Künstler gegen Nudel

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Täglich porträtieren wir an dieser Stelle eine(n) der 20 mitwirkenden
KünstlerInnen unserer “10 im Quadrat”-Ausstellung im Farbenladen – mal
Fotograf, mal Modell. Heute: Fotografin Julia Schneider.

Loriot machte es vor: Eine Nudel im Gesicht kann zu komischen Situationen führen. Doch Julia Schneider,
geboren 1986, verfolgt mit ihren „ikonoronischen Portäts“ keine simple
Darstellung von Komik, sondern: die Aufhebung der Trennung zwischen
Bühnenperson und Privatperson des porträtierten Künstlers. Sie sagt
dazu: „In dieser Bildserie versuche ich, die oftmals ikonografische
Darstellung von Künstlern zu konterkarieren, indem ein eher ernsthafter
Gesichtsausdruck durch die bewusste Platzierung einer Nudel im Gesicht
ironisiert wird.“ Der Künstler soll somit ein Stück weit nahbarer
gemacht werden. Julia belegt die ernsthaften Porträts mit einer
schweren, dunklen Bildsprache und ergänzt eine ironische Ebene: Die
Nudel. Die Fotografin richtet sich mit einer Frage an den Betrachter des
Porträts: Gelingt es dem Künstler, sich gegen die deplatzierte Nudel
durchzusetzen, oder lässt er sich die Aufmerksamkeit von ihr abringen?

Julias
Biografie ist durchzogen von Kehrtwenden. Nach der Schule entschied
sich die Wahlmünchnerin für eine Lehre zur Bankkauffrau, doch das
angepasste Leben in der Filiale lehnte sie ab. Danach ließ sie sich zur
Event-Kauffrau ausbilden, doch auch diese Tätigkeit füllte sie nicht
aus. Nach zwei abgeschlossenen Ausbildungen beginnt sie, an der
Hochschule München Fotodesign zu studieren. Und ihre Leidenschaft zum
Beruf zu machen. Um ihr Studium zu finanzieren, arbeitete Julia damals
in einem Geschäft in der Maximilianstraße als Türöffnerin. Im
vergangenen Jahr hat sie ihr Studium erfolgreich abgeschlossen. Für ihre
gesellschaftskritische Abschlussarbeit “Der uniformierte
Individualismus” porträtierte sie Menschen im immer gleichen
Hipster-Outfit.  

Momentan arbeitet Julia bei einer Kreativgemeinschaft im Glockenbachviertel. Dort
finden ihre Fotoshootings in rustikaler Atmosphäre statt: inmitten
eines alten Gewölbekellers mit Holzofenkamin und Backsteinwänden.

Die Ausstellung “10 im Quadrat” ist an allen Wochenenden im Mai, samstags von 16 – 22 Uhr, sonntags von 16 – 20 Uhr, im Feierwerk Farbenladen geöffnet. Neben den Fotografien werden Konzerte, Lesungen und Diskussionen veranstaltet. Für weitere Infos klickt unsere Junge-Leute-Facebookseite.
Der Eintritt ist frei.

Text: Amelie Völker

Foto: Julia Schneider   

Wortgewalt und Lagerfeuerstimmung – So war der zweite Samstag im Farbenladen

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Die Sonne strahlt mittenrein in den Farbenladen und lange Schatten werfen sich auf den Boden. Die Augen der Besucher lösen sich von den 100 Porträts an diesem Samstag des zweiten Wochenendes der Ausstellung 10 im Quadrat nur für die musikalischen und literarischen Gäste, die, so muss man anmerken, auch vor einem sehr intimen Publikum überzeugen. 

Das Lieblingsbild ist noch nicht ausgesucht, doch vorerst bleibt dafür auch keine Zeit. Johannes Lenz schweigt als Poetry Slammer und tritt als Rapper ohne Beat auf. Doch ob mit oder ohne, Wortgewalt mit Rhythmus, Reim und Rock’n’Roll ist Sprechgesang. Seine Augen streifen die eines jeden Zuhörers, er  macht München eine kleine Liebeserklärung und gesellt sich draußen zu den Rauchern, um die letzten Sonnenstrahlen abzufangen. 

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Beim Fototalk mit Fotografin Julia Schneider und Schauspieler Leonhard “Lenny” Hohm geht es um die Wur… ähh..Nudel! Julia ist verantwortlich für die Portraits, bei der die Models eine Spaghetti im Gesicht haben. Und wie nicht anders zu vermuten, kam ihr diese Idee beim Kochen. Was das Ganze aber in einer Ausstellung soll, fragt sich nicht nur der ein oder andere Besucher, auch Julia ist hin- und hergerissen. Die Fotos entstanden in besonderer Atmosphäre – quasi in einem Weinkeller mit Kamin, den sie als Studio benutzt. Leonhard Hohm findet die Idee zur Ausstellung wunderbar, “weil Menschen aufeinander treffen, die sich sonst nicht begegnet wären”. Er spricht sich für eine bessere Verbindung zwischen Münchens Kreativen aus – ein Wunsch, der in den letzten Monaten schon von vielen Künstlern ausgesprochen wurde. 

Nikolaus Wolf betritt die Mitte des Farbenladens und obwohl die Auftrittsfläche eingerahmt ist von Lautsprechern und Mikrofon, greift er nur zur Akustik-Gitarre. Seine Stimme verleiht dem Ausstellungsraum eine goldene Färbung, die Akustik ist besser als in so manchem Proberaum. 

Danach wird die Kunst gewechselt: Alisha Garmisch thront nun auf einem Barhocker, liest von Weltuntergang und ausgestochenen Augen, während hinter ihr die Porträtierten eine Nudel im Gesicht haben (Kommentar des Models “Lenny” dazu: “Die stinken!”). Alisha wird abgelöst von Rahmatullah Hayat, der sich experimentell an Lyrik wagt, die durch geräuschvolles Knacken und Zischen auffällt. 

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Zum Abschluss gibt auch Paul Kowol ein akustisches Intimkonzert, der am Tag zuvor nebenan im Feierwerk den Einzug ins Finale des Sprungbrett-Wettbewerbs geschafft hat. Mit seiner Setlist auf einem Kuchenpappteller erzeugt er Lagerfeuerstimmung und bleibt dem Singer-Songwriter-Motto “Ein bisschen Herz, ein bisschen Nuscheln” treu. 

Das Rahmenprogramm drehte sich an diesem zweiten Samstag der Ausstellung um Bild und Stimme, geradezu auf akustische Geräusche und der natürlichen Umgebung reduziert zeigte es, wie Wortgewalt die Zuschauer in jeder erdenklichen Form – von Rap bis Lyrik – einnehmen kann. 

Text und Fotos: Sandra Will

Hipster in Uniform

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Für ihre gesellschaftskritische Abschlussarbeit “Der uniformierte Individualismus” porträtiert die Fotografin Julia Schneider Menschen im gleichen Outfit: Ein schlichtes Hemd, darüber ein greller gelber Strickpullover und Julias alte Brille.

Eva zieht den gelben Strickpullover über ihren Kopf und setzt das rechteckige Brillengestell auf die Nase. Die Gläser lassen das Fotostudio mit den roten Backsteinen verschwimmen. Julia Schneider drückt auf den Auslöser ihrer Kamera. Dreimal blitzt es, dann ist das Spektakel schon vorbei. Der Nächste bitte.

Für die Abschlussarbeit ihres Fotodesignstudiums an der Hochschule München porträtiert Julia Menschen im gleichen Outfit. Ein schlichtes Hemd, darüber ein greller gelber Strickpullover und ihre alte Brille. Mit ihrem Projekt „Der uniformierte Individualismus“ möchte die junge Frau einen Widerspruch aufgreifen, der ihr auch in ihrem Studiengang auffällt. „Obwohl die meisten Fotodesignstudenten ihre Kreativität auch äußerlich zeigen möchten, sehen sie alle gleich aus. Nur das Motiv auf der selbstbedruckten Jutetasche unterscheidet sich“, sagt Julia und lacht über ihre überspitzte Darstellung.
 Sie zeigt die Fotoaufnahmen von den vergangen drei Wochen. Alle starren mit einem leeren und kraftlosen Blick vor sich hin. Der Mund ist leicht geöffnet. Ein großer Teil der Augen wird durch die klobige Brille verdeckt. Blond oder brünett, jung oder alt, mit Bart oder ohne. Die Unterschiede lösen sich auf und werden zu einem Gemisch aus gelbem Pullover und erschöpftem Gesichtsausdruck.

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Viele junge Menschen wollen ihr Image selbst bestimmen, aber sich gleichzeitig gesellschaftlich zugehörig fühlen. Dieses Phänomen ist besonders in einer Großstadt wie München von Bedeutung. Jeder versucht sich von der Masse abzuheben, aber nicht so sehr, dass er ausgeschlossen wird. „In unserer Gesellschaft ist fehlende Anerkennung ein großes Problem. Es ist die Voraussetzung, um Selbstbewusstsein zu entwickeln“, sagt Andreas Belwe, Dozent an der TU München. „Der Kampf um Anerkennung fängt mit der Geburt an. Ein Kind ist angewiesen auf die Aufmerksamkeit und emotionale Zuwendung der Eltern, aber auch später, wenn der Mensch erwachsen ist, braucht er immer wieder jemanden, der seine Eigenschaften und Fähigkeiten bestätigt“, sagt der Experte. „Der Mensch wird in eine Gesellschaft hineingeboren, aus der er sich erst zum Individuum herausdifferenzieren muss. Nur wenn er sich seiner selbst bewusst geworden ist, kann er Teil dieser Gesellschaft werden und sie aktiv mitgestalten. Dann kann er beides sein: Individuum und Teil eines größeren Ganzen“, sagt Belwe. 

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Julias Biografie ist durchzogen von Veränderungen und der Suche nach sich selbst. Nach der Schule entschied sich die Wahlmünchnerin für eine Lehre zur Bankkauffrau, doch das angepasste Leben in der Filiale lehnte sie ab. Danach ließ sie sich zur Eventkauffrau ausbilden, doch auch diese Tätigkeit füllte sie nicht aus. Nach zwei abgeschlossenen Ausbildungen fängt sie auf der Hochschule München an, Fotodesign zu studieren. Und ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen.

Um ihr Studium zu finanzieren, hat die Fotodesignstudentin in einem Geschäft in der Maximilianstraße als Türöffnerin gearbeitet. An einem regnerischen Tag, als die Kunden mit den gleichen Mänteln, Schirmen und Gummistiefeln in das Geschäft gehuscht sind, kommt ihr die Idee für ihre konzeptionelle Porträtstrecke. In ihren Fotografien findet sich oft ein ironisches Detail. „Ich war erstaunt, dass sich nicht nur meine Freunde, sondern auch Fremde so unvorteilhaft fotografieren ließen. Die Aufnahmen sind nicht ästhetisch. Der Blick erschöpft, kraftlos, sogar fast dümmlich. Die meisten haben ihr Fotogesicht und lächeln, drehen sich in einen bestimmten Winkel, wenn eine Kamera auf sie gerichtet ist“, sagt Julia. „Vielleicht würden sich einige für so ein Foto von sich schämen. Aber bei zweihundert Porträts schämt sich keiner mehr“, sagt die Fotodesignstudentin. 

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Julia trägt eine schlichte schwarze Jeans und trägt ihre blonden Haare schulterlang. Verglichen zu der Schilderung ihrer Kommilitonen, wirkt sie sehr natürlich. Wie das Mädchen von nebenan. Wehrt Julia sich mit dem unauffälligen Styling gegen den selbstoptimierten Individualismus? „Bis vor kurzem hatte ich rosa Haare. Das wirkt wie ein Erkennungszeichen“, sagt Julia.
Besonders in kreativen Berufen gehöre
das Auftreten der Künstler und Designer wie ein erweitertes Coporate Design zu ihren Werken dazu. „Mit bunten Haaren hebst du dich von der Masse hervor. In der Bank hätte ich es nie gemacht, allein um dem Lästern der Kollegen zu entgehen“, sagt sie.

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Die Arbeit von Julia Schneider ist auch bei der Ausstellung „München – Am Rand“ im Feierwerk Farbenladen, Hansastraße 31, zu sehen. Geöffnet an allen Wochenenden im März, samstags 16 bis 22 Uhr, sonntags 16 bis 20 Uhr. Eintritt frei.

Von: Stefanie Witterauf

Fotos: Julia Schneider und privat

Fragen über Fragen – Julia Schneider

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“Mut zum Zufall bringt Leben in ein
Shooting“ – sagt Fotografin Julia Schneider, eine der 20
Mitwirkenden unserer “10 im Quadrat”-Ausstellung im Farbenladen. Wir
haben ihr ein paar Fragen gestellt.

Worum geht es bei deinem Konzept? / Wie bist du darauf
gekommen?

„DAS IKONORONISCHE
PORTRAIT“
Fotografiert wurden Personen, die alle eines gemeinsam
haben: Ein starkes Bewusstsein für die eigene Präsenz auf Bühnen – ob als
Schauspieler, Musiker oder Lyriker. In dieser Bildserie versuche ich, die oftmals
ikonografische Darstellung von Künstlern zu konterkarieren, indem ein eher ernsthafter
Gesichtsausdruck durch die bewusste Platzierung einer Nudel im Gesicht
ironisiert wird. Dadurch soll die Trennung zwischen Bühnenperson und Privatperson
durchbrochen werden. Der Künstler wird so ein Stück weit nahbarer gemacht. Die
ernsthaften Portraits mit schwerer, dunkler Bildsprache werden um eine
ironische Ebene ergänzt. Ein Kampf um die Präsenz wird entfacht. Gelingt es dem
Künstler sich gegen die deplatzierte Nudel durchzusetzen oder lässt er sich die
Aufmerksamkeit von ihr abringen?

Wie war es, so viele unterschiedliche Leute für eine
Bild-Serie zu fotografieren?

Vor allem sehr lustig. Es hat Spaß gemacht, den Künstlern
die Nudel ins Gesicht zu werfen. Erstaunlich war, dass sich jeder der Künstler
schneller als erwartet in das Konzept hineinversetzten konnte und alles dafür
gegeben hat, der Nudel ihre Präsenz streitig zu machen.

Welche Begegnung hat dich am meisten beschäftigt?
Die mit der Nudel. Und generell mit jedem Einzelnen, denn
es macht Spaß, unter Künstlern zusammenzuarbeiten.

War es schwieriger, z.B. einen Schauspieler/Musiker zu
fotografieren (also selbst “Künstler”), als professionelle Models? Wenn
ja, inwiefern?

Für diese Bildserie war es sogar wesentlich einfacher, mit
Künstlern zusammenzuarbeiten, da sie im Gegensatz zu professionellen Models
nicht den Anspruch haben, in erster Linie „vorteilhaft“ auszusehen. Mut zur
Hässlichkeit und Mut zum Zufall bringt meiner Meinung nach Leben in ein
Shooting, da dadurch spontane und besondere Momente entstehen können. Einige
Künstler sagten mir, dass es ihnen seltsamerweise leichter gefallen ist, mit der Nudel im Gesicht zu „performen“, da die ironische
Ebene wie ein Freifahrtsticket wirkt für wildes Ausprobieren. Die
Erwartungshaltung wird von vorn herein heruntergeschraubt.

Bist Du auch mal an deine Grenzen gestoßen? / Musstest du deine Vorstellung/ dein Konzept über den Haufen werfen, weil es schlichtweg nicht ausführbar
war?

Nein.

Nimmst du die Szene dieser Stadt nach dem Projekt anders
war? Braucht es mehr Vernetzung?

Nein. Ich finde München ist eine großartige Stadt und
halte es sogar hier in dieser Stadt für wesentlich einfacher, sich zu vernetzen
als anderswo. München ist nun mal ein Dorf. Vielleicht muss man hier mehr seine
persönlichen Ecken suchen als anderswo, aber der Vorteil ist, dass man hier
noch auffällt, wenn man etwas Anderes macht (im Gegensatz zu Berlin, wo jeder
angestrengt ganz anders sein will, sodass
doch wieder jeder gleich ist – nur eben angestrengt dabei).

Foto: Julia Schneider