Schusswechsel mit Superman

Wenn Superman hilft: Die Initiative “Wolkenschlösser” will jungen Flüchtlingen Deutsch beibringen – gelernt wird die Sprache aber nicht im Klassenzimmer, sondern in einem Comicworkshop.

Krieg im Irak: Die Panzer rollen, schießen auf
Häuser und ihre Bewohner. Eine Mutter zerrt ihr Kind hinter sich her,
verwundete Menschen winden sich am Boden. Es ist nur eine Skizze, die in einem
der Workshops von Amélie Planck, 27, Sebastian Huber, 28, und Bryan Banker, 37,
(Foto: Matthias Starte)
entsteht. Junge Flüchtlinge und Einwanderer malen und beschreiben hier ihre
eigenen Comics. Die Themen geben die drei zwar nicht vor, doch häufig
verarbeiten die Teilnehmer ihre ganz persönlichen Erfahrungen, die Bilder
erzählen von Gewalt, Verfolgung und Terror. Mit den Comics wollen Amélie, Bryan
und Sebastian die Flüchtlinge zum kreativen Schreiben und Zeichnen animieren.
Dadurch sollen sie spielerisch Deutsch lernen und sich besser in ihrer neuen
Heimat zurechtfinden.

Im Mittelpunkt des Projekts stehen Geschichten – die
sogenannten Wolkenschlösser. Ob fiktiv oder wahr, das bleibt jedem selbst
überlassen. „Zusammen wollen wir Wolkenschlösser bauen, sie verformen, wieder
abreißen, anders aufbauen, begutachten, manchmal auch zusammen darin wohnen“,
beschreiben die „Wolkenbauer“ ihr Konzept träumerisch. Genau darauf baut das
Projekt: bewusst unrealistische, optimistische und naive Ziele zu formulieren.

„Wir können keine Trauma-Arbeit leisten“, sagt
Sebastian, der Gründer von Wolkenschlösser. „Aber mit den Geschichten können
wir den Jugendlichen eine Orientierung geben. Sie sollen ihre Erfahrungen
umwandeln in etwas, auf das sie stolz sind.“

Amélie, Bryan und Sebastian bringen bereits
Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit mit, jeder auf seine eigene Weise: In dem
Projekt fließen dadurch ein praktischer, ein pädagogischer und ein
literarischer Ansatz zusammen. Während Bryan Flüchtlingen in den USA Englisch
beigebracht und sie in rechtlichen Fragen beraten hat, begleitet Amélie
minderjährige Flüchtlinge, die ohne Familie nach Deutschland kommen. Außerdem
macht sie ihren Master in Pädagogik. Sebastian hat in Literaturwissenschaft
promoviert, die Sprache und das Erzählen sind seine Leidenschaft. Seit vergangenem
Jahr unterrichtet er Englisch an der Schlau-Schule, einer Einrichtung für
minderjährige Flüchtlinge in München.

Im Comic-Workshop sollen sich die 15 Teilnehmer als
Superhelden mit außergewöhnlichen Fähigkeiten malen. Oft holt die Flüchtlinge
ihre Vergangenheit ein. „Der eine konnte fliegen, um seine Familie nach
Deutschland zu holen“, erzählt Sebastian. „Ein anderer wollte besonders stark
sein und im Krieg helfen.“ In der Zeichnung einer jungen Irakerin hat die
Superheldin die Fähigkeit, die Panzer zu verzaubern und kampfunfähig zu machen.
Am Ende ihres Comics hält die Retterin einen Mann und eine Frau an der Hand,
sie lächeln. Am Rand die Notiz: „Und jetzt sind alle Leute glücklich und lachen
auch“.

Ein professioneller Comic-Autor hilft den
Flüchtlingen beim Schreiben der Texte: John Figueroa. Er hat sich in einem
Artikel mit der Frage beschäftigt, ob die Kultfigur Superman, wenn es nach den
Maßstäben mancher Hardliner ginge, aus den USA abgeschoben werden müsste.
Superman, geboren auf dem Planeten Krypton und dann in einer Rakete zur Erde
geschossen, habe gar kein Aufenthaltsrecht in den Vereinigten Staaten, so
Figueroas ironische These. Der US-Amerikaner lebt in München. Völlig legal, wie
er in seinem Text betont. Von Deutschland aus schreibt Figueroa für einen der
größten Comicverlage der Welt, Marvel Comics in New York.

„Das Erste,
mit dem Flüchtlinge in Deutschland konfrontiert werden, sind Gesetzestexte,
Beamtendeutsch, Formulare und Behördengänge“, sagt Sebastian. „In den kreativen
Workshops sollen sie einen anderen Zugang zur deutschen Sprache und Kultur
bekommen.“ Den Flüchtlingen die schöne Seite der Sprache vermitteln, das ist
das Ziel des Projekts. Wolkenschlösser schwimmt damit gegen den Strom: Die drei
Gründer begreifen die Flüchtlinge nicht als ökonomischen Faktor, vielmehr steht
bei ihnen ihr kreatives Potenzial im Mittelpunkt. „Erzählen statt Zahlen“, so
drückt es Sebastian aus. An den meisten Sprachkursen kritisiert er, dass die
Teilnehmer passiv im Unterricht säßen und Vokabeln auswendig lernen müssten,
ohne einen emotionalen Bezug zu ihnen aufzubauen.

Aparna Bhar, Deutschlehrerin an der Schlau-Schule,
ist angetan von der Idee der Wolkenschlösser. In ihren Sprachunterricht könne
sie das Konzept trotzdem selten übertragen: „Wir haben inhaltliche Vorgaben und
müssen bestimmte Situationen der alltäglichen Kommunikation abdecken“, erklärt
Bhar. Das sind zum Beispiel Gespräche bei Behörden, beim Arzt oder mit den
Nachbarn. „Weil die Schüler einen unterschiedlichen Bildungshintergrund haben,
reicht die Zeit schon dafür kaum aus. Und die meisten wollen so schnell wie
möglich Deutsch lernen.“

Fragt man Sebastian, was ihn bei seinem Projekt
antreibt, überlegt er lange. Er, der den Flüchtlingen eine Stimme geben möchte,
sucht in diesem Moment nach den richtigen Worten. „Ich wollte helfen und habe
überlegt, was ich zu bieten habe“, erklärt der junge Mann schließlich. Er
kneift die Augen hinter der schwarzen Hornbrille zusammen. Am Ende sei das die
Liebe zur Literatur, zur Sprache und zum Erzählen gewesen. Diese Liebe möchte
er teilen. Mit Efstratia zum Beispiel, einer Migrantin aus Griechenland. Ihr
habe der Comic-Workshop sehr gut gefallen, sagt sie. „Man kann die nicht so
schöne Realität verlassen und sich in eine andere Welt hineinversetzen, wo man
besondere Kräfte und Geheimnisse hat. Ich liebe diese Welt der Imagination.“

Für die Comic-Workshops müssen die Teilnehmer noch
relativ wenige Sprachkenntnisse mitbringen. Sebastians Pläne gehen aber weiter:
Im Laufe des Jahres will er seinen Schützlingen beibringen, Kochrezepte,
Gedichte, Sagen und Märchen zu schreiben. „Die Jugendlichen sollen gemeinsam
etwas schaffen, um so ihr Selbstbewusstsein zu stärken“, sagt Sebastian. Ein
Buch zum Beispiel, in dem er am Ende alle Texte und Bilder sammelt. Ein
hochgestecktes Ziel? Vielleicht. Aber manchmal werden Träume wahr. 

Jenny Stern