Kein Platz zum Spielen

Viele Münchner Bands suchen vergeblich nach Proberäumen. Das
bestehende Angebot ist häufig zu teuer oder überbelegt. Doch Not macht
kreativ. Die Musiker haben Übungsräume in der Autowerkstatt oder ein
eigens eingebautes Studio im Wohnviertel. Ein Überblick über die
Bandraumsituation in der Stadt.

Im Gesicht von Münchens zweitem Bürgermeister Josef Schmid spiegelt sich Erstaunen wider: Gerade hat Josie Bürkle, Sängerin der Band Claire, berichtet, dass sie in München keinen passenden Proberaum finden konnten und deshalb nach Bad Feilnbach pendeln mussten. Die Frage, die daraus folgt: Wenn schon Claire – immerhin eine von Münchens erfolgreichsten Bands, deren Debütalbum direkt in die Charts ging – keinen Proberaum finden, wie läuft das dann für andere Bands?

Auf der Bühne des Bahnwärter Thiel bei einer Veranstaltung von SZ Junge Leute und Puls waren sich alle Teilnehmer schnell einig, dass hier noch einiges im Argen liegt. Nicht nur die Schilderung von Claire-Sängerin Josie, auch die plakative „Reich, aber scheiße“-Charakterisierung Münchens als Musikstadt, die der Rapper Fatoni in den Raum warf, dürften Eindruck hinterlassen haben. Schmid versprach am Ende, die Stadt werde sich des Problems annehmen. Mittlerweile ist die Veranstaltung mehr als ein halbes Jahr her – und was hat sich verändert?

Es ist fraglich, ob sich seitdem etwas getan hat. Es gibt unterschiedliche Stimmen. Klaus Martens, Sprecher der Fachstelle Pop, ist positiv gestimmt: „In absehbarer Zeit wird es Förderungen von Seiten der Stadt geben. Man sucht auf jeden Fall nach einer Lösung für das Problem.“ Auf dem Gelände des Feierwerks ist für 2018 die Einrichtung von zehn Proberäumen in Form von Containern geplant. Allerdings sei dies nur ein kleiner Ansatz. „Die Situation ist nicht gut, aber auch nicht ausweglos“, sagt Martens. „Wir haben eine Umfrage unter jungen Münchner Bands gemacht“, sagt er. „Die zeigt, dass jede der Bands früher oder später eine Lösung für das Proberaumproblem findet. Natürlich müssen oft Kompromisse eingegangen werden.“

Kompromisse – ein Begriff, der im Zusammenhang mit einem möglichen Proberaum oft fällt. Die Mehrheit der Musiker muss sich einen Raum teilen. Und selbst wenn eine Band willig ist, diesen Kompromiss einzugehen, ist das bestehende Angebot häufig schlichtweg zu teuer oder überlastet, sodass sich die Musiker andere Wege suchen. Und die sind nicht unbedingt immer legal.

Eine Band erzählt etwa, dass sie in den Lagerräumen einer Autowerkstatt probt, im Keller haben sie sich mit anderen Bands zusammen einen Proberaum eingerichtet. Einer der Musiker sagt, dass es kaum möglich gewesen sei, einen Raum zu finden, in dem man langfristig bleiben könne: „Immer wenn wir etwas hatten, mussten wir wieder raus. Entweder wurde das Gebäude abgerissen oder es gab Probleme mit den Nachbarn. Jetzt haben wir endlich eine längerfristige Lösung gefunden.“ Die Bands, mit denen sie sich den Raum teilen, lassen einen staunen: Die Namen die er nennt, gehören zu den renommiertesten in München, teilweise haben sie ihre Alben in die Charts gebracht und ausverkaufte Tourneen in großen Hallen gespielt. Dennoch müssen sie illegal proben.

Auch Martin Wehr, Betreiber der Musikübungsräume in der Landsberger Straße, ist offenbar unzufrieden mit der momentanen Situation: „Viele Musiker haben das Gefühl, dass sie vertrieben werden. Meiner Meinung nach wird die Lage der Künstler nicht besser, sondern schlechter.“ Momentan betreibt er knapp 70 Proberäume, die jeweils von mehr als einer Band gemeinsam genutzt werden. Wehr bekommt laut eigener Aussage wöchentlich zwei bis drei Anfragen von Bands, die auf der Suche nach einem Proberaum sind. Diese muss er ablehnen. Es fehlen schlichtweg die nötigen Kapazitäten. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch: Die Münchner Band Die Sauna bekam zufällig mit, dass das alte Grundschulgebäude der Marktgemeinde Schliersee leer stand. Mit Genehmigung der Gemeinde wurde der alte Handarbeitsraum darin saniert, ausgebaut und zu einem vollständigen Proberaum für die Band umgewandelt. „Die Wände wurden schwarz gestrichen, zwei fette Couchen reingeworfen, die Fenster schalldicht isoliert und seitdem können wir rund um die Uhr Lärm machen, ohne irgendjemanden zu stören. Wir sind superglücklich mit unserem Bandraum“, sagt Sänger Matthias Berg. Und obwohl man so ziemlich weit ab vom Schuss ist, hat ein abgelegener Proberaum auch seine Vorteile: „Man kann sich auch super einsperren, weil es keine Ablenkungsmöglichkeiten gibt. Und da wir ja gerne auch mal feiern gehen, wäre es vielleicht sogar kontraproduktiv, wenn wir uns in der Stadt zum Proben treffen.“

Klingt nach einer Option, von der viele Bands nur träumen können. Viel zu oft aber vergeblich. Man scheint enttäuscht von der Stadt zu sein, fühlt sich zu wenig unterstützt. Das zeigten vor allem die vielen kritischen Reaktionen auf das „Förderprogramm Musikproberäume“, das vom Juli diesen Jahres an bis zum Sommer 2020 Musikern helfen soll, Raum zu finanzieren, der alle Kriterium für Bandproben erfüllt. Viele sahen darin die Möglichkeit, dem nie enden wollenden Proberaumproblem ein Ende zu setzen. Doch die Bewerbung und vor allem das Auswahlverfahren für das Förderprogramm erwiesen sich für viele Musiker schwerer als gedacht. Vor allem wurde aber kritisiert, dass die Bewerber ein staatlich anerkanntes Abschlusszeugnis in Musik haben müssen. Hobby-Musiker und Studenten wurden von Anfang an ausgeschlossen. „Ich habe meinen Mietern sofort davon erzählt, als ich von der Ausschreibung hörte. Sie sollen sich unbedingt dort bewerben, hatte ich gesagt. Als dann aufkam, dass nur Akademiker in das Programm aufgenommen wurden, waren viele resigniert“, sagt Martin Wehr.

Für viele Bands ging die Suche also weiter. Die Musiker von Blek le Roc haben eine richtige Proberaum-Odyssee hinter sich. In ihrer Bandgeschichte probten sie schon in fünf verschiedenen Räumen. „Es war nie einfach, etwas Festes zu finden, weil häufig etwas abgerissen wurde und man für Neubauten Platz machen musste“, sagt Gitarrist Lucas Fernandes. Auch in einen großen Proberaumkomplex hatte sich die Band schon eingemietet, aber auch hier gab es Probleme: die Zeiten sehr beschränkt, die Miete hoch. „Und wenn im Raum nebenan eine Band geprobt hat, hatten wir das Gefühl, wir würden im selben Raum stehen.“

Irgendwann hatten sie keine Lust mehr auf die ewige Unsicherheit und die Scherereien. Gemeinsam mit den befreundeten Musikern der Band Lyndenstraße mieteten sie – nach etwa einjähriger Suche – einen Kellerraum in einem Wohnhaus mitten im Stadtzentrum. Hier im zweiten Untergeschoss, etwa zwölf Meter unter der Erde, wurde eigenhändig ein Proberaum aufgebaut. Das volle Programm, Schalldämpfung, Decken abgehängt, Wände mit Gipsplatten isoliert und der Boden mit Sand aufgefüllt: „Hier können wir jetzt ungestört proben, auch mitten in der Nacht“. Aber natürlich war der Umbau mit immensen Investitionen verbunden. Lucas betont: „Wir hätten es nicht gemacht, wenn wir nicht die Zusicherung hätten, hier mindestens fünf Jahre bleiben zu können. Diese Sicherheit war uns sehr wichtig.“

Und auch wenn Blek le roc jetzt ein musikalisches Zuhause gefunden haben, die wenigsten Bands haben die Mittel und auch das Glück, sich selbst einen solchen Proberaum einrichten zu können. Das weiß auch Lucas: „Ich habe das Gefühl, dass es immer schwerer und schwerer wird, was zu finden. Eigentlich sollte für eine junge Band die Möglichkeit bestehen, einfach irgendwo spielen zu können und sich so zu entwickeln. Momentan muss man glücklich sein, wenn man überhaupt was findet.“

Lucas spricht somit etwas aus, dem viele andere Musiker nur zustimmen können. Es gibt nicht nur zu wenige Proberäume, das Bestehen der bereits vorhandenen scheint gefährdet. Trotz vieler Gespräche mit Verantwortlichen der Stadt München war lange Zeit unklar wie es um den Bandraumkomplex in der Landsberger Straße 175 in Zukunft stehen wird. An diesem Freitag nun sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter zu, dass die Übungsräume für 500 Musiker erhalten bleiben sollen. „Wir sind bestrebt, kulturelle Flächen zu schaffen und zu erhalten“, sagte zuvor Betreiber Martin Wehr.

Kreative Lösungen sind jedenfalls mehr denn je gefragt. Manuel Palacio, DJ bei Fancy Footwork, sieht etwa einen ganz anderen Ansatz: „Die Zukunft sehe ich in der virtuellen Realität, einfach die VR Brille und die Instrumente in das Interface stecken und los geht’s, so könnte jeder vom eigenen Schlafzimmer aus mit seinen Bandkollegen proben.“

Text: Anastasia Trenkler und Philipp Kreiter

Foto: Robert Haas

Ein ganz normaler Sommer

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Nick Yume wird am 1. Juli zusammen mit vielen anderen Münchner Newcomern beim Stadt-Land-Rock-Festival auf der Bühne stehen. Im Junge-Leute-Interview erzählt er von seinem ersten Hit und dem Konzert mit Rihanna vor 30 000 Zuschauern.

Nick Yume ist 21 Jahre alt und pendelt regelmäßig zwischen London, wo er gerade seinen Master macht, und München, wo er seine Musikkarriere verfolgt. Hier erzählt er von seinen musikalischen Ambitionen, seinem Auftritt auf dem Stadt-Land-Rock-Festival und davon, wie es ist, mit der ersten Single gleich einen großen Hit zu landen.

SZ: Nick, deine erste Single „Allein, Allein“ war gleich sehr erfolgreich, steht momentan bei 500 000 Klicks bei Spotify. Wie kam es dazu?
Nick Yume: Das war ja das Remake vom gleichnamigen Song von Polarkreis 18. Das hat sich in einem Songwriting-Camp ergeben, wo ich zufällig über Amadeus (Amadeus Böhm von Nicks Label Flowerstreet, Anm. d. Red.) war. Die Idee dabei war, Songs neu zu interpretieren. Witzigerweise waren da sehr viele verschiedene Produzenten, aber das Lied habe ich mit meinem eigenen Produzenten Michael Schlump erstellt. Und dann hat ein großes Label das direkt veröffentlicht, von meiner Seite lief das echt easy.

Das Lied wurde dann ja auch sehr positiv aufgenommen.
Ich fand das klasse! Was mich dann besonders gefreut hat, war, dass der Sänger von Polarkreis 18 mir persönlich bei Facebook geschrieben hat: „Hey, wollte nur sagen, dass ich das Lied gehört habe und es voll feiere.“ Das fand ich super, denn er hätte auch sein Okay für das Remake geben und es trotzdem schlecht finden können.

Du hattest vorher noch nichts veröffentlicht, deine erste EP war gerade erst in Arbeit. War der Druck danach sehr hoch?
Mir war relativ klar, dass es was komplett anderes ist. Schließlich kannten die Leute „Allein, Allein“ ja schon und konnten sofort drauf reagieren. Meine eigenen Sachen waren für mich etwas Separates, das eine war mein Zeug und das andere eben ein Remake. Natürlich packt man da auch eigene Kreativität rein, aber es ist nicht das gleiche wie ein eigenes Lied. Mir war also schon klar, dass wir nicht die gleiche Anzahl von Klicks und Aufmerksamkeit bekommen. Dafür sind mir meine eigenen Sachen natürlich umso wichtiger. Kurz darauf warst du ja dann auch Vorband für Rihanna in Bukarest. Das war natürlich der Wahnsinn, schließlich ist das alles innerhalb von nur drei Monaten in meinen Sommerferien passiert. Erst das Remake, dann direkt danach Rihanna. Über einen Kontakt von meinem Label haben wir eine Agentur kennengelernt, die Vorbands für so große Konzerte vermittelt. Als dann die Anfrage für Rihanna kam, dachte ich, das wäre ein Witz, und habe erst einmal nur gelacht. Es war dann aber kein Witz. Natürlich habe ich sofort zugesagt. Dann hieß es, in zwei Tagen fliegt ihr.

Und wie lief der Auftritt?
Die Erfahrung war natürlich unglaublich, es war schließlich ein riesiges Open-Air-Konzert vor dem Parlamentspalast in Bukarest. Ich glaube, ich war selbst noch nicht einmal als Gast bei so einem großen Konzert. Es war also das erste Mal, dass ich überhaupt so etwas gesehen hab – geschweige denn von der Bühne aus. Natürlich war ich überwältigt!

Hitsingle, Rihanna: Wie kehrt man dann nach so einem Sommer wieder in seinen Alltag zurück?
Ich hatte da gerade meinen Bachelor fertig und habe dann in den Master gewechselt. Das war erst einmal im Vergleich ziemlich langweilig. Aber ich bin dann häufiger mal nach München geflogen für ein paar Gigs und habe direkt angefangen, meine zweite EP zu schreiben.

Langweilig?
Um das alles ein bisschen einzuschränken: Abgesehen davon, dass ich eine coole Erfahrung hatte in diesem Sommer, hat das nicht so riesig viel verändert. Musik kann man nicht planen. Man sollte das machen, was man gerne macht, und hoffen, dass es gut ankommt. Aber wenn ich wieder so eine Chance hätte, würde ich sie natürlich ergreifen.

Jetzt hat nicht jeder 21-jährige Musiker schon vor 30 000 Menschen gespielt. Was sagen denn deine Kommilitonen in London zu deiner Musikkarriere? Haben sie dich irgendwie anders behandelt nach diesem Sommer?
Nein, eigentlich gar nicht. Das war ja auch der Wechsel vom Bachelor zum Master und ich bin an eine andere Uni gegangen. Dann hatte ich da neue Leute. Um ehrlich zu sein, wusste von denen nicht einmal jemand was davon. Irgendwann viel später im Jahr hat jemand meine Facebookseite gefunden und das gesehen – und dann haben die Leute natürlich angefangen zu fragen.

Du studierst in London, einem der musikalischen Zentren schlechthin. Wieso treibst du deine musikalische Karriere in München voran und nicht dort?
Ich bin in München aufgewachsen und habe hier schon immer viel Musik gemacht, in einer Schülerband und mit verschiedenen Akustiksachen. Als ich angefangen habe zu studieren, hat das aber aufgehört. Komplett per Zufall bin ich in einer langweiligen Vorlesung meinen alten Mail-Account durchgegangen – da war dann eine Mail von Amadeus. Als ich wieder in München war, haben wir uns ein bisschen unterhalten. Ab da hatte ich den Gedanken daran, wieder Musik zu machen, die ganze Zeit im Hinterkopf.

Du kommst zu unserem Stadt-Land-Rock-Festival: Was kann das Publikum von deinem Auftritt erwarten?
Hm, jetzt muss ich überlegen: dass meine Band cool ist! (Lacht) Mein Projekt fing ja als Studioprojekt an und erst dann haben wir uns überlegt, wie wir das auf der Bühne umsetzen können. Wir haben dann zwei wahnsinnig gute Musiker gefunden, Jakob Arnu und Florian Balmer. Das ist für mich das Coolste an unseren Gigs, dass ich mit zwei super Freunden spiele, die es auch noch wahnsinnig drauf haben. Ich glaube, die Leute sollten wegen unserer außergewöhnlichen Bühnenpräsenz kommen!

Das Stadt-Land-Rock ist das Festival für junge Münchner Newcomerbands auf dem Sommertollwood. Es findet heuer vom 29. Juni bis zum 1. Juli in der Half Moon Bar statt. Es werden jeden Abend von 19 bis 22.30 Uhr je vier Liveacts zu sehen sein, von Gitarren-Pop bis hin zu Elektrobeats. Am Eröffnungstag spielen Chuck Winter, Klimt, Nikolaus Wolf und Jordan Prince. Am Freitag folgen Mola, Liann, Matija und Wendekind. Flonoton, About Barbara, Nick Yume und Eliza beschließen am Samstag das Festival, das es nun schon zum 14. Mal gibt. Der Eintritt ist frei.

Interview: Philipp Kreiter

Foto: Keno Peer

Der Hitze zum Trotz

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Am letzten Tag der Ausstellung der SZ-Junge-Leute-Seite im Farbenladen herrschten beinahe subtropische Temperaturen – dennoch sorgten eine Politikdiskussion und Musik von Matthew Mathilda und Xavier Darcy für ein volles Haus.

Am Ende war es dann noch einmal richtig voll im Farbenladen –
auch wenn die Sonne ihr bestes gab, um die Leute fern zu halten. Aber was ist
schon die Sonne gegen die Stimmen von Matthew Austin und Xavier Darcy? Gegen die
letzte Möglichkeit, die fantastische Ausstellung „München im Quadrat“ zu
bestaunen?

Einer, der richtig gefesselt von den Bildern war, war Kytes-Sänger Michi Spieler. Auf Grund
einer umfangreichen Tour schaffte er es erst am letzten Tag der Ausstellung,
endlich alle Bilder von allen Fotografen mit allen Models zu sehen: „Die Bilder
sind so cool, es gibt so viel zu entdecken. Ich musste wirklich mehrmals
durchgehen, um alle Facetten zu sehen.“

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Aber nicht nur Michi Spieler hatte sich gegen einen Besuch an der
Isar entschlossen, auch viele Besucher waren da und hörten gespannt Vertreterinnen
und Vertretern junger Organisationen zu, die darüber diskutierten, was man
gegen Politikverdrossenheit tun könnte. Alle drei Projekte vertreten dabei
einen ähnlichen, aber in der Ausführung unterschiedlichen Ansatz: Während Our
Impact und das Projekt „Denkende Gesellschaft“ auf den Dialog setzen und
Menschen zum Nachdenken über Politik und Wählen animieren wollen, möchte Pulse
of Europe zeigen, wie viel Begeisterung es für die europäische Idee und die
europäischen Werte in der Bevölkerung gibt. So waren sich dann auch alle Diskussionsteilnehmer
einig: Die junge Generation muss die Zukunft aktiv in die eigene Hand nehmen,
teilhaben und mitgestalten. Wie Clara Mokry, Mitinitiatorin von Pulse of Europe
auch sagte: „Es geht um unsere Zukunft!“.

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Wirklich beachtlich war, wie engagiert und interessiert das
Publikum an der Debatte teilnahm – schließlich konnte man die Luft im
Farbenladen euphemistisch bestenfalls als stickig bezeichnen. Dass das aber
allen egal war, lag nicht zuletzt an der Performance von Matthew Mathilda, die
in voller Bandbesetzung das Publikum mit ihrem atmosphärischen, immer leicht
melancholischen Bluesrock begeisterten.

Und dass Xavier Darcy – im Farbenladen ein alter Bekannter –
d die Öffnungszeiten etwas
überzog, nahm ihm auch niemand mehr übel. Im Gegenteil: Alle Besucher, alle
Teilnehmer, alle Fotografen, alle Models genossen diese letzten, musikalischen
Minuten der SZ- Farbenladenausstellung 2017. Bis sie mit dem letzten Akkord aus
Xaviers Gitarre ihre Pforten schließen musste – hoffentlich aber nur bis zum
nächsten Jahr.

Text: Philipp Kreiter

Fotos: Ornella Cosenza

Albumkritik: Ni Sala

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Die Münchner Rockband Ni Sala bringt ihr erstes Album raus. Wer einfachen Bluesrock erwartet, täuscht sich – die fünf Musiker können weit mehr!

Über die Vorgängerband von Ni Sala, die Rock-Kombo Famous Naked Gypsy Circuit, sagte einer
aus der Münchner Musikszene, der es wissen muss: „Das sind doch Verrückte“- es
war positiv gemeint.  Das war im Jahr
2015, die Gypsies hatten gerade ihr erstes – und einziges – Album raus
gebracht, nach fünfjähriger Bandgeschichte. Dann lösten sie sich auf.

Nun bringen drei dieser „Verrückten“ zusammen mit zwei
weiteren Musikern ihr selbstbetiteltes Album Ni Sala raus. Und man darf nicht den Fehler machen, Ni Sala mit den Gypsies zu
verwechseln. Denn nicht nur Name, Bandmitglieder und Image haben sich verändert
– auch der Sound ist neu. Formal machen Ni
Sala
Bluesrock mit 80ies-Einschlag, aber sie darauf zu reduzieren, wäre
unfair.

Der Opener des Albums, das mitreißende Philosophy Hollywood gibt gleich mal die Richtung vor, harte Riffs
zum Einstieg, hohes Tempo, der Gesang akzentuiert – ein echtes Brett eben. Beast In Me ist dann wieder mehr Blues,
stampfend-intensiv. Hörer von anderen Münchner Blues-Größen wie The Black Submarines dürften sich hier
gut aufgehoben fühlen. Cheeky Tongue und
Exit Is Inside sagen dann endgültig:
Das ist viel mehr als nur Blues, Ni Sala zitieren und schaffen großen
Rock – der Vergleich mit den großen Black
Rebel Motorcycle Club
kommt da nicht von ungefähr.  

Zur Mitte der Platte nehmen die fünf Musiker den Fuß etwas
vom Gaspedal und präsentieren mit Driftin‘
und Clear Your Mind zwei
ruhigere, fast besinnliche Nummern. An manchen Stellen erinnert das Album an
das famose Debütalbum der Labelkollegen von The
Charles
, etwa im explosiven Golden oder
in Love Street, in dem Sänger Robert
Salagean sein ganzes stimmliches Talent zeigt.

In C.O.E.T.S. geben
Ni Sala dann schließlich selbst die Anweisung, was mit diesem Album zu
tun ist – „Come on over enjoy“, um die Platte dann ruhig und viel Pathos mit Susie Allen zu schließen. Als Dreingabe
gibt es dann noch eine Live-Version ihres Songs Better Walk zu hören und live ist auch das Stichwort: Ni Sala feiern ihr Release am 26.05. im
Strom.

Philipp Kreiter

EP-Kritik: Liann – Goldjunge

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Lianns neue EP “Goldjunge” hat das Zeug dazu, Vorbild für eine neue Generation deutscher Singer/Songwriter sein – mithilfe von klugen, nachdenklichen und vor allem sehr ehrlichen Texten.

Die Zeiten für junge Singer/Songwriter sind bei Leibe nicht
einfach momentan – zumindest nicht aus einer künstlerischen Perspektive. Hat
doch Jan Böhmermann in einer genialen Persiflage all das
menschenlebentanzenwelthafte der deutschen Popmusikszene seziert, durchgespielt
und beendet. Wie kann man da jetzt künstlerische Akzente setzen, ja ernst
genommen werden? Schön singen allein reicht nicht, denn das können sie ja alle,
die sie nur mal kurz die Welt retten wollen oder nur einer von achtzig
Millionen sind.

Vielleicht führt der Weg zurück ins Kleine, ins Private, ins Autobiografische? Zumindest zeigt die kürzlich erschienene zweite EP „Goldjunge“
des Münchner Singer/Songwriters Kilian Unger alias Liann, wie man es richtig
machen könnte. Nur mit einer Gitarre,
reduzierter Begleitung und einer fantastisch-sanften Stimme gelingt Liann das,
was viel von der aktuellen Chartmusik nicht gelingt: echt und glaubhaft Gefühle
auszudrücken und zu erzeugen. Die Platte
beginnt unaufgeregt mit dem Titel Memoiren,
einer kleinen Abhandlung über das Erwachsenwerden, Erwartungsdruck und das
Scheitern, „auf einmal volljährig, aber meistens nur voll“. Auch Chicago – szenisch, der Rauch von
Feuerwerkskörpern, die ein vergangenes Spektakel nur erahnen lassen und der
Kater setzt schon ein – bremst das Tempo der heutigen Zeit, lässt Wehmut und
Fernweh verschmelzen, ein bisschen „Ich war noch niemals in New York“, ein
bisschen „Don’t look back in Anger“. Und in Felix
stirbt die Hoffnung nicht zuletzt, nein, die „Hoffnung tut noch weh“. Natürlich geht es um Liebe, natürlich ist der Protagonist noch betrunken oder
schon verkatert – so sicher kann man sich da bei Liann nie sein. Im titelgebenden Goldjunge erzählt er eine Geschichte, die auch die Rapcombo K.I.Z.
regelmäßig erzählt, naturgemäß mit deutlich drastischeren Worten. Liann schafft
es dabei ganz subtil, vorsichtig Emotionen zu wecken, doch mehr zwischen den Zeilen
oder durch die Musik. Die Fäden der EP laufen schließlich in Peter Pan zusammen, erwachsen obwohl man
das nie wollte – „halb noch ein Kind, halb Veteran“.

Und so hinterlässt einen die viel zu kurze Platte
melancholisch, nachdenklich, irgendwie berührt. Vielleicht ist das tatsächlich
die Lösung für die deutsche Popmusik, nicht die großen, allumfassenden Topoi
aufgreifen, sondern die eigenen Geschichten erzählen und dabei echt bleiben –
auch wenn es sich dann als Fehlalarm herausstellt.

Text: Philipp Kreiter

Foto: Victoria Schmidt

Neuland: Das Rumours

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Glücksfall für Felix Hänsel, 26, aus München: als er erfuhr, dass das “Bullitt” in der Kultfabrik schließt, fackelte er nicht lange und entschloss, dort für diesen Sommer einen neuen Liveclub einzurichten – aber nur bis zum Abriss des gesamten Geländes Ende 2017.

Ein leer stehendes Gelände in München, das sogar noch kulturell nutzbar ist. Eigentlich schon fast unmöglich zu finden in dieser zugebauten Stadt, außer man hält die Augen offen und hat Glück. Beides trifft auf Felix Hänsel, 26, zu.

Der junge Münchner Veranstalter bekam zufällig Wind davon, dass das „Bullitt“ in der Kultfabrik bereits sieben Monate vor seinem Abriss schließen wird. Zusammen mit einem Geschäftspartner entschied er sich spontan dazu, dort eine Zwischennutzung einzurichten – das Rumours.

Hier sollen von Anfang Juni an auf einer Indoor- und einer Outdoorbühne Livemusik, Theater und andere Veranstaltungen stattfinden. Sieben Monate wird dann der Betrieb gehen, bis das Gelände Ende des Jahres endgültig abgerissen wird. Bis dahin soll aber viel geboten werden: neben fixen Terminen wie der Einweihungsparty am 1. Juni mit Stray Colors oder der EP-Release von Chuck Winter am Tag drauf läuft noch die Suche nach weiteren Bands und Künstlern.

Text: Philipp Kreiter

Foto:
Christin Büttner

Weg vom Links-Rechts-Schema

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Ferdinand Riedl, 22, hat eine App entwickelt, die eine Diskussion ohne Vorurteile ermöglicht. Die Nutzer werden mit jemandem zusammen-gebracht, dessen Position von der eigenen abweicht – der Streit kann beginnen.

Ferdinand Riedl ist mitten in der Diskussion. Ruhig hört der 22-Jährige seinem Gegenüber zu, wägt ab und bringt sachlich seine Argumente vor. Es ist ihm wichtig, dass jeder seine Meinung sagen darf und alle Argumente ernst genommen werden – auch wenn das durchaus mal wehtun kann. Kontroverse Meinungen gehören da genauso dazu. Da kann es auch schon einmal passieren, dass man mit seinen Freunden fast aus einem Restaurant fliegt, weil die Diskussion so hitzig geführt wird. Meinungsfreiheit ist eben anstrengend, wenn sie gepflegt wird. Gut, dass Menschen wie Ferdinand das tun.

Aber der BWL-Student tut mehr, als nur im Privaten über Politik zu diskutieren. Er hat die App „Thesio“ programmiert, auf der sich Nutzer anonym und sachlich über Sachthemen austauschen und nach Möglichkeit kontrovers diskutieren sollen. Das Programmieren hat er sich selbst beigebracht und mittlerweile bereits eine Reihe von Apps entwickelt, etwa eine Zitate-App oder auch eine anonyme Frageplattform. Manche davon hat er schon wieder verkauft, außerdem entwickelt er Anwendungen für Unternehmen. Jetzt arbeitet Ferdinand mit seinem ganzen Einsatz an „Thesio“, „teilweise mehr als zwölf Stunden am Tag“, wie er sagt. 

Schon lange war er mit der Qualität der Diskussionen in Deutschland unzufrieden: zu oberflächlich, zu wenig konstruktiv aus seiner Sicht. Aber die Art und Weise, wie über die US-Wahl berichtet wurde, war für ihn der Auslöser, dass sich etwas ändern muss. Und dass endlich wieder Sachthemen im Mittelpunkt stehen müssen.

Doch wie soll die App genau funktionieren? Die Idee ist einfach: Nachdem ein Nutzer das Programm auf sein Smartphone geladen hat, beantwortet er zunächst einige Fragen zu seiner politischen Einstellung. Die Fragen sind bunt gemischt und gehen von der eigenen Parteipräferenz, über Einstellungen zu EU und Flüchtlingskrise bis hin zum Klimaschutz. „Ich will mich vom klassischen Links-Rechts-Schema möglichst entfernen und die Ideen in den Vordergrund stellen“, sagt Ferdinand über die Fragenauswahl. Danach werden die Nutzer anonym mit jemandem zusammen gebracht, dessen Position von der eigenen abweicht. Schließlich wird eines der Themen mit ausreichend großer Differenz vorgeschlagen: Nun soll eine sachliche Diskussion beginnen.

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Eine sachliche Diskussion? Über kontroverse Themen wie die Flüchtlingskrise? Und das alles noch anonym? „Ich weiß, dass es im ersten Moment naiv klingen könnte. Aber ich glaube, dass bei vielen Leuten der Bedarf da ist, aus der persönlichen Blase rauszukommen und konstruktiv zu diskutieren“, sagt Ferdinand. Er ist sich bewusst, dass sein Ansatz radikal ist. Aber der Student ist überzeugt, dass man nur dadurch wieder mehr Struktur in die Debattenkultur bringen kann – und verhärtete Fronten auflösen kann. Und selbstverständlich gibt es Mechanismen, die erlauben, einen Nutzer zu blockieren oder eine Diskussion sofort zu beenden, wenn man es möchte. Auch ein gegenseitiges Belohnungssystem für eine sachliche Situation ist implementiert, wodurch man sogenannte Awards sammeln kann. Die Idee ist, dass Nutzer auf der gleichen Stufe zusammengebracht werden, sodass man sich hocharbeiten kann und mit Diskutanten redet, die ebenso sachlich wie man selbst an die Sache rangehen.

Dabei ist Ferdinand die eigene Neutralität als Plattformbetreiber sehr wichtig. Gelöscht oder blockiert werden nur Nutzer, die strafbare Inhalte verbreiten oder anderen Gewalt androhen, alles andere ist in der Verantwortung der Nutzer. „Ich habe ein absolutes Verständnis der Meinungsfreiheit und würde nur in Ausnahmefällen eingreifen. Ich habe aber einige Mechanismen eingebaut, die den Missbrauch der Plattform verhindern“, sagt er dazu. Eine offene Diskussion ist eben wichtig, wenn das Konzept funktionieren soll.

Kann so eine App erfolgreich sein und tatsächlich den Diskurs in Deutschland verbessern? Unter Umständen schon, findet Ronny Patz vom Münchner Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaften: „Ich finde die Idee, Leute aus ihren Filterblasen zu holen und ihnen eine Art Testumgebung für ihre politischen Argumente zu geben, sehr gut. Die Frage ist aber, wie man die Nutzer dann auch längerfristig an die Plattform binden kann.“ Er glaubt, dass dabei weniger ein Belohnungssystem, als eher der tatsächliche Mehrwert für die User helfen könnte: „Gerade bei kleineren Differenzen oder Differenzen nur in einzelnen Politikfeldern kann die App eine Möglichkeit sein, tatsächlich gemeinsame Synthesen zu finden, die der bloße Austausch von Extrempositionen nicht bieten kann. Hier könnte dann ein echter Erkenntnisgewinn für die einzelnen Nutzer liegen.“

Auch Ferdinand selbst ist sich bewusst, dass es das Schwierigste sein wird, die Nutzer dauerhaft zu konstruktiven Diskussionen zu animieren. Deshalb soll so schnell wie möglich eine Funktion implementiert werden, die es erlaubt, die gewünschte Distanz zwischen sich und seinem Diskussionspartner zu bestimmen. Aber natürlich wird der tatsächliche Erfolg der Anwendung hauptsächlich vom Engagement der Nutzer abhängen – und von deren Bereitschaft, die eigene Komfortzone zumindest teilweise zu verlassen. Ferdinand glaubt fest daran, dass „Thesio“ ein Erfolg wird und etwas zur politischen Debattenkultur in Deutschland beitragen kann. Natürlich weiß er, dass „Thesio“ auch scheitern kann, aber daran will er gar nicht denken: „Vielleicht bin ich einfach ein Idealist.“

Wen Ihr Lust habt, noch weiter über die App zu diskutieren, freut sich Ronny Patz darüber mit Euch auf Twitter zu schreiben (ronpatz).
Thesio selbst bekommt Ihr im iTunes-Store oder im Google Playstore.

Text: Philipp Kreiter

Fotos: Florian Peljak

EP-Kritik: Nick Yume – Limerence

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Eingängige Rhythmen,

impulsive Anstiege, beruhigende Klangfarben – alles getragen von Nick Yumes beeindruckender Stimme – lassen sich auf dessen neuer EP Limerence finden.

Senkrechtstarter – man konnte sich im letzten Jahr sicher
sein, auf wen dieser Begriff momentan in München fast am besten passt. Die Rede
ist natürlich von Nick Yume. Beinahe aus dem nichts kommend, spielte er
innerhalb kürzester Zeit als Vorband für niemand geringeren als Rihanna in
Bukarest und veröffentlichte mit seiner Coverversion-Neuinterpretation von
„Allein, Allein“ einen formidablen Hit.

Jetzt ist mit Limerence
seine zweite EP erschienen und man kann verstehen, was Rita Argauer in der Süddeutschen Zeitung damit meinte, als sie schrieb, Nick Yume sei
ein Künstler, bei dem die Musik auf die Stimme zugeschnitten sei. Denn Limerence ist nicht nur eine konsequente
Weiterentwicklung der Vorgänger-EP Prison,
sondern eben auch ein extrem starkes Stück Musik.

Das liegt natürlich zu großen Teilen an der fantastischen
Stimme von Nick Yume selbst, die wegen ihrer Einzigartigkeit schnell im Ohr
bleibt – und von dort auch bitte nicht mehr zu verschwinden hat. Schon der
Opener Paper Love gibt eine Richtung
vor, das Lied ist Popmusik in Bestform. Eingängiger Rhythmus, beruhigende
Klangfarben, sanfter Gesang, der Song lädt ein zum Weiterhören. Gold Days wird dann rasanter, die Musik
opulenter – wogegen in 500 Miles wieder
reduzierte elektrische Klänge dominieren. Auch nur um dann in Hanuman um einen funkigen, bass-lastigen
Einschlag ergänzt zu werden. Me Too ist
dann eins der stärksten Stücke der EP, getragen von Nick Yumes beeindruckender
Stimme. Gemeinsam mit dem nachfolgenden Tell
Me
zeigt es eindrucksvoll, wie elegant saubere Tempowechsel funktionieren
können. Insgesamt ist der elektronische Anteil auf der EP im Vergleich zu
früheren Liedern deutlich angestiegen, was aber nicht wie so häufig zu Lasten
der Authentizität geht, sondern wie auch This
Place
zeigt, sehr gut funktionieren kann. Beim letzten Lied, sagt Nick Yume
selbst, dass es 47 Anläufe gebraucht hätte, bis man zufrieden war mit dem Song.
Konsequenterweise heißt der Titel dann auch Version
47.
Mit weichem ruhigen Start und impulsivem, kraftvollem Anstieg zeigt er
sehr schön das musikalische Spektrum des Nick Yume. Und wenn die EP schon so
stark ist, wie wird dann wohl das Album werden?

Text: Philipp Kreiter

EP-Kritik: Die Sauna – Elektra

Düster, verletzlich, aber temporeich – Die Sauna schaffen es auf Elektra einen ganz eigenen Sound zu entwickeln.

Tochter des Agamemnon, Protagonistin von Komödien von
Sophokles oder Euripides, Namensgeberin einer Oper von Richard Strauss und
dramatische Figur in einem Werk von Jean-Paul Sartre – Elektra hat die
Jahrtausende als Titelfigur verschiedenster Werke überdauert. Es ist nur
konsequent, dass einer von Münchens momentan größten Hypes ihre erste EP auch
so tauft. Denn der Aufruhr um die sechs Jungs von „Die Sauna“ ist schon
beachtlich. Seit ihrem Bestehen haben sie eine ganze Reihe von großen
Auftritten hingelegt, auch auf dem Sound of Munich Now im November, ohne auch
nur ein einziges Lied veröffentlicht zu haben. Wie schlägt sich die erste
Platte jetzt nun?

Man konnte durchaus die Befürchtung haben, dass da eben noch
eine Band kommt, die eben deutsche Musik mit halbwegs klugen Texten mischt,
soweit, so Kraftklub eben. Aber Die Sauna
schaffen es auf Elektra einen
ganz eigenen Sound zu entwickeln. Düster, verletzlich, aber temporeich gibt „Du
gehst unter zwischen Worten“ direkt einmal eine Richtung vor. Und auch
„Isolation“ spinnt das Leitmotiv weiter, Trennung, Einsamkeit, irgendwie der
Einschlag eines Falco’esken Jeanny-Elements in allen Songs. Im Refrain schafft
es Sänger Matthias Berg recht souverän Tonfolgen zu erreichen, die man sonst
eher von jemandem wie Andrew Stockdale kennt. Und der fiebrige Titelsong setzt
den Eindruck nahtlos fort, mit dem gemurmelten „Du gehört zu mir. Ich will nur
dein Leben kontrollieren.“  Zum Schluss
dann noch ein kleiner Bruch, „Auf dich“ ist deutlich schneller und lebhafter
und hat mehr von den ersten Sauna-Auftritten, zeigt aber auch die
Vielseitigkeit der Musiker. Der erste Schritt ist gemacht mit der EP, jetzt
wird es spannend zu sehen sein, wohin die Sauna sich noch entwickeln wird.

Text: Philipp Kreiter

DJ-Abende mit Schlagzeuger

Nie wieder Auflegen ohne fließende Übergänge- Manuel Palacio bringt neuen Schwung in die Münchner Indie-DJ-Szene. Mit Tänzern, einem Live-Schlagzeuger oder selbst gedrehten Filmen

Die Stimmung ist ausgelassen. Am Plattenteller steht Star-DJ Monika Kruse, die Menge ist begeistert, tanzt im Takt der Musik, der kleine Club ist zum Bersten gefüllt. Und live dabei sind Tausende von Menschen, allerdings reicht denen ein PC-Bildschirm, um den Auftritt zu sehen. Sogenannte Boiler-Room-Videos werden immer beliebter und bringen einem den Club samt Atmosphäre ins heimische Wohnzimmer. 

„Warum also noch vor die Tür gehen, wenn es reicht, einfach nur ins Internet zu gehen?“, sagt Manuel Palacio, 26. „Man muss den Leuten also heutzutage schon etwas Besonderes bieten.“ Manuel trägt Weihnachtspulli, Hut und Hipsterbrille, und nippt grinsend an seinem Spezi. Denn natürlich hat er schon eine Lösung, was das sein kann: Unter dem Label „Fancy Footworks“ veranstaltet er innovative Indie-Abende in der Milla, die der angestaubten Münchner Indie-Club-Szene neue Impulse verleihen sollen. Dabei setzt er etwa auf Anleihen aus anderen Genres oder Live-Elementen, die „das Event näher an ein Konzerterlebnis bringen sollen“. Aber der Reihe nach.

Geboren wurde Manuel in Mexiko-Stadt, aber seine Eltern – Vater Deutscher, Mutter Mexikanerin – zogen mit ihm schon früh nach München, weil sie fanden, dass ein Kind hier besser aufwachsen könne. Nach dem Abitur verkauft er erst einmal ein Jahr lang Surfbretter, auch weil Manuel das Verkaufen lernen will – seiner Ansicht nach eine der wichtigsten Fähigkeiten, die man haben kann. Parallel dazu legt er schon mit 16 Jahren in den ersten Clubs auf, mit 18 ist er unter den Ersten, die Raves unter den Isarbrücken veranstalten – „ein Generator, ein paar Boxen und wir waren solange da, bis die Party gesprengt wurde.“ Auch die Clubs werden schnell auf ihn aufmerksam, bald schon hat er eine Resident-Night im „Cafe King“, dem Vorläufer des „Kong“. Gleichzeitig legt er aber auch in Clubs auf, die er selbst „Schickeria-Läden“ nennt, er ist in der Auswahl seiner Locations nicht wählerisch. 

“Warum also noch vor die Tür gehen, wenn es reicht, einfach nur ins Internet zu gehen?”

Mit 21 veranstaltet er schon große Events, etwa in der Muffathalle, es geht vor allem um „Global Bass“ – Weltmusik. Mit einigen anderen DJs zusammen betonen sie hier explizit ihre lateinamerikanischen Wurzeln, wollen aber auch aktueller Musik aus München eine Basis geben. Gleichzeitig langweilt sich Manuel zunehmend in der Münchner Indie-Club-Szene: „Wenn ich unterwegs war, habe ich immer die gleichen Playlists, die gleichen DJs gehört, meistens ohne Übergänge. Ende. Pause. Nächster Song. Da könntest du auch im Wohnzimmer sitzen.“ Als sich die Veranstalter der Global-Bass-Events schließlich trennen, beginnt die Geschichte von „Fancy Footworks“.

Manuel möchte Indie-Musik auflegen, aber gleichzeitig möglichst ein durchgängiges Set haben, ohne Pausen oder abgehakte Übergänge. Deshalb mischt er angesagte Indie-Musik mit Disco-Klängen, Hip-Hop und ein bisschen Elektromusik. Er arbeitet viel mit Effekten, Wiederholungen, Verzerrungen – allesamt Techniken, die eher im Bereich des Hip-Hops zu finden sind, aber auch hier erstaunlich gut funktionieren. Gleichzeitig sollen Live-Elemente auf der Bühne sein, etwa wenn Schlagzeuger Lennart Lil’L Stolpmann die Lieder live begleitet. Oder wenn die Musik auf Ausschnitte aus Filmen oder Musikvideos abgestimmt wird. Oder wenn der DJ „selbst zum Rockstar wird“, mit Pyrotechnik und Spraydosen der Menge eine Show bietet, „wie auf einem Kiss-Konzert“. 

So wird der Club-Abend immer mehr ein Konzert, das Erlebnis wieder mehr ein einzigartiges. Und das Konzept kommt an, die Veranstaltung feierte vor kurzem ihr zweijähriges Bestehen und die Milla ist regelmäßig rappelvoll. Auch Mira Mann, Bookerin der Milla ist davon überzeugt: „Die Abende mit Fancy Footworks sind auch für uns immer etwas Besonderes. Die Stimmung im Club ist noch besser als sonst, irgendwie wärmer. Es gibt auch immer ausgefallene Aktionen, die die Reihe einzigartig machen.“

Um all das versucht er Geschichten zu spinnen, als Marketing-Student kennt er sich damit aus. So sind sein mächtigstes Werbemittel kleine, lustige, kreative Videos, die er für jedes Event gemeinsam mit seiner Crew – DJ Anna Lindener, 24, Grafiker Fernando Gonzalez, 25, Dominik Schelzke, 23, und einige andere – produziert. Das Ziel: Ohne viel Budget möglichst viel Aufmerksamkeit generieren, Guerilla-Marketing. Und das kommt an, Fancy Footworks läuft erfolgreich, soll dieses Jahr von einer Veranstaltungsmarke hin zu einem großen Musikblog erweitert werden. Man will so auch eine Plattform für aufstrebende Bands werden, die man durch gezielte Werbemaßnahmen unterstützen kann. Auch eine Expansion in andere Städte ist geplant, etwa nach Augsburg oder Hamburg. 

Gleichzeitig hat Manuel noch ein zweites großes Projekt. Als im Sommer entschieden wurde, die Café-Cord-Lounge abzuspalten, fragte ihn der neue Geschäftsführer, ob er nicht das musikalische Konzept des neuen Clubs ausarbeiten wolle. Im neuen „Maxe Belle Spitz“ ist jetzt eine Mischung aus Rockbar und bayerischer Boazn entstanden, mit Holz-Vertäfelung an der Decke und Instrumenten für eine Jam-Session. Und auch hier mischt Manuel munter die Genres, zu klassischer Rockmusik kommt viel Indie, aber auch bayerischer Brass oder eben Hip-Hop.

Er selbst legt hier ein- bis zweimal die Woche auf, die anderen DJs dürfen sich relativ frei entfalten, aber „als roter Faden sollte schon einmal AC/DC kommen und LaBrassBanda wäre auch nicht schlecht, damit eine Linie zu erkennen ist“, sagt Manuel und schmunzelt. 

Zur Eröffnungsfeier spielten Whiskey Foundation, in Zukunft sollen hier noch mehr Bands auftreten. Und auch Fancy Footworks soll wachsen, vielleicht mal als Marke für alle von Manuels Aktivitäten dienen.
 Einflüsse und Stilrichtungen, Ideen und Konzepte, Konzerte und Dj-Sets – Dinge mischen und daraus Neues entstehen lassen, Grenzen fließend werden lassen, diese Idee zieht sich durch alle Veranstaltungen und Pläne von Manuel. Man muss den Menschen wohl heutzutage mehr als nur eine Sache bieten, um sie bei Laune zu halten. Und das macht Manuel mit Fancy Footworks oder mit einem seiner zahlreichen anderen Projekte. Dabei ist ihm aber bewusst, dass er das Rad nicht neu erfinden kann, sondern nur andere Herangehensweisen bietet. Oder wie Manuel selbst sagt: „Ich gebe den Dingen neue Kleider.“ 

Text: Philipp Kreiter

Foto: Thomas Kiewing