version von Dolly Parton zerbrachen schon die White Stripes in ihrer Version zu wütendem Frust. Hubert besticht in seiner Version mit den rührseligen Harmonien des Originals, über welches das Wort „Jolene“ wie die Erinnerungssplitter an früher textgetragene Songs gestreut wird. Instrumental Hip-Hop nennt er seine Musik. Hubert bekam einst ein billiges Keyboard geschenkt und begann von da an, damit die verquersten Klänge zu produzieren. Die Szene in München wächst jedoch, etwa im Milla oder im Kiddo, wo mittlerweile regelmäßig Beat-Abende und -Battles veranstaltet werden. 

Stil: Beat / Instrumental
Hip-Hop
Besetzung: Hubert Spangler
Aus: München
Seit: 2012
Internet: www.soundcloud.com/bloomfeld

Von: Rita Argauer

Foto: Privat

Band der Woche: LUX

image

Statt seine Autobiographie zu schreiben, hat Lukas Eichhammer alias LUX eine autobiographische Platte namens L.U.K.A.S aufgenommen. Seine Songs bestechen durch eine mutig-lapidare Ehrlichkeit und gliedern sich in den neuen Trend Münchner Rapper ein, auch mal Schwäche zu zeigen.

Man muss schon einigen Mut haben, um seine Autobiografie zu veröffentlichen. Es gehört wohl zu den beliebtesten Small-Talk-Kunst-Gesprächen, gehässig zu fragen, warum denn ausgerechnet der oder diejenige sich denkt, sie müsse der Welt ihren oder seinen Lebensweg erzählen. In der Arroganz dieser Stammtisch-Logik hat damit sowieso niemand die Berechtigung dazu, seine Lebensgeschichte in Schriftform zu veröffentlichen. Außer vielleicht John F. Kennedy oder John Lennon – aber die wohl auch erst, seit sie schon tot sind, was das Projekt Autobiografie in ein abstruses Licht rückt. Nun ist das Aufschreiben der eigenen Geschichte natürlich auch immer ein bisschen narzisstisch, etwas das das sich echauffierende Volk unschön an seinen eigenen Voyeurismus erinnert. Deshalb werden lieber weiter Selfies auf Facebook gepostet und in der hiesigen Jedermanns-Chronik Autobiografisches in Kurzsätzen in die Welt geballert.

Der Münchner Rapper LUX hat sich also ein gefährliches Terrain gesucht. Immerhin widmete er der eigenen Geschichte sein ganzes Debütalbum. Im vergangenen Sommer hat er das veröffentlicht, es trägt seinen Vornamen: „Lukas“. Und schon auf der vorausgegangenen EP fand sich ein Song, in dem er alle Grenzen zwischen Privat-Persönlichkeit und Künstlertum einriss und seine eigene Jugend relativ schonungslos und detailreich in Liedform umriss. „L.U.K.A.S.“ heißt der und darin erfährt man etwa, dass er seinen ersten Zungenkuss in der Grundschule von einer Anna bekam. Dass er nach eigentlich recht erfolgreicher Jugend-Schauspielkarriere leider an keiner Schauspielschule genommen wurde. Dass er zwei Muttermale hat und dass sein Freundeskreis „ziemlich verkifft“ ist. Dass er 1990 in München-Schwabing geboren ist und gerne Leberkas isst. Die Lebensgeschichte eines Münchner Jugendlichen in Reimform über einen lichten, jazzigen Beat seines Produzenten Cap Kendricks.

Hip-Hop war schon immer das Genre der Popmusik, das sich am meisten mit sich selbst beschäftigt und sich mit Freude auf sich selbst bezieht. Die Rapper und Musiker werden so zu ihren eigenen Protagonisten, die sich gekonnt und geschickt zwischen Realness und Kunstfigur inszenieren. Man merkt das etwa daran, wie oft Rapper ihre eigenen Pseudonyme in Texte einbauen. Oder wie sehr sie sich mit diesen Figuren identifizieren, wenn sie in Battles gegeneinander antreten und wie sie auf persönlichen und privaten Schwächen des anderen herumhacken, wenn es darum geht, das Gegenüber zu dissen. Doch Lukas geht mit seinem Album noch einen Schritt weiter und hebt die Frage, inwiefern Popmusik authentisch sein kann oder nicht, auf ein anderes Niveau.

Denn er gibt eigentlich zu viel von sich preis, als dass er in der in der Hip-Hop- Coolness bestehen könnte. „Wenn ich Musik mache, ist es mir wichtig etwas von mir zu erzählen. Wenn ich damit ein paar Leute erreiche und berühre, habe ich schon alles erreicht“, sagt er. Und damit bringt er etwas auf den Punkt, was sich in der Münchner Rap-Szene schon seit einigen Jahren angedeutet hat. Denn auch, wenn das musikalisch und in der Attitüde doch alles recht unterschiedliche Kandidaten sind, eint etwa die Creme Fresh-Splitter Fatoni und Keno, deren Protegé Edgar Wasser oder Manekin Peace und eben LUX etwas: Sie vertreten in ihrer Selbstinszenierung eine Art Underdog-Mentalität. Und die tritt an, als Gegenpol zu all der Coolness. Es scheint als hätte sich unter Münchner Rappern ein Tonfall etabliert, sich selbst in Schwächen und wunden Punkten zu zeigen; mit unter eine ganz humanistische Botschaft: Nicht stärker, weiter, schneller heißt es hier, sondern schaut, was ich nicht kann, und es funktioniert dennoch. Bei Keno in eher intellektueller Form, bei Fatoni schlau, bei Edgar Wasser zynisch. Und bei LUX mit dieser mutig-lapidaren Ehrlichkeit. Gerade arbeitet der an seiner nächste EP. Sein Thema diesmal: Das Älterwerden und Zukunftsängste.  

Stil: Hip-Hop
Besetzung: Lukas „LUX“ Eichhammer (Raps, Texte), Cap Kendricks (Produktion)
Aus: München
Seit: 2012
Internet: www.lux40.bandcamp.com

Foto: Nils Schwarz

Von: Rita Argauer

Band der Woche: Fatoni

image

Aber guck’ mal jetzt, ich werde langsam perfekt! Fatoni setzt nochmal alles auf eine Karte, fürs Musik-Machen. Auf seiner neuen Platte “Yo-Picasso” macht er alles andere als Wohlfühl-Pop: Horror und Spaß, Selbsterkenntnis und Größenwahnsinn, gekonnt lässt Fatoni die Grenzen in seinen Texten verschwimmen – unterstützt von Dexter und seinen Beats. Der Körper wippt, der Kopf nickt – ja, langsam perfekt!

Ratgeber-Literatur ist ein Symptom dieser Gesellschaft. Schlicht, weil sich der Konsument nur noch wohl fühlt, wenn er das Gefühl hat, er löse ein Problem nach vorgegebenem Rezept. Im Problemlösungsvorgang wird die Gefährlichkeit des eigenen Urteilsvermögens vermieden. Bloß nicht zu viel Zweifel, bloß nicht zu viel in Frage stellen, lautet die Devise. Auch für Pop-Musik gibt es Ratgeber-Bücher. Ernsthafte und weniger ernsthafte, die dem Popstar in spe erklären, wie die Vorstellung vom Popstar-Dasein Wirklichkeit wird. Zum Beispiel, indem man einen Hit schreibt.
Ein wenig wirkt es so, als hätte sich der Münchner Rapper Anton Schneider alias Fatoni genau das vorgenommen: ein Hit-Album zu schreiben. Denn noch vor dem Erscheinen der Platte kündigte er seinen Job als Schauspieler am Theater Augsburg, um es jetzt noch einmal ernst zu meinen, mit dem Musik-Machen.

Nur ist das, was er auf dieses Album gebannt hat, weit weg vom gegenwärtigen Wohlfühl-Pop, der einem für ein solches Vorhaben geraten wird. Denn Fatoni setzt sich darauf ziemlich schonungslos all der Brüchigkeit seiner Person aus: dem Zweifel an seiner Kunst, dem Spaß der Popmusik und der Unzufriedenheit, die die Ratgeber-Literatur gerne verscheuchen möchte.
Und dass das nun das erste Mal für den Musiker ist, dass seine Musik auch als ökonomischer Lebenssinn für ihn relevant wird, ist eine Ironie des Schicksals, die man schöner nicht in einen Bildungsroman hätte packen können. Denn „Yo, Picasso“, so der Titel der Platte, läuft erstaunlich gut. Sie verkauft sich, sie wird gelobt, von der überregionalen Presse genauso wie vom Hip-Hop-Fanzine. Fatoni supportet Fettes Brot auf deren aktueller Tournee. Die hatten wiederum zuvor Fatonis alten Alltime-Klassiker „Vorurteile“ zitiert, das hatte die Antilopen Gang davor auch schon gemacht. Und an diesen zwei Polen kann man den Erfolg, den Fatoni nun hat, vielleicht festmachen. Die Antilopen Gang sind so etwas wie die Hip-Hop-Version der autonomen Punks und Fettes Brot versuchen in Deichkinds Autoscooter-Rap-Fußstapfen zu treten. Fatoni hängt genau zwischen dieser Verweigerungsromantik und dem Mainstream-Erfolg. Und auf „Yo, Picasso“ ist es ihm gelungen, diese Unvereinbarkeit zum inhaltlichen Konzept zu machen.

Dass seine Raps, seine Schnoddrigkeit und seine Bissigkeit so glänzen, hat er auch dem Beat-Bastler Dexter zu verdanken, der etwa durch die Zusammenarbeit mit Casper den Mainstream kennt, der den Underground aber durch zahlreiche Produktionen liebt. So beginnt die Platte mit einem kratzend-jazzigen Sample, doch die Bassdrum ist clean und drückt wie in einer ordentlich Elektro-Produktion. Hinzu kommen Fatonis Lines, die etwa in „Benjamin Button“ Selbsterkenntnis und Größenwahn verwischen. Das Album hat viel, was eine Hit-Platte braucht und verdreht es gleichzeitig. Die Hommage an Mike Skinner etwa, in der Fatoni seine eigene Mittelmäßigkeit in der „H & M“-Schlange erkennt. Oder der düstere Sommerhit „32 Grad“, in dem ein prolliges Urlaubszenario mit dem Flüchtlingselend überblendet wird. In solchen Sätzen liegt sein großes Talent als Texter: Er ist in der Lage, Sprache so zu überblenden, als seien die Sätze Filmbilder. Zum Teil verkanten sie sich, dann gleiten sie unmerklich und vollziehen erschreckend einfach den Übergang von Horror zu Spaß oder von Fatonis eigener Subjektivität zu ätzendem Zynismus.
Er ist schonungslos, prangert an und beschwert sich, aber die Wirkung entsteht erst im Zusammenspiel aller seiner künstlerischen Ebenen. Und das ist so verführend, wie es lange keine deutsche Popproduktion mehr war – und gibt gleichzeitig der Popmusik (gesellschafts)-politische Relevanz zurück. 

Stil: Hip-Hop

Besetzung: Anton Schneider (Raps)

Aus: München

Seit: 2003

Internet: www.fatoni.de

Von Rita Argauer
Foto: Conny Mirbach

Bilder in den Kopf malen

image

München – Carmen Wegge, 26, ist Rampensau und Schreiberling, seit zehn Jahren macht sie Poetry Slam. Entdeckt hat sie ihre Leidenschaft in der Slam-Kaderschmiede der Münchner Schauburg, die vor kurzem ebenfalls zehn Jahre alt wurde. In München organisiert sie den „Bless-The-Mic“-Slam in der Glockenbachwerkstatt und die Slam-Workshops in der Schauburg, die als größte Nachwuchsförderung von Poetry Slammern deutschlandweit gilt. Wenn sie nicht gerade auf der Bühne steht, studiert Carmen Jura.

SZ: Trockene Gesetzesbücher wälzen und auf der Bühne das Publikum mitreißen – wie passt das zusammen?
Carmen Wegge: Jura war vor allem so ein gutes Studium für mich, weil es keine Anwesenheitspflicht oder Anforderung an den Schnitt vor dem Staatsexamen gibt. Deswegen konnte ich viel Slam machen. Ich hatte bestimmt zweieinhalb Jahre lang 20 Auftritte im Monat. Dafür war das Jurastudium ganz gut.

Was ist der Reiz beim Poetry Slam?
Poetry Slam ist für mich gelebte Poesie. Es ist eine Erzählkultur. Man kommt auf die Bühne und erzählt den Menschen eine Geschichte, bringt ihnen Poesie zu Gehör. Das finde ich unglaublich schön. Die Menschen schlagen kein Buch auf, sondern kommen, sehen und hören den Poeten und merken dabei vielleicht viel eher, was er da-mit meint. Und Slammen ist natürlich auch Alltagspoesie. Poetry Slam ist in seinen Texten sehr schnelllebig, quasi am Puls der Zeit.

Zehn Jahre Poetry Slam – wie haben sich deine Texte verändert?
Mein erster Text als Jugendliche ging über einen Jungen, der denkt, er ist in einem Computerspiel gefangen und muss seine Eltern töten. Ja, da war ich noch sehr morbide. Damals habe ich mich viel mit jugendlichen Problemen beschäftigt: von Germany’s Next Topmodel verarschen bis zur jugendlich nachdenklichen Sinnsuche im Leben. Inzwischen schreibe ich sehr viel politisch. Über Frauenrechte, Diskriminierung, Sicherheit und Datenschutz. Wenn Poetry Slam eine Bühne bietet, dann muss man sich auch trauen, kritische Dinge anzusprechen. Man erreicht so viele Menschen damit, da lohnt es sich auch, auf der Bühne politisch zu werden.

Wer politisch wird, will ja auch immer etwas bewegen.
Es gibt viele, die sagen: Wenn ich mit meinen Texten nur bei einem was bewege, dann habe ich schon viel getan. Ich denke: Die meisten, die zu Slams kommen, haben schon ihre politische Meinung. Ich glaube, es geht eher darum, dass ich es mal gesagt haben will. Es ist wichtig, dass jemand auf der Bühne steht und sagt: Es läuft was falsch. Dieses und jenes muss sich ändern, lass uns das gemeinsam angehen.

Vor allem in der Förderung der U 20-Generation leistet ja die Schauburg einen wichtigen Teil. Wenn du zu den Anfängen zurückblickst: Was hat sich geändert?
Eigentlich ist alles wie früher! Es sind nur neue junge Menschen, die auf derselben Bühne stehen. Es gibt immer noch drei Workshops: Storytelling für die Prosa-Geschichtenerzähler, Lyrik- und Performancepoesie sowie Rap. Es ist auch immer noch ein spannender Mix durch diese drei verschiedenen Bereiche.

Unterscheiden sich die Teilnehmer?
Die Storyteller sind schon immer die Ruhigeren. Und dann gab es Creme Fresh, Keno und Fatoni im Rap-Workshop, den damals noch Nina Sonnenberg alias Fiva geleitet hat – die Rapper waren schon damals die Coolen. Es sind viele Talente aus der Schauburg hervorgegangen – zum Beispiel David Friedrich oder Moritz Kienemann, der jetzt am Volkstheater ist, oder die U 20-Meister Johannes Berger und Fee. Es ist schon eine kleine Kaderschmiede des deutschen Poetry Slams.

Was kann man als junger Poetry Slammer für sich selbst mitnehmen?
Ein Slam ist einfach eine Wundertüte. Man weiß nie, was an dem Abend passiert. Man weiß nie, welche Texte gelesen werden. Es ist eine ganz eigene Dynamik, auch unter den Zuschauern. Man muss auch gar nicht immer selbst auftreten. Aber einfach Teil einer Künstlerszene zu sein und kreative Künstlerluft zu schnuppern – das würde ich jedem empfehlen.

Worauf kommt es an auf der Bühne?
Ganz klar: Auf eine gute Stimme. Man muss den Menschen ins Gesicht schauen. Und man muss sich wohl fühlen. Wenn ich auf der Bühne bin, fühle ich mich, als würde ich da hingehören. Da ist die Welt in Ordnung.

Was kann man fürs Poetry Slammen lernen? Und was muss man tatsächlich einfach mitbringen?
Man braucht schon ein Grundtalent, aber eigentlich nur in dem Sinne, dass man sich etwas traut. Viele denken, sie können nicht schreiben, zum Beispiel weil sie in der Schule nie gut in Deutsch waren. Bei Workshops an Schulen fällt aber auf: Oft sind die mit der Fünf in Deutsch diejenigen, die bessere Texte schreiben als die mit der Eins in Deutsch.

Kann man das lernen?
Lernen kann man vor allem Poesie-Performance, also wie präsentiere ich mich auf einer Bühne? Das ist beim Slam ganz wichtig, weil ein Text kann noch so gut sein – wenn du ihn schlecht vorträgst, schweifen die Leute nach drei Sätzen ab und merken erst gar nicht, wie gut du bist. Auch bildhafte Sprache ist mit Schreibübungen lernbar. Das Wichtigste ist ja, dass man dem Publikum Bilder in den Kopf malt.

Interview: Elisabeth Kargermeier
Foto: Sonja Marzoner

Dicht und ergreifend

image

“Dicht & Ergreifend” machen bayerischen Mundart-Rap. Im Mai erscheint nun ihr neues Album “Dampf der Giganten”.

Die Erfindung dieser Musik lag auf der Hand. Doch die zwei gebürtigen Bayern Michael Huber alias George Urquell und Fabian Frischmann alias Lef Dutti mussten den Umweg über einen Umzug nach Berlin nehmen, um auf die Idee zu kommen, die süddeutschen Kindheitseinflüsse zu zeitgenössischer Pop-Musik umzufunktionieren: Denn aus der Ferne lässt sich die Qualität einer Tuba, deren Bass mindestens genauso drückt wie der eines Synthesizers, erst richtig schätzen. Oder ein Akkordeon, das Balkan-Melancholie mit Stub’n-Musi-Gemütlichkeit vermischt. 

Doch unter dem Namen Dicht & Ergreifend (Foto: Leon Zarbock) nutzen die beiden Rapper diese Versatzstücke weder, um die örtliche Blaskapelle aufzumischen, noch um eine Neuauflage der Bayern-Popper von La Brass Banda zu werden. Dicht & Ergreifend sind Rapper und ihre Musik ist Hip-Hop: Beats, Hooks und Sprechgesang. Nur eben mit einer etwas eigenen Färbung.
 Mundart-Rap ist nichts Neues – die Combo Doppel D spielt damit schon seit Jahren. Doch wo die Münchner Crew Texte auf gewohnt reduzierte Hip-Hop-Beats setzt, haben Dicht & Ergreifend eben das Konzept Volkstümlichkeit auf die Beats ausgeweitet. Und das hat erstaunlichen Erfolg: Ihre erste Single „Zipfeschwinga“ hat mittlerweile knapp eine halbe Million Klicks auf Youtube, ihr Debüt-Album finanzierten sie mehr als erfolgreich über Crowdfunding. Dieses erscheint nun im Mai unter dem Namen „Dampf der Giganten“, die anschließende Tour führt sie durch viele Ortschaften Bayerns.  Rita Argauer

Stil: Mundart-Bayern-Rap
Besetzung: Michael Huber, Fabian Frischmann (Raps), Markus Hinkelmann alias DJ Spliff, Mei Takeda (Trompete), Ludwig Beck (Tuba)
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.dichtundergreifend.com

MC Fatoni (HipHop / Rap)

image

Augenzwinkernde Kritik am Zeitgeist: Warum für Rapper Fatoni früher alles besser war. 

Das tut weh. Aber so richtig. Wenn ein Künstler mit Mitte 20 ein Album veröffentlicht, das mit einem Satz betitelt ist, den man frühestens als Pensionist ernst gemeint sagen dürfte: „Solange früher alles besser war“, heißt das erste Solo-Werk des Münchner MCs Fatoni alias Anton Schneider (Foto: Ilja Roßbander). Doch der Rapper ist für seinen Sprachwitz bekannt; er rappt seit mittlerweile mehr als zehn Jahren, hatte erste Erfolge bei Creme Fresh und zeigte schon dort, wie Texte wirken können, wenn sie schauspielernd vorgetragen werden. Dieses Talent nutzt Anton, der an der Otto-Falckenberg-Schule in München Schauspiel studiert, nun auch bei seinen Solo-Auftritten. Früher sei alles besser gewesen, weil man da noch nicht jede Grenze ausloten musste, als Rapper noch nicht Indie-Rock und Minimalhouse zitieren musste, erklärt Fatoni. Augenzwinkernd macht er einem so klar, wie sehr er sich doch mit dem Zeitgeist auseinandersetzt. Für das Album hat er die Münchner Rap-Szene versammelt, etwa die MCs Edgar Wasser und Juse Ju, die ihn beim Konzert am Samstag, 12. November, im Import-Export unterstützen werden.

Stil: Hip Hop / Rap

Besetzung: Anton Schneider/Fatoni: Raps, Texte.

Seit: Solo: 2010.

Aus: München.

Internet: www.kopfhoerer-rec.de

Von Rita Argauer