Schusswechsel mit Superman

Wenn Superman hilft: Die Initiative “Wolkenschlösser” will jungen Flüchtlingen Deutsch beibringen – gelernt wird die Sprache aber nicht im Klassenzimmer, sondern in einem Comicworkshop.

Krieg im Irak: Die Panzer rollen, schießen auf
Häuser und ihre Bewohner. Eine Mutter zerrt ihr Kind hinter sich her,
verwundete Menschen winden sich am Boden. Es ist nur eine Skizze, die in einem
der Workshops von Amélie Planck, 27, Sebastian Huber, 28, und Bryan Banker, 37,
(Foto: Matthias Starte)
entsteht. Junge Flüchtlinge und Einwanderer malen und beschreiben hier ihre
eigenen Comics. Die Themen geben die drei zwar nicht vor, doch häufig
verarbeiten die Teilnehmer ihre ganz persönlichen Erfahrungen, die Bilder
erzählen von Gewalt, Verfolgung und Terror. Mit den Comics wollen Amélie, Bryan
und Sebastian die Flüchtlinge zum kreativen Schreiben und Zeichnen animieren.
Dadurch sollen sie spielerisch Deutsch lernen und sich besser in ihrer neuen
Heimat zurechtfinden.

Im Mittelpunkt des Projekts stehen Geschichten – die
sogenannten Wolkenschlösser. Ob fiktiv oder wahr, das bleibt jedem selbst
überlassen. „Zusammen wollen wir Wolkenschlösser bauen, sie verformen, wieder
abreißen, anders aufbauen, begutachten, manchmal auch zusammen darin wohnen“,
beschreiben die „Wolkenbauer“ ihr Konzept träumerisch. Genau darauf baut das
Projekt: bewusst unrealistische, optimistische und naive Ziele zu formulieren.

„Wir können keine Trauma-Arbeit leisten“, sagt
Sebastian, der Gründer von Wolkenschlösser. „Aber mit den Geschichten können
wir den Jugendlichen eine Orientierung geben. Sie sollen ihre Erfahrungen
umwandeln in etwas, auf das sie stolz sind.“

Amélie, Bryan und Sebastian bringen bereits
Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit mit, jeder auf seine eigene Weise: In dem
Projekt fließen dadurch ein praktischer, ein pädagogischer und ein
literarischer Ansatz zusammen. Während Bryan Flüchtlingen in den USA Englisch
beigebracht und sie in rechtlichen Fragen beraten hat, begleitet Amélie
minderjährige Flüchtlinge, die ohne Familie nach Deutschland kommen. Außerdem
macht sie ihren Master in Pädagogik. Sebastian hat in Literaturwissenschaft
promoviert, die Sprache und das Erzählen sind seine Leidenschaft. Seit vergangenem
Jahr unterrichtet er Englisch an der Schlau-Schule, einer Einrichtung für
minderjährige Flüchtlinge in München.

Im Comic-Workshop sollen sich die 15 Teilnehmer als
Superhelden mit außergewöhnlichen Fähigkeiten malen. Oft holt die Flüchtlinge
ihre Vergangenheit ein. „Der eine konnte fliegen, um seine Familie nach
Deutschland zu holen“, erzählt Sebastian. „Ein anderer wollte besonders stark
sein und im Krieg helfen.“ In der Zeichnung einer jungen Irakerin hat die
Superheldin die Fähigkeit, die Panzer zu verzaubern und kampfunfähig zu machen.
Am Ende ihres Comics hält die Retterin einen Mann und eine Frau an der Hand,
sie lächeln. Am Rand die Notiz: „Und jetzt sind alle Leute glücklich und lachen
auch“.

Ein professioneller Comic-Autor hilft den
Flüchtlingen beim Schreiben der Texte: John Figueroa. Er hat sich in einem
Artikel mit der Frage beschäftigt, ob die Kultfigur Superman, wenn es nach den
Maßstäben mancher Hardliner ginge, aus den USA abgeschoben werden müsste.
Superman, geboren auf dem Planeten Krypton und dann in einer Rakete zur Erde
geschossen, habe gar kein Aufenthaltsrecht in den Vereinigten Staaten, so
Figueroas ironische These. Der US-Amerikaner lebt in München. Völlig legal, wie
er in seinem Text betont. Von Deutschland aus schreibt Figueroa für einen der
größten Comicverlage der Welt, Marvel Comics in New York.

„Das Erste,
mit dem Flüchtlinge in Deutschland konfrontiert werden, sind Gesetzestexte,
Beamtendeutsch, Formulare und Behördengänge“, sagt Sebastian. „In den kreativen
Workshops sollen sie einen anderen Zugang zur deutschen Sprache und Kultur
bekommen.“ Den Flüchtlingen die schöne Seite der Sprache vermitteln, das ist
das Ziel des Projekts. Wolkenschlösser schwimmt damit gegen den Strom: Die drei
Gründer begreifen die Flüchtlinge nicht als ökonomischen Faktor, vielmehr steht
bei ihnen ihr kreatives Potenzial im Mittelpunkt. „Erzählen statt Zahlen“, so
drückt es Sebastian aus. An den meisten Sprachkursen kritisiert er, dass die
Teilnehmer passiv im Unterricht säßen und Vokabeln auswendig lernen müssten,
ohne einen emotionalen Bezug zu ihnen aufzubauen.

Aparna Bhar, Deutschlehrerin an der Schlau-Schule,
ist angetan von der Idee der Wolkenschlösser. In ihren Sprachunterricht könne
sie das Konzept trotzdem selten übertragen: „Wir haben inhaltliche Vorgaben und
müssen bestimmte Situationen der alltäglichen Kommunikation abdecken“, erklärt
Bhar. Das sind zum Beispiel Gespräche bei Behörden, beim Arzt oder mit den
Nachbarn. „Weil die Schüler einen unterschiedlichen Bildungshintergrund haben,
reicht die Zeit schon dafür kaum aus. Und die meisten wollen so schnell wie
möglich Deutsch lernen.“

Fragt man Sebastian, was ihn bei seinem Projekt
antreibt, überlegt er lange. Er, der den Flüchtlingen eine Stimme geben möchte,
sucht in diesem Moment nach den richtigen Worten. „Ich wollte helfen und habe
überlegt, was ich zu bieten habe“, erklärt der junge Mann schließlich. Er
kneift die Augen hinter der schwarzen Hornbrille zusammen. Am Ende sei das die
Liebe zur Literatur, zur Sprache und zum Erzählen gewesen. Diese Liebe möchte
er teilen. Mit Efstratia zum Beispiel, einer Migrantin aus Griechenland. Ihr
habe der Comic-Workshop sehr gut gefallen, sagt sie. „Man kann die nicht so
schöne Realität verlassen und sich in eine andere Welt hineinversetzen, wo man
besondere Kräfte und Geheimnisse hat. Ich liebe diese Welt der Imagination.“

Für die Comic-Workshops müssen die Teilnehmer noch
relativ wenige Sprachkenntnisse mitbringen. Sebastians Pläne gehen aber weiter:
Im Laufe des Jahres will er seinen Schützlingen beibringen, Kochrezepte,
Gedichte, Sagen und Märchen zu schreiben. „Die Jugendlichen sollen gemeinsam
etwas schaffen, um so ihr Selbstbewusstsein zu stärken“, sagt Sebastian. Ein
Buch zum Beispiel, in dem er am Ende alle Texte und Bilder sammelt. Ein
hochgestecktes Ziel? Vielleicht. Aber manchmal werden Träume wahr. 

Jenny Stern

Neue Wege

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Mit offenen Augen durch die Stadt: Anna Blumenkranz bringt das Kunstprojekt „100 Word Pilgrimage“ von London nach München. Versteckte, besondere Plätze der Stadt werden von den Künstlern vorgestellt und kreativ dargestellt.

Drei rote Londoner Telefonhäuschen leuchten auf dem Bildschirm ihres Smartphones. Anna Blumenkranz, 26, (Foto: privat) ist angetan von der Stadt und ihren Menschen. Während eines Auslandsstudiums hat sie gelernt: Je schneller man von den bekannten, touristischen Wegen abkommt und seine geheimen Lieblingsplätze entdeckt, desto heimischer fühlt man sich in der Fremde. „Die Leute sollen mit offenen Augen durch die Stadt gehen und sich auf eine neue Art und Weise bestimmten Plätzen annähern“, sagt sie.

Nach ihrem Studium in Kunst und Multimedia an der LMU München
ging Anna für eineinhalb Jahre nach England, um dort ihren Masterabschluss zu
machen. Diese Zeit hat sie und ihre Kunst sehr geprägt. Durch Zufall lernte sie
dort das Londoner Künstlerkollektiv Beddow ’n’ Battini kennen – und dadurch die
geheimen, besonderen Orte der Stadt. Diese Gruppe hat in London die
Ausstellungsreihe „100 Word Pilgrimage“ initiiert – dieses Konzept hat Anna
Blumenkranz nun nach München gebracht und eine eigene Ausstellung organisiert.

Die Idee ist folgende: Zunächst notieren verschiedene Autoren ihre
Eindrücke von ausgewählten, für sie besonderen Orten in der Stadt. Dafür dürfen
sie nur 100 Worte verwenden. Die entstandenen Texte inspirieren daraufhin
Künstler, die den Ort bildlich darstellen sollen – so entstehen Malereien, Collagen
und Zeichnungen. Zum Schluss erwecken Trickfilmzeichner die Bilder und Texte zu
bewegten Animationen. Die kann der Besucher in der Ausstellung mit einer App
sogar auf seinem Smartphone oder Tablet abspielen. Die Besucher bekommen am
Ende einen Stadtplan mit allen geheimen Orten und können diese selbst abgehen.

Die Tour wird die Münchner Besucher vom 8. bis 12. Mai zu den
Eisbach-Surfern, zur Reichenbachbrücke und zur Feldherrnhalle führen. In den
Werken werden aber besondere, meist unentdeckte Details hervorgehoben oder der
Ort in einen anderen Kontext gestellt. Sandra Singh setzt sich am Odeonsplatz
zum Beispiel mit einer kleinen Absenkung im Bürgersteig auseinander. „Viele
Radfahrer im Sommer nehmen diese Abkürzung, obwohl es verboten ist“, erklärt Anna.
Oder Daniel Bacarreza. Er lässt einen Surfer in einer Tasse Kaffee, und nicht
in der Isar reiten.

Bei allen drei bisherigen Ausstellungen des Londoner
Künstlerkollektivs hat Anna sowohl als Organisatorin als auch als Künstlerin
mitgewirkt. Auf einem ihrer Bilder hat sie sich mit dem Stadtteil Rotherhithe
im Süden Londons auseinandergesetzt, hier lebte sie während ihres Aufenthalts.
Auch wenn sie bereits am zweiten Tag ausgeraubt wurde, fühlte sich Anna in
London wohl. „Durch das Projekt habe ich viel über die Geschichte des Viertels
gelernt“, sagt sie. Das Bild ist düster und zeigt eine Person, die mit den
Händen einen Fluss wie ein Stück Stoff festhält und nach oben hebt: der
Rotherhithe-Tunnel. Er wurde Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet und verläuft
unter der Themse, heute ist dort eine stark befahrene Straße.

Die Ausstellung in München hat Anna aber nicht nur organisiert, um
auf versteckte Plätze aufmerksam zu machen. Sie wollte ebenso verschiedene
Künstler zusammenbringen, als Gruppe arbeiten lassen. „Ich brauche andere
Menschen, um kreativ zu sein“, sagt sie. „Der Austausch mit anderen inspiriert
mich.“ Zwischen der Londoner und Münchner Kulturszene will sie einen großen
Unterschied erkannt haben: Während in London eine offene Atmosphäre herrsche
und es viele partnerschaftliche Kunstprojekte gebe, würden Münchner Künstler
meist alleine arbeiten und sehr auf die eigene Person konzentriert sein. Dem
wollte Anna entgegenwirken, sie suchte 18 Münchner Künstler für das gemeinsame
Projekt.

Sehr bedrohlich und surreal wirkt Annas Bild für die aktuelle
Ausstellung: Zu sehen ist ein menschenähnliches Wesen mit tiefschwarzen
Augenhöhlen und dünnen Lippen, der Blick ist nach unten gerichtet. Sein Kopf
ist oben nicht geschlossen, sondern weitet sich zu angedeuteten Beckenknochen
aus. Daraus steigt eine Kugel, die beschriftet ist. Kurze Sätze wie „Wo ist die
versprochene Hülle“ oder einzelne Worte sind zu lesen. „Das ist die Plazenta“,
erklärt Anna. „Ich möchte die kreative Geburt darstellen.“ Die Auswahl des Themas
hat einen Grund: Anna ist im siebten Monat schwanger. Das Bild spielt auf den
Kriechbaumhof an, eine alte hölzerne Herberge im Stadtteil Haidhausen. Annas
Geburtsvorbereitungskurs findet hier statt. So fließen die persönlichen
Erfahrungen und Eindrücke der Künstler in die Werke ein und werden an den
nächsten weitergegeben. Die Animation zu Annas Bild erstellt sie aber selbst.
„Die ist noch nicht fertig“, sagt sie. „Aber ich möchte die Buchstaben und
Sätze zum Leben erwecken und auf Details im Hintergrund aufmerksam machen,
indem sie immer größer werden.“

Seit rund einem Jahr arbeitet Anna als selbständige
Medienkünstlerin und –pädagogin. Die gebürtige Ukrainerin unterrichtet in ihrem
alten Studienfach an der LMU. Außerdem gibt sie Kunst-Workshops für Kinder und
Erwachsene. Zum Beispiel im elektrischen Nähen, einer weiteren Idee, die sie
aus England mitgebracht hat. Genäht wird hier mit einem Faden, der mit Metall
vermischt ist und somit Strom leitet. Anna bringt den Kindern bei, Stromkreise
zu nähen und dadurch zum Beispiel Kuscheltieraugen aus LED-Lampen zum Leuchten
zu bringen.

An der Münchner Ausstellung arbeiten auch die Künstler aus England
mit. Vor zwei Wochen besuchten einige von ihnen die bayerische Landeshauptstadt
und setzten sich künstlerisch mit den versteckten Orten auseinander, erstellten
Texte, Bilder und Animationen wie ihre deutschen Kollegen. Einen touristischen
Anziehungspunkt konnten die Londoner Gäste nach getaner Arbeit dennoch nicht
umgehen: das Münchner Hofbräuhaus.
  
Weitere Informationen unter www.platform-muenchen.de.

Jenny Stern

Aufgeschlossen

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14 junge Fotografen blicken auf Einladung der Junge-Leute-Seite der SZ hinter die Fassaden der Stadt – vor allem jedoch hinter die Fassaden der Menschen, die hier leben. Die Bilder sind im Mai im Farbenladen des Feierwerks zu sehen.

München lebt: in stuckbesetzten Altbauwohnungen, überteuerten Apartments, heruntergekommenen WGs. Doch wie genau? In der Ausstellung „Aufgeschlossen“ im Farbenladen des Feierwerks, organisiert von der Junge-Leute-Seite der SZ, wagen junge Fotografen einen Blick durchs Schlüsselloch: hinter die Fassaden der Stadt – vor allem jedoch hinter die Fassaden der Menschen, die hier leben (Foto: Laura Zalenga). Ein Überblick:

Durch den Extremsport kam Said Burg, 25, zur Fotografie. Vor allem vom Snowboarden war der Autodidakt begeistert. Über die Jahre baute er seinen Stil um Reportage- und Porträtfotografie aus. Damit setzt er sich noch heute hauptsächlich auseinander. Die Bilderserie für „Aufgeschlossen“ entstand in der Wohnung von zwei Freunden. Said möchte einerseits die jeweiligen Rückzugsorte der beiden Bewohner zeigen, andererseits die Küche als gemeinsamen Schnittpunkt.

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Lorraine Hellwig, 21, ist mit ihrer Fotoreihe den Leidenschaften junger Münchner auf die Spur gegangen: Wie sehen die Träume und Erinnerungen aus, die sie in ihren Wohnungen aufbewahren? Wie drücken sie sich dort kreativ aus? Mit wem wohnen sie zusammen und was macht ihr gemeinsames Wohnen einzigartig? Lorraine studiert im zweiten Semester Fotodesign an der Hochschule München. Mit ihren Bildern möchte sie Geschichten erzählen, sagt sie, die Menschen so darstellen, wie sie sind.

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Die Demonstrationen am Taksim-Platz in der Türkei oder die Debatte zur dritten Startbahn am Münchner Flughafen: Der Stil von Stefan Loeber, 25, wird beeinflusst von
gesellschaftlichen Themen und persönlichen Erfahrungen wie Gesprächen und
Begegnungen. Stefan studiert Fotodesign an der Hochschule München. Seine
Schwerpunkte sind die Porträtfotografie sowie bildjournalistische Arbeiten.
„Dank der Fotografie gehe ich mit wachen Augen durch die Welt“, sagt er. „Dabei
versuche ich, neue Blickwinkel aufzuzeigen und Dinge zum Vorschein zu bringen,
die sonst vielleicht im Verborgenen bleiben.“ Für das Projekt „Aufgeschlossen“
fotografiert er ein alternatives Wohnprojekt und zeigt einen Menschen, der sich
bewusst für eine andere Form des Zusammenlebens entschieden hat. Der
Porträtierte lebt in einem umgebauten Bus.

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Eine Katze als Symbol der Einsamkeit: Michael
Strahl
, 24, möchte bei der Ausstellung eine kalte und einsame
Seite hinter der Fassade zeigen. „Ich habe schon immer einen Drang zur Dramatik
gehabt“, sagt er. „Ich bringe die Leute lieber zum Weinen als zum Lachen.“
Gleich nach dem Abitur machte sich der Künstler im Bereich Film und Fotografie
selbständig. Seinen Stil kann man als minimalistisch beschreiben. Seine Bilder
kommen ohne große Inszenierung aus.

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Ann-Sophie Wanninger,
26, wollte schon seit Langem eine Porträtreihe ihrer Münchner Freunde in ihren
Wohnungen machen. Sie interessiert es, wie die Bewohner ihren Wohnraum
gestalten, um sich wohlzufühlen. „Es war mir sehr wichtig, den Menschen ins
besondere Licht zu rücken und ihn trotzdem als selbstverständlichen Teil des
Interieurs darzustellen“, sagt sie. Ann-Sophie liebt die Inszenierung. Für die
Abschlussarbeit ihres Fotodesign-Studiums, einem Buch mit dem Titel „When I
grow up“, fotografierte sie fünf unterschiedliche Modestrecken. Von einer
Essensschlacht mit Spaghetti bis zu einem Shooting auf dem Parkhausdach war
alles dabei.

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Eigentlich studiert Christopher Klaus, 23, Medieninformatik im vierten Semester. Er lebt seit drei Jahren in München und konnte vor Kurzem bei seiner ersten Fotoausstellung seine Eindrücke von der Stadt und seinen Bewohnern zeigen. Christophers Lieblingsmotive sind Handwerker, „also Menschen, die Dinge mit ihren Händen bearbeiten, fassen und formen und damit ihrer Welt Ausdruck verleihen“, erklärt er. Seine Ausstellungsbilder stellen drei Leben hinter Münchner Mauern vor: zwei Gefangene in der JVA Stadelheim und einen in der Forensik der Psychiatrie in Haar.

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Im Mittelpunkt der Werke von Simon Mayr, 21, steht der Mensch: Schon als Kind fotografierte er mit einer Analogkamera vorwiegend Familienmitglieder. Simon studiert Fotodesign an der Hochschule München und träumt von einem eigenen Fotostudio. Für „Aufgeschlossen“ fotografiert er Freunde in ihrer Wohnung: zunächst den gesamten Raum und dann aus der Perspektive jeder einzelnen Person. Die Situation soll dabei aber nicht verändert werden.

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David Beger, 28, möchte in seiner Fotoserie austesten, wie viel Raum ein Mensch braucht. Dafür hat er sich mit einer Tänzerin in einer Wohnung getroffen und ausprobiert, Körper, Raum und Perspektive ins Gleichgewicht zu bringen. Seine erste Kamera hat David mit fünf Jahren von seiner Oma bekommen. Es entstanden erste Porträts, meist fehlten aber die Köpfe. Noch heute fotografiert er am liebsten Menschen, inzwischen mit Köpfen. Nach dem Fotodesign-Studium an der Hochschule München machte er sich selbständig.

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Daumen hoch, fast 150 000 Mal. Alleine auf Facebook sind so viele Fans von Laura Zalenga, 24, und ihren Bildern begeistert. Die Architekturstudentin begann mit dem Fotografieren, als sie eine alte Kiste mit analogen Porträtfotografien ihres Vaters auf dem Dachboden entdeckte. Heute arbeitet sie zum großen Teil digital und hat sich auf konzeptuelle Porträts spezialisiert. Obwohl Laura ständig Lob und Anfragen von fremden Begeisterten erhält, möchte sie noch sehr viel in Sachen Fotografie lernen. Im Farbenladen präsentiert die Fotografin ehrliche Selbstporträts in Momenten der Ruhe. Für sie ist der Wohnraum immer auch Rückzugsort.

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Kreative Chaoten, Künstler und Normalos: Darauf hat sich Julia Thalhofer, 26, für ihre Ausstellungsbilder konzentriert. „Jeder junge Mensch hat so einiges an komischen Stillleben in seiner Wohnung herumstehen“, sagt sie. An diese besonderen stillen Orte hat sich die Fotodesign-Studentin herangewagt. Meist hält Julia besondere Menschen und Momente, die sich ihr ins Auge brennen, mit der Analogkamera fest. Die digitale Fotografie nutzt sie hauptsächlich, um zu experimentieren. Ihre fotografische Sicht ist von Malern wie Franz Marc, Wassily Kandinsky und Henri Matisse geprägt. 

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Seit zwei Monaten wohnt Georg Raab, 26, in einer WG mit sechs weiteren Mitbewohnern. Anfangs kannte er niemanden von ihnen. Mit der Kamera als stillen Beobachter hat er das alltägliche Leben in der Wohnung begleitet. „Die Fotos zeigen meinen Blick auf eigentlich fremde Menschen, die gerade beginnen Freunde zu werden“, sagt Georg. Er studiert Fotografie an der Akademie der Bildenden Künste in München.

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Käthe deKoe, 29, wohnt in einem Hochhaus mit 15 Stockwerken, die meisten Wohnungen sind Einzelapartments. Ihre Nachbarn sieht sie höchstens im Aufzug. „Da wird man natürlich neugierig und möchte erfahren, wie diese Menschen leben“, sagt sie. Die Bewohner zeigt sie als Geist in ihren Wohnungen: Denn auch, wenn sie nicht zu Hause sind, sei immer ein Teil von ihnen anwesend. Käthe ist vor allem als Konzertfotografin in München unterwegs.

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Ein Leben voller Musik und Geist und immer weniger Licht: So beschreibt Franziska Schrödinger, 23, ihr Konzept. Für die Ausstellung hat sie einen Menschen herausgegriffen, eine Wohnung unter vielen Tausenden, wie sie sagt. Die Fotodesign-Studentin ist freiberuflich als Fotografin und Fotoassistentin tätig. Mit der Kamera taucht sie gerne in andere Lebenswelten ein und hat sich auf Porträts spezialisiert: „Mich begeistert die Darstellung von Menschen“, sagt sie.

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Vergänglichkeit ist das Thema von Max Hofstetter, 22. Das Einzige, was bleibt, sind die Geschichten hinter den Dingen – und hinter den Protagonisten. Am liebsten fotografiert er Menschen, sowohl im Reportagestil als auch im Porträt. „Mich faszinieren ehrliche Momente zwischen Menschen“, sagt er. Nach mehreren Praktika machte er eine Ausbildung zum Mediengestalter beim Bayerischen Rundfunk. Heute arbeitet er als freier Fotograf und Videojournalist.

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(Fotos: privat)

PROGRAMM:

Die Ausstellung „Aufgeschlossen“ ist im Mai an den Wochenenden im Farbenladen des Feierwerks, Hansastraße 31, zu sehen. Vernissage ist am Samstag, 3. Mai, von 19 Uhr an. Samstags ist die Galerie von 16 bis 22 Uhr geöffnet, sonntags von 16 bis 20 Uhr, der Eintritt ist frei. Hier das weitere Programm:

Samstag, 3. Mai
Vernissage und Speed Painting mit Zarah Abraham
Musik: Oda & Sebastian

Sonntag, 4. Mai
Ein Blick in den WG-Wahnsinn
Das Münchner Kabarett-Duo Beier & Hang präsentiert Musik und Unfug über Liebeskummer, dreckiges Geschirr, einen leergefressenen Kühlschrank und ungeladene Gäste.
Musik: Amélie Haidt

Samstag, 10. Mai
Saiten und Streifen
Münchner Filmemacher zeigen ihre Werke: von Doku über Musikvideos bis zum Kurzspielfilm – mit Filmen von Eva Merz, Ferdinand Feldmann, Annelie Boros und anderen.
Musik: The King of Cons

Sonntag, 11. Mai
Dichtungsring
Kurz und dicht: Lyrik von und mit Roman Schmid, Jan Struckmeier, Matthias Dietrich.
Musik: Jules

Samstag, 17. Mai
Türk-Pop und Tiefsinn
Ein Abend von Kafkas Orient Bazaar – mit Songs aus dem neuen Album „Tief dort unten“ und Lesung aus dem dazugehörigen Kurzgeschichtenband.

Sonntag, 18. Mai
Von Zauberzungen und Wortmagiern
Es slammen die Poetry-Künstler Dominik Erhard, Kaleb Erdmann und andere – unterstützt werden sie von Beatboxer Rammon.
Musik: Nick And The Roundabouts

Samstag, 24. Mai
Weiß-blaue Geschichten
Prosalesung mit Sophia Lindsey, Ronya Othmann, Natalie Wübbolt, Johannes Weishaupt und anderen.
Musik: Lucie Mackert

Sonntag, 25. Mai
Sex und Sonntagsbraten
Die SZ-Autorinnen Lisi Wasmer und Susanne Krause lesen aus ihren Kolumnen „Beziehungsweise“ und „Bei Krause zu Hause“.
Musik: Gabriel Miller Philipps

Jenny Stern

Electro aus der Hutschachtel

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In seinem Unternehmen verbindet Lukas Linner seine beiden Leidenschaften: Geschichte und Musik. Auf dem Flohmarkt kauft er historische Kisten und Koffer – in seiner Werkstatt verwandelt er sie in Soundsysteme.

Behutsam öffnet Lukas Linner (Foto: Monika Reitthaler) die hölzerne Truhe aus dem Zweiten Weltkrieg. Im Deckel kleben die Reste einer Gebrauchsanleitung in altdeutscher Schrift. Sie erklärt, wie der Benutzer die Gasmasken anzubringen hat. Im Innern der Truhe stößt man aber auf keine Gasmasken, sondern eingebaute Lautsprecher.
Elektronische Musik dröhnt daraus, der Bass lässt den Boden vibrieren. „Das ist
mein massivstes Stück“, sagt Lukas. Der 23-Jährige kauft alte Gegenstände vom
Flohmarkt oder Antikhändler und baut sie zu Soundsystemen um. Die
Gasmaskentruhe ist mit verschiedenen Lautsprechern, einem Verstärker und Akku
ausgestattet. Beliebig können Handys, Laptops oder MP3-Player angeschlossen und
Lieder abgespielt werden.

Mit seinem Ein-Mann-Unternehmen, das er Re-designed nennt,
verbindet Lukas seine beiden Leidenschaften: Geschichte und Musik. „Bei uns in
der WG sieht es aus wie im Museum“, sagt er. Lukas übertreibt nicht:
Kontrabässe, Gitarren, unzählige Truhen, Schachteln und Koffer häufen sich in
der Schwabinger Wohnung, in der er mit seiner Freundin und einer weiteren
Mitbewohnerin lebt. Zu fast jedem Gegenstand kann Lukas die passende Geschichte
erzählen. Von der Reisetruhe zum Beispiel, die noch aus Titanic-Zeiten stammen
soll. Oder der Gitarre eines ukrainischen Gitarrenbauers aus Odessa, er schätzt
ihr Alter auf mehr als 150 Jahre. „Ich möchte nutzlos scheinenden Dingen neues
Leben einhauchen, ihnen wieder einen Sinn geben“, sagt er.

Lukas trägt ein tief ausgeschnittenes Shirt und Jeans-Hemd,
die kurzen blonden Haare sind zur Seite gestylt. Bei gutem Wetter verbringt er
seine Wochenenden auf Flohmärkten, auch an diesem Samstag kehrt er mit voll
beladenem Auto zurück. „Eigentlich kann ich alle Dinge verwenden“, sagt er.
„Sie müssen nur alt und gebraucht sein.“ Von den Verkäufern lässt er sich über
die Geschichte seiner Neuanschaffungen aufklären, oder er recherchiert selbst.
Auch alten Akustikgitarren flößt Lukas mit Lautsprechersystemen neues Leben
ein, zusätzliche Informationen über das Instrument sucht er über die
Seriennummern im Internet.

„Ich versuche manchmal, Gegenstände an ihren Ursprungsort
zurückzuführen“, sagt er. Neulich habe er eine Gitarre von einem Flohmarkt im
bayerischen Chiemgau an ein Café in der Region verkaufen können. „Oft verliert
sich aber die Spur.“ Im Laufe der Zeit habe er ein Gefühl für Kostbares, Altes
bekommen. „Haben die Sachen Museumswert, baue ich sie nicht um.“ Lukas ist
fasziniert von dem Lebensweg, den die Gegenstände hinter sich haben. Da
verwundert es kaum, dass der 23-Jährige „nebenbei“ Geschichte studiert, wie er
sagt. „Ich mache das, weil es mich interessiert. Was ich später beruflich damit
anfange, weiß ich noch nicht.“ Bereits als Kind habe er Wert darauf gelegt,
dass Bücher auf realen Tatsachen beruhten, Fantasy-Romanen konnte er nie etwas
abgewinnen.

Einmal in der Woche fährt Lukas in die Werkstatt der
Familie in der Nähe von Landshut und baut dort seine Stücke zusammen. Er fräst,
sägt, schleift, meist die ganze Nacht. Dann setzt er die Elektroteile in
stählerne Ölkanister, Gitarren, Geigen- oder Kosmetikkoffer ein. Beigebracht
habe er sich das alles selbst, erzählt er mit seinem niederbayerischen Akzent.
„Die erste Gitarre ist noch explodiert, weil der Lautsprecher zu groß für das
dünne Holz war.“ In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat Lukas einiges
dazugelernt, „hauptsächlich durch Ausprobieren und Falschmachen“. Das technische
Wissen habe er sich angelesen oder Experten gefragt.

Für Andreas von Stosch, 21, hat Lukas eine alte Kiste vom
Flohmarkt zum Soundsystem umgebaut. Wenn Andreas unterwegs ist, hat er sie oft
dabei: „An der Isar, im Wald, auf der Straße: Ich transportiere die Anlage in
meinem Fahrradanhänger.“ Viele neidische Blicke habe er damit schon auf sich
gezogen. Andreas gefällt der Sound mehr als der von normalen Musikanlagen, wie
er sagt. Er erklärt: Da die Lautsprecher in einem eigenen Klangkörper eingebaut
sind, schwingt dieser automatisch mit. „Die Kiste selbst hört sich sehr gut an,
sie hat einen eigenen Sound“, sagt er. „Das Holz schnarrt und knarzt mit. Das
ist das Besondere.“ Andreas macht gerade eine Ausbildung zum Tontechniker. Für
seine „Schatztruhe“, wie er sie nennt, hat er knapp 200 Euro bezahlt.

Auch Lukas gibt seinen Stücken liebevoll Namen: Die
Gasmaskentruhe heißt wegen ihres massiven Sounds „Madame Bass“, eine
Hutschachtel mit Ledergürtel zum Umhängen „The Little Royal“. Lieblingsstück in
der WG von Lukas ist ein alter Kontrabass, der als Heimanlage umfunktioniert
wurde. „Davon würde ich mich nur ungern trennen“, sagt er. Auch seine erste
umgebaute Gitarre würde er nicht weggeben. Lukas hängt sehr an seinen Stücken:
„Es gibt Sachen, die wurden für den Verkauf hergestellt, aber jetzt kann ich
mich nicht mehr davon trennen.“ Erst kürzlich habe er schweren Herzens einen
Cello-Koffer an einen 73-jährigen Mann verkauft. Auf den Koffer hat Lukas
Familienfotos geklebt, die er von der Enkelin bekommen hatte.

Auf der Facebook-Seite von Re-designed hält Lukas
fotografisch die Geschichte seiner Stücke vom Erwerb über den Umbau bis zum
Verkauf fest. Der Besucher der Seite sieht den Cello-Koffer sogar in der
U-Bahn, auf dem Weg zu seinem neuen Besitzer – und schließlich in seinem neuen
Zuhause. „Wenn die Kunden die Stücke nicht wertschätzen, verzichte ich lieber
auf den Auftrag und das Geld“, sagt Lukas. Das sei bisher aber erst einmal
vorgekommen. Da musste er einen Club-Besitzer davon überzeugen, dass er dessen
Partyraum nicht mit seinen Heimanlagen ausstatten könne.

Lukas pflegt ein persönliches Verhältnis zu seinen Käufern:
„Oft schicken sie mir Fotos mit ihren Stücken.“ Besonders gerne erzählt er die
Geschichte von der Frau mit dem weißen Lederkoffer, einem Familienerbstück.
Lukas erinnert sich: „Schon als ich ihn gekauft habe, hatte ich das Gefühl,
dass sie sich nur schwer davon trennen konnte.“ Das war auf dem Flohmarkt in
Riem, Lukas hatte da bereits vier weitere Koffer unter dem Arm. Was er mit all den
Koffern vorhabe, wollte die Frau wissen. Er erzählte ihr von seinem Geschäft,
die beiden blieben in Kontakt und er schickte ihr regelmäßig Fotos von dem
Koffer aus der Werkstatt. Nach dem Umbau zur Musikanlage reiste die Frau aus
Burghausen nach München und kaufte den schicken Reisekoffer ihrer Großmutter
zurück.

Jenny Stern

Der Einfluss aus dem Irish Pub

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Unsere Band des Jahres Young Chinese Dogs ist mit ihrem Debütalbum „Farewell to Fate“ auf großer Deutschlandtournee. Zwischen Radioauftritt und Soundcheck fand Sängerin Birte Hanusrichter Zeit für ein Gespräch mit der SZ-Jugendseite. Am Samstag spielt die Band im Münchner Feierwerk.

Im vergangenen Jahr haben Nick Reitmeier, Oliver Anders Hendriksson und Birte Hanusrichter (Foto: Florian Huber) ihr erstes Album Farewell
to Fate veröffentlicht.
Dafür wurden sie bei dem Berliner Label Motor Music unter Vertrag genommen. Die
Münchner benutzen seit ihrer Gründung 2011 nur Instrumente, die sie selbst
tragen können. Mit Gitarren, Trommel, Kinderklavier, Akkordeon, Mundharmonika
und ihren Stimmen bringen sie akustischen Indie-Folk auf die Bühne. Auf der
aktuellen Tour spielen sie Klassiker wie This town is killing me, Sweet
little Lies und die
neue Single Don‘t talk about. Außerdem
kann das Publikum auf bisher unbekannte Lieder vom neuen Album gespannt sein.

SZ-Jugendseite: Ihr tourt gerade mit eurem
Album „Farewell to Fate“ durch Deutschland. Wie ist es, als Headliner und nicht
mehr als Vorband zu spielen?

Birte Hanusrichter: Man darf erst später trinken, weil man später
mit Spielen fertig ist. Und man muss früher da sein, weil man als erstes den
Soundcheck macht. Es gibt aber auch Vorteile: Man hat den größeren
Backstage-Raum und darf so lange spielen, wie man möchte.

Die Vorbereitungen für euer
zweites Album laufen. Werden eure Zuschauer schon neue Lieder hören?

Wir haben einige neue Songs geschrieben und
spielen auch schon vier davon auf der Tour. Diese Lieder werden auch auf dem
neuen Album sein.

Was ist wichtiger: die
Konzerte oder das Album?

Wir haben schon viele Songs für das neue
Album. Jetzt konzentrieren wir uns auf die Konzerte, fahren durch die Gegend
und spielen. Währenddessen feilen wir noch an den neuen Liedern, aber alles
ohne Stress.

Am Samstag spielt ihr im
Feierwerk in München, quasi ein Heimspiel. Macht das für euch einen
Unterschied?

In gewisser Weise macht es einen Unterschied,
weil wir in München angefangen haben. Natürlich haben wir da unsere ältesten
und treusten Fans, die die Texte am besten auswendig können und alles
mitsingen. In anderen Städten haben wir das auch erlebt, das hat uns sehr
gefreut. In München ist das aber noch mehr. Wir treffen dort viele Freunde und
Leute, die schon seit unserem ersten Konzert dabei sind.

Ihr macht akustischen
Indie-Folk. Bleibt ihr eurem Stil auf dem neuen Album treu?

Wir bleiben unserem Stil auf jeden Fall treu.
Sachen, die wir auf Tour erlebt haben, beeinflussen uns aber natürlich. Wir
waren zum Beispiel in Irland unterwegs. Dabei entstanden zwei neue Trinksongs,
die tatsächlich sehr stark nach Pub klingen. Wir benutzen auch dieselben
Instrumente wie immer. Ein bisschen experimenteller wird es vielleicht, aber
eigentlich haben wir es wie immer gemacht: Wir fahren rum, spielen, und das,
was uns begegnet, wird eingebaut.

Woher stammt die Idee, nur
Instrumente zu benutzen, die ihr selbst tragen könnt?

Wir hatten anfangs keinen Proberaum, deshalb
mussten wir flexibel sein. Wir konnten uns die Instrumente einfach über die
Schulter werfen und irgendwo spielen: bei jemandem von uns zu Hause, draußen an
der Isar, überall.

Was habt ihr für die Zeit
nach der Tournee geplant?

Im Sommer werden wir auf Festivals unterwegs
sein und viel live spielen. Währenddessen experimentieren wir an unseren neuen
Songs und schreiben sie fertig. Irgendwann, wenn es kalt wird, können wir ganz
in Ruhe ins Studio gehen und die Lieder aufnehmen.

Interview: Jenny Stern

Die Mitesszentrale

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Alleine kochen macht wenig Spaß, und immer bleibt etwas übrig. Auf der Webseite Join my Meal bieten Hobbyköche ihre Mahlzeiten an. Das dient auch der Müllvermeidung.

Ungefähr elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen laut einer
Studie der Uni Stuttgart in Deutschland jährlich auf dem Müll. „Der größte
Anteil davon wird zu Hause weggeschmissen“, sagt der Student Manuel Ufheil, 24.
Gemeinsam mit seiner Freundin Susanne Höschel hat er die Internetseite Join my
Meal online gestellt: Hobbyköche können Essen mit anderen teilen, das sonst
übrig bleiben würde. (Foto: immowelt/www.veraendere-deine-stadt.de)

Die Idee für die Webseite entstand aus der Not: „Ich wohne
in einem Einzelapartment“, erzählt Manuel. „Alleine kochen hat sich nie
gelohnt.“ Vor knapp zwei Jahren kam der gebürtige Freiburger nach München, um
Maschinenbau zu studieren. „Leute kennenzulernen ist hier alles andere als
einfach“, stellte er schnell fest. „Da war das Essensportal eine perfekte
Gelegenheit, um Kontakte mit anderen Studenten im Wohnheim zu knüpfen.“ Die
Studentin Jasmin Zeidan erinnert sich, dass Join my Meal im Wohnheim zuerst mit
Muffins geworben hat. „Das ist sehr gut angekommen“, sagt sie. Manuel und
Susanne haben dann über die Facebook-Gruppe des Unterföhringer Wohnheims
Gerichte angeboten und auf ihre Internetseite verwiesen. So ist auch Jasmin auf
die Plattform aufmerksam geworden – und hat gleich an einem Dinner
teilgenommen. Bei ihr gab es Tomatenbulgur mit Kichererbsen.

Das Prinzip von Join my Meal ist einfach wie genial: Man
preist sein Gericht auf der Plattform an und legt einen Preis und die Uhrzeit
für die Mahlzeit fest. Hungrige Nutzer, die selbst nicht kochen wollen, können
über die Funktion „Essen finden“ Gerichte in ihrer Umgebung suchen und
bestellen. Der Koch hat dann die Möglichkeit, den Essensanwärter zu bestätigen
oder abzuweisen. Nimmt er die Anfrage an, geht es los: Der Gastgeber greift zu
Topf und Pfanne und bereitet seine Mahlzeit zu. Hat man keine Lust auf
Gemeinschaft, der Magen knurrt aber trotzdem, kann man sich sein Essen sogar
liefern lassen oder abholen. „Diesen Service bietet aber kaum jemand an“, sagt
Manuel. Im Idealfall treffen sich Koch und Bekochter zum gemeinsamen Dinner.
„Wir saßen in der Gruppe schon an die vier Stunden zusammen“, erzählt Sönke
Erfkamp, 21. Am Ende können Gäste wie er den Koch und seine kulinarischen
Fähigkeiten auf der Internetseite mit Sternen bewerten.

Jasmin hat das Essen ihrer Gastgeber immer sehr gut
geschmeckt. An Join my Meal gefällt ihr besonders gut, dass man nicht alleine
in seinem Zimmer vor dem Laptop isst, sondern mit anderen an einem gedeckten
Tisch. „Dabei knüpft man auch noch neue Bekanntschaften“, sagt sie. „Da ich
nicht jeden Tag kochen will, checke ich dann einfach auf der Homepage, wer
sonst kocht.“ Wie für viele andere Nutzer spielt auch bei Jasmin der finanzielle
Aspekt eine entscheidende Rolle. Gerade weil man den Großteil der
Nahrungsmittel tatsächlich verwertet, stellt die Mitessgelegenheit eine billige
Alternative dar und kann zur zusätzlichen Einnahmequelle für Hobbyköche werden.
Den Preis kann man dabei selbst festlegen, in den meisten Fällen sind es
zwischen ein und vier Euro für eine Portion. Susanne zum Beispiel verlangt nie
mehr, als sie ausgegeben hat. „Man isst aber nicht nur billiger, sondern auch
gesünder“, sagt die 25-Jährige. „Wir kämpfen mit unserem Konzept ja auch gegen
Fertiggerichte.“ Den Studenten Sönke haben weder finanzielle Gründe noch eine
ausgewogene Ernährung zum Mitmachen bewogen. „Ich und meine Freundin wollten
einfach neue Leute kennenlernen und einen spaßigen Abend verbringen.“ Außerdem
sei der Aufwand, für vier statt für zwei Leute zu kochen, kaum größer.

Mittlerweile hat sich die Internetseite auch außerhalb des
Wohnheims herumgesprochen. Im Dezember vergangenen Jahres ging die Plattform
online, heute hat sie 700 angemeldete Nutzer. Wie viele davon tatsächlich an
der Essensvermittlung teilnehmen, können die Initiatoren nicht sagen. Bisher
nutzen vor allem junge Menschen in und um München das Portal. In der Mehrheit
sind es Studenten wie Jasmin und Sönke, im Schnitt um die 20 Jahre alt. „Wir
haben uns aber weder auf ein Alter noch auf die Stadt festgelegt“, sagt
Susanne. „Und wir wollen uns noch deutlich ausweiten.“ Dafür machen die beiden
Werbung für ihr Projekt, sie verteilen Flyer und Aufkleber und haben auch schon
eine Wohnheimparty organisiert. Vergangene Woche haben sie sogar einen
Förderpreis für junge Start-Up-Unternehmen gewonnen. Für eine eigene App hat
das Geld trotzdem noch nicht gereicht. „Viele User haben schon danach gefragt
und es wäre so viel praktischer“, sagt Manuel.

Manuel und Susanne wollen ihr Konzept auch auf Restaurants
übertragen. „Es soll dann spezielle Join my Meal-Tische geben, an denen sich
fremde Menschen zum Essen treffen“, sagt Susanne. Ob die Idee auf große
Nachfrage stößt, wissen die beiden noch nicht. Momentan steckt ihr Projekt noch
in seinen Anfängen, doch Manuel und Susanne möchten bald davon leben, ihr
eigenes Geld verdienen. Manuels Vision: „In Zukunft guckt man einfach auf sein
Handy, wenn man Hunger hat. Auf unserer Seite sieht man dann, wo das
nächstgelegene Essen angeboten wird.“ Unnötig viel weggeschmissen würde dann
zumindest seltener. 

Jenny Stern

Skizzen für das Fernweh

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Architekturstudenten auf Reisen zeichnen für das „Logbook Munich“. Mit diesem Projekt wollen die vier Architekturstudenten Simon Rott, 20, Patrick Fromme, 21, Luis Michal, 21, sowie Hannah Schürmann, 22, die Erfahrungen ihrer Kommilitonen während des einjährigen Auslandssemesters festhalten.

Die Skizzen zeigen die Proteste auf dem Gelände des Gezi-Parks in Istanbul, die Skyline Shanghais oder feiernde Jugendliche in Valencia. Mit dem Projekt „Logbook Munich“ wollen die vier Architekturstudenten Simon Rott, 20, Patrick Fromme, 21, Luis Michal, 21, sowie Hannah Schürmann, 22, die unterschiedlichen Erfahrungen ihrer Kommilitonen während des einjährigen Auslandssemesters festhalten und dokumentieren. Hier erzählen Hannah und Luis (Foto: privat), wie es zu dem Projekt gekommen ist.

SZ: Euer Projekt ist nach
einem Begriff aus der Schifffahrt benannt. Warum?

Hannah Schürmann: Die Namensgebung war nicht ganz leicht, wir haben viele
verschiedene Sachen ausprobiert. Am Ende haben wir uns aber auf den Begriff
„Logbook Munich“ einigen können. Wir wollten eine Art Tagebuch schaffen, in dem
alles protokolliert wird. Eben vergleichbar mit dem Logbuch aus der
Schifffahrt, in dem die täglichen Ereignisse aufgezeichnet werden. „Munich“
haben wir gewählt, weil München die Homebase ist, zu der alle nach einem Jahr
wieder zurückkehren.

Wie sieht das „Logbook Munich“ konkret aus?

Luis Michal: Jeder unserer Mitstudenten hat ein Skizzenbuch erhalten, für
umsonst. Dieses Buch soll als eine Art virtuelles Logbuch dienen. Es geht
darum, Erlebtes und Gesehenes in komplett freier Form zu dokumentieren. Dies
kann beispielsweise in Form von Zeichnungen, Texten oder Collagen geschehen. Um
während des gesamten Jahres diese persönlichen Dokumentationen zu bündeln und
zu teilen, stellen wir eine Plattform bereit. Auf unserem Blog
„logbookmunich.com“ ist es auch für Außenstehende möglich, einen Einblick in
die verschiedenen Skizzenbücher zu gewinnen.

Was ist mit jenen Menschen, die sich nicht
eingehender mit Architektur beschäftigen?

Luis Michal: Das Projekt ist ganz bewusst so angelegt, dass es nicht nur auf
Architektur fixiert ist. Wir hoffen, dass wir mit unserem Blog auch Menschen
erreichen und inspirieren, die vor allem Spaß an verschiedenen Kulturen haben.
Im Idealfall entsteht ein buntes Sammelsurium von Eindrücken der verschiedenen
Kulturen, Länder und Menschen.

Hannah Schürmann: Es geht ganz einfach um die Lust zu zeichnen, das Motiv ist
dabei keineswegs vorgegeben. Und vielleicht packt ja den ein oder anderen
Besucher unserer Seite danach das Fernweh.

Warum werden die Skizzen anonym veröffentlicht?

Hannah Schürmann: Weil nach außen hin nicht die Person, sondern das Bild
entscheidend ist. Es geht darum, wertfrei Eindrücke zu sammeln und nicht das
Facebook-Phänomen aufkommen zu lassen, Dinge „liken“ zu können. Die Bilder
sollen nicht bewertet werden – und wir wollen auch nicht einigen wenigen die
Möglichkeit liefern, sich zu profilieren. Das sieht man auch schon daran, dass
die Plattform ohne all unsere Kommilitonen gar nicht funktioniert. Sie basiert
nicht auf dem Einzelnen, sondern ist nur als Gemeinschaftswerk vollständig.

Was erhofft Ihr Euch von der Arbeit?

Luis Michal: Es handelt sich um ein Projekt, von dem wir nicht wissen, wie es
sich entwickelt. Allerdings finden wir, dass es einen Versuch wert ist – und es
wäre schade, eine solch einmalige Zeit und Chance ungeachtet und ungenutzt verstreichen
zu lassen. Wir hoffen, dass unsere Mitstudenten über das Jahr hinweg
mitzeichnen werden. Die Resonanz jedenfalls ist gut. Wer weiß. Falls alles gut
geht, gibt es ja vielleicht im übernächsten Jahr die Möglichkeit, eine kleine
Ausstellung oder möglicherweise sogar eine Publikation zu starten.

Interview: Jenny Stern

Kuchen und Kultur

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Die Studentinnen Elena Koch und Marlene Deichsel wollen die Münchner Kaffeehaus-Tradition wiederbeleben. Dazu schaffen sie mit ihrem Projekt im Alten Botanischen Garten einen öffentlichen Raum für Begegnung und Diskurs.

Stundenlang bei einer Tasse Kaffee aus der silberfarbenen Thermoskanne sitzen, angeregt über Politik, Kunst und Literatur debattieren oder einfach der orientalischen Musik lauschen: Elena Koch, 26, und Marlene Deichsel, 25, (Foto: Robert Haas) wollen mit ihrem Projekt „Freie Aktion Gesellschaft“ die traditionsreiche Kaffeehaus-Kultur für einige Wochen im Alten Botanischen Garten aufleben lassen. Dafür bauten die Kunstpädagogik-Studentinnen drei Wochen lang täglich ihre einklappbaren Sitzbänke um den Neptunbrunnen auf und luden zu Gesprächen bei Kaffee und Kuchen. Die Themen, die bei diesen Begegnungen zur Sprache kamen, dienen nun als Grundlage für eine weitere Veranstaltungsreihe. Bis Ende September werden Lesungen, Filme, DJ-Performances und Theateraufführungen im Alten Botanischen Garten geboten.

Der Name des Projekts, „Freie Aktion Gesellschaft“, erinnert nicht zufällig an den Terminus Aktiengesellschaft: „Einerseits nutzen wir eine ökonomische Strategie, indem wir unserem Projekt einen Namen geben und dafür werben. Andererseits sind wir genau das Gegenteil einer Aktiengesellschaft, weil wir alles kostenlos zur Verfügung stellen und keinen Gewinn anstreben“, sagt Elena. Der Begriff Aktion statt Aktien soll den aktiven Charakter ihrer Arbeit unterstreichen, die von den Gesprächen und dem Austausch mit den Parkbesuchern lebt.

Für die Studentinnen stellt das künstlerische Projekt mit sozialer Komponente gerade deshalb etwas Besonderes dar, weil es sich sehr stark von dem unterscheide, was sie sonst machen würden: „Wir wussten nicht, wie das Programm
am Ende aussehen wird, weil es auf den Leuten und Gesprächen basiert. Gerade
dieses prozesshafte Arbeiten in der Kunst war für uns eine Herausforderung“,
sagt Marlene. Die Initiatorinnen wollen auf Themen aufmerksam machen und
gemeinsam in einem öffentlichen Rahmen darüber diskutieren. Es gehe immer auch
darum, sich und sein Umfeld reflektiert wahrzunehmen und alles zu hinterfragen,
betonen die beiden. „Der öffentliche Raum wird kaum mehr als Diskursraum
genutzt, viele Menschen können oder wollen nicht argumentativ diskutieren. Dem
wollen wir mit unserem Projekt etwas entgegensetzen.“

Auf dem Internetblog freieaktiongesellschaft.blogspot.de veröffentlichen die Initiatorinnen die
genauen Termine und auch Informationen zu den geführten Unterhaltungen: über
die politischen Geschehnisse in Iran oder die Geschichte und Zubereitung des
Kaffees. Es entsteht dabei eine vielfältige Sammlung zu Themen aus Politik,
Wirtschaft, Religion, Wissenschaft und Kunst. Zu den diskutierten Inhalten
finden sich aber nicht nur Texte aus Büchern oder dem Internet, sondern auch
Hyperlinks zu grafischen Animationen und Skizzen, welche die Unterhaltungen
veranschaulichen sollen. So wurden die Kuchenteller aus Pappe zur
Schreibunterlage umfunktioniert und für den Blog abfotografiert. Zu sehen sind
etwa arabische Schriftzeichen. Ein Besucher aus Syrien hatte hier versucht, den
Unterschied zwischen Schiiten und Sunniten verständlich zu machen. Die
Studentinnen konnten ein Interview mit einem Parkbesucher über das Geld- und
Finanzsystem führen und aufnehmen. Das Audiomaterial wird auf dem Blog durch
Skizzen ergänzt. Elena und Marlene waren überrascht von der Fülle an Wissen,
die entsteht, wenn Menschen aus den unterschiedlichsten Lebenswelten
aufeinandertreffen und sich austauschen. „Man muss kein Experte sein, um an der
Gesellschaft teilzuhaben“, sagt Marlene.

Den Studentinnen ist es wichtig, die Themen, die im persönlichen
Rahmen aufgekommen sind, einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das
geschieht einerseits über den Blog, andererseits über die Plattform, die in der
Nähe des Kunstpavillons im Alten Botanischen Garten aufgebaut ist. Da gibt es unter
anderem eine iranische Künstlerin und Journalistin, die über die Politik in
ihrem Heimatland sprechen möchte. Eine Diskussions- und
Informationsveranstaltung zum Thema ist geplant. Auch ein Professor der Physik
lernte die Studentinnen während Kaffee und Kuchen kennen und war von ihrem
Projekt angetan. Kurzerhand stimmte er der Veröffentlichung eines Textes über
Zeit und Geld für den Blog zu und erklärte sich bereit, auf der Plattform
daraus zu lesen. Das Thema der Kaffeehaus-Mentalität wird schließlich direkt
aufgegriffen, wenn der Film „Café Ta’amon“ gezeigt wird, einem Treffpunkt für
politische Aktivisten, Politiker, Literaten und Künstler in Jerusalem. Der
Münchner Regisseur Michael Teutsch zeigt seinen Film lizenzfrei und wird für
ein Gespräch mit dem Publikum zur Verfügung stehen. „Wenn die Freie Aktion
Gesellschaft von meinem Film profitiert und er dazu beiträgt, Menschen für das
Projekt anzusprechen, unterstütze ich das gerne“, begründet er seine
Beteiligung. „Ich finde es gut, wenn junge Menschen etwas abseits des
Alltäglichen initiieren und Kunst und Kultur fördern. Dieses persönliche
Engagement honoriere ich enorm.“

Die Verbindung zwischen der Gesprächs- und Veranstaltungsphase
wird nicht nur durch die Menschen und ihre Themen hergestellt. Auch die eigens
angefertigten Holzbänke, auf denen die Parkbesucher zuvor ihren Kaffee tranken,
wurden zu einer Plattform umgebaut und sind somit fester Bestandteil der
Eventreihe. Das Design des Mobiliars ist dabei an der fernöstlichen Tradition
des Kaffeetrinkens orientiert, wo das Getränk meist sitzend auf dem Boden zu
sich genommen wird. Elena und Marlene haben alle Gäste, die bei der
Organisation der Veranstaltungen mitwirken, während der vorausgehenden
Gespräche kennengelernt.

Ein Beteiligter resümiert: „Das Spannende ist vor allem die
direkte Interaktion mit den Parkbesuchern. Im Laufe des Projekts wurde dieser
erst zum Gesprächspartner und dann zum mitbestimmenden Akteur.“

Jenny Stern

Mensch Maschine

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Der Münchner Georgi Gialamas ist bulgarischer Beatbox-Meister. So unterstützt er beispielsweise auch die Musikerin Sarah Sophie, deren melancholische Popmelodien er mit seiner Stimme untermalt.

Rammon (Foto: Jenny Stern) klingt nicht wie ein Mensch. Die Töne, die er gerade mit seinem Mund produziert, wirken eher wie die eines Computers. „Das war jetzt ein Technosound, für den habe ich sehr lange gebraucht“, sagt er. Der 23-Jährige hat vor knapp zehn Jahren das Beatboxen für sich entdeckt.
Angefangen hat er damit in seinem Heimatland Bulgarien, wo er bereits die
nationale Meisterschaft gewonnen hat. Aus dieser Zeit stammt auch sein
Künstlername Rammon, eigentlich heißt er Georgi Gialamas. Das Beatboxen hat
dort eine weitaus größere Bedeutung als in Deutschland. Trotz der aktiven Szene
in seinem Heimatland kam Rammon vor vier Jahren nach München, um Psychologie zu
studieren. Aus der Münchner Beatbox-Szene ist er mittlerweile kaum mehr
wegzudenken.

Wenn der Künstler, der oft eine gestreifte Wollmütze trägt,
die Beatbox macht, wirkt das sehr souverän. An rhythmische Grundtöne reihen
sich in schneller Folge Klick- und Schnalzlaute, ein Zischen oder Rasseln. Bei
der Erzeugung der Geräusche spielt die Koordination und Kombination der
Zungen-, Wangen-, Kiefer- und Halsmuskulatur eine entscheidende Rolle. Die
meisten Töne entstehen beim Ausatmen, eine kontrollierte und gut trainierte Atmung
ist deshalb unerlässlich. Auch bei Rammon stecken hinter dieser ausgefeilten
Technik jahrelange Übung und Ausdauer. „Anfangs klang es einfach grauenvoll“,
gesteht er schmunzelnd ein. Drei bis vier Wochen habe er benötigt, um den
ersten passablen Ton hervorzubringen. „Von da an ging es richtig los.“
Regelmäßig nimmt er an „Battles“ teil, bei denen Beatboxer gegeneinander
antreten. Innerhalb eines festgelegten Zeitlimits müssen die Teilnehmer ihr
Können vor einer Jury und dem Publikum unter Beweis stellen. Dabei geht es
nicht mehr ausschließlich darum, Geräusche oder Instrumente zu imitieren,
sondern auch, den Gegner zu übertrumpfen. Rammon bereitet sich zwar auf solche
Wettbewerbe vor, improvisiert aber auch: „Du musst wissen, wo deine Stärken und
vor allem Grenzen liegen. Du kannst dich dementsprechend vorbereiten. Manchmal
muss man aber einfach auf den anderen reagieren.“ Wenn ein Gegner zum Beispiel
eine Trompete imitiert, muss man diesen Ton aufnehmen, aber eben um einiges
besser. Durch das Prinzip von Aktion-Reaktion entsteht dann wahrlich ein
einzigartiges Gespräch. Die Beatboxer werden von der Jury dann vorrangig nach
Technik, Stil und musikalischer Originalität bewertet.

Neben den Battles ist Rammon auch in weitere interessante
Musikprojekte involviert. Das Wichtigste ist zurzeit sicherlich die
Zusammenarbeit mit der Singer-Songwriterin Sarah Sophie. Die beiden treten erst
seit knapp einem Jahr gemeinsam auf. Während Sarah Sophie sanfte, oft
melancholische Popmelodien singt und meist von der Gitarre begleitet wird,
übernimmt Rammon den Rhythmuspart und ersetzt mit der Beatbox das Schlagzeug.
Mal schlägt er einfache Rhythmen im Hintergrund an, mal darf er mit seinen
Solos selbst in den Vordergrund treten. Die Musik der beiden wirkt sehr
authentisch, weil der Zuschauer alles sieht, was auf der Bühne passiert, es
gibt keine elektronischen Samples oder andere versteckte Elemente.

Rammon und Sarah Sophie lernten sich im vergangenen Jahr
zufällig auf einer Veranstaltung kennen, auf der beide auftraten. Die Sängerin
war in dieser Zeit gerade auf der Suche nach einem Beatboxer – explizit keinem
Schlagzeuger – und hatte sich bereits ergebnislos in der Szene umgesehen. Von
Rammon war sie an jenem Abend so begeistert, dass sie ihm nach dem Auftritt
eine ihrer CDs geschenkt hat. Dabei lag ein Zettel, auf dem stand: „Wenn du
Lust auf ein neues Projekt hast, kannst du mich kontaktieren.“ Nach wie vor ist
sie sehr angetan von dem Beatboxer: „Im Münchner Raum ist er mit Abstand der
beste und talentierteste, der mir über den Weg gelaufen ist.“

Gute Beatboxer sind in München rar, doch für Rammon bedeutet
die „Community“ Inspiration und Antrieb: „Die Szene ist nicht besonders groß.
Doch die wenigen Beatboxer, die es gibt, sind sehr talentiert“, sagt Rammon.
Einmal in der Woche treffen sich die Jungen und Mädchen in einem Jugendzentrum
zur Jamsession, tauschen ihre neuesten Tricks aus und helfen sich gegenseitig.
Für Rammon ist das Beatboxen eine Möglichkeit, sich auszudrücken: „Das
Beatboxen macht auch einen Teil meiner Persönlichkeit aus“, sagt er. „Es ist
ein Impuls, den ich einfach nicht zurückhalten kann.“

Jenny Stern