Große Pop-Poesie: Beim Stadt-Land-Rock-Festival von SZ und Tollwood zeigt sich, wie eng vernetzt die Münchner Musikszene mittlerweile ist und wie sehr man sich gegenseitig schätzt.
Es ist nur ein Fetzen Stoff, der vom rechten Hosenbein herunterhängt. Das Loch bildet ein Herz auf dem grauen Stoff, den Jordan Prince unter seiner Jeans trägt. Ein kleines Symbol, das sinnbildlich für den US-Amerikaner ist, der ein außergewöhnliches Händchen für Liebeslieder hat. Es ist aber auch sinnbildlich für das gesamte Stadt-Land- Rock-Festival in diesem Jahr. Zwölf Bands haben an drei Abenden auf dem Tollwood-Festival gezeigt, wie eng vernetzt die Münchner Musikszene mittlerweile ist, wie sehr man sich gegenseitig schätzt und interessiert an der künstlerischen Arbeit des anderen ist – und einmal mehr, wie spannend und vielfältig die Szene ist.
Dieses Jahr steht das Festival ganz im Zeichen der Singer/Songwriter. Ob begleitet mit Band, Backgroundsängern oder solo ist es diese Musikergruppe, die die Münchner Musikszene in den vergangenen Jahren so stark gemacht hat. Mit Bob Dylan als Prototypen entwickelte sich Mitte der Sechzigerjahre dieses Genre, das sich bis heute gehalten hat, ohne sich in den vergangenen 50 Jahren groß weiterzuentwickeln. In München ist es so beliebt wie lange nicht: Singer/Songwriter füllen ähnlich viele und große Konzerthallen wie die neuesten Electro-Künstler. Gut hundert von ihnen versuchen derzeit, sich in München einen Namen zu machen.
Einer von ihnen ist Chuck Winter. Er stammt aus der klassischen Songwriter-Tradition, für Studioaufnahmen und Livekonzerte hat er sich jetzt jedoch eine Band zusammengesucht: Die Steuerfahnder. „Mit anderen Musikern zusammenzuspielen, macht einfach mehr Spaß und hat mehr Drive. Jeder kann was zum Song beitragen, durch die verschiedenen Einflüsse kann man vielfältiger arrangieren“, sagt er. “Und was könnte es Logischeres geben, als die Band dann `Die Steuerfahnder` zu nennen”, fügt er mit einem Schmunzeln hinzu.
Über die drei Tage hinweg lässt sich bei allen Musikern ein schöner Trend erkennen: Die Künstler sagen sich gegenseitig an und bedanken sich bei der Vorband. Sie betonen den großen Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Bands. Nikolaus Wolf etwa, dessen Songs Filmmusik zu einem Roadmovie sein könnten, appelliert an die Zuhörer in der sehr gut besuchten Half Moon Bar: „Kauft euch von einer der Bands eine CD, muss auch gar nicht die Platte von uns sein. Jede der Bands hat es echt verdient.“ Und jede Band betont zudem, wie froh sie sind, hier spielen zu dürfen. Diese Dankbarkeit überträgt sich auch auf das Publikum: Wie schön, dass es so ein aufregendes, kostenloses Festival gibt.
Beim Konzert von Jordan Prince kommt so fast eine Wohnzimmer-Atmosphäre auf. „Das ist das erste Konzert, das ich spiele, bei dem ich mit jedem Künstler befreundet bin“, sagt der aus Mississippi stammende Singer/Songwriter auf Englisch, „that’s so great!“ Normalerweise spielt er live mit einer Band, diesmal sind jedoch nur zwei von ihnen dabei – als Background-Sänger. Die gute halbe Stunde, die der große Mann mit Hornbrille auf der Bühne steht, verbringt er häufig scherzend mit seinen beiden Kollegen. Man merkt, der US-Amerikaner ist mittlerweile so richtig angekommen in München. Ob er solo
oder mit Band spielt, erzählt Jordan, hängt ganz von der Atmosphäre des
Konzertes ab. Bei kleinen Konzerten käme er alleine besser mit dem Publikum in
Kontakt, um vor großem Publikum zu begeistern, bräuchte es schon die ganze
Besetzung.
Als einzige weibliche Solokünstlerin tritt Klimt auf. Barfuß
in Glitzer-Sterne-Kleid und mit blondiertem Pony, der ihr immerzu in die Augen
fällt, ist Verena Lederer an diesem Abend eine elfenartige Erscheinung.
Sie spielt träumerische Klaviermelodien, die sie mit souligem Gesang unterlegt. Da ist ganz viel Gefühl. Paare liegen sich in den Armen, die Gedanken kreisen. Auch Klimt ist Singer/Songwriterin, jedoch spielt sie nicht Gitarre, sondern Keyboard. Dass sie als Solomusikerin oft die einzige Frau ist, stört Verena Lederer. „Es gibt so viele Mädels auf der Bühne, aber die singen nur und machen sonst nichts“, echauffiert sie sich.
Auch wenn Isabella Streifeneder, Sängerin der Band Mola in ihrem langen blaublümigen Sommerkleid die Style-Latte hochgesetzt hat, gegen die Alternative-Rocker von Matija kommt man schwer an. Stilmäßig erinnern die vier jungen Männer an eine englische Eliteklosterschule in den Sechzigerjahren. 20.11 Uhr, Bassist Johan Blake öffnet seinen obersten Hemdknopf. Jegliche Stilvorgaben sind über Bord geworfen. Die Band spielt ihren Klassiker „Mexico“, die Masse tobt. 20 Uhr 14, Bassist Johan Blake öffnet alle restlichen Hemdknöpfe. Die Masse kreischt. Zwischendurch Ansagen wie beim Meditationsseminar auf dem Yoga-Retreat: „Combine it with freedom, come on! Just let it out, yeah!“
Andere setzen mehr auf Witz. Singer/Songwriter Liann fragt ins Publikum: „Gibt’s hier eine Eva?“ Um dann seinen nächsten Song „Eva“ mit den Worten „Sie hat mal wieder nicht geduscht und die halbe Nacht gesoffen“ anzufangen. Das zeugt von einer bemerkenswerten Lockerheit. Seine Trümpfe sind Ehrlichkeit und Direktheit, mit denen er an die Musik herangeht. Seine deutschen Texte sind frei von jeglicher uneindeutiger Pop-Philosophie und doch tiefgründig. Auch Akustik-Popper Flonoton ist den ganzen Abend bemüht, das Publikum bei Laune zu halten. Das schafft er tatsächlich hervorragend, indem er zu grandios schlechten Witzen ansetzt und diese dann auch noch bewusst versemmelt.
Eliza wiederum spielt sehr düsteren, experimentellen Pop, der trotz des dafür viel zu schönen Wetters viele Interessierte ins Zelt lockt. Auch Wendekind ist nicht die Verkörperung von sommerlichen Hochgefühlen. Dafür macht der Blondschopf mit Hut schön melancholische Pop-Poesie, die er mit Gitarre und Laptop begleitet.
Die zwei Künstler, die auf ihren Platten am elektronischsten klingen – About Barbara und Nick Yume –, gehen extrem unterschiedlich an das Konzert heran: Nick Yume versucht mit seinen zwei Mitmusikern und vielen elektronischen Elementen, dem Studio-Sound möglichst nahezukommen, was bemerkenswert gut klappt. About Barbara hingegen hat sich nur einen Gitarristen geholt und spielt all ihre Songs rein akustisch. So unterschiedlich klingt das zu ihren Aufnahmen, dass sie sich einfach nur mit „Ich bin die Babsi“ vorstellt.
Das Muster der auf sich allein gestellten Musiker zieht sich über das ganze Festival, denn auch die Bands haben einen Protagonisten, um den sich alles dreht. Im Fall der Band Mola ist es Sängerin Isabella Streifeneder. Sie ist der kreative Kopf der Band. In ihren Texten bezieht sich vieles auf Herzensangelegenheiten: „Bei ’nem schlechten Date geht die Zeit furchtbar langsam rum. Ihr seid ein gutes Date“, sagt sie und strahlt. So viel Liebe.
Text: Tilman Waldhier
Fotos: Käthe Dekoe