Band der Woche: Oh Why

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Als Lukas Bernhard und Carla Pollak nicht mehr ausreichend zufrieden mit der Ausbeute beim Straßenmusizieren waren, gründeten sie just die Indie-Band Oh Why – den Sound der Straße haben sie sich aber teilweise erhalten.

Mit der eigenen Musik Geld verdienen, dieser Lebensplan ist für die meisten in überaus weite Ferne gerückt. Immerhin sind in den Neunzigerjahren – man mag es kaum glauben – Bands wie die Babes in Toyland mit Musik, die dermaßen weit ab vom Mainstream war, weltweit auf mittelgroßen Labels erschienen, die damals noch Vorschüsse zahlten, die so etwas wie ein Berufsmusikertum zumindest für eine gewisse Zeit finanzierten. Heutzutage ist die schnellste, sicherste und auch lukrativste Art mit der eigenen Musik Geld zu verdienen, auf die Straße zu gehen. Das erscheint erst einmal reichlich absurd, denn Straßenmusik ist immer eine Konzertdarbietung, zu der in den seltensten Fällen gezielt jemand kommt und deren Gewinn sich aus der Großzügigkeit der vorbeikommenden Zufallspassanten generiert. Dass ein Publikum einer Straßenmusikband mal eben gerne einen Betrag in den Hut wirft, der die Summe, die nach einem gestreamten Song auf Spotify auf dem Konto des Künstlers landet, in den meisten Fällen, auch wenn sie unter fünf Euro bleibt, übertreffen dürfte, ist eine der Absurditäten im heutigen Umgang mit der Wertigkeit von Musik. Dass Musiker wie Erol Dizdar, der von seiner Musik lebt und zwar hauptsächlich davon, dass er mit der Konnexion Balkon auf der Straße spielt und nicht davon, dass er mit den gerade doch auf eine gewisse Art gehypten Friends of Gas durch die Clubs des Landes tourt, bestätigt das. 

Unter diesen Voraussetzungen hat die junge Münchner Band Oh Why also erst einmal ganz instinktiv die richtige Bühne gewählt, als die Gründungsmitglieder, der Gitarrist Lukas Bernhard und die Sängerin Carla Pollak, 2013 begannen, in Münchens Innenstadt zu musizieren. Doch – und hier liegt die Crux – schon wegen des fehlenden Stroms in der Fußgängerzone bleibt die Musik in den Klangmöglichkeiten von Grund auf beschränkt. Und so eine Atmosphäre, wie sie die Band heute in den Anfang ihres Songs „Planet 9“ legt, ist auf der Straße ohne anständige Verstärker kaum aufzubauen. Denn um so ein mystisches Ambient-Rauschen zu erzeugen, braucht es Gitarrenverstärker, die die Töne verzerren und verhallen. Da braucht es aber auch Mikrofone, die das Straßenmusik-Relikt Cajón (die Holzkiste, auf der ein Trommler sitzt und die klingt wie ein Schlagzeug) verstärken und verfremden. Und da braucht es im Idealfall die Bühne eines Clubs, eine Nebelmaschine und entsprechende Scheinwerfer, um die Band auch optisch passend zu den Klängen in Szene zu setzen. Oh Why lernten nach und nach diese erweiterten Möglichkeiten für die Darbietung ihrer Musik zu schätzen: Also kam zuerst der Schlagzeuger Vincent Crusius dazu, später dann noch Bass und Keyboard. 

Die Möglichkeiten, einfach auf der Straße zu spielen, wurden von den Musikern, die alle Anfang 20 sind und in München studieren, so zwar rapide eingeschränkt, Carlas dunkel belegte Alt-Stimme aber bekam einen musikalisch interessanteren Untergrund: Irgendwo zwischen Neunzigerjahre-Indie-Rock und einem Gespür für lang aufgebaute Atmosphären, verabschiedeten sie sich endgültig vom kurzweiligen, nachmittäglichen Shopping-Soundtrack auf dem Marienplatz und traten in den Dschungel der Münchner Indie-Band-Szene ein. Hier müssen sie jedoch an etwas anderem feilen: Man muss herausstechen, sich eigen und besonders machen. Daran arbeiten Oh Why gerade, live immer wieder in diversen Konzerten, und im Studio an ihrer ersten EP, die im Laufe des Jahres erscheinen soll.  

Text: Rita Argauer

Foto: Alexandra Kuth

Fette Beats, kaputte Betten

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Welche Musiker fallen in München auf? Jeden Montag stellen wir auf der Junge-Leute-Seite die „Band der Woche” vor. Zehn Bands von ihnen haben wir nun für die Wahl zur „Band des Jahres” ausgewählt – hier der Überblick.

Von Rita Argauer und Michael Bremmer

Uns entgeht so gut wie nichts. Wir schauen regelmäßig bei den Konzertbühnen dieser Stadt vorbei. Wir besuchen Proberäume und durchkämmen das Internet. Von daher wissen wir, welche Bands in München auffallen und von welchen Bands man in Zukunft garantiert hören wird – nachzulesen jeden Montag in unserer Rubrik „Band der Woche“. Ende des Jahres gehen wir immer einen Schritt weiter. Wir haben zehn Bands, die in diesem Jahr „Band der Woche“ waren, ausgewählt für die Wahl zur „Band des Jahres“. Die Abstimmung läuft bis zum 12. Januar, 12 Uhr, auf unserer Facebook-Seite. Hier die zehn Bands im Überblick:

Blackout Problems
Alternative-Rock

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Bei Blackout Problems wird die Bühne zum Abenteuer-Spielplatz. Da wird von Verstärkern gesprungen oder ins Publikum gesegelt. „Wir wollen nicht die Einzigen sein, die nach der Show schwitzen“, sagen sie – dementsprechend intensiv sind ihre Shows. Mehr als 200 Konzerte haben sie bisher in Deutschland wie im europäischen Ausland gespielt, dazu kommt eine ausgesprochen hohe Resonanz im Internet, insbesondere in den sozialen Netzwerken. Doch eine Plattenfirma für das Debüt-Album fand sich nicht. Sie haben ihr Album „Holy“ in Eigenregie herausgebracht und sind damit in die Charts gekommen. Sie klingen jetzt härter und kompromissloser, was aber nicht heißt, dass sie ihren Hang zur Melodie und zum ausschweifenden Chorus verloren hätten. Foto: Ilkay Karakurt 

Kytes
Indie-Pop

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Große Auftritte bei Festivals, Release-Show in der ausverkauften Muffathalle, Gewinn des New-Music-Awards in Berlin – und zuvor ein geheimer Gig in Obergiesing. Und all das passiert in nur wenigen Monaten. Die Kytes sind auf der Erfolgsspur – trotzdem haben sie für die Junge-Leute-Seite ein WG-Konzert gespielt. Und was zeigte sich bei dem kleinen Auftritt: Die Band braucht keine große Technik, um zu begeistern. Sie hat ein Gespür für große Songs – und auch wenn man glaubt, im Pop jede Melodie schon mal gehört zu haben, schütteln die Kytes immer wieder tolle Hooks aus dem Ärmel. Ach ja – nette Jungs sind sie zudem, auch wenn beim WG-Konzert am Ende ein Bett kaputtgeht.
Foto: Christoph Schaller

Felix Krull
Kitsch-Rap

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Eigentlich braucht Hip-Hop das Leid der Gosse, um seine Authentizität zu beweisen. In Berlin versuchten Sido und Konsorten die Ghetto-Romantik mit Aggro-Berlin zu reproduzieren. In München reagierten ein paar Spaßvögel-Rapper darauf mit Aggro-Grünwald, der Schampus-saufenden Rich-Kid-Variante der Rüpelrapper. Felix Krull hat diesen Stil nun perfektioniert. Die Musik, die er dabei macht, ist erstaunlich sanft. Die Edginess, die er sich in der Inszenierung erlaubt, fehlt seinen Beats, die ein wenig nach dem üblichen Loop-Allgemeingut klingen. Für den Erfolg hat er sich stark gewandelt: Vor sechs Jahren trat er noch mit präpotentem Männlichkeitsgehabe auf den Plan und sprach von sich selbst nur als dem „Stemmer“. Foto: Philipp Klett

The Living
Pop / Rock

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Nett? Das ist nicht unbedingt ein Attribut, das sich junge Musiker wünschen, gilt es doch, im Musikgeschäft aufzufallen. Die Musiker von The Living schauen aus, als wären sie einer deutschen Vorabendserie entsprungen. Auch auf der Bühne sucht man Exzentrik vergebens – bis sie dann einen euphorischen Hit nach dem anderen rausknallen. Zuletzt konnte man das beim Cover-Abend „Freundschaftsbänd“ beobachten – sie spielten „Kindertage“ von
Liann. Sie entschuldigten sich artig vor dem ersten Ton, erwähnten kurz, dass sie eher ein Remix als eine Coverversion einstudiert hätten, um dann aus der Pop-Poesie eine dynamische, überwältigende Electro-Nummer zu machen. Zweite Erkenntnis: Deutsche Texte stehen The Living gut. Foto: Sebastian Resch

Nick Yume
Indie-Pop

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Natürlich lebt das Musikgeschäft von solchen Erfolgsgeschichten: Junger Musiker taucht wie aus dem Nichts auf, veröffentlicht seine erste Single gleich bei einem Major-Label und wird kurz darauf eingeladen, für Rihanna im Vorprogramm zu spielen. Diese Geschichte ist wahr und ist dem Münchner Musiker Nicholas A. Gnan alias Nick Yume passiert. Was dabei oft vernachlässigt wird: Dieser Traum ist hart erarbeitet. Nick spielt in Schulbands Schlagzeug, schreibt bereits mit 13, 14 die ersten Songs. Später wird er zu Songwriter-Sessions eingeladen – dort entsteht auch die erste Single für Sony, eine Coverversion von „Allein Allein“. Aber auch seine eigenen Stücke klingen nach großem Pop – und einer großen Karriere, weil authentisch und mit einem großen Wiedererkennungswert: eine geschmeidige Soul-Stimme, im Falsett leicht brüchig, sicher in der Führung, ohne Scheu vor Drama. Foto: Keno Peer
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Lisaholic
Beatboxing/Loops/Hip-Hop

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Etwas mehr als ein halbes Jahr liegt zwischen den beiden Auftritten: Im Frühjahr spielt Lisaholic ihr erstes Konzert in der Kulturjurte. Das Publikum kauert auf dem Boden, Lisa hadert mit der Loopstation, bricht den Song ab, um ihn dann mit beißenden Beats und boshaftem Wortwitz rauszuknallen. So frech, so frisch hat sich schon lange nicht mehr eine Münchner Künstlerin präsentiert. Lisaholic ist Beatboxerin. Mittels Loop-Station vervielfacht sich die Münchnerin beliebig zu einem Duo, zu einer Hip-Hop-Produzentin samt Rapperin, zu einem DJ, der Gitarrentöne sampelt oder zum A-Cappella-Projekt. Doch Lisa besitzt nicht nur Rhythmusgefühl, sie hat einen guten Flow – und sie hat zudem wenig Interesse an Zurückhaltung, Geschlechterbildern oder vermeintlichen Pop-Trends. Genau deswegen gelingt ihr Musik, die tatsächlich neu klingt. Und die sie mittlerweile so perfekt auf die Bühne bringt, dass sie sich – ein halbes Jahr nach ihrem ersten Auftritt – beim Sound Of Munich Now als neue „Königin von Bayern“ feiern ließ. Foto: Okan Sayan
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Nalan381
Neo-R’n’B

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Will man wissen, welche neuen Pop-Trends sich in München auftun, muss man in die Kunstakademie gehen. In die „Klasse Metzel“, um genau zu sein. Hier treffen sich immer wieder Menschen, die dann neue Musik in die Stadt bringen. Nalan Karacagil und Nikolaus Graf zum Beispiel, besser bekannt als Nalan381. Sängerin Nalan setzt ihre zugänglichen Melodien dabei unaufgeregt auf einen mechanisch-geräuschlastigen Beat. Für die nötige harmonische Unterfütterung sorgen wolkige Synthie-Akkorde – eine Mischung aus Verwaschenheit und aktuellen Pop-Trends, die durchaus auch auf den großen Pop-Bühnen funktionieren kann. R ’n’ B trifft auf Elektro trifft auf exotische Rhythmik – für die heutzutage nötige Uneindeutigkeit sorgt eine verhangene Soundästhetik, die viele Assoziationen zulässt. Alles sehr geheimnisvoll, alles durchaus erotisch, weswegen der Radiosender Puls fabuliert: „Sie sind gekommen, um München ein bisschen mehr Sex einzuhauchen.“ Foto: Rosanna Graf
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Claire Jul
Electro-Soul

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Drei Monate sind im Musikgeschäft nichts. Und doch kann sich ein Künstler in dieser Zeit komplett neu erfinden. Claire Jul zum Beispiel. Es gibt ein Video von ihr, aufgenommen bei „Sofar Munich“ am 17. April dieses Jahres: Holy, eine klassisches Singer-Songwriter-Stück. Tolle Stimme, „überwältigend“, so die Reaktionen bei Youtube, irgendwie aber auch erwartbar. Was die Zuhörer dieser Live-Session nicht ahnen: Claire Jul müsste da schon längst an ihrer neuen musikalischen Identität gearbeitet haben, Ende Juli erscheint ihr erstes Video mit neuem Sound: Amy Winehouse trifft auf Gorillaz trifft auf Beats. Elektronische Schichten schmiegen sich über soulige Beats: euphorisch-durchgeknallte Up-Temp-Nummern mit einer Stimme, so herausfordernd, so lustvoll. Mittlerweile gibt es bereits erste Remixe – als Tech-House. Foto: Alessandra Schellnegger
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Friends Of Gas
Neo-Postpunk

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Sechs Stunden dauert eine Bahnfahrt von München nach Berlin. Ein Jahr lang dauert es, bis eine Münchner Band in der Hauptstadt ankommt. Bereits im November 2015, beim Festival „Sound Of Munich Now“, reagierte das Publikum ekstatisch. Ein Jahr später schreibt die taz: „Was für eine Wucht. Was für ein Debütalbum. Es mag ja Berliner Arroganz sein, aber ich kann überhaupt nicht begreifen, wie eine Band wie Friends Of Gas aus München kommen kann.“ Schieben wir es auf die Berliner Selbstgefälligkeit, auch oder gerade München hat Anrecht auf Lärm. Diese neue, bisweilen recht destruktive Ernsthaftigkeit kommt an in Pop-Deutschland. Foto: Susanne Beck
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PourElise
Akustik-Pop

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Henny Gröblehner steht vor der Bühne und lächelt glücklich. Auf der Bühne beim Coverabend „Freundschaftsbänd“ zerlegt gerade Elektrik Kezy Mezy ihren Song „L’Éléfant“. Härtetest bestanden, denn auch als Noise-Nummer verliert der Song nichts an seiner Schönheit. Das liegt daran, dass Henny alias PourElise das Zerbrechliche an ihrer Musik mit einer gewissen Hipness angereichert hat. Früher machte sie die perfekte Musik „für lauschige Abende im durchgeheizten Wohnzimmer“, schrieb Puls. Kuscheln kann man immer noch, aber jetzt kann das auch in der dunklen Ecke eines angesagten Clubs sein. Foto: Pierre Jarawan

Foto (oben): Conny Mirbach

Band der Woche: Friends of Gas

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Feste Formen gehörten nicht zur Musik der Band Friends of Gas. Aus Protest gab es weder feste Bandmitglieder noch abgeschlossene Songs. Das alles ändert sich nun in ihrem Album
„Fatal schwach”.

Es ist gerade in gewissen Kreisen angesagt, Dinge nicht mehr fertigzustellen. Nun, Vollenden ist zugegeben ein recht groß besetztes Wort, das wusste schon der österreichische Indie-Chansonnier Der Nino aus Wien, wenn er in seiner anschaulichen Jammerlappen-Manier klagte: „Es geht immer ums Vollenden.“ Selbst zu beschließen, etwas sei fertig, der Kunst damit eine veritable Form geben, das will nicht recht zum Stil dieser Post-Indie-DIY-Szene passen.

Vielmehr gehört der Charme des Unvollendeten zum guten Ton. Eine Ästhetik, die den Prozess in den Vordergrund rückt und in deren Dunstkreis etwas Rundes und Fertiggestelltes einen unangenehm pathetischen Beigeschmack bekommt. Der einzige wunde Punkt: Mit der Aussage, das sei nun sowieso nicht fertig, was man da produziere, das sei vielmehr nur ein Ausschnitt, entzieht man sich sämtlicher Kritik.

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Die Münchner Band Friends of Gas ist so etwas wie ein Destillat der Münchner Variante dieser Szene. Als Improvisations-Kollektiv gegründet, bestand da nie ein Anspruch, etwas so Flüchtiges wie die Musik auch nur ansatzweise festzuhalten, geschweige denn, dass man regelmäßig mit den gleichen Musikern zusammenspielte. Doch das ist alles vorbei – die Gruppe hat sich fest formiert, nun haben sie sogar ein Album herausgebracht, auf dem die reduzierten Achtzigerjahre-Postpunk-Songs in eine feste Form geschrieben wurden. Am Freitag, 28. Oktober, wird das nun offiziell veröffentlicht, während im Titel noch der grundlegende Konflikt mit dem Festschreiben steckt: „Fatal schwach“. Sie haben sich also schwach der Versuchung hingegeben, gegen die sie mit ihrem ursprünglichen Auftreten eigentlich protestierten: Sie haben ihre Musik in eine halbwegs Pop-verträgliche Form gegossen, sie haben den Songwriting-Prozess abgeschlossen und veröffentlichen dieses hübsche Paket, das Max Rieger von den Stuttgarter Neo-Postpunkern Die Nerven aufgenommen hat, nun sogar bei der Berliner Plattenfirma Staatsakt – der Heimat der Deutschpopper und Profiironiker der Nation, etwa Ja, Panik, Die Sterne, Fraktus oder Jens Friebe.

Doch Friends of Gas erscheinen mit diesem Album als böser Zwilling dieser Gruppen. Sängerin Nina Walser textet zwar genauso phrasenorientiert wie die Labelkollegen, belegt ihren heiseren Gesang aber mit dem Gefühl, sie spreche von einer bitteren Wahrheit. Sätze wie „Mein Körper ist mein Template“, über das Lied hinweg ständig wiederholt, befreien sich so von dem Anschein des Modewort-Dreschens der Digital Natives und bekommen dadurch einen beklemmend psychotischen Anstrich. Und spätestens wenn sich die Gruppe mit „Involuntary“ Richtung Ballade begibt, und die süße Popschönheit der Harmonien in einem zwischen Höhenflug und Zweifel gesungenen „La-La-Lacrimation“, einem Tränenstrom also, landen, kann da kein Auge mehr zwinkern, wenn schon, dann wird hier richtig geheult. All die Ironie ist hier vorbei. Entweder man nimmt es ernst, oder man lässt es.

Diese ungemein zwingende Haltung lässt das Quintett dann auf dem nationalen Popmarkt ziemlich solitär erscheinen. Diese neue, bisweilen recht destruktive Ernsthaftigkeit kommt an in Pop-Deutschland. Beim Reeperbahn-Festival in Hamburg hinterließen sie gerade ein ekstatisch-entrücktes Publikum, die Booking-Agentur, die auch schon Dirk von Lowtzows Phantom Ghost über die Bühnen schickte, übernimmt das nun auch für die Münchner Friends of Gas. Und live kommen bei dieser Band sowieso einige Altlasten zurück. Da kann ein Song in Noise-Ekstase schon mal von sieben auf vierzehn Minuten ausgedehnt werden.

Stil: Neo-Postpunk
Besetzung: Nina Walser (Gesang), Thomas Westner (Gitarre), Veronica Burnuthian (Gitarre), Martin Tagar (Bass), Erol Dizdar (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.friendsofgas.com

Von: Rita Argauer

Fotos: Susanne Beck

Friends of Gas (Post-Punk / NDW)

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Jahr: 2014, Woche: 37

Recht roh und unverfroren bringen Friends of Gas einen Klang in die Stadt, der sich irgendwie ganz gut in den NDW-lastigen Sound der härteren Sorte setzt, der an DAF oder Malaria! erinnert und derzeit die Republik überrollt.

Manche Bandnamen sind so gut, dass es sie schon vor der eigentlichen Band gibt. Friends of Gas (Foto: Elisabeth Hoppenthaller) ist eine von diesen Wortkombinationen, die so viel erzählt, ohne dabei zu konkret zu werden: Diverse Musiker geisterten unter diesem Namen, der abgekürzt zu „Fog“, also Nebel wird, schon länger in Münchens Szene herum und traten in verschiedenen Kombinationen auf. Der Name blieb, die Musiker wechselten. In dem Jam-Projekt spielten mal Thomas Westner, der früher bei der Hardcore-Band Prosa war, mal die Musiker von Majmoon oder Noise-Künstler wie Martin Tagar.

Eine wüste Truppe aus schon erfahrenen Musikern und Anfängern ist das. Thomas und Martin, die schon in diversen Bands spielten, treffen auf den Schlagzeuger David Ortiz, der sein Instrument erst seit einem guten halben Jahr spielt. Neben Thomas, Martin und David bilden die Friends of Gas, die man mittlerweile getrost als fest formierte Band bezeichnen kann, die Sängerin Nina Walser, die an der Nürnberger Kunstakademie studiert und die Münchner DIY-Künstlerin Veronica Burnuthian.

Recht roh und unverfroren bringen sie einen Klang in die Stadt, der sich irgendwie ganz gut in den NDW-lastigen Sound der härteren Sorte setzt, der an DAF oder Malaria! erinnert und derzeit die Republik überrollt. An sich ist es natürlich schon paradox von einer neuen „Neuen deutschen Welle“ zu sprechen. Da hebelt sich das Prinzip Retro und Rückbezug ganz von selbst aus. Doch Bands wie Die Nerven oder Messer besetzen diese verhallten Reverb-Gitarren, deren Klang man in der Form wirklich über zwei Jahrzehnte nicht mehr gehört hatte und die monoton-stampfenden Schlagzeug-Beats mit selbstbewussten Anspruch für sich und ihre Gegenwart.

Eine Szene, in der sich die Friends of Gas mit deutschen Texten, die in fragmentarischen Sätzen von Sängerin Nina mit einer seltsam heiseren Stimme mehr postuliert als gesungen werden, wieder finden. Doch irgendwo schlummert in den Friends of Gas ein wenig mehr Lust an der Eskalation. Etwa wenn Schlagzeuger David Ortiz die Half-Time-Beats mit einer fast beängstigenden Wucht in sein Instrument drischt. Oder sich aus einer atonalen Akkord-Folge und einem noisigen Bass plötzlich ein Refrain-artiger Groove enthebt, werden sie der zweiten Bedeutung ihres Bandnamens gerecht: Nicht nur die Flüchtigkeit eines Gases schwingt da mit, auch die englische Bezeichnung für Benzin oder Sprit lautet Gas.  Rita Argauer
 
Stil: Post-Punk, NDW
Besetzung: Nina Walser (Gesang), Thomas Westner (Gitarre), Veronica Burnuthian (Gitarre), Martin Tagar (Bass), David Ortiz (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.friendsofgas.tumblr.com, www.facebook.com/friendsofgas

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Rita Argauer ist die Musik-Expertin der Junge-Leute-Seite. Sie ist nicht nur ständig auf der Suche nach neuen Münchner Bands und deswegen in den Clubs dieser Stadt unterwegs. Sie kennt die Szene auch von der anderen Seite: Sie singt und spielt Keyboard in der Band Candelilla.