Indie, Rock und andere Naturgewalten

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„Ni Sala“ ist Band des Jahres. Der große Gewinner ist aber München – weil es so eine spannende Musikszene gibt.

Die Haare kleben nass an der Stirn und das Gesicht ist schweißbedeckt. Die Augen sind geschlossen, das Gesicht ist verzerrt. Robert Salagean, Sänger von Ni Sala, ist ganz in der Musik versunken. Das Publikum im Bahnwärter Thiel tanzt, springt und bewegt sich zu den rockigen Klängen von Ni Sala, die gerade den Titel „Band des Jahres“ der Junge-Leute-Seite der SZ gewonnen haben. „Wir haben gar nicht damit gerechnet“, sagt Robert, „aber wir sind sehr stolz auf uns, weil Band des Jahres ein echt cooles Ding ist!“

Die Discokugeln, die von der Containerdecke hängen, drehen sich im Scheinwerferlicht und werfen kleine, weiße Punkte an die Wand. Es sieht aus wie in einer Galaxie. Im roten Kleid schwebt Martina Haider, Sängerin von Chaem, barfüßig auf die Bühne. Passend zu den Sternen an der Wand ertönen sphärische Klänge. Zu elektronischen Beats bewegt sich Martina wie in Trance hin und her. Nach ein paar ruhigen, melancholischen Nummern, stimmt Chaem den dynamischen Song „Carousel“ an und auch das Publikum erwacht.

Und mit Schwung geht es weiter. Wie Moderatorin Kathi Hartinger ankündigt, kommt „eine Naturgewalt“ auf die Bühne: Swango. Skill-Gott Heron begleitet den Gesang mit einer Stepptanzperformance auf dem Parkett, dazwischen klatscht er in die Hände. Sobald Moco Mariachi mit seiner Akustikgitarre und Manekin Peace mit dem Rap einsetzen, werden die ersten Handys gezückt, um den außergewöhnlichen Hip-Hop-Style festzuhalten. „Habt ihr ein Wort für uns?“, ruft Manekin in die Menge. „Wir machen einen Beat draus!“ Die Fans rufen: „Bahnwärter Thiel“ und „Waschmaschine“. „Es ist washmachine triangle geworden!“, ruft der Rapper, während Skill-Gott Heron einen Waschmaschinenbeat steppt. Nach dem Auftritt sind die Zugabe-Rufe so laut, dass Swango sich locker einen „Freestyle-Shit“ aus dem Ärmel schüttelt.

Währenddessen muss der U-Bahn-Waggon hinter dem Container erst noch warmlaufen. Den Auftakt macht Liedermacher Alex Döring, der mit seinem „Tiefkühltruhen-Lied“ im noch etwas kühlen Bahnwärter-Waggon eine sehr gute Stimmung vorlegt. Wie es sich für eine Münchner U-Bahn gehört, sind alle Sitzplätze belegt, Zuschauer stehen im Gang – wie zur Rushhour. Spätestens beim vorletzten Act sind auch die Fenster des Bahnwärter-Waggons beschlagen, und innen herrscht eine wohlige Wärme. Zu guter Letzt zelebriert der Kabarettist Julian Wittmann in seiner Bier-Hymne alle möglichen Biermarken in einem Song.

Zurück im Bahnwärter: Auf der kleinen Bühne schlingt Elisa Giulia Teschner gerade Lichterketten um das Mikrofon und Schlagzeug. Es entsteht eine romantische, heimelige Stimmung, die zu den sphärischen Feenklängen von Eliza passt. Besonders als Elisa zusammen mit ihrem Gitarristen Wolfgang Stefani von der Bühne direkt ins Publikum steigt. Ein „Pscht“ macht im Container die Runde. Man hört nur noch den Regen draußen und klirrende Geräusche von der Bar. Dann setzt leise die Stimme von Elisa ein, dazu Gitarrenklang – ohne Mikrofon und Verstärker. Gebannt lauschen die Zuschauer.

Unter den Zuschauern ist auch Maria Lang, 21, die die Veranstaltung auf Facebook entdeckt hat. „Ich besuche gerne Konzerte“, sagt sie. „Hier sind viele Bands auf einem Haufen. Da kann ich neue Eindrücke holen.“ So auch bei der nächsten Band, Beta. Es ist vernebelt, nur das glimmende Ende der Zigarette von Bassist Markus Sebastian Harbauer ist zu sehen. Kaum setzen die Instrumente und der Rap ein, kann keiner im Raum mehr still stehen. Körper bewegen sich hin und her, in der ersten Reihe singen Fans den Text mit. „Alle Hände mal HipHop-mäßig nach oben“, ruft Sebastian Grünwald und für die Fans gibt es kein Halten mehr. Die HipHop und Rap-Vibes sind im Container angekommen.

Auch wenn einige Fans traurig sind, dass Beta keine Zugabe spielt, freuen sich drei Mädchen in der ersten Reihe auf den nächsten Auftritt. Seit 2015 sind Daniela Wiegand, Vivian Donner und Isabel Staudenmaier Matija-Fans – leicht erkennbar an ihren weißen Matija-T-Shirts. „Die haben einen guten Style“, sagt Daniela, und Vivian ergänzt: „Wir mögen sie, weil sie nicht Mainstream sind, sondern ihr eigenes Ding machen.“ „Und sie sind live unglaublich gut“, erklärt Isabel. Das zeigt Matija auch. Sänger Matt Kovac singt eine einfache Melodie vor, die von Mal zu Mal komplizierter wird, und die Zuschauer machen es ihm nach. Das Lachen und Tanzen von Matt ist ansteckend – er reißt das Publikum mit. Die Feier steht im Mittelpunkt. Und die Münchner Musikszene.

Wie jede Band beim Verkünden ihres Votings erklärt, ist das Bewerten von Musik „echt bescheuert, weil man Musik nicht bewerten kann“. Das sagt Matt Kovac, Sänger von Matija. Und Martina Haider von Chaem findet, dass „in jeder Kategorie der gewinnen soll, der nominiert ist“. Am Ende heißt der Sieger Ni Sala – dem Sänger ist der Titel dann aber doch nicht zu wichtig. Er habe vor allem Lust gehabt, an diesem Abend auf der Bühne zu stehen. Mit seiner Band und den anderen Bands des Jahres.

Text: Lena Schnelle

Fotos: Robert Haas

Marrys unter Harrys

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Die elektronische Musikszene wird von Männern dominiert – warum eigentlich? Eine Spurensuche mit DJ Joolz, Stefanie Raschke und Alma Gold.

Es wummert im Hintergrund, mal lauter, mal leiser. Das Séparée des Electro-Clubs Harry Klein ist gut gefüllt. Die Menschen bewegen sich im Rhythmus der Musik. Die Mode ist einseitig: Sneakers und weiße T-Shirts. Auf der Tanzfläche, aber auch hinter den Turntables. Auch dort wird getanzt, dezenter als das Publikum – und die Bewegungen scheinen den Klängen immer einige Sekunden voraus zu sein. Julia Maria, Künstlername Joolz, weiß schließlich, welche Bässe als nächstes kommen – die junge Frau ist Resident-DJ im Harry Klein. Das ist in der Szene eine Seltenheit – denn in dem Dschungel des Electro mit den vielen Stilrichtungen bleibt eine Konstante: DJs sind in der Mehrheit Männer.

Julia stört das nicht, denn sie ist eine Größe in der Münchner Elektroszene. „Es scheint schon eine weibliche Unterbesetzung zu existieren“, stellt sie fest, „lokale und internationale Line-ups spiegeln das meist wider.“ Aber: „Ich möchte nicht behaupten, dass generell weniger Frauen auflegen können oder wollen als Männer – vielleicht sind die Zugangshürden nur höher“.

Wenn Julia von Zugangshürden spricht, dann sieht sie nicht nur die elektronische Musikszene vor sich. „Frauen neigen in vielen Lebensbereichen dazu, sich Dinge nicht zuzutrauen, in männerdominierten Feldern diesen lieber den Vortritt zu lassen und ihre Fähigkeiten unter Wert zu verkaufen“, sagt sie.

Auf die Musikszene bezogen, können diese Hürden dank Projekten wie dem Club-Festival Marry Klein eingerissen werden. Während des ganzen Aprils wird das Harry Klein zum Marry Klein – der Club bietet dann nicht nur ausschließlich weibliche DJs, sondern auch Workshops. „Eine solche Veranstaltung kann zumindest temporär einen Raum schaffen, in dem sich Frauen ungezwungen treffen, vernetzen und ausprobieren dürfen“, sagt Julia.

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Diesen Raum hat auch Stefanie Raschke genutzt. Seit sie sechzehn ist, begeistert sich die junge, elegant gekleidete Frau für elektronische Musik – „sobald ich angefangen habe, feiern zu gehen, hat mich der kreative Aspekt, das Ausprobieren und Austoben gereizt.“ Zwar waren viele in ihrem Umfeld skeptisch, andere haben sie jedoch gefördert. „Ich hatte das Glück, die Grundkenntnisse zu erlernen – Fehler sind für einen selbst nicht so schlimm und man bekommt erste Kontakte, ohne gleich ins kalte Wasser geschmissen zu werden.“ Die Management-Studentin sieht auch technische Hürden als Grund dafür, dass weniger Frauen als DJ arbeiten. „Leidenschaft für Musik ist ja total unabhängig vom Geschlecht, daran kann es nicht liegen. Aber die Technik, die beim Auflegen und beim Produzieren verwendet wird, kann sehr abschreckend wirken.“ Bei ihrem ersten Auftritt habe es einen Technikausfall gegeben, sagt Stefanie und schmunzelt – und das, obwohl sie davor alles hundertfach gecheckt habe. „An genau diesen Erfahrungen wächst man aber – und seitdem will ich nicht mehr aufhören aufzulegen“, erzählt sie glücklich, aber noch etwas erschöpft von einer „wahnsinnigen 10 Stunden Session“. Am 1. April hat Stefanie mit Bebetta, einer der bekanntesten Frauen der Szene, den Marry-Klein-Monat eröffnet. Daneben legt sie regelmäßig bei Events vom Wannda Circus auf.

Auch im Bahnwärter Thiel ist an diesem Abend von der Männerdominanz am Mischpult nichts zu sehen. Mit Alma Detloff alias Alma Gold ist eine der Vorreiterinnen von Münchens weiblichen DJs zu Gast. „Anfang 2000“, erwähnt Alma fast nebenbei, „da hat alles angefangen – und ich schätze, dass es damals noch viel weniger Frauen waren als heute, etwa fünf Prozent.“ Alma hat schon einige Entwicklungen miterlebt, unter anderem die Anfänge von Marry Klein. „Ich stehe total hinter dem Projekt“, schwärmt sie. „Auf der einen Seite ist es für uns DJs eine tolle Möglichkeit, sich mal unter Frauen auszutauschen – man macht dann doch andere Erfahrungen.“ Ebenso glaube sie, dass das Publikum großes Interesse daran zeigt – und „das bringt der weiblichen DJ-Szene natürlich auch Aufmerksamkeit“.

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Alma sieht trotzdem unter weiblichen DJs große Unterschiede. „Es gibt natürlich die C-Promi-DJs, die wegen ihrer Bekanntheit gebucht werden. Aber besonders in Clubs wie dem Harry Klein wird niemand gebucht, nur weil sie eine Frau ist.“ Der Meinung ist auch Musikblogger und DJ Moritz Butschek von Two in a Row. „Die Musik muss immer stimmen, egal ob Mann oder Frau“, erklärt er. Viele Frauen würden es sich trotzdem nicht so schnell zutrauen, spontan auf die Bühne zu gehen. „Ein Kenner der Szene hat mir mal erzählt, dass sich einige Frauen mehr Gedanken um ihr Set machen und sich dann trotzdem manchmal nicht trauen, den Anfang zu machen.“

Die Entwicklung gehe in den vergangenen Jahren dennoch in die richtige Richtung. „Man sieht mittlerweile nicht nur beim Marry Klein immer mehr Frauen hinter den Plattentellern in München“, sagt Moritz. Stefanie, Julia und Alma sind keine Ausnahme mehr – und freuen sich alle auf rege Beteiligung bei den DJ-Workshops beim Marry Klein. „Es gibt viele Frauen, die Lust darauf hätten, aufzulegen – die Zusammenarbeit mit erfahrenen DJs hat mir auch einen Ruck gegeben, immer weiterzumachen“, sagt Stefanie. Und Alma sieht Positives für die gesamte elekronische Musikszene: „In der Musik ist es wie in den Chefetagen – die Mischung macht es. Mehr Frauen bereichern die Szene, und eine gute Mischung führt zu einem schönen Resultat“. Das verschwitzte Publikum im Bahnwärter Thiel vor ihrem Mischpult sieht das genauso. Und während Alma mit gekonnten Handgriffen die Tanzschritte der Feierwütigen dirigiert, wummern die Bässe weiter durch die Nacht.  

Fotos: Said Burg, Andi Kusy  und Jens Moiré

Von: Matthias Kirsch