250 Zeichen Demokratie: Heute mit Thomas Steingasser

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Am 24. September ist Bundestagswahl. Wir haben politisch engagierte
junge Erwachsene gefragt, warum es gerade für junge Menschen so wichtig
ist, wählen zu gehen. Heute mit Thomas Steingasser.

„Der Respekt vor den Rechten und Freiheiten
jedes Einzelnen ist meiner Meinung nach eine der größten Errungenschaften
unserer Gesellschaft. Deshalb möchte ich von Politiker*innen regiert werden die
diese Werte auch verteidigen, und das geht nur wenn wir genau diese durch
unsere Stimmen dabei unterstützen.“

-Thomas Steingasser, ZusammenWachsen

Foto: Privat

Hängen bleiben

Dino Maat, 25, macht Tape-Art. Was er daran schätzt, ist die Ausdrucksstärke. Es wird wenig geschmückt, es wird einfach gezeigt, was man denkt. In diesem Punkt sind sich der Künstler und seine Kunst sehr ähnlich.

Er hat keine Lust sich anzubiedern. Freiheit, die ist ihm wichtig. Das Wort Freiheit nennt er immer wieder. Dino Maat, so nennt sich der 25-jährige Münchner, macht Tape-Art. Tape – auf Deutsch: Klebeband – ist ein sehr schlichtes Material, ein Alltagsgegenstand. Wenn Dino darüber spricht, wird es lebendig: Eine Schicht Farbe, eine Schicht Gewebe und eine Schicht Klebstoff. Dino dehnt sich mit dem Band, geht mit ihm mit durch einen Raum, schafft andere Dimensionen. Er malt mit dem Band, sagt er immer wieder, dann verbessert er sich, „also nicht malen, tapen meine ich“, sagt er und lächelt.

„Es passiert gerade so viel, aber so lange es die Leute nicht wirklich etwas angeht, ist es ihnen egal.“

Dino trägt eine alte schwarze Lederjacke, dick gefüttert. Es regnet, er trinkt einen Früchtetee. Seine Harre sind kurz geschoren, der Bart über der Oberlippe drei Tage alt.
Dino hat auch mal Graffiti gesprüht. „Wer einmal sprayt“, sagt er, „der bleibt in der Regel dabei.“ Die Graffiti-Szene ist eng verbunden, bleibt gerne unter sich und der Kampf um den besten Platz ist allgegenwärtig. Das hat Dino einfach nicht gefallen. Die Leidenschaft für das Tapen hat ihn hingegen nie los gelassen. Seit zwei Jahren ist er wieder aktiv, klebt an Münchner Wände, hat bereits einige Ausstellungen organisiert und auch Auftragsarbeiten angenommen. „Tape-Art ist im Kommen“, sagt er. Firmen wie BMW oder Siemens buchen Tape-Art-Künstler für Events. Sie sollen Räume, Autos, Firmenziele in Szene setzten. „Das macht schon Spaß und stellt mich vor Herausforderungen, durch die Vorstellung des Kunden und den Zeitdruck“, sagt Dino. Er macht eine kurze Pause. Er beginnt den nächsten Satz mit „aber …“, dann folgt die nächste Pause. Es kommt wieder diese Sache mit der Freiheit. „Sich an die Vorgaben eines Kunden zu halten, der immer wieder seine Meinung ändert, kann auch anstrengend sein“, sagt er schließlich. 

Seine erste Auftragsarbeit hat ihm Felix Rodewaldt organisiert. „Ein Künstler-Kumpel“, wie ihn Dino nennt. Auch er macht Tape-Art.
 Was Dino an der Tape-Art schätzt, ist die Ausdrucksstärke. Es wird wenig geschmückt, es wird einfach gezeigt, was man denkt. In diesem Punkt sind sich Dino und seine Kunst sehr ähnlich. Der Künstler will sagen, was er denkt. Oft hält er mitten im Satz inne und überlegt einige Sekunden. Er versucht, die richtigen Worte zu finden, damit das, was er ausdrücken will, auch wirklich so beim Gegenüber ankommt. Genauso soll es bei seinen Tape-Installationen sein. Immer öfter sucht er sich öffentliche Plätze in München, um politische Motive an die Wand zu bringen. „Nichts, was zu heftig ist“, sagt er. Er will niemandem auf die Füße treten. Viel eher möchte er eine größtmögliche Aufmerksamkeit schaffen. Die Leute sollen nachdenken, findet der Künstler. „Es passiert gerade so viel, aber so lange es die Leute nicht wirklich etwas angeht, ist es ihnen egal. Das macht mir Angst“, sagt Dino.

Sein Mittel gegen dieses Gefühl ist das Tapen. Unter dem Titel „Our System“ hat er in ein Sperr-Geschoss der U-Bahn eine Granate, eine Fliegerbombe und Dollarscheine geklebt. Daneben der Schriftzug „For What?“ in Pink.
 Subtile Kunst, über die man lange nachdenken kann, ist das nicht. Soll es ja auch nicht sein. Man soll vorbei gehen und gleich wissen, was gemeint ist. Minimalistisch und stark im Ausdruck, das soll es sein. Und anders als beim Graffiti signiert Dino seine Tape-Kunst – mit Tape versteht sich. „Es ist mir wichtig, dass die Kunst geschätzt wird“, sagt er, „auch wenn es nicht für die Ewigkeit ist.“

Für die Ewigkeit ist selten etwas an den Münchner Wänden, zumindest wenn es um Urban-Art geht. So richtig offiziell darf er es zwar nicht, aber er hat bisher noch nie Probleme mit der Stadt bekommen, was sicherlich auch daran liegt, dass Tape – im Gegensatz zu Graffiti – gut zu entfernen ist. Irgendwann kann ja mal was in Kooperation mit der Stadt entstehen, aber das dauere eben immer so lange in München, findet Dino.

Und außerdem ist da wieder die Sache mit der Freiheit. Zu sehr nach Vorgaben arbeiten oder für einen bestimmten Zweck, das ist nicht Dinos Ding. Trotzdem freut er sich, dass er seit Kurzem dem Tape-Art-Kollektiv „Tape Over“ angehört, das von Robert König geleitet wird. Das hat seinen Sitz in Berlin, aber das macht nichts. Unter der Leitung von König reisen die acht Mitglieder immer wieder in andere Städte, um gemeinsam zu tapen.

Geplant ist demnächst so etwas wie ein Comic-Strip, nur eben nicht gezeichnet

Ende dieses Sommers will Dino Maat das Kollektiv mal nach München holen, um sie hier vorzustellen und gemeinsam mit ihnen ein paar Werke auszustellen. Denn in München ist er bis auf Rodewaldt noch alleine mit seinem Tape.

Aber da kommt schon noch etwas, da ist sich Dino sicher. Und bis dahin macht er weiter, macht aufmerksam. Geplant ist demnächst so etwas wie ein Comic-Strip. Dino will etwas über mehrere Bilder hinweg erzählen. Die Menschen sollen hinschauen.

Von: Jennifer Lichnau

Foto: Nicole Rüffer

Schreiben für die Freiheit

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Der Verein NeuLand will Ende März ein Magazin herausbringen – eines von Flüchtlingen, nicht über sie. Jafar Akbari, 25, ist einer der Autoren.

Jafar Akbari, 25, schämt sich. Der gebürtige Afghane schämt sich stellvertretend für andere Flüchtlinge, die sich nicht an die Gesetze und Regeln in Deutschland halten – und sei es nur, bei Rot über die Ampel zu gehen. „Und ich bedanke mich bei den Leuten in Deutschland. Deutschland ist ein berühmtes Land und Bayern ist sehr, sehr schön: Der Himmel ist blau und die Erde ist grün“, schreibt Jafar in seinem Text „Fremdschämen. Mein Leben als Flüchtling in Deutschland“ für den Münchner Verein NeuLand. Jafar weiß aus Beobachtungen: „Auch viele Deutsche werfen den Müll weg oder haben ein lautes Smartphone in der U-Bahn. Aber sie sind Deutsche in Deutschland. Wir sind Flüchtlinge und wir werden beobachtet. Jeden Tag sehen die Leute Flüchtlinge in der Zeitung und im Fernsehen.“ Er schämt sich aber auch selbst, wenn er für 325 Euro in einer langen Schlange vor dem Sozialamt warten muss und er von den Angestellten angelächelt wird, als wäre er ein Kind ohne Eltern. „Ich kenne mich nicht wirklich mit Politik aus. Aber ich verstehe die Flüchtlingspolitik von Deutschland trotzdem nicht: Ich habe gehört, dass viele Afghanen zurück nach Afghanistan müssen. Aber Krieg ist Krieg, egal ob in Syrien oder Somalia oder in Afghanistan“, schreibt Jafar weiter. Dennoch schreibt er auch, dass Deutschland den Friedensnobelpreis verdient hätte für alles, was das Land für die Geflüchteten tut.

Menschen wie Jafar begegnen einem seit vergangenem Sommer immer häufiger. Eine große Zahl von Flüchtlingen kommt seitdem nach Deutschland, und die Medien berichten immer wieder darüber, was die Deutschen von Menschen wie Jafar halten. Susanne Brandl stellt die Gegenfrage: „Was denken die sich eigentlich über uns?“ Susanne ist Mitte 20, Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache und freie Journalistin. Nicht aus Mitleid, sondern aus Neugierde hat sie im Oktober 2015 den gemeinnützigen Verein NeuLand gegründet. Der Verein arbeitet momentan an einem Blog, geplant ist außerdem, Ende März erstmals ein Magazin herauszubringen. Ein Magazin, das Geflüchteten, aber auch Migranten, als Sprachrohr dienen soll. Denn Angst haben Menschen meist vor dem Unbekannten, sagt Susanne. Sie glaubt deshalb, dass man den Austausch zwischen beiden Seiten fördern muss, um Vorurteile abzubauen. Insgesamt sind es 13 Autoren zwischen 17 und 35 Jahren aus acht verschiedenen Ländern, die für NeuLand schreiben und so ihren Teil zum Austausch beitragen wollen.

Neben der Außenredaktion, für die Jafar schreibt, gibt es auch eine feste Redaktion, die aus Geflüchteten und Migranten besteht, die sich aus Eigeninitiative gemeldet haben. Vorwiegend Männer. Es gibt aber auch zwei Autorinnen. Anonyme Autorinnen. Andernfalls müssten sie fürchten, Probleme mit ihrer Familie zu bekommen. Eine Autorin wurde beispielsweise zwangsverheiratet und lebt nun mit ihrem Ehemann, den sie nicht liebt und der sie betrügt, in Deutschland. Es wäre eine Illusion zu glauben, mit der Flucht hätten sie alle Probleme abschütteln können.

NeuLand soll Ende März das erste Mal mit einer Auflage von circa 5000 Exemplaren erscheinen und von da an vier Mal im Jahr. Kostenfrei soll die Zeitschrift in sozialen Einrichtungen aller Art ausliegen. Die Zielgruppe sind Menschen, die der Flüchtlingsthematik ängstlich bis kritisch gegenüberstehen, sogenannte besorgte Bürger, nicht zuletzt aber natürlich die Geflüchteten und Migranten selbst.

Nicht ohne Tücken ist die Arbeit mit Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Immer wieder müssen sich die deutschen Lektoren die Frage stellen, inwiefern die kleinste Veränderung eines Satzes die Aussage verändern kann. Neben der Frage, wie man mit den Texten umgeht, steht auch die Frage im Raum, ob die Kommentarfunktion auf dem Blog einschalten wird. Einerseits ist der Austausch gewünscht, andererseits möchte man die Autoren vor Anfeindungen schützen. Ein Drahtseilakt.

Wichtig ist den Gründern von NeuLand aber in erster Linie, auf eine wichtige Tatsache hinzuweisen: Geflüchtete sind Menschen wie wir. Menschen mit Träumen, Ängsten, Familie und Freunden.
 Ein Mensch mit Träumen ist auch Jafar. Bereits mit fünf Jahren floh er mit seiner Familie aus Afghanistan in den Iran. Seit fast zwei Jahren wohnt er nun in Emmering im Landkreis Fürstenfeldbruck. Ohne seine Familie, denn sein jüngerer Bruder und seine „muslimische Mama“ halten nichts von Europa und dem Westen.

Deshalb floh Jafar alleine über die Türkei und Griechenland nach Deutschland. Einmal gab es auf der Bootsüberfahrt Streit zwischen zwei Afrikanern und sie kenterten. Sie schafften es irgendwie, wieder in das Boot zu steigen. Jafar, dessen Kaffee längst kalt geworden ist, weil er so viel im Gespräch loswerden möchte, weiß, es hätte auch anders ausgehen können. Aber eines wusste er auch schon, bevor er sich auf den Weg gemacht hat:„Eine Flucht ist keine Urlaubsreise.“ Bei dem Satz umklammert seine Hand die Kaffeetasse ein bisschen fester.

Die erste Station in Deutschland war 2014 Hamburg, doch von dort ging es mit einem kurzen Zwischenstopp in der Bayernkaserne gleich weiter nach Emmering. Obwohl er immer Angst hatte, in einem kleinen Ort zu landen, will er bleiben. In dem Land, das er mehr als alles andere mit Freiheit verbindet. Und mit Spaß, wie er es nennt. Was er mit Spaß meint, ist ein Leben ohne die ständige Angst vor Polizei und Anfeindungen aus der Bevölkerung.

Viele sagen, die Stimmung in Deutschland sei seit der Silvesternacht in Köln gekippt, doch Jafar hat davon nichts zu spüren bekommen.
Für das Verhalten seiner „Kollegen“ an Silvester, wie er die anderen Geflüchteten mit dem Anflug eines Lächelns nennt, schämt sich Jafar. Es passiert selten, dass er lächelt. Meistens ist sein Blick ernst. Immer auf der Suche nach den richtigen Worten. In einer Sprache, die ihm auch nach zwei Jahren noch schwer fällt. Er weiß, dass das Fehlverhalten Einzelner zu Problemen für die ganze Gruppe führen kann.

Die Außenredaktion befindet sich in einer Schule zur Berufsvorbereitung. Einige der Lehrer betreuen interessierte Schüler wie Jafar und helfen ihnen beim Verfassen von Artikeln. Jafar will vor allem über die Probleme der Flüchtlinge schreiben. Und über Missverständnisse. Denn viele Deutsche scheinen wenig oder nichts über die Herkunftsländer der Flüchtlinge zu wissen. Beispielsweise gebe es natürlich auch U-Bahnen im Iran, aber viele seien verblüfft, wenn er das erzähle. Jafar schüttelt fast unmerklich den Kopf. Manche irritiert es, dass er dunkle Jeans und einen lila Pulli mit einem Hemd darunter trägt, wie eben die meisten in Europa lebenden Männer in seinem Alter momentan. Es ist banal und doch so bezeichnend für das Bild des Westens von den Geflüchteten.

Jafar nimmt es den Menschen jedoch nicht übel. Sogar für die Karikaturen von Mohammed hatte der gläubige Moslem Verständnis. Er fand es traurig, ja, aber er sagt auch: „Kunst ist Freiheit.“ Freiheit. Der Grund, warum er hier ist und all die Strapazen auf sich genommen hat. Deshalb sagt er auch: „Es ist wichtiger, ein guter Mensch als ein guter Moslem zu sein.“ Es ist der Satz eines Menschen, der das Schlechte gesehen hat und es hinter sich lassen möchte.

Von: Jacqueline Lang

Foto: Matthias Weiss

Freiheit oder Vollpension?

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Wieder bei den Eltern Zuhause einziehen, ins alte Kinderzimmer. Ein Albtraum. Doch das hat auch seine Vorteile: Wäsche bügeln, Kakao anrühren – und sich die Haare föhnen lassen. Ein Plädoyer für “Hotel Mama”

Ellen versucht sich nach dem Abendessen aus der Küche zu schleichen – möglichst unauffällig, damit ihre Mutter nicht merkt, dass sie sich vor dem Aufräumen drückt. Doch der Fluchtplan ist absurd. Das Faszinierende für Ellen ist jedoch, dass er heute aus einem anderen Grund irrwitzig ist, als er es noch vor zehn Jahren gewesen wäre. Während damals klar war, dass man Mamas Hausarbeitsattacken nicht entkommt, erkennt Ellen heute: Ihrer Mutter ist das vollkommen egal. Mama erwartet überhaupt keine Hilfe.
Wieder zu Hause bei den Eltern einziehen – da holen die meisten Menschen tief Luft und setzen ein mitleidiges Gesicht auf. Muss ganz schön schwierig sein, sagen sie dann. Wahrscheinlich, weil derlei Umzüge oft nicht den erfreulichsten Anlass haben. Dass es nicht ganz so schwierig sein könnte, ahne ich zum ersten Mal, als mein Bruder vorübergehend wieder zu Hause wohnt und ich beobachte, wie Mama vom Frühstückstisch aufsteht, um ihrem ausgewachsenen Elektrotechniker das fehlende Kakaopulver zu holen. Mein Bruder isst genüsslich weiter. Er hat schneller durchschaut als Ellen, dass zurückgekehrte Kinder von sämtlichen häuslichen Pflichten entbunden sind.

Im Leben ist es so: Erst ist man klein und niedlich, und Mama kümmert sich um alles. Dann wird man größer, ist nur noch so lala niedlich und soll im Haushalt mithelfen. Woraufhin man irgendwann auszieht und – jetzt kommt das Verblüffende –, wohl wieder so viel kindliche Niedlichkeit zurückgewinnt, dass Mütter gar nicht mehr davon abzubringen sind, einem die Wäsche zu bügeln, den Kakao anzurühren und (kein Witz, selbst erlebt) die Haare zu föhnen. Zieht man in dieser Phase seines Lebens wieder zu den Eltern, stehen die Chancen gut, eine Art Vollpension zu erleben, wie man sie nie für möglich gehalten hat.

Freiheit und Unabhängigkeit wirken mit frisch gebügelter Wäsche gar nicht mehr so beeindruckend. Als Ellen die Zusage für ihr WG-Zimmer bekommt – und somit wieder ihr Kinderzimmer verlassen kann –, ist ihre erste Reaktion dennoch Freude. Darauf folgt jedoch der Schock und die quälende Frage: Was mache ich ohne meine Mama?

Von Susanne Krause