Hipster in Uniform

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Für ihre gesellschaftskritische Abschlussarbeit “Der uniformierte Individualismus” porträtiert die Fotografin Julia Schneider Menschen im gleichen Outfit: Ein schlichtes Hemd, darüber ein greller gelber Strickpullover und Julias alte Brille.

Eva zieht den gelben Strickpullover über ihren Kopf und setzt das rechteckige Brillengestell auf die Nase. Die Gläser lassen das Fotostudio mit den roten Backsteinen verschwimmen. Julia Schneider drückt auf den Auslöser ihrer Kamera. Dreimal blitzt es, dann ist das Spektakel schon vorbei. Der Nächste bitte.

Für die Abschlussarbeit ihres Fotodesignstudiums an der Hochschule München porträtiert Julia Menschen im gleichen Outfit. Ein schlichtes Hemd, darüber ein greller gelber Strickpullover und ihre alte Brille. Mit ihrem Projekt „Der uniformierte Individualismus“ möchte die junge Frau einen Widerspruch aufgreifen, der ihr auch in ihrem Studiengang auffällt. „Obwohl die meisten Fotodesignstudenten ihre Kreativität auch äußerlich zeigen möchten, sehen sie alle gleich aus. Nur das Motiv auf der selbstbedruckten Jutetasche unterscheidet sich“, sagt Julia und lacht über ihre überspitzte Darstellung.
 Sie zeigt die Fotoaufnahmen von den vergangen drei Wochen. Alle starren mit einem leeren und kraftlosen Blick vor sich hin. Der Mund ist leicht geöffnet. Ein großer Teil der Augen wird durch die klobige Brille verdeckt. Blond oder brünett, jung oder alt, mit Bart oder ohne. Die Unterschiede lösen sich auf und werden zu einem Gemisch aus gelbem Pullover und erschöpftem Gesichtsausdruck.

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Viele junge Menschen wollen ihr Image selbst bestimmen, aber sich gleichzeitig gesellschaftlich zugehörig fühlen. Dieses Phänomen ist besonders in einer Großstadt wie München von Bedeutung. Jeder versucht sich von der Masse abzuheben, aber nicht so sehr, dass er ausgeschlossen wird. „In unserer Gesellschaft ist fehlende Anerkennung ein großes Problem. Es ist die Voraussetzung, um Selbstbewusstsein zu entwickeln“, sagt Andreas Belwe, Dozent an der TU München. „Der Kampf um Anerkennung fängt mit der Geburt an. Ein Kind ist angewiesen auf die Aufmerksamkeit und emotionale Zuwendung der Eltern, aber auch später, wenn der Mensch erwachsen ist, braucht er immer wieder jemanden, der seine Eigenschaften und Fähigkeiten bestätigt“, sagt der Experte. „Der Mensch wird in eine Gesellschaft hineingeboren, aus der er sich erst zum Individuum herausdifferenzieren muss. Nur wenn er sich seiner selbst bewusst geworden ist, kann er Teil dieser Gesellschaft werden und sie aktiv mitgestalten. Dann kann er beides sein: Individuum und Teil eines größeren Ganzen“, sagt Belwe. 

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Julias Biografie ist durchzogen von Veränderungen und der Suche nach sich selbst. Nach der Schule entschied sich die Wahlmünchnerin für eine Lehre zur Bankkauffrau, doch das angepasste Leben in der Filiale lehnte sie ab. Danach ließ sie sich zur Eventkauffrau ausbilden, doch auch diese Tätigkeit füllte sie nicht aus. Nach zwei abgeschlossenen Ausbildungen fängt sie auf der Hochschule München an, Fotodesign zu studieren. Und ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen.

Um ihr Studium zu finanzieren, hat die Fotodesignstudentin in einem Geschäft in der Maximilianstraße als Türöffnerin gearbeitet. An einem regnerischen Tag, als die Kunden mit den gleichen Mänteln, Schirmen und Gummistiefeln in das Geschäft gehuscht sind, kommt ihr die Idee für ihre konzeptionelle Porträtstrecke. In ihren Fotografien findet sich oft ein ironisches Detail. „Ich war erstaunt, dass sich nicht nur meine Freunde, sondern auch Fremde so unvorteilhaft fotografieren ließen. Die Aufnahmen sind nicht ästhetisch. Der Blick erschöpft, kraftlos, sogar fast dümmlich. Die meisten haben ihr Fotogesicht und lächeln, drehen sich in einen bestimmten Winkel, wenn eine Kamera auf sie gerichtet ist“, sagt Julia. „Vielleicht würden sich einige für so ein Foto von sich schämen. Aber bei zweihundert Porträts schämt sich keiner mehr“, sagt die Fotodesignstudentin. 

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Julia trägt eine schlichte schwarze Jeans und trägt ihre blonden Haare schulterlang. Verglichen zu der Schilderung ihrer Kommilitonen, wirkt sie sehr natürlich. Wie das Mädchen von nebenan. Wehrt Julia sich mit dem unauffälligen Styling gegen den selbstoptimierten Individualismus? „Bis vor kurzem hatte ich rosa Haare. Das wirkt wie ein Erkennungszeichen“, sagt Julia.
Besonders in kreativen Berufen gehöre
das Auftreten der Künstler und Designer wie ein erweitertes Coporate Design zu ihren Werken dazu. „Mit bunten Haaren hebst du dich von der Masse hervor. In der Bank hätte ich es nie gemacht, allein um dem Lästern der Kollegen zu entgehen“, sagt sie.

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Die Arbeit von Julia Schneider ist auch bei der Ausstellung „München – Am Rand“ im Feierwerk Farbenladen, Hansastraße 31, zu sehen. Geöffnet an allen Wochenenden im März, samstags 16 bis 22 Uhr, sonntags 16 bis 20 Uhr. Eintritt frei.

Von: Stefanie Witterauf

Fotos: Julia Schneider und privat