Frauenbilder

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Zerbrechlich, melancholisch, schüchtern: Die Fotos der Studentin Anne Puhlmann zeigen, dass Schönheit nicht der Norm einer Illustrierten entsprechen muss

Es gibt Tage, da mag man nicht aufstehen. Da ist man der Welt so überdrüssig, dass man sich einfach nur in seine Bettdecke einwickeln will, um ein bisschen traurig sein zu dürfen. Es sind solche kleinen Momente, die Fotografin Anne Puhlmann in ihren Fotos festhält. Da liegt ein nacktes Mädchen zwischen blau-weiß gestreiften Laken, presst den Kopf ins Kissen und schaut mit großen blauen Augen in die Welt. Zerbrechlich wirkt das, melancholisch.

Ein bisschen wie Anne selbst. Die Foto-Studentin klingt nachdenklich, fast schon ernst, wenn sie über ihre Fotos spricht. Manchmal wird ihre Stimme so leise, dass man kaum versteht, was sie sagt. „Wenn man Fotos macht, dann spielt ein Teil von einem selbst in den Bildern mit“, sagt Anne. „Fotografie ist für mich ein Mittel, Gefühle zu zeigen, die ich so nicht zum Ausdruck bringen könnte.“ Ein Foto, um Erlebtes zu verarbeiten. Eine Trennung, ein Todesfall, aber auch Alltägliches – alles kann zur Inspiration für ihre Bilder werden.

In München kann man in den vergangenen Jahren immer wieder aufstrebende Foto-Talente entdecken: Internet-Star Laura Zalenga etwa, Simon Lohmeyer, Ann-Sophie Wanninger, Christoph Schaller, Stephan Loeber – und jetzt gerade Anne Puhlmann. So viel Aufmerksamkeit schätzt sie an sich gar nicht. Lieber verschwindet die junge Frau hinter ihren Arbeiten. „Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt“, gibt Anne zu. Hinter der Kamera fühle sie sich wohler. Und doch, die Bilder erzählen etwas über sie. Da sind all diese starken und doch widersprüchlichen Frauen zu sehen: mal wütend, mal zuckersüß. Mal verrückt, mal ganz zart. „Das ist, was ich wirklich bin, entweder melancholisch oder ausgeflippt“, sagt Anne und streicht eine Strähne ihrer dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht.

Das auszudrücken gelang der jungen Fotografin nicht immer. Anne, Jahrgang 1987, ist in Rathenow aufgewachsen, einer kleinen Stadt im Havelland, 70 Kilometer entfernt von Berlin. Nach dem Abitur hat sie eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten gemacht, auch, weil die Eltern signalisiert haben, sie müsse was arbeiten. „Das war etwas zu trocken“, drückt Anne es höflich aus. Man könnte auch sagen langweilig. 2009 zieht sie nach Oberpframmern im Landkreis Ebersberg, einer Liebesbeziehung wegen. Im Gepäck die Frage: Was will ich eigentlich machen im Leben? Anne jobbt bei H&M, fängt an zu fotografieren. Anfangs ist es ein Hobby, „Momente festzuhalten, die man sonst vergessen würde.“ Immer mehr packt Anne die Leidenschaft für das Fotografieren, für das Erzählen von Geschichten. Sie bewirbt sich schließlich für ein Fotodesignstudium an der Hochschule München. Die Nachdenklichkeit ihrer Fotos scheint Anklang zu finden: Seit 2013 studiert Anne dort, vergangenes Jahr waren ihre Bilder bei der Ausstellung „Foto MUC“ zu sehen. Aktuell hängen Annes Arbeiten in der SZ-Ausstellung „München – eine Sehnsucht“.

Anne Puhlmann verlangt von
ihren Models keine Schönheit
oder Perfektion

Für diese Ausstellung, die noch am letzten Mai-Wochenende im Farbenladen des Feierwerks zu sehen ist, hat Anne nun die Flucht auf das Land angetreten. „Ich habe oft das Verlangen, einfach mal rauszukommen, wenn mir alles zu stressig wird“, erklärt sie. Da kann man sich schon mal nach einem warmen Tag am See sehnen, an den man vom Steg aus ganz entspannt die Füße ins Wasser hängt. „Das ist dieser Drang: Da will ich hin. Aber es kann einen auch ganz schön runterziehen, wenn es nicht klappt.“ Ewig auf dem Land hält es Anne dann doch nicht. Vergangenes Jahr ist sie von Oberpframmern nach München gezogen. Sie mag ihn doch, den Trubel der Stadt.

Doch was macht die Bilder so intensiv? Sie wolle keine „bewusst schönen“ Geschichten erzählen, erklärt die Fotografin. Schönheit lasse sich nun mal nicht durch die Körpermaße eines Models definieren. „Das ist etwas, das sich aus dem Inneren überträgt, das sieht man in den Augen.“ Deswegen sind Annes Models auch oft keine Profis. Da ist zum Beispiel ihre Freundin Marie Bruns, das Mädchen unter der Bettdecke. Die Münchnerin studiert Jura – ein größeres Gegenteil zur Fotografie gibt es kaum. Seit 2014 steht Marie häufiger auch professionell vor der Kamera. Und eben für Anne. 

Ihre Arbeit mit den Models ist etwas sehr Intimes, sagt sie. „Wenn ich eine Geschichte erzählen oder eine Emotion zeigen will, geht es auch darum, einen Menschen in seiner Art des Fühlens einzufangen.“ Und dafür brauche es Zeit. Im Vorfeld gehen manchmal viele E-Mails zwischen der Fotografin und ihrem Model hin und her, um eine Vision von der Stimmung zu entwerfen, Vertrauen zu schaffen. Beim Shooting sind dann nur Anne und ihr Model anwesend – und nicht, wie bei vielen Modestrecken, noch ein ganzes Team von Leuten.

Es ist eine Arbeitsweise, die vielleicht ein bisschen einsam macht. „Ich würde gerne im Bereich der Modefotografie arbeiten“, sagt Anne, die derzeit versucht, einige ihrer Bilder auf der Webseite der italienischen Vogue unterzubringen, „aber ich bin kein Glamourfotograf.“ Anne verlangt von ihren Models keine Schönheit oder Perfektion. Sie sagt: „Versetz dich in die Situation, in der du dich das letzte Mal so oder so gefühlt hast“, macht Posen vor, gibt viel von ihren eigenen Emotionen Preis, um ein gutes Foto zu bekommen.

Die versteckte Schönheit, die Anne zum Vorschein bringt, kommt gut an: Eine ihrer Arbeiten hat es in die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift emotion slow geschafft, auf Online-Magazinen wie Artisan, Ignant oder B-Authentic wurde schon öfter über Anne berichtet. Fast 5500 Fans hat die junge Fotografin inzwischen auf Facebook: „Eine wunderschöne Serie hast du da gezaubert“, schreibt jemand unter einen ihrer Posts. „Ich finde es wirklich so gut. Ein fabelhafter Ton und genau im richtigen Moment aus der richtigen Position abgeknipst“, lobt ein anderer User ein Foto. Die „Gefällt mir“-Daumen, die begeisterten Kommentaren – sie zeigen, dass Schönheit eben nicht der Norm einer Frauenzeitschrift entsprechen muss. Dass man als Fotografin auch sehr erfolgreich sein kann, wenn man aneckt und das Traurige, das Zerbrechliche einer Seele zum Ausdruck bringt.

Carolina Heberling

Foto: Anne Puhlmann

Fragen über Fragen – Laura Zalenga

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“Ideen sind wie die Geschenke der
Zahnfee”

– sagt Fotografin Laura Zalenga, eine der 20 Mitwirkenden unserer “10 im Quadrat”-Ausstellung im Farbenladen. Wir haben ihr ein paar Fragen gestellt.

Worum geht es bei
deinem Konzept? / Wie bist du darauf gekommen?

Darum ein bisschen Surrealität im echten Leben zu suchen und vielleicht zu
finden. Um Reflektion und Blickwinkel, um Spiel und um Perspektiven.
Das Konzept war auf einmal da. Ideen sind wie die Geschenke der
Zahnfee.

Wie war es, so
viele unterschiedliche Leute für eine Bild-Serie zu fotografieren?

Bis auf das teilweise unglaublich schwierige Unterfangen, einen Termin zu
finden, toll.

Welche Begegnung hat
dich am meisten beschäftigt?
 
Das
Model kam 20 Minuten zu spät und ich war schon fast ein bisschen angefressen,
aber manchen Menschen kann man eben nichts übel nehmen. Und dann war es einfach
witzig und produktiv – wir hatten total schnell tolle Bilder im Kasten und
haben dann noch in der Sonne gesessen, ein Eis gegessen und eine spannende
Unterhaltung geführt.  

War es
schwieriger, z.B. einen Schauspieler/Musiker zu fotografieren (also selbst
“Künstler”), als professionelle Models? Wenn ja, warum?

Schwieriger eigentlich gar nicht, ich fotografiere oft mit Menschen, die wenig
Erfahrung als Modell haben. Ich mag, wenn Menschen noch keine einstudierten
Posen haben.
Natürlich ist es etwas anderes, als wenn man sich die Modelle selbst aussuchen
kann und sie nachher zum eigenen Bildstil passen, aber manchmal ist es auch
spannend seine Comfort-Zone zu verlassen.

Bist du auch mal an deine Grenzen
gestoßen? Musstest du deine Vorstellung/ dein Konzept über den Haufen werfen,
weil es schlichtweg nicht ausführbar war?

Ach, wir haben fast immer viel ausprobiert und somit auch einiges verworfen.
Aber das war für mich gerade der Reiz des Projekts. Sich und andere
ausprobieren und scheitern dürfen.

Nimmst du die
Szene dieser Stadt nach dem Projekt anders war? Braucht es mehr Vernetzung?
Hauptsächlich habe ich einmal mehr bemerkt, dass hier fast alle
irgendwie schon Freunde von Freunden sind.
Aber irgendwie ist das ja auch schön.

Foto: Laura Zalenga

Mein München – Theresienwiese

Frühlingsfest? Nicht so Georgs Ding. Doch für’s Foto zieht es ihn dann doch manchmal auf die Theresienwiese.

Herrenlos verteilte Anhänger voller bunter, geschachtelter Elemente sprießen wieder wie Frühlingsblumen auf der Theresienwiese auf. So sehr Georg-Christoph Maria Stadler, 25, die festlichen Aktivitäten auf dem Gelände meidet, um so mehr faszinieren sie ihn. Das Bild entstand wenige Wochen vor Beginn des Frühlingsfestes, als er mit dem Fahrrad unterwegs war. „Ich bin kein Fan davon“, sagt er. Georg bevorzugt die Ruhe vor dem Sturm: „Alle Fahrgeschäfte sehen interessanter aus, wenn sie zusammengefaltet auf den Tiefladern liegen und schlafen.“ Für alle, die solche Fotos schätzen, postet er seine Bilder auf der Foto-Plattform Instagram als blckcstls.  Natalie Mayroth

Neuland

Es sind schwierige Lebensbedingungen: Stefan Loeber hat für seine Bachelorarbeit Beduinen in Israel begleitet. Nun soll seine Arbeit als Buch erscheinen.

Unbekannten Boden hat vergangenes Jahr Stefan Loeber (Foto: Johannes Gerblinger), 26, betreten: Knapp ein halbes Jahr war Fotostudent Stefan in Israel, um Bilder für seine Abschlussarbeit an der Hochschule München zu machen. Für sein Projekt „Bedouin“ hat Stefan Beduinen durch ihren Alltag in der Wüste begleitet. Die Lebensbedingungen dort sind rau: Viele der Beduinendörfer werden von der israelischen Regierung nicht anerkannt, immer wieder werden die Siedlungen zerstört. Nun soll seine fotografische Arbeit auch als Buch erscheinen. Seit Anfang April sammelt er über die Crowdfunding-Webseite Startnext 2500 Euro, um „Bedouin“ in höherer Auflage produzieren zu können. „Ich habe sehr viel Arbeit in dieses Projekt gesteckt und gemerkt, wie erzählenswert dieses Thema ist“, sagt Stefan – für viele seien die Lebensbedingungen der Beduinen etwas völlig Neues gewesen. „Da gab es viele Fragen und viel Redebedarf.“ 

Das Projekt unterstützen kann man auf: www.startnext.com/bedouin

Carolina Heberling

Mein München: Poccistraße

Wenn die Nacht zum Tage wird: Fotografin Kerstin Rothkopf hält mit ihrer Kamera den Frühling über den Dächern Münchens fest.

Frühling ist die Jahreszeit, in der die Natur erwacht. Auch die junge Fotografin Kerstin Rothkopf, 26, kommt im Frühling „raus aus dem Winterschlaf“. Mit den ersten warmen Tagen beginnt für die Kommunikationsdesign-Studentin dann auch die Isarsaison. Die immer länger werdenden Tage reichen der Wahlmünchnerin nicht, deswegen macht sie mit ihren Freunden die Nacht zum Tag. Nach einigen durchtanzten Stunden landen sie zum Sonnenaufgang auf dem Dach eines Bekannten in der Poccistraße. Kerstin betätigt den Auslöser genau in dem Moment, als Alina die Augen schließt und die Umarmung ihres besten Freundes Tim genießt. Ein intimes Motiv voller Vertrautheit, das durchaus an die Fotografien von Théo Gosselin erinnert.  Stefanie Witterauf

Mehr Bilder gibt es unter: http://kerstinskopf.de

Die Entdeckung Amerikas

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Amerikanische Doppelhaushälften und riesige Supermärkte: Lila Hartig (Foto: Franziska Schrödinger) hat mit ihrer Kamera Amerika entdeckt. Nur liegt das nicht in den USA, sondern in Bayern – für ihre Bachelorarbeit hat Lila Stützpunkte der US-Army in der bayerischen Einöde fotografiert.

Die Häuser des Rocky-Mountain-Way säumen gleichmäßig die Straße: orange verputzte Doppelhaushälften mit gepflegten Vorgärten. Neben der Haustür hat jemand eine Fahne angebracht: Stars and Stripes. Auf dem Gehweg: ein Kürbis. Bald ist Halloween. Es ist die perfekte Idylle einer amerikanischen Kleinstadt. Nur liegt die nicht in Amerika, sondern in der Oberpfalz, in Grafenwöhr. 

Der kleine Ort ist einer von vielen Standorten, an dem sich amerikanische Besatzer nach dem Zweiten Weltkrieg niedergelassen haben. Die Amerikaner sind bis heute geblieben, ebenso ihre Kultur. Fotografiestudentin Lila Hartig hat genau diese Kultur fotografiert. Für ihre Bachelor-Arbeit im Fach Design an der Hochschule München hat die 25-Jährige zwei US-Army-Stützpunkte in Bayern besucht und das Leben der Soldaten und ihrer Familien mit der Kamera dokumentiert. Es ist ein seltener Einblick, denn die Amerikaner leben dort abgeschirmt von der bayerischen Wirklichkeit. 

Wer rein will in das militärische Gebiet, muss durch eine Passkontrolle. Fotografieren? Streng verboten. Dabei würde man manches kaum glauben, wenn man keine Fotos hätte; dass da Menschen mitten in Europa mit Dollar bezahlen. Dass der Strom aus 110-Volt-Steckdosen fließt und am Straßenrand in der bayerischen Einöde die Leuchtreklame des „Roadside Diner“ zum Essen einlädt. „51st State“ hat Lila ihre Arbeit genannt – 51. Staat. Passt zu dieser Parallelwelt.

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Lila, die ursprünglich aus Landshut kommt, war nach dem Abitur selbst ein Jahr in den USA. Die Popkultur des Landes habe sie damals fasziniert. Das Inbild der Popkultur: Disneyland – Amerikaner bauen nach europäischen Märchenvorlagen eine Traumwelt mit Micky-Mäusen, Achterbahnen, Zuckerwatte. Genau dort arbeitet Lila ein Jahr lang: in Epcot, einem Themenpark, der zum Disney Resort gehört. Dort gibt es einen sogenannten World Show Case. „Da werden Länder ausgestellt“, erklärt Lila das Prinzip des Freizeitparks. Auch Deutschland. Da stehen niedliche, mittelalterliche Häuser, wie man sie hierzulande aus Rothenburg ob der Tauber kennt. In kleinen Läden können die Besucher Weine und Weihnachten kaufen. Im deutschen Restaurant stehen Klassiker wie der „Black Forest Cake“ auf der Karte. Lilas Job: Bier ausschenken, in Tracht. „Kulturrepräsentant“ nennt sich das. Vorher hatte sie nicht mal ein Dirndl. 

Mit ihren Kollegen wohnt Lila auf dem Gelände des Freizeitparks, unternimmt von dort aus Reisen, um das echte Amerika zu entdecken. Las Vegas zum Beispiel. Das Mekka amerikanischer Lebensart. Es ist eine Scheinwelt, in der Lila merkt, wie wichtig Heimat sein kann. „Wir sind auch in deutsche Restaurants gefahren, weil wir das Bier vermisst haben“, erzählt sie. Die junge Fotografin hat selbst erfahren, wie das ist, fremd zu sein.

Nun also diese Abschlussarbeit: Heimat fotografieren, amerikanische Heimat im Miniformat. Die Bilder, die dabei entstehen, legen bewusst den Fokus auf das Privatleben der Soldaten. Ein Privatleben unter schwierigen Bedingungen: Die Soldaten müssen oft umziehen und sind selten länger als ein paar Jahre an einem Standort. „Heimat auf Zeit“, nennt Lila das. „Es hat mich fasziniert, dass man sich so einen kleinen Staat aufbaut, der komplett amerikanisch ist und man dort autark von Bayern lebt“, sagt Lila. Der 51. Staat eben: Die Kinder der Soldaten lernen nach amerikanischem Schulsystem, eingekauft wird in riesigen Supermärkten. Amerikanische Ignoranz? Nicht wirklich, das weiß Lila inzwischen. Wer dauernd umzieht, für den ist Heimat umso wichtiger. Manchmal ist Heimat eben das Fast-Food-Menü bei Taco Bell. 

Für ihre Abschlussarbeit hat Lila sich mit vielen Soldaten unterhalten. Bei einer Familie konnte sie sogar an Thanksgiving sein – einem der wichtigsten Feiertage für die Amerikaner, den viele nur im engen Kreis ihrer Familie verbringen. Daraus entstanden ist ein freundschaftlicher Austausch zwischen den verschiedenen Lebenswelten. „Die Amerikaner, die ich getroffen habe, sind sehr interessiert an unserer Kultur“, sagt Lila. „Die suchen ja auch ihre Wurzeln in Europa.“ Wurzeln suchen. Keine einfache Sache für jemanden, der dauernd umzieht. Die Soldatenfamilie, die Lila fotografisch begleitet hat, verreist viel, will Europa entdecken. Auf dem Reiseplan: unter anderem das Konzentrationslager Auschwitz. Es ist diese Ambivalenz zwischen eigener und fremder Kultur im Leben der Soldaten, der Lila mit ihren Bildern gerecht werden will. 

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Die politische Dimension der Stationierung spart die junge Fotografin in ihren Bildern bewusst aus. Dabei geraten gerade amerikanische Militärbasen in Deutschland immer wieder in die Kritik der Öffentlichkeit. So zum Beispiel der Air-Force-Stützpunkt in Ramstein, Rheinland-Pfalz: In Ramstein werden Daten amerikanischer Drohneneinsätze analysiert und in die USA weitergeleitet. Drohneneinsätze, die in Ländern wie dem Jemen oder Afghanistan Menschen töten. Verständlich, dass US-Soldaten in Deutschland kritisch gesehen werden. Der 51. Staat, den Lila mit der Kamera einfängt, ist mit seinen Zäunen und Passkontrollen also auch Schutzraum für die Soldaten. Denn die verschwinden in der Öffentlichkeit schnell hinter Klischees: Blinder Patriotismus, amerikanische Machtfantasien. Lila weiß, dass viel mehr dahinter steckt. Da gibt es zum Beispiel den jungen Soldaten ohne Highschool-Abschluss, den sie fotografiert hat. Seine Eltern haben in einer Wohnwagensiedlung gelebt, er selbst war in einer Drogengang. Die Army ist für ihn eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs.

Lila war übrigens – zu ihrer eigenen Sicherheit – nie allein unterwegs: Eine professionelle Kamera wirkt irgendwie verdächtig auf einem Militärgelände. Lila, eine Spionin? Ja, eine Kulturspionin.

Carolina Heberling

Fotos: Lila Hartig, mehr Bilder unter: http://lilaheart.com/ und unter: https://www.facebook.com/51stStateLilaHartig

Neuland

“Tennis” gibt es nur analog – das Fotomagazin von Skater Florian Netzer erscheint bewusst nur im Print. Die Idee: Wer eine Sache in den Händen hält, bringt ihr mehr Wertschätzung entgegen.

Neuland betritt Florian Netzer, 23, (Foto: Simon Reichel) mit der ersten Ausgabe seines selbst verlegten Magazins „Tennis“. Auf 24 Seiten veröffentlicht der junge Skater seine Fotografien, Collagen und Gedanken. Wenn etwas online veröffentlicht wird, dann erhält es wenig Wertschätzung, findet Florian. Mit seiner Kamera durchforstet er die Straßen Münchens. Oft sind es skurrile Momente, die er beobachtet und dokumentiert. Aufgewachsen ist Florian in Pullach. Doch Anschluss hat er dort nie gefunden. Seine Fotos sind ein Versuch, sich den Eigenarten fremder Menschen anzunähern. Mittlerweile sind Hunderte von Bildern entstanden, die er nun mit seinem Magazin der Öffentlichkeit präsentieren will.

„Tennis“ soll in unregelmäßigen Abständen erscheinen. Kostenpunkt: drei Euro. „Studieren will ich nicht, deswegen bringe ich mir alles selbst bei. Grafik, Layout und Typographie“, sagt Florian. Die Einnahmen sammelt der 23-Jährige. Bis er 30 Jahre alt ist, soll das gesparte Geld nicht angerührt werden. Dann soll es genutzt werden, um einen Bildband mit seinen Fotos im Eigenverlag zu veröffentlichen. „Ich nenne es analoges Crowdfunding“, sagt er. Informationen unter: www.tennismagazine.bigcartel.com  Stefanie Witterauf

Mein München: Professor-Huber-Platz

München – das ist für Wasil Schauseil ein Zufluchtsort. Besonders im Univiertel hat Wasil oft fotografiert, so zum Beispiel den Professor-Huber-Platz.

Als Jugendlicher hat Wasil Schauseil, 26, München als Zufluchtsort vor seinem Heimatdorf im Landkreis Mühldorf gesehen. Im Studium nannte er es sein Zuhause. Dann kam der Umzug nach England. Er macht dort seinen Master in Anthropology und Cultural Politics. Und er wollte sich den „gewohnten Bahnen meiner Gedanken entreißen“. Wasil war oft im Univiertel. Besonders neben dem Brunnen am Professor-Huber-Platz, wenn in seinen Kopf keine weiteren Informationen passten. In einer Lernpause kam ihm die Idee einer Fotoserie, bei der er belebte Orte ihrer Menschen mit Hilfe von Langzeitbelichtung beraubt. Durch diese Technik verschwinden die vorbeihastenden Fahrradfahrer und Passanten. Auch Formen und Kontraste werden reduziert. „So verändern mir vertraute Plätze ihre Erscheinungen“, sagt Wasil.

Stefanie Witterauf

Komm mit, lauf weg

Sie kennen sich nicht und doch verbringen sie den Tag miteinander: Für ihre Bachelorarbeit hat Designstudentin Rita Kocherscheidt (Foto: Jonas Nefzger) zwölf fremde Menschen einen Tag lang begleitet und ihren Alltag mit Fotos und Zeichnungen dokumentiert.

Kann man jeden Menschen mögen, wenn man ihn nur kennt? Elias verneint. Rita glaubt, ja, man kann. Die Frage entstammt einem Bogen, den Rita Kocherscheidt für ihre Bachelorthesis erstellt hat. Er ist Teil eines Projektes, in dem sich die Designstudentin mit Nähe und Distanz auseinandergesetzt hat. Hierfür hat die Münchnerin in den vergangenen Monaten zwölf fremde Menschen einen ganzen Tag lang begleitet, porträtiert und ihr Umfeld mit Kamera und Zeichenblock aufgenommen. Was dabei entstanden ist, stellt sie vom kommenden Samstag an in der Lothringer 13 Halle aus. 

Ihre Worte wählt Rita mit Bedacht, ihre Bewegungen sind ruhig. Bevor sie spricht, hält sie oft inne. Für die kleinen Dinge nimmt sie sich gerne viel Zeit. Doch – wie viele andere Menschen auch – ist Rita manchmal schnell darin, sich über Fremde ein Bild zu machen. Das will sie ändern – bei sich und anderen.
 Im Frühjahr 2014 reiste sie durch Israel und schlief auf fremden Sofas, war begeistert von der Offenheit ihrer Gastgeber: „Dort habe ich so viele tolle Menschen getroffen, die mir sehr offen begegnet sind, obwohl wir uns vorher nicht kannten.“ Ihre Bachelor-Idee nimmt seit diesen Erfahrungen Gestalt an: Reisen in andere Leben.

 Zurück in München beginnt die Planung der Arbeit, mit der die 28-Jährige nach gut vier Jahren an der Hochschule München ihr Designstudium abschließt. Sie hat sich Zeit gelassen, viele Nebenjobs und freie Arbeiten angenommen. Auch ihre letzte Arbeit sollte kein Ad-hoc-Projekt werden, sondern Stück für Stück entstehen. Ihr Plan: Toleranz und Vorurteile durch Konfrontation im Selbstversuch thematisieren. Zwei Tage will sie mit einer unbekannten Person teilen, sie in ihrem Alltag begleiten, sie kennenlernen. Und vor allem: beobachten, ohne zu urteilen. „Es geht dabei nicht um meine Welt oder seine. Es geht darum, durch Zeit Raum zu schaffen und die Schönheit, die in jedem Menschen steckt, zu sehen und zu zeigen.“ 

Die Arbeit beginnt in Berlin, wo sich Rita für zwei Monate im Herbst vergangenen Jahres aufhält. Hier trifft sie sieben verschiedene Menschen, die sie über Freunde, auf Facebook oder einfach auf der Straße kennenlernt. Meist Kreative, freischaffende Künstler und Selbstständige. Einer von ihnen ist Elias Kreuzmair, 28, ursprünglich Münchner und hier in der Literaturszene bekannt. Hin und wieder beobachtet er die Studentin bei ihrer Arbeit. „Ausgerechnet das hat sie fotografiert, dachte ich damals“, erzählt Elias, aber unangenehm und fremd sei es nie gewesen. „Ich habe meine Sachen gemacht, und Rita war auf angenehme Weise mit dabei. Die Stimmung war konzentriert und kreativ.“

Von den ursprünglich geplanten zwei Tagen rückt Rita schnell wieder ab: „Das ist einfach zu lang.“ Am Morgen nimmt die Studentin ein Porträt auf. Am Abend noch eins. Die Frage: Lassen sich in den Gesichtszügen Entwicklungen, Sympathien oder Antipathien erkennen? In der Zwischenzeit fotografiert Rita die fremde Wohnung, Arbeitsräume, das Café, in dem sie gemeinsam sitzen. Kleine Details und das große Ganze. Immer mit dem Blick auf das, was es ist. Ohne es zu interpretieren. Im Laufe des Tages wird ein Fragebogen ausgefüllt, auch hier spielt sie bewusst mit Worten: „Wo bist du richtig?“ „Was ist Inhalt?“ 

Nebenbei zeichnet Rita Dinge, die ihr auffallen, sie inspirieren. „Eigentlich war das gar nicht der Plan, aber ich hatte schnell den Eindruck, dass es den Beobachteten komisch vorkäme, wenn ich nur dort sitze und sie ansehe.“
 Doch dann ist sie es, die sich manchmal komisch vorkommt. Wie ein Kind, weil ihr alle Entscheidungen des Tages abgenommen werden. Vor allem aber, wenn andere Menschen hinzukommen: „Das ist Rita – die sitzt hier und zeichnet – ich kenne sie eigentlich auch nicht.“ Trotzdem schreibt sie irgendwann auf: „Es ist schön, weil wir beide schweigen“, nicht weil sie es so schön findet, dass der Andere endlich still ist, sondern „weil ich es faszinierend fand, wie mit einem fremden Menschen so schnell positive Stille entstehen kann.“ 

In München trifft die Designstudentin noch einmal fünf Menschen. Spürt sie einen Unterschied zwischen den Städten? Ja, irgendwie schon. Die Berliner seien lockerer, gewohnter, dass so etwas passiere, weil Berlin einfach mehr in Bewegung sei. In München hatten die meisten, die Rita traf, richtige Jobs, zu denen sie nicht mitkommen konnte. Also blieb meist nur das Wochenende. 

Zwölf fremde Menschen, 24 Porträts – sind sie ihr näher gekommen, an einem Tag? Rita überlegt: Was in sozialen Netzwerken sehr schnell geht, dauert in der Realität viel länger. „Etwas Echtes zu teilen braucht mehr Zeit. Da reicht kein Tag. Trotzdem hat es sich bei der Verabschiedung fast immer etwas vertraut angefühlt. Vielleicht, weil man sich anders kennenlernt.“ 

Die Essenz ihrer Arbeit? Toleranz. Auch wenn es nicht einfach sei, Rita versucht nun, bewusster Menschen kennenzulernen, ohne sich sofort ein Bild zu machen. „Ich glaube, jeder Mensch hat etwas Nettes, bei manchen muss man vielleicht nur genauer hinschauen.“

Gemeinsam mit ihren Kommilitonen, die auch im Wintersemester ihr Studium abgeschlossen haben, stellt Rita Kocherscheidt nun ihre Bachelorarbeit aus. Zu sehen ist ihr Buch am 14. und 15. März bei der „NEU NEU NEU“-Ausstellung in der Lothringer 13-Halle. Weitere Informationen zur Ausstellung unter www.neu-neu-neu.net.

Friederike Krüger

Neuland

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Schreiben wird überbewertet, findet Itje Kleinert – und hat deshalb den Musikblog Tune Art auf die Beine gestellt, der fast ganz ohne Text auskommt. „Es ist in Deutschland üblich, nur zu schreiben und die Bildsprache nicht zu benutzen“, erzählt Itje, die als Fotografin unter dem Künstlernamen Käthe deKoe bekannt ist. „Ich wollte mal was Anderes machen!“ 

Visuelles Musikmagazin nennt sich ihr Blog, der seit Anfang Februar online ist. Tune Art (www.tune-art.com) bietet Konzertfotos und Videos. Itje selbst ist aus der Münchner Indie-Szene mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Seit 2009 fotografiert sie regelmäßig auf Konzerten und hat schon Hunderte Bands abgelichtet. Auch die Junge-Leute-Seite hat ihre Bilder oft abgedruckt – beispielsweise vom Atomic Café, in dem sie Stammgast war. 

Das Visuelle verrät viel über die Künstler, findet die Bloggerin: „Wenn man meine Bilder genauer anguckt, errät man die Musikrichtung, ohne die Band zu kennen.“ Itje, die in einer Bildagentur für Illustration arbeitet, schreibt ohnehin ungern. „Für fünf Sätze brauche ich eine Stunde, weil ich zu viel überlege.“