Traunstein, du musst nicht traurig sein

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Wiederkehrende Gesichter,
Nebelmaschinen und eine Trompete. Beim Sound of Traunstein Now stellen sich
fünf Bands aus Oberbayern dem Münchner Publikum. Und beweisen, dass es
musikalisch überhaupt kein qualitatives Stadt-Land-Gefälle gibt.

Die roten Schuhe gleiten
über den dreckigen Boden der Kranhalle. Mal nach rechts, dann wieder einige Schritte
vorwärts, zur Bühne hin. Die dazugehörenden Beine, verpackt in
bordeaux-farbenen Jeans, sind seltsam verschlungen. Der junge Mann, vielleicht
Ende Zwanzig, vielleicht Anfang Dreißig, tanzt, tänzelt leichtfüßig. Seine Arme
bewegen sich wild im Rhythmus von Fendt’s „slowmotion pop“, die Bewegung hat
etwas von Mick Jagger. Der einsame Tänzer steht bezeichnend für die Kurve die
das Sound of Traunstein Now mit dem Auftritt von Fendt nimmt. Es wird ruhiger,
selbstbewusster. Aber auch düsterer, vielleicht sogar etwas traurig.

Mit Fendt, The Marble Man
und Allaend North werden die Künstler älter, einige spielen für zwei
verschiedene Bands, und auch das Publikum verändert sich. Die erste Reihe tanzt
nicht mehr wild, sondern eben in sich gekehrt. Oder setzt sich ganz hin, hört
zu. Zwischen Noise und Melancholie werden mit Fendt und Sänger Fricko Friese
die Solos länger, die Beschäftigung mit den Zuschauern kürzer. Die fühlen sich
dennoch abgeholt, ob einsame Tänzer oder gemeinsame Lauscher.

Auch dass The Marble Man
nach anderthalb Jahren ohne Live-Konzert nichts verloren hat, daran hat niemand
gezweifelt. Experimente sind immer noch gerne gesehen, sei es eine E-Gitarre
mit Bogen spielen oder ein Schlagzeug zu zweit. Mit sehr präsentem Keyboard und
einer melodischen Note, die gut tut, nimmt man das Tempo aus dem Abend. Die
Kranhalle wird zum Gegenstück zur Hansa39. Das Selbstbewusstsein in den eigenen
Sound ist in jeder Note zu spüren, und das Publikum weiß die Erfahrung und
Reife zu schätzen.

Gut tut auch, dass mit
Allaend North zum Abschluss des Sound of Traunstein Now die erste Künstlerin
auftritt – bis kurz vor 0 Uhr war die Moderatorin als einzige Frau auf der
Bühne. Anna’s (The Unused Word) enorm kraftvolle, tiefe Stimme dringt durch das
Feierwerk und füllt die Halle ein letztes Mal. Spannende Drumsolos und die
Vielseitigkeit der beiden Sänger bleiben in Erinnerung, genau wie der barfüßige
Kontrabassspieler und die ungeschickten Songansagen. Doch auch die Traurigkeit,
die sich durch die Auftritte von The Marble Man und Allaend North gezogen hat,
bleibt hängen. Ist es Traunstein, das diese Noten aus den Künstlern zieht? Oder
liegt es an der Generation, die das „new weird bavaria“ geprägt hat?

Zu Beginn des Festivals
im Münchner Feierwerk ist von Traurigkeit zumindest nichts zu spüren. Color
Comic und Heischneida, beide junge Bands, beide sehr verschieden, wollen sich
eher dem Publikum ankündigen. Nur zwei Songs braucht der Schlagzeuger von Color
Comic, dann fliegen die ersten Drumsticks. Sie bleiben auf der Bühne liegen.
Das mitgereiste Traunsteiner Publikum, so scheint es, johlt auf. Die
Dschungel-Drums sind gemütlich und sehr gut, der Insel-Indie-Sound sehr
melodisch. Dem Auftritt fehlt etwas die Energie, auch wenn sich Gitarrist,
Drummer und Frontmann (mit Marco-Wanda-ähnlichen Moves) reichlich Mühe geben.
Es ist aber auch nicht leicht direkt vor einem geladenen Bündel Oberbayern
aufzutreten.

Denn mit Heischneida
kommt der Abend richtig in Fahrt. Dank ausufernder Nebelmaschine sieht man
davon erstmal nichts, hört aber reichlich. Ob Rocknummer oder Ska, die sechs
Jungs heizen dem Publikum im Handumdrehen ein. Mitmachaktion, Trompetensolo,
dann wird Akustikgitarre gegen Akkordeon getauscht. Selten hat eine Band die
Kranhalle so vielseitig, und doch so kraftvoll, zum Tanzen, Hüpfen, Mitsingen
gebracht. Auch die jüngeren Traunsteiner Bands beweisen, dass sie sich vor
München nicht verstecken müssen. Wer zwischen Songs dann noch mit
oberbayrischem Slang so zum Lachen bringt wie der mächtig vollbärtige Wenz
Karger, hat alles dabei. Dass sie die Traunsteiner Melancholie trotzdem auch
draufhaben, beweist Heischneida mit ihrer Abschlussnummer. „Magdalena“
durchbricht die gute Laune und die Band beweist ganz viel Gefühl. Und die
Trompete, diese wunderbar präsente Trompete, trägt den Widerspruch von Energie
und Melancholie durch den ganzen Abend.

Text und Foto: Matthias Kirsch

Endlich selbständig

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Nicolas Jakob und Christian Albrecht wollen Jugendlichen das Einkaufen im Internet ermöglichen.
Dafür haben sie eine virtuelle Kreditkarte entwickelt – sie kann aber von den Eltern kontrolliert werden

Ein Handgriff, ein Klick, ein Fingerabdruck – innerhalb von wenigen Sekunden hat Nicolas Jakob seine Restaurantrechnung bezahlt, seinen Kontostand geprüft und eine Überweisung von seinem Vater erhalten. Er legt sein Handy zurück auf den Tisch eines Schwabinger Lokals. „Das war jetzt nur eine Simulation“, erklärt er. Noch sind Rechnungen und Konten fiktiv, „aber genau so wird Wismo in der Endversion funktionieren – alles in einer App.“
Die App, von der Nicolas spricht, wird Jugendlichen eine neue Welt eröffnen – zumindest, wenn es nach ihm und Wismo-Mitgründer Christian Albrecht geht. Die jungen Unternehmer haben ein Start-up gegründet, das die finanzielle Unabhängigkeit von Jugendlichen in den Vordergrund stellt. Wieder fängt Nicolas an zu erklären, er tippt weiter im knalligen Menü der App. Die Farben stechen heraus, türkis und weiß. „Wenn man ein Konto und Kreditkarten hat, wird Online-Shopping eine Selbstverständlichkeit“, stellt er fest, „genau wie Überweisungen. Als Minderjähriger hat man diese Möglichkeiten nicht. Das wird wismo ändern.“ 

Noch ist „wismo“ nicht einsatzbereit, der Launch soll im Frühling erfolgen.

Dass Nicolas ausgerechnet einen Zahlungsdienst entwickelt hat, der Jugendliche ansprechen soll, kommt nicht von ungefähr. Vor drei Jahren, damals war er 16, stand er vor genau diesem Problem – und kam so auf die Idee. „Ich habe mich früh mich Computern beschäftigt, ich programmiere selbst, seit ich zwölf bin“, sagt der heute 19-Jährige. Er kennt die Welt im Netz von klein auf. Er ist ein digital native. 

Seine 19 Jahre sieht man Nicolas an. Sein Gesicht hat weiche Züge. Sein Lächeln, das auf seinen Lippen tänzelt, lässt ihn scheu wirken, als sei er etwas fehl am Platz. Doch wenn er anfängt, über Wismo zu reden und die technischen Hintergründe zu erklären, verschwindet alles Jungenhafte aus seinem Blick. Er redet ruhig, aber bestimmt. Nicolas strahlt Kompetenz aus, man hört ihm zu. Schnell ist er zurück bei seinem Projekt. „Wismo ist eine virtuelle Prepaid-Kreditkarte, mit der man im Internet und im Laden bezahlen kann – ohne ein eigenes Bankkonto zu besitzen. Man öffnet die App, entsperrt die Karte per Pin-Code oder Fingerabdruck und kann gehen“, sagt er, bevor ihn Christian unterbricht. Denn jetzt ist der Ältere der beiden in seinem Element. Der 28-Jährige hat nach seinem Studium bei einem großen Consulting-Unternehmen gearbeitet. Er weiß, welche Fragen potenzielle Kunden als Erstes stellen. „Wir schicken nicht Minderjährige ohne Kontrollinstrumente ins Internet“, ergänzt er. Die Eltern sollen eine wichtige Rolle spielen. „Ohne Einwilligung des Erziehungsberechtigten kann niemand ein Wismo-Konto eröffnen“, erklärt er, „und so ist es auch gedacht: Die Eltern haben – über ihren eigenen Account – stets die Kontrolle über das Konto des Kindes.“ 

Weil die Kreditkarte virtuell ist – sie also nur auf dem Smartphone und nicht als handfestes Objekt existiert – können die Eltern das Konto jederzeit sperren oder Geld überweisen. An bestimmten Orten, wie bei Wettanbietern oder in Spielotheken, kann man mit Wismo nicht bezahlen. „Man sieht jederzeit, wo mit der Karte gezahlt wird, und kann umgehend bestimmte Internetseiten sperren lassen“, präzisiert Nicolas.
Wegen dieser ausführlichen Kontrollinstrumente soll die App eben nicht nur Jugendliche, sondern besonders auch Eltern ansprechen. „Natürlich hat das auch einen schulischen Charakter“, stellt Christian klar. Irgendwann müsse jeder lernen, wie man mit Geld umgeht. „Mit Wismo können Eltern selbst entscheiden, wie sie ihre Kinder finanziell erziehen wollen – in einem sicheren Umfeld.“ 

Verbraucherschützer warnen oft vor den Gefahren im Internet, besonders wenn es um Kinder geht. „Um die juristischen Fragen haben wir uns natürlich auch Sorgen gemacht“, erklärt Nicolas. Dank Nicolas’ Offenheit haben jedoch schon Klarheit. „Bei einem Event habe ich vor einiger Zeit ein paar Anwälte einer großen Kanzlei getroffen“, erzählt er und grinst dabei. „Die standen alleine da, also habe ich mich mal mit ihnen unterhalten.“ Das Resultat: Die Kanzlei fertigte den Wismo-Entwicklern ein 40-seitiges Rechtsguthaben an – sie sind auf der sicheren Seite.

Fast neun Millionen Jugendliche gibt es laut Statistik-Portal Statista alleine in Deutschland – und ihre Kaufkraft ist milliardenschwer. Dass von den zwölf- bis 19-Jährigen mehr als 85 Prozent täglich ihr Smartphone nutzen, macht sie zur den perfekten Wismo-Kunden. „Und es gibt definitiv einen Markt dafür“, sagt Christian, „wir haben Umfragen durchgeführt, und sowohl Jugendliche als auch Eltern stehen dem Konzept sehr positiv gegenüber.“ Die peer-to-peer-Funktion von Wismo, also das Überweisen an Freunde, die ebenfalls ein Konto besitzen, mache die App aber auch für junge Erwachsene sehr interessant. „Wer regelmäßig mit Freunden essen geht, weiß, dass das Teilen der Rechnung eine Qual ist“, sagen beide fast im Chor. „Sind alle bei Wismo, bezahlt einer und bekommt innerhalb von Sekunden die Teilbeträge der anderen zurück überwiesen.“ 

Noch ist wismo nicht einsatzbereit, aber die Entwickler hoffen auf einen Launch im Frühling. Seit Christian Ende vergangenes Jahres seinen Job gekündigt hat, arbeiten beide tagein, tagaus an Wismo. Gerade läuft ihre erste Finanzierungsrunde, aber über mögliche Investoren können sie noch nichts verraten. Doch Christian verspricht, dass „wir noch mehr Vollgas geben, wenn dieser Prozess abgeschlossen ist“. Dann können Nicolas und er auch endlich ein gemeinsames Büro beziehen. Trotz des Altersunterschiedes funktionieren die beiden wie ein gut eingespieltes Team. Und wer die Miete für den zukünftigen Arbeitsplatz überweisen wird, scheint offensichtlich. Dann holt Nicolas sein Smartphone aus der Tasche und öffnet die App. Ein Handgriff, ein Klick, ein Fingerabdruck – fertig.

Text: Matthias Kirsch

Foto: Florian Peljak

Neuland: My Ski Ticket

Lange Wartezeiten, die einem oft den Skispaß vermiesen können, gehören bald der Vergangenheit an. Dank der Idee von Dominik Cadmus und Richard Seitz kann man seinen Skipass bald im Internet aufladen lasssen. Auch die Ausrüstung oder die Unterkunft kann man auf myskiticket.com buchen.

Dominik Cadmus und Richard Seitz bekommen wohl schnell kalte Zehen. Die beiden Münchner haben eine Website gegründet, mit der sich die meist recht langen Warteschlangen an den Kassen der Skigebiete vermeiden lassen können. Schließlich steht man selten allein am Fuß des Berges. Dank myskiticket, einer Website, auf der man schon vor der Anreise seinen Skipass aktivieren kann, sollen die langen Wartezeiten für die begehrten Plastikkarten vermieden werden. Für mehr als 200 Ressorts in den Alpen kann man entweder den alten Skipass neu aufladen oder einen neuen bestellen, der noch vor der Abfahrt im Briefkasten landet. Für Münchner könnte die Plattform einen hohen Nutzen haben, schließlich gehört dort der wochenendliche Skiausflug zum Winter dazu. 

„Neben dem Skipass kostet auch das Ausleihen von Material eine Menge Zeit“, sagt Dominik. „Egal ob Ski oder Helm, über myskiticket kann man die nötige Ausrüstung schon im Voraus reservieren lassen.“ Wer will, kann sogar seinen ganzen Skiurlaub bei myskiticket planen. „Neben Skipass und Ausrüstung kann man aber auch die Skischule über myskiticket buchen“, sagt Dominik. „Mich hat immer gestört, wenn ich für diese Dinge Zeit im Urlaub verschwendet habe. Deswegen tun wir alles dafür, dass unsere Kunden so schnell wie möglich auf die Piste kommen.“  

Text: Matthias Kirsch

Von Freitag bis Freitag: Unterwegs mit Matthias

Bevor sich unser Autor Matthias an die Vorweihnachtlichen Pflichten heranwagt, muss öfters mal mit der einen oder anderen Tasse Glühwein nachgeholfen werden. Doch zum Glück gibt es in München auch so einige Alternativen zu Lichterkette, Lebkuchen & Co. 

Ah, Weihnachtszeit. So schön, so kalt, so
verschneit – okay, dieses Jahr mal wieder nicht verschneit. Trotzdem: Zu kalt
für mich, schön ist anders – kurz, ich bin kein Fan von Weihnachten. Deswegen
versuche ich mich Dezember für Dezember aus der Weihnachtsatmosphäre
rauszuhalten. Also verschlägt es mich heute ins Feierwerk. Hier ist für die
einen immer Weihnachten, für andere nie – ganz nach eigenem Geschmack. Mit
Young Chinese Dogs herrscht für mich eine gute Art Feststimmung. Und zwar eine,
die ganz ohne Deko auskommt. Indie-Folk-Klänge aus München, was gibt es
schöneres an einem Freitagabend.
Dass der Heimweg trotzdem kalt wird, kann ich nicht verhindern.

In München eröffnet gefühlt jeden Tag eine
neue Bar. Aber, am heutigen Samstag
bin ich ausnahmsweise mal wieder gespannt. Ich muss heute arbeiten, deswegen
bin ich noch nicht in Wochenendstimmung. Aber das wird sich noch ändern, denn namensgerecht
eröffnet die Bikini Mitte Deli & Bar in der Sonnenstraße – Kleiderordnung
inklusive, hoffe ich. Dass es unter der Woche in der Mitte des Bikinis leckeres
Essen gibt, ist ein Bonus. Gefällt mir.

Der gestrige Abend drückt mir auf die
Stimmung. Nicht, dass ich keinen Spaß gehabt hätte, im Gegenteil. Aber
Sonnenstraße, Bikini Bar – all das erinnert mich an den Sommer, an einfachere
Tage, an Eis und Beachvolleyball, an warme Nächte, an…ich schweife ab. Es ist
Winter. Ich muss mich damit abfinden. Erstmal zurück ins Warme – ich wippe zum
HipHop Flohmarkt im Backstage. Ich bin eher wegen Schallplatten als wegen der
Mode da, aber man weiß ja nie. Und wer weiß – vielleicht ermuntert eine
Rap-Version von “Frosty, the Snowman” mich ja dazu, doch am Sonntagabend beim Weihnachtsmarkt im
Muffatwerk
vorbeizuschauen…

Heute arbeite ich – produktiv, effizient,
keine Ausreden. Das Arbeiten am Montag
ist für viele ja ein Horror. Ich sehe das nicht so duster – das Geheimnis ist doch,
sich auf das Abendprogramm zu freuen. Ich bin heute Abend tapfer – ich gehe zum
Tollwood. Mein Gewissen beruhige ich damit, dass das Tollwood ja eigentlich
kein “richtiger” Weihnachtsmarkt ist. Außerdem: Nach einer halben Stunde im
Bazar ist der Winter auch ganz weit weg. Dass ich insgeheim nur wegen den
Zimt-Zucker-Baumstriezeln da bin, behalte ich einfach mal für mich…

Ich habe den Weihnachtsrummel überstanden.
Mein Selbstvertrauen ist gestärkt, vielleicht schaffe ich es ja doch, mich mit
dem Fest anzufreunden. Aber nichts überstürzen – erstmal wieder Musik, und zwar
unweihnachtliche. Der Dienstag
wartet mit einem sehr interessanten Auftritt in der Glockenbachwerkstatt auf –
die Community QUEERTHING, die Kunst, Kultur und Musik mit queeren Inhalten
promoted, hat FaulenzA eingeladen. Die Trans*Frau ist nicht nur politische
Aktivisting, sondern rappt auch über Liebe und Hass, Freundschaft und “empowert
mit ihren Lyrics zu queeren/LSBTIQ Themen”. Ich bin sehr gespannt.

Hälfte der Woche ist geschafft, gleich ist
wieder Wochenende. Meine Taktik bleibt die gleiche – mit Vorfreude auf den
Abend geht alles leichter. Mein Mittwochabendprogramm ist nicht gut durchdacht,
es könnte stressing werden. Gegen 19 Uhr komme ich im Lost Weekend an – hier
liest Günter Fröhlich aus seinen philosophischen Etüden “Der Affe stammt vom
Menschen ab”
. Leider kann ich nicht bis zum Ende bleiben, denn im Milla ist
wieder Song Slam
. Ich hab die letzten beiden Ausgaben schon verpasst – heute
will ich unbedingt wieder auf schrägem Untergrund Musik hören. Ich hetze in die
U-Bahn. Ich hoffe, mein Plan geht auf.

Ich merke, dass Weihnachten so langsam
näher kommt. Trotz aller Abneigung gibt es in meinem Umfeld natürlich auch
Leute, die sich freuen – und denen will ich ja das Fest nicht vermiesen. Also
muss ich auch zum Geschenkekaufen losziehen – der Donnerstag scheint mir ein guter
Tag dafür zu sein. Ich tummel mich natürlich nicht in der Kaufingerstraße rum,
ich bin ja nicht ganz lebensmüde. Dafür schaue ich in der Maxvorstadt  beim FYFY & Friends X-Mas Market vorbei.
In der alten The Duke Distillerie machen die FYFY-Leute mir das Shoppen
deutlich einfacher – es gibt sogar Punch. Erst was trinken, dann Geschenke
kaufen. Was kann da schiefgehen?

Wieder eine Woche Weihnachtswahnsinn
überstanden, und Geschenke habe ich sogar auch besorgt. Ich bin ganz zufrieden
– in 10 Tagen ist die Sache ja wieder durch. Für heute habe ich einen Plan:
Zuhause bleiben. In meinen eigenen 4 Wänden fühle ich mich sicher, hier gibt es
keine Weihnachtsdeko, hier gibt es keine Lebkuchenplätzchen – nur einen
Adventskalender. Aber der darf auch bleiben, der ist sehr besonders. Zuhause
riskiere ich nicht, in die Verlockung vom Glühwein zu geraten. Glühwein bringt
mich auf dumme Ideen. Glühwein lässt mich meine Abneigung zu Weihnachten
manchmal etwas vergessen. Glühwein…wäre jetzt eigentlich auch ganz schön. Na
gut, eine Tasse! Aber nicht mehr! Sonst lande ich noch beim dritten Geburtstag
vom The Upper Club
. The Upper Club…wäre jetzt eigentlich auch ganz schön…

Text: Matthias Kirsch

Foto: Privat

Von Freitag bis Freitag München – mit Matthias

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Diese Woche wird interessant. Für Matthias. Und für alle Freunde von Matthias. Er wird Zwergenbier trinken und
seine rote Baywatch-Badehose

anziehen. Er wird demonstrieren und im Eisbach schwimmen – auch wenn er dann trotz roter Badehose eine bläuliche Haut bekommt.

Der Sommer ist
tatsächlich in München angekommen – ich hatte mich ja schon mit dem Dauerregen
angefreundet. Ich mag den Sommer, aber vor allem abends – also, wenn die Sonne
schon untergegangen ist. Alles über 25 Grad ist mir zu heiß. Heute am Freitag gehe ich
auch erst nach Sonnenuntergang aus dem Haus, Richtung Hackerbrücke. Ich weiß
nicht, was mich beim Deeper Down Festival erwartet, aber es klingt gut. Freiluft,
kleine Bühne, Bier – so kann das Wochenende beginnen.

Wie gesagt, zu viel Sonne
ist nicht gut für mich. Nach dem gestrigen Abend bleibe ich meiner Taktik treu
– am Samstag mache ich mich im Dunkeln auf den Weg ins Feierwerk. Dort erwarten
mich, glaube ich, Menschen, die ebenfalls nicht viel aus dem Haus gehen –
vielleicht auch aus anderen Gründen. Im Feierwerk – oder wie es heute genannt
wird: Hansarien – findet die Super Geek Night statt. Neben den
bekannten Spielstätten gibt es „eine Arcadehalle, ein Dungeon, geniale Drinks
wie Butterbier oder Manatränke“ – klingt exotisch, aber interessant. Vielleicht
nicht ganz meine Welt, aber vielleicht kann ich heute mit einigen Vorurteilen
aufräumen! Prost – mit Zwergenbier! (Was auch immer das sein mag…)

München zeigt am Sonntag seine rebellische Seite – wohlgemerkt erst nach 10 Uhr-Messe und
Sonntagsbraten. Aber trotzdem, es wird demonstriert – und zwar „gegen die
Stilllegung der Stadt durch Luxussanierungen“. Anlass sind sämtliche großen
Luxusneubauten in der Stadt, die die (armen) jungen Wilden, Künstler und
Kreativen aller Art aus dem Zentrum vertreiben. Musik gibt es natürlich auch,
unter anderem LUX peitscht die Demonstranten an.  

Neue Woche, Ende des
Monats: Am Montag schreit mein Geldbeutel Alarm. Eigentlich habe ich gut
gehaushaltet, die paar Tage werde ich schon noch überstehen. Trotzdem, heute
trete ich langsamer. Ich schnappe mir meine rote Baywatch-Badehose – die passt
farblich am besten zu meiner Haut – und ein paar Freunde, und ab in den
Eisbach. Mein erstes Eisbachschwimmen dieses Jahr, Ende August. Das sagt ja
eigentlich alles. Ausnahmsweise freue ich mich auch über die Sonne – meine Haut
nimmt nach dem kalten Bad immer eine leicht bläuliche Farbe an…soll ich mal
zum Arzt?…

Ein bisschen habe ich ja
Gefallen gefunden an der Sonne gestern. Am Dienstag fahre ich in den Urlaub, genauer
gesagt zum Strand – zum schönsten Strand der Stadt! Im Herzen der Stadt nehme
ich Platz am GREAT BAVARIA REEF.
Ausgestattet mit Stärke 50 Sonnencrème und dem
besten Sonnenschirm der Welt mache ich es mir gemütlich und lasse die Seele
baumeln – das sollte man öfter tun, finde ich. Am Abend habe ich trotzdem Sonnenbrand,
ich kann es auch nicht erklären. Unter schwierigsten Bedingungen befreie ich
mich von den letzten Sandkörnern, dann wird der Sonnenbrand auskuriert. Ich
stehe im Bad vor dem Spiegel – ich bin so rot wie eine Koralle.

Abschiedstourneen sind ja
meist sehr emotional – die Rolling Stones, die Scorpions, und und und. Und,
meistens kommen dann eh noch ein paar, Best Of-Alben sowieso. Im Milla ist
am Mittwochabend auch Abschied, der Abschied von den Simeon Soul Chargers – zumindest in
München. Dieser Abschied ist für mich sehr besonders – es ist auch mein erstes
Konzert der Band. Aber ich werde mitgeschleppt von zwei großen Fans – und deren
Musikgeschmack teile ich in der Regel. Abschied so kurz nach dem Kennenlernen –
vielleicht erspart mir das den Schmerz… 

Es regnet wieder in
München, am Donnerstag kann ich das auch gut gebrauchen. Ich muss arbeiten, die Miete
zahlt sich nicht von alleine. Und ich merke, wie wenig ich von meiner Umwelt
mitbekomme. Es ist Wochenmarkt im Viertel, zur Mittagspause hole ich mir immer
eine Standard-Semmel beim Metzger (zwei Würste, versteht sich). Die Schlange
ist heute erstaunlich lang – und jung. Die meisten Kinder und Jugendlichen sind aus dem Urlaub zurück. Mit
Semmel in der Hand mache ich mich auf den Weg nach Hause:
Back to work!

Nach dem harten
Arbeitstag gestern habe ich mir das Wochenende wieder wohl verdient, ha! Ich
schwappe am Freitag mit der musikalischen Welle erneut ins Glockenbachviertel, treibe die
Stufen zum Milla hinab und bin wieder an altbekannten Stränden. Aus dem fernen
Norden beglückt mich heute Ben Hawkins mit „souligem Groove“ – die Nürnberger
haben ein spannendes Blues/Soul-Projekt geschaffen. Ihre Einflüsse beschreiben
die vier Musiker als Otis Redding, Motown, Amy Wineshouse und the Black Keys –
hohe Ansprüche, aber sehr verlockend. Der Abend verspricht tänzerisch zu
werden, schließlich verspricht der Veranstalter, dass „wenn die elektrisierende
Orgel einsetzt und der groovende Bass den Takt vorgibt, dann führt garantiert
kein Weg mehr an der Tanzfläche vorbei“ – na dann….ich bin gespannt!

Matthias Kirsch

Foto: privat

Zeichen der Freundschaft – Von Humor

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Zwei Jungs, die ein ganz spezieller Humor miteinander verbindet. Der kommt nicht bei jedem gut an, der Freundschaft tut das aber keinen Abbruch. 

Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Pierre und ich schleichen uns unauffällig aus der Küche. Wir holen unsere
Jacken aus dem Wohnzimmer, schließen die Haustür auf, und sind weg. Wir sind
ein Stockwerk tiefer angekommen, als die Tür wieder aufgeht. „Wo geht ihr denn
hin?“, schreien die beiden Mädels aufgeregt. „Erigieren!“, rufen wir im
Einklang. Wir kichern, und laufen weiter.

Etwa eine Stunde vorher. Samstagabend, kleine WG-Party im Westend. „Tut mir echt
leid Alter“, murmelt Pierre, „hätte ich das gewusst, dann hätte ich dich echt
nicht hergeschleppt.“ Ich reagiere nicht, er kann ja nichts dafür. Plötzlich
fängt er an zu Grinsen. Das ist meist ein schlechtes Zeichen – nämlich ein
Zeichen dafür, dass gleich eine sehr dumme Aussage seinen Mund verlassen wird.
„Okay, Frage: Was macht ein König?“. Er räuspert sich. Mittlerweile sind seine
Mundwinkel fast an den Ohren angekommen. Pierre hat einen sehr distinkten Humor
– man könnte sagen, irgendwo weit hinter der Grenze des guten Geschmacks. Ich
grinse auch schon. Ich habe keine Ahnung was kommt, aber ich lache auch meistens
erst da, wo andere schon die Augen verdrehen. „Keine Ahnung“, antworte ich. Ich
lasse mir meine Vorfreude auf die kommende Aussage nicht anmerken. „Er regiert,
er regiert, er regiert!“ Wir prusten los, wie pubertäre Achtklässler. Geil,
mentale Notiz wird gemacht. Daraus lässt sich irgendwann was machen.

Die WG-Bewohnerinnen haben mittlerweile festgestellt, dass unsere Ecke
deutlich unterhaltsamer ist als der Rest der Party. Sie gesellen sich zu Pierre
und mir, das Schuljungengekicher hat es ihnen wohl angetan. „Jungs, wir wollen
mitlachen!“, sagt die Eine. Für Pierre ist das natürlich kein Problem. Ich
hingegen sehe das Problem kommen – darüber wird hier außer uns keiner lachen.
Zu spät, der Gute ist schon in seiner Routine. „Okay, Frage: Was macht ein
König?“ – „Wie was macht ein König?“ – Geht ja schon gut los. Aber Pierre merkt
es nicht, er will die Pointe loswerden. „Er regiert, er regiert, er regiert!“ –
Wir prusten wieder los. Was witzig ist, bleibt witzig. „Versteh ich nicht“,
sagt die Eine. Damit ist der Witz nun tot. „Ja, er regiert halt. E-RI-GIERT!
Das kennst du doch, oder?“ Wir prusten weiter. Ich stell mir die britischen
Royals vor – verlieren ja alle schon die Haare vom ständigen regieren.
Testosteron, und so.

Die Mädels haben keine Lust mehr. Pierre und ich stellen fest, dass uns auf
dieser Party nichts mehr hält. Hier werden wir keine Freunde finden, zumindest
nicht die Art von Freundschaft, die uns zusammenhält. Je mehr wir uns gemeinsam
in sozialen Situationen aufhalten, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass wir
leicht speziell sind. „Stimmt doch gar nicht“, schlussfolgert Pierre, „aber wer
über regierende Erektionen nicht lachen kann hat meine Anwesenheit nicht
verdient!“ Wir schleichen uns unauffällig aus der Küche. Wir holen unsere
Jacken aus dem Wohnzimmer, schließen die Haustür auf, und sind weg.

Von: Matthias Kirsch 

Von Freitag bis Freitag – Unterwegs mit Matthias

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Unser Autor hat diese Woche seine Bachelor-Arbeit abgegeben und wieder Zeit, etwas zu unternehmen. Weil er es kann, tut er am Freitag unter dem Motto “The Art of Doing Nothing” gar nichts. An den  anderen Tag geht er zum Theatron, zum Ice-Cream-Festival, zum Jubiläum des Kassettenclubs im Milla, zur European Outdoor Film Tour und zum Utopia Island Festival.

Freitag, 12. August

Ich hab diese Woche meine Bachelorarbeit abgegeben. Ich will damit nicht angeben – sehr viele Menschen haben in ihrem Leben schon eine Bachelorarbeit abgegeben. Ich sage das, weil ich mich selbst davon überzeuge, dass dieses Abgeben der Arbeit mir einen Freischein ausstellt. Ich muss jetzt nichts mehr machen, ha! Nie mehr! Also, glaube ich. Ich radle also einfach drauf los. In den Englischen Garten, es regnet heute ausnahmsweise nicht. Beim Monopteros lege ich mich hin und schlafe ein. Als ich aufwache, liegen hunderte Menschen um mich herum. Das ist seltsam, denn der Rest des Parks ist leer. Ich frage mal nach. Es stellt sich heraus, heute findet – genau hier! – ein Meeting des Nadism Clubs statt. Motto: The Art of Doing Nothing. Kann das Zufall sein? Ich glaube nicht. Sieht so aus, als hätten andere Menschen den gleichen Freischein wie ich…

Samstag, 13. August

Das Nichtstun wird nicht langweilig. Aber ich fange jetzt schon an, meine Definition von ‚Nichts’ etwas zu verändern. Ich finde, im Sommer gehört Eisessen zum Nichtstun dazu. Zufällig findet heute das Ice-Cream Festival statt, auf der Praterinsel. Ich lebe ganz in der Nähe, deswegen zähle ich auch den kurzen Fußmarsch dahin zum Nichtstun dazu. Im Gegenteil zum Müllrausbringen – der Weg ist zu lang. Aber das ist eine andere Geschichte. Das Eisfestival wird musikalisch unterstützt, aber nicht nach meinem Geschmack. Zwei Kugeln Zitroneneis in der einen, ein Nogger in der anderen Hand marschiere ich los ins Glockenbachviertel. Den Mund vollgekleckert mit Schokolade laufe ich ins Milla hinein. Heute ist runder Geburtstag – 50 Ausgaben Kassettenclub. Ich geh zur Bar, lasse mich in einen der Sessel fallen, höre Musik – und mache nichts.

Sonntag, 14. August

Ah, Sonntagmorgen. Der Traum aller Nichtstuer. Ich schaue mir die Highlights von Olympia an, dann schalte ich den Fernseher aus und leg mich wieder schlafen. Ich wache erst im späten Nachmittag wieder auf. Ich hab keine Ahnung, was ich heute so machen könnte, deswegen laufe ich einfach mal los. An der Isar entlang, über den Gärtnerplatz, ins Zentrum. Auf dem Heimweg komme ich am Crux vorbei. Sonntagabend, aber trotzdem was los. Ich stelle mich an. „Warst du gestern schon hier?“, fragt mich ein großer Türsteher. „Wieso?“ – „Freier Eintritt für alle, die gestern da waren“, klärt mich der große Türsteher auf. „Klar!“, sag ich und zeige den Stempel vom Eisfestival. „Alles klar – frohes Auskurieren“, verabschiedet sich der Große. Ich mische mich unter die Menschen.

Montag, 15. August

So langsam wird das Nichtstun langweilig. Ich frage mal in der Redaktion nach, wann ich das nächste Von Freitag bis Freitag schreibe. Dauert noch etwas, wird mir gesagt. Heute ist übrigens die ganze Redaktion im Olympiapark – es ist Sprungbrett im Theatron. Es spielen alte Bekannte – unter anderem Sweetlemon, die heuer auch in unserem Farbenladen gespielt haben. Nach den Konzerten ziehen wir durch den Olympiapark, auf dem Weg auf den Olympiaberg verlieren wir die Ersten. Der Abstieg ist nicht einfacher. Ich verfehle den Weg, und schon purzele ich den Berg runter. Ich kontempliere kurz, ob ich liegen bleiben soll. Dann laufe ich Richtung U-Bahn.

Dienstag, 16. August

Ich bin nicht zufrieden mit meinem Trip in den Olympiapark gestern. Es war lustig, ohne Frage, aber ich bin unruhig. Im Theatron habe ich ständig nach links gelugt, Richtung Kino. Ich war neidisch auf die Liegestühle, die da rumstehen. Also fahre ich noch mal hoch, diesmal mit dem Fahrrad und setze mich auf die gemütlichste Liege, die ich finde – ich teste knapp 20 Stück, bevor ich mich entscheiden kann. Heute ist European Outdoor Film Tour, Extremsport vom Allerfeinsten. Auf der Rückfahrt fühle ich mich wie einer der Mountainbiker aus dem Film. Mein Rennrad ist allerdings nicht so wirklich für Downhill geeignet. Ich falle hin, mehrmals, rette mich aber heim. Auf den letzten Hundert Metern merke ich, dass ich einen Platten habe. Und eine Acht. Wo mein Schutzblech ist, wusste ich schon im Olympiapark nicht mehr…soviel zu Extremsport.


Mittwoch, 17. August

Ich hab mich übernommen gestern. Mir tut alles weh. Heute bleib ich im Bett. Passt mir eigentlich auch ganz gut, denn bei Olympia sind die Leichtathletik-Wettkämpfe in vollem Gange. Als Leichtathlet in der Jugend fühle ich mich natürlich sehr verbunden – ein früherer Trainingspartner ist sogar in Rio dabei. Ich drücke ihm die Daumen! Ich laufe hingegen heute nirgendwo mehr hin, nicht mal mehr in die Küche. Ich lasse mir Pizza liefern, Mittags und Abends. Tja, wie die Dinge anders hätten sein können – ich ordne die Salamischeiben in Form der olympischen Ringe, und beiße rein. Die Salamimedaille hab ich mir heute so was von verdient.

Donnerstag, 18. August

Ich lebe jetzt schon einige Jahre in München – aber so wirklich schaffe ich es nie aus der Stadt. Es soll so schön sein an den Seen, in den Bergen – und in Moosburg an der Isar. Ich steige in den Zug und fahre los. In dem Städtchen kurz hinter dem Flughafen ist dieses Wochenende das Utopia Island Festival – „Festival wie ein Kurzurlaub“, wird mir versprochen. Nach einer harten Woche Nichtstun brauche ich den Urlaub auch – zwar kann ich nur einen Tag bleiben, aber die gute Festivalluft Landluft ist wahnsinnig erholend.

Freitag, 19. August

Ich denke über meine letzte Woche nach. Es gab Höhe- und Tiefpunkte. Das soll eigentlich nicht so sein. Ich will einen bestimmten Tiefpunkt aufarbeiten – ich fahre wieder in den Olympiapark. Ich habe das Gefühl, dieser Ort hat mich in den letzten Tagen auf dumme Ideen gebracht. Heute wird alles anders! Es ist wieder Konzert im Theatron und eine der geilsten Münchener Bands ist wieder da: Hadern Im Sternenhagel! Der Abend zieht an mir vorbei, der Sternenhagel auch. Diesmal bleibe ich sitzen im Theatron, irgendwann lege ich mich hin. Morgen fange ich wieder mit dem Alltag an, aber heute noch nicht. Heute Abend mache ich nichts mehr. Heute Abend schlafe ich im Olympiapark. Ich hoffe es regnet nicht.

Von: Matthias Kirsch

Zufallsstudium: Das Gute und das Böse

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Sein Gang ist sehr wippend, sehr schnell. Doch statt in eine Vorlesung geht der junge Mann auf die Toilette. Eine Ewigkeit später:
Sein charakteristischer Gang ist jetzt ein erleichtertes Schlurfen. Er schlurft ins Audimax – und der Autor dieser Zufallsstudium-Kolumne hinterher. Was er dort erlebte, verblüffte ihn.

Von Matthias Kirsch

Ich stehe auf und verlasse
den Saal. Ich denke nach. Allein der Fakt, dass mich dieser Vortrag
nachdenklich gemacht hat, freut mich. Ich dachte, ich lande in einer
Jura-Vorlesung. Oder einer BWL-Übung. Ich hatte auf ein philosophisches Seminar
gehofft, und habe einen Vortrag gekriegt. Ich wollte eine Frage stellen, aber
ich wurde nicht drangenommen. In manchen Studiengängen ist das auch so. Da
stellt niemand Fragen. Die Lehre ist bei manchen Studiengängen nicht für Fragen
ausgelegt. Oft wissen das die Studenten nicht, wenn sie sich immatrikulieren.
Das ist schade. Und das ist ja auch irgendwie Zufall, in so einem Studium.

Aber der Reihe nach: Ich
bin zu spät – in allen Belangen. Erstens: Ich habe meinem Mitbewohner die Miete
noch nicht überwiesen. Zweitens: Es ist
18.45 Uhr. Ganz schön spät für die Uni. Vor allem, wenn man einem x-beliebigen Studenten in einen Kurs folgen will. Aber Verspätung hat System: Interessante Menschen kommen zu spät zu
einer Vorlesung, weil sie vorher interessante Dinge getan haben. Logisch, oder?
Also kann ich auch 45
Minuten nach dem normalen Beginn einer Veranstaltung noch jemandem in ein
Seminar folgen. Beim Bäcker im Zwischengeschoss entdecke ich eine Bekannte –
ich bleib stehen und sag Hallo. Sie fragt, was ich vorhabe, und ich erzähl es
ihr. Ich frage, was sie vorhat, und sie erzählt: Ich ziehe morgen nach Berlin.
Aber jetzt, jetzt gehe ich erst zu einem Vortrag. Ich finde, am Tag bevor man
nach Berlin zieht, kann man sich ruhig einen Vortrag anhören.

Ich – so überlege
ich es mir vor dem Hauptgebäude der LMU – könnte eigentlich ja auch ihr folgen.
Aber das wäre zu einfach. Ich wünsche ihr viel Spaß und Erfolg, und
sie wünscht mir auch viel Spaß und Erfolg. Ich
setze mich also vor die Uni. Eine Gruppe Hipster kommt vorbei – das langweilt
mich schon. Dann, Hemd-Pulli-schicke-Schuhe, auch darauf habe ich keine Lust.
Aber, schließlich entdecke ich jemanden – am Brunnen vorbei läuft, hüpft fast,
ein mittelgroßer junger Mann. Sein Gang ist sehr wippend, sehr schnell – der
muss Verspätung haben! Aber für welchen Kurs? Meine Fantasie geht schon auf
Reisen – Mathematik, vielleicht? Oder doch Philosophie? Vor lauter Nachdenken
läuft mir der Gute fast weg. Ich spute mich. Im Lichthof verlier ich ihn fast,
aber dann entdecke ich das weiße T-Shirt wieder und hänge mich an ihn. Ich
hoffe nur, er geht nicht ins Audimax. Leider stampft er immer weiter in die
Richtung, jetzt ist er schon auf der Höhe des Eingangs – und läuft vorbei! Ich
freu mich – aber es währt nur kurz. Denn nur einige Meter weiter öffnet mein
wippender Student eine Tür. Und geht aufs Klo.

 Na
gut. Ich warte vor der Toilette, auf dem Gang, wohlgemerkt. Die Zeit vergeht –
ich fange an, mir Sorgen zu machen. Ist er krank? Ins Klo gefallen? Vielleicht
lernt er gerne auf dem Klo? Gerade als ich mich dazu entscheide nachzuschauen,
öffnet sich die Tür und der junge Mann verlässt die Toilette. Er hat
sich verändert. Sein charakteristischer Gang ist jetzt ein erleichtertes Schlurfen.
Seine wachen Augen: auf einmal müde. Alles, was mich auf ersten Blick gefesselt
hat, ist weg! Und, es kommt noch schlimmer: Er geht ins Audimax.

Ich
gebe mich geschlagen. Ich setze mich ein paar Reihen hinter meinen neuen
Freund. Mir geht kurz durch den Kopf, dass er Jim Carrey in meiner eigenen
kleinen Truman-Show ist. Dann frage ich meine Nachbarin, eine kleine, sehr
aufrechtsitzende Person, welche Veranstaltung denn jetzt hier veranstaltet
wird. „Keine Veranstaltung“, piepst sie, „ein Vortrag!“ Ich bin neugierig.
„Tomas Sedlacek – the Economy of Good and Evil!“, erklärt sie weiter. Ich habe
keine Zeit nachzufragen, da betritt schon ein älterer Herr das Podium. Er
redet sehr monoton, und mir wird mulmig. Das muss ich mir jetzt antun? Ich habe
Glück: Dieser alte Mann kündigt nur den Speaker an. Denn Herr
Sedlacek ist zwar ein brillanter Wissenschaftler (one of the brightest young
minds in economics, hatte der langweilige alte Mann verkündet, nicht ganz ohne
Stolz), sieht aber nicht so aus. Groß, muskulös gebaut, kurze blonde Locken,
blonder Vollbart. Sakko, hellblaues Hemd, dunkle Leinenhose, Brogues. Und
Sedlacek ist ein guter Redner. Mit lauter Stimme beginnt er seinen Vortrag, er baut
einige Witze ein, das Publikum hängt ihm an den Lippen.

Ich nicht. Ich muss ja
objektiv bleiben. Aber, ich muss zugeben, ich bin ganz froh, hier gelandet zu
sein.
Sedlacek ist nicht nur Wirtschaftswissenschaftler, sondern beschäftigt sich
auch mit Methodologie und Theologie und künstlicher Intelligenz.
Sedlacek glaubt
nicht, dass die Wirtschaft und ihre Lehre frei von Ideologie sind – er
beschuldigt sogar die führenden Wissenschaftler, den Lehrenden ihre Ideologie
aufzudrängen. So langsam merken die meisten im Raum, warum Tomas’ Buch,
treffend natürlich „The Economy of Good and Evil“ genannt, ein Bestseller
wurde. Der Mann kann erzählen. Und
so erzählt er weiter. Er resümiert das Christentum in sieben Sekunden. Er sagt:
„God has to kill himself in order not to kill people“. Einleuchtend. Er
beschreibt die europäische Schuldenkrise nicht als wirtschaftliches, sondern
als ideologisches Problem. Und, schlussendlich, um seinen anfänglichen Punkt zu
unterstreichen, dass nichts frei von Ideologie sein kann, erläutert er: Sogar
im biblischen Paradies, an einem Ort, an dem alles wunderbar ist, ist der
einzige Mensch nicht frei von einer Emotion. Bevor der erste Mensch auch nur
irgendein Wort geredet, einen Schritt gemacht hat, fühlt er sich schon –
alleine. 

Ich stehe auf und verlasse den Saal. Ich denke
nach.

Von Freitag bis Freitag – Unterwegs mit Matthias

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Auch nächste Woche ist wieder einiges los in München. Matthias hat da ein paar Vorschläge, was man so alles machen könnte: Von Hofflohmarkt, über Offshore-Party, bis zur Album-Release der Gebrüder Grün im Milla ist auch neben der Fußball-EM für jeden was dabei.

Ich wache auf am
Freitagmorgen. Mein Handy quillt über an Push-Notifications, E-Mails,
Facebook-Nachrichten. Nein, ich bin nicht super populär und jeder will wissen,
was bei mir heute so ansteht. Wie alle anderen muss ich den Brexit grad
verkraften – ich dachte ja, die Briten wären nicht ganz so stupide. Anyway –
ich muss mich ablenken. Nachdem ich den Tag vor sämtlichen Bildschirmen und
Twitter-Feeds verbringe, steht für mich Abends auch ein Referendum an: Ja oder
Nein zum Candy Club Sommerfest? Ich entscheide mich für das Feierwerk!
Biergarten bis 23 Uhr und Open Air Dancefloor, genau mein Ding, ha! Was aber tatsächlich
genau mein Ding ist, sind Imbißstände mit Kebab und Falafel, sowie verbreitete
Grills, auf denen ich einfach Zeug anbrutzeln darf. Gut für mich, weil ich
scheitere beim Grillen immer am Grill anzünden – sehr männlich, ich weiß.
Anyway. Für Refugees und Arbeitslose ist der Eintritt kostenlos. Find ich cool
– daran sollten sich andere Veranstalter mal ein Beispiel nehmen.

Den Samstag gehe ich
vorerst ruhiger an. Ich muss ein wenig arbeiten, so eine Bachelorarbeit
schreibt sich irgendwie doch nicht von alleine – das war irgendwie ein Mythos
an meiner Fakultät…Egal – ich arbeite mit Motivation, ich freue mich auf mein
Abendprogramm. Vielleicht gehe ich in die Reichenbachstraße, zu den
Hofflohmärkten. Oder seit langem wieder ins Pathos. Da findet heute die
Offshore – Party statt. Nach dem Motto “Wir wollen keine Kunst, wir wollen euer
Geld” legen unter anderem Moritz Butschek und Yunus Hutterer auf – finde ich
gut, keine falschen Versprechen! Apropos: In einem Anfall unglaublicher
Eigenwerbung – schon für Yunus bei der HDPK Challenge “on the road” gevoted?
Unser Fotograf braucht noch eure Hilfe – verdient hat er es sich!

Sonntagmorgen
Schlafenszeit. Heute ist ein komischer Tag, ich spüre es. Die Menschen sind
nervös, meine Nachbarn laufen ganz aufgeregt herum. Heute ist ein wichtiger Tag
für das Land. Heute ist ein Tag von Patriotismus, von Liebe zur Nation, von
Zusammenhalt! Nein, heute ist nicht Wahlsonntag in Sachsen-Anhalt – heute
spielt die Nationalelf, Achtelfinale, ha! Für mich ein Dilemma – man spielt
gegen die Slowakei. Ich bin zwar kein Slowake, hab auch keinerlei Verbindung zu
dem Land – aber ich hab sie in einem Anfall von Wahnsinn in das Halbfinale
getippt im jährlichen Tippspiel. Deutschland übrigens nicht, also – Müller,
Boateng, und Co: es geht um viel für mich, denkt daran! Ob die Spieler diese
Kolumne vor dem Spiel lesen? Bestimmt.

Montag: Ich bin ein großer
Kinofan – nur im Sommer, da fällt es mir immer schwer. So lange drinnen sitzen,
wenn ich draußen in der Sonne liegen und mich bräunen könnte…ach, who am I
kidding. Ich bin so weiß, da hilft das eh nichts. Also, doch ins Kino – aber
nicht irgendwo. In der Glockenbachwerkstatt findet heute das KINO AUGE statt –
eine Reihe, bei der junge Dokumentarfilme gezeigt werden. Heute steht “Nicht
alles Schlucken” an – nein, kein Film über Gefahren in der Pornoindustrie. Der
Film befasst sich mit Krisen und Psychopharmaka – allein dieses Wort hat mich
schon fasziniert! Klingt auf jeden Fall spannend – und ein Abstecher in die
Glocke lohnt sich eh immer. Vorhang, bitte!

Ich bin immer noch
geschockt. Vielleicht auch benebelt, von soviel neuem Wissen über Valium und
Halcion, über gute und böse Medizin, und alles, was dazwischen ist. Was Drogen
alles so anstellen können, auch wenn der Onkel Doktor sie verschreibt,
am I right? Die trancemäßige Erfahrung gefällt jedoch – so will ich weitermachen.
Also ab ins Milla – wieso? Jacques Palminger hält am heutigen Dienstagabend
eine musikalische Lesung, und: „Erwarten Sie nichts weniger als eine
mental-positivistische Gruppenhypnose mit surrealistischem Mehrwert und
maximalem Glücksversprechen!“ Der Traum eines jeden Produzenten von Psychopharmakon…

Mittwoch: Nach diesem Hybrid von
Musik und Literatur will ich heute nur Musik hören. Kopfhörer auf in der Bib –
Live-Musik kommt später! Ich halte es aber nicht lange aus im Neon-Licht – gut,
dass die Fakultät einen Biergarten hat. Natürlich kann man in dem auch arbeiten
– was anderes würde ich auch niemals machen. Ich muss mich wie immer mit einer
Belohnung motivieren – Konzert von KERETTA im Feierwerk. Die Band ist mir
natürlich völlig unbekannt, aber das sind oft die besten Konzerte. Meine
Informationen stammen alle aus der Bandinfo, wozu hier schummeln: „Oftmals
beschrieben als „bleischwer“ mit „lichten und schönen“ Momenten steht das Trio
für einzigartigen Dark Rock mit vereinzelten, melodischen Parts“ (Quelle:
Bandinfo). Fahrrad zur Hansastraße, Feierabend.

Donnerstag: Ich nehm mir heute frei –
vielleicht arbeite ich für die Bachelorarbeit. Vielleicht lerne ich auch für
meine letzte Klausur. Vielleicht schau ich den ganzen Tag Fußball – oder ich
mache gar nichts. Ich schlafe lange, ich frühstücke spät, dann scheint
vielleicht die Sonne und ich geh in den Englischen Garten. Oder an den
Flaucher, vielleicht auch in den Zoo, oder so. Heute mach ich nichts, ganz
einfach weil ich heute nichts machen will. Auch mal schön, right? 

Es ist schon wieder
Freitag – das ging ja schnell. Freitag ist Milla-Tag, zumindest diese Woche.
Heute ist Album-Release mit den Gebrüdern Grün – nach eigener Aussage die
Release des Jahres, man präsentiert „das einzig wahre Mixtape des Jahres“. Klingt
gut. Sämtliche Gast-Künstler, die auf der Platte mitmischen, betreten die Bühne
gemeinsam – zum Beispiel Peefka und Mr. Polaroid von Arm & Hässlich,
Grasime und D-Fekt von der Weltuntergäng, und viele mehr. Ich freu mich drauf,
mal wieder den schiefen Boden im Milla auf und ab zu wippen. Und das Beste? Die
Kasse geht komplett zugunsten des Bellevue di Monaco. Find ich cool – auch
daran sollten sich andere Veranstalter mal ein Beispiel nehmen.

Von: Matthias Kirsch

Zeichen der Freundschaft: Mittwoch

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Man sagt, Männerfreundschaften funktionieren anders, als Frauenfreundschaften. Bei Matthias und Philippe reichen auf jeden Fall wenige Worte, ein festes Ritual und ein paar kleine oder große Biere. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Wir schlendern durch die Stadt, am Maximilianeum vorbei,
längs der Isar. Dann Muffathalle, Gasteig, stadteinwärts. Die gleiche Route mit
allen, die mich in München besuchen. Aus einer fernen Stadt an einem fernen See
ist es diesmal Philippe. Die Kälte mag keiner von uns beiden. Nach dem
Deutschen Museum geht es Richtung Ludwigsbrücke. Auf dem Weg kommen wir am
Lichtspiele vorbei, meinem Lieblingskino. „Sollen wir?“, fragt Philippe.
„Nein“. Das klingt kalt, unhöflich. „Warum?“ – „Ist nicht Mittwoch“. Wir gehen
weiter.

Der Studienbeginn bringt für die meisten jungen Menschen
große Umstellungen mit sich. Ich hab im ersten Semester zum ersten Mal allein
gewohnt, zumindest nicht mehr im Hotel Mama. Die Uni kann Angst machen, vor
allem, weil einem nicht alles auf einem Tablett serviert wird. Und man wird in
ein neues soziales Umfeld geworfen – da vermisst man die alten Routinen schon
gerne. Jeder hat sie, die festen Termine. Momente, die mit den gleichen Leuten
immer wieder funktionieren.

Ein solcher Moment war für Philippe und mich der
Mittwochabend. Knapp zwei Jahre lang wanderten wir in regelmäßiger
Regelmäßigkeit zur Mitte der Woche ins Kino, zwei Tickets zum Preis von einem.
Jedes Mal im Utopia Kino, mitten in Luxemburg-Stadt, unserer alten gemeinsamen
Heimat. Dabei war das eigentlich nicht so geplant – eigentlich wollten wir nur
ganz normal ins Kino, mit allen, wie das in einem Freundeskreis so ist. Ich erinnere
mich nicht mehr ganz, welchen Film wir uns anschauen wollten. „Ich auch nicht“,
murmelt Philippe, als wir uns vor kurzem wieder gemeinsam daran erinnert haben,
„ich weiß nur, dass keiner außer uns den Film sehen wollte!“ Wir lachen. So war
das, und so wurde das dann eine Tradition. Fast jeden Mittwoch, kleines Kino,
kleine Filme, danach ein kleines Bier, oder zwei.

Mittlerweile studieren wir beide seit mehr als dreieinhalb
Jahren, etwa 500 Kilometer voneinander entfernt, ich hier, er in Lausanne. Wir
sehen uns an Weihnachten, in den Semesterferien – und wenn Philippe nach
München kommt. Das macht er gerne. Mittwoch gehen wir dann ins Kino. Nicht aus
Nostalgie, nicht gezwungen. Es ist halt einfach so. Mittwochabend, kleines
Kino, kleiner Film. Nur das Bier ist in München größer als in der Heimat, auch
das zweite, aber das stört uns nicht. 

Foto: Yunus Hutterer

Von: Matthias Kirsch