Mutterrolle

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Studieren mit Kind? An deutschen Unis keine Seltenheit mehr. Auch Hannah Schutsch, 23, wurde während ihrer Ausbildung schwanger. Nur: Sie wird Schauspielerin – und am Theater spielt es sich mit Baby schwer

Otto-Falckenberg-Schule, Ende Oktober: Eine junge Frau mit dunklem Haar sitzt im Scheinwerferkegel. Sie hockt auf einem Stuhl vor dem Publikum, wirkt etwas verloren. Durch ihre Worte verwandelt sie sich langsam in Penthesilea, Kleists berühmte Amazone. Das weiße Hemd, das sie trägt, kaschiert den darunter liegenden Schwangerschaftsbauch: Keine zwei Monate mehr, dann bekommt Hannah Schutsch ihr erstes Kind. Ihre Schwangerschaft mutet im Angesicht der Figur, die die 23-Jährige an diesem Abend ein letztes Mal verkörpert, irritierend an: Penthesilea ist Königin der Amazonen und damit Regentin eines männerfreien Staats. Männer werden, so will es die Tradition, nur zur Zeugung unterworfen.

 Eine Woche später. Intendantenvorsprechen. Vielleicht die wichtigste Zeit im Leben eines Schauspielstudenten. Man zeigt, was man gelernt hat in der Ausbildung. Präsentiert Rollen und mit den Rollen sich selbst. Im Publikum: einige potenzielle Arbeitgeber, Intendanten deutschsprachiger Theater. Talente sichten, auf der Suche nach einem Gesicht, das ins eigene Ensemble passt.
 Doch Hannah betritt an diesem Abend nicht die Bühne. Geplant war das anders, denn es ist ihr Abschlussjahrgang, der dort Monologe von Roland Schimmelpfennig, Heiner Müller oder Friedrich Schiller spielt. Wehmut bei Hannah? Sie lächelt, wenn sie über dieses Thema spricht. Wirkt ruhig, unaufgeregt. Den Bauch unter ihrem dunkelgrünen Pulli sieht man erst jetzt in seiner vollen Größe. „Ich versuche das zu nutzen für mich, dass ich Zeit bekommen habe, noch nicht so rausgeworfen werde auf den Arbeitsmarkt. Man fühlt sich als Schauspieler so schrecklich abhängig. Und nun habe ich den Raum, das noch einmal zu reflektieren. Durch ein Kind bekommt all das eine viel realere Ebene, die mir gerade eher gut tut“, sagt sie leise. 

Wenn die junge Frau so über das Theater spricht, spürt man, wie sehr sie damit ringt. Die gebürtige Berlinerin ist hinter den Kulissen groß geworden: Ihre Mutter war damals Bühnenbildnerin, der Vater Dramaturg. Schon früh merkt sie, dass auch sie ans Theater will, macht eine Regiehospitanz am Nationaltheater Mannheim. „Das war dann aber doch zu viel sitzen und zugucken.“ Hannah will selbst spielen, dem Zuschauer „Geschichten mit dem Körper erzählen“, wie sie es nennt. Sie bewirbt sich an Schauspielschulen, nach nur wenigen Vorsprechen klappt es an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Ein guter Ort, um zu lernen. Für Hannah auch ein Ort, um zu zweifeln. Sie ist 20, als sie ihr Studium beginnt. „Die Jahre nach der Schule machen eh viel mit einem. Wenn man dann zusätzlich nur mit sich beschäftigt ist, fühlt man sich irgendwann einfach blöd.“

Anders als an einer Uni gehe es hier nicht um Fakten, Zahlen, Diskurse. Die Schule habe ihr einen Erfahrungsraum bereitgestellt, sagt Hannah: Wer bin ich, als Künstlerin, als Mensch? Wo will ich hin? Was können mein Körper, meine Stimme? Wo habe ich Defizite?

Diese permanente Auseinandersetzung mit sich ist nicht nur schön. Sie macht auch mürbe, von innen heraus. „Man will immer interessant sein. Dann macht man das zwei Jahre und denkt hinterher: Ich habe eigentlich nichts gelernt, ich habe immer nur gekämpft um das Ansehen des Publikums.“ Zeige dich, schillere. Sich von diesem Gedanken zu emanzipieren, ist nicht leicht, besonders dann, wenn man ein Kind im Bauch trägt. 

Ihre Kommilitonen müssen derzeit genau das: sich präsentieren. Nach dem Intendantenvorsprechen haben einige von ihnen bereits Angebote bekommen, fahren an Theater, um sich vorzustellen, im Gepäck die Hoffnung auf ein Engagement für die kommende Spielzeit. „Klar wollte ich das mit denen gemeinsam fertig machen. Wenn man die spielen sieht, will man sofort mitmachen. Aber eigentlich denke ich: Es tut so gut, Zeit zu haben. Das ist auch eine Chance.“ Doch: Die Entscheidung für das Kind zu treffen, war auch für Hannah nicht leicht. Als Hannah ihre Schwangerschaft bemerkt, ist sie bereits im vierten Monat. Eine Abtreibung kommt da nicht in Frage. Und: Sie will dieses Kind, freut sich so sehr darauf, das merkt man im Gespräch.

Hannah ist nicht die einzige, die im Studium ein Kind bekommt: Allein an der Ludwig-Maximilians-Universität sind derzeit circa 2000 Studierende „mit Familienverantwortung“ eingeschrieben, schätzt die zuständige Beratungsstelle. Von den Unis kommt hier viel Unterstützung: Wer ein Kind großzieht, kann mehrere Urlaubssemester nehmen, viele Hochschulen bieten Kitas für den akademischen Nachwuchs an, die LMU hat zudem eigene Rückzugsräume für Studenten mit Kindern. Studium und Kind zu vereinbaren, scheint angesichts dieser Angebote für manchen jungen Menschen fast leichter zu sein, als erst hinterher, im Job, mit der Familienplanung zu starten.
 Doch Hannahs Schule ist klein. Rund 50 junge Künstler werden an der Otto-Falckenberg-Schule derzeit ausgebildet, Schwangerschaften passieren zwar auch da immer mal wieder, sind jedoch eher die Ausnahme. Dass die Schule sie in ihrer veränderten Lebensplanung dennoch unterstützt und Hannah problemlos ein Jahr zurückstuft, war für die werdende Mutter eine große Erleichterung. 

Eine Ausbildung an einer guten Schauspielschule ist kein Garant für ein Engagement. Und selbst, wer fest angestellt ist, arbeitet nicht unbedingt unter Bedingungen, die sich mit Kindern vereinbaren lassen: 1850 Euro brutto beträgt die Mindestgage von Januar 2017 an, in Städten wie München, Stuttgart oder Frankfurt reicht das nach Steuern und Miete gerade so, um sich selbst zu finanzieren. Hinzu kommen ungewöhnliche Arbeitszeiten: Tagsüber wird geprobt, abends gespielt. Gerade in der Endprobenphase ist das mit kleinen Kindern schwierig. Und: Wer als Schauspieler in Elternzeit geht, fällt am Theater monatelang aus und kann in dieser Zeit nicht für neue Produktionen besetzt werden. Die Folge: Verträge werden mitunter nicht verlängert.

Hannah kennt diese Probleme, sie ist quasi im Theater aufgewachsen. Sie wirkt nicht ängstlich, was das Kommende anbelangt. Auch, weil ihre Eltern sie finanziell unterstützen werden, weil da ihr Freund ist, mit dem sie lebt und das Kind großziehen wird. „Letztens haben wir mit Puppen das Stillen geprobt, beim Geburtsvorbereitungskurs“, sagt sie mit einer gewissen Selbstironie in der Stimme. Eltern sein ist eine Rolle, in die man eben auch hineinwachsen muss. „Wir wissen, dass uns das verändern wird. Aber das finde ich einen schönen Gedanken. Was mich eher beängstigt: Man muss sich explizit Raum schaffen, um Kinder großzuziehen. Gerade am Theater ist das schwierig. Dieser Raum ist da nicht.“ Das zu ändern, darum bemühen sich Initiativen wie das Ensemble-Netzwerk. Eine neue, andere Generation von Schauspielern formiert sich gemeinsam, um die Bedingungen in ihrem Beruf zu verbessern: faire Bezahlung, eine Arbeitsbelastung, die Künstler nicht ständig an ihr Limit bringt.

Für Hannah ist Theater ein Raum, „wo man träumen darf, wo dieses Träumen sogar etwas anrichten kann“. Träumen, das wird sie, das darf sie. Und dann in ein, zwei Jahren in die Welt hinausgehen: Denn dann steht auch Hannah beim Intendantenvorsprechen auf der Bühne. Mit Kind. Trotz Kind. Es wird ein Mädchen.

Text: Carolina Heberling

Foto: Florian Peljak

Zufallsstudium: Ach, ihr Dichter

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Was studiert der Junge mit den Dreadlocks eigentlich? Welchen Kurs besucht das Mädchen, das in der U-Bahn neben uns saß? Woche für Woche folgen wir fremden Studenten zum „Zufallsstudium“. Dieses Mal heißt es:  Römer versus Punier. Carolina hat es in einen Lektürekurs verschlagen. Auf Latein. Um acht Uhr früh.

Der Tod ist an diesem Morgen pathetisch. Die Römer im Kampf gegen die Punier. Es sieht schlecht aus für Roms Soldaten. Doch: Besser im Kampfe sterben und dem Feind den Weg mit einem Wall aus Leichen versperren, als feige sein. Denn nur der Tapfere stirbt einen glücklichen Tod, dem Feigen hingegen verkürzt sich ein langes Leben zu einem kurzen Augenblick. So oder so ähnlich heißt es in Petrarcas Epos „Africa“. Wenn ich das richtig verstanden habe. Verstehen, das ist mein Problem: Ich bin in einen Lektürekurs geraten. Auf Latein. Um acht Uhr früh.

Fünf Minuten zuvor: Ich folge einem jungen Mann. Braune Jacke, braune Schuhe, dunkle Jeans. Sieht normal aus. Was studiert einer, der normal aussieht? Wir betreten einen  Vorlesungssaal im Hauptgebäude der LMU, ich setze mich eine Reihe hinter ihn. Auf den Tischen, hier und da, einige Gesetzbücher. BGB. Oh je, Volltreffer. Recht, da hatte ich in der Schule doch immer eine Drei oder Vier. Das einzige, was ich noch weiß, ganz aus dem Kontext gerissen: Auch Unterlassen kann eine Handlung sein. Also unterlasse ich. Ich unterlasse es, zu bleiben. Denn irgendwann, kurz vor Kursbeginn teilt die Dozentin Blätter aus. Prüfungsbögen. Ich bin in eine Klausur geraten.  Panik. Schnell weg hier, rein in den nächstgelegenen Hörsaal.

Mitten in die Schlacht zwischen Römern und Puniern. Erst mal hinsetzen und durchatmen. Hach, Latein. Eine alte Sprache, die alte Gefühle weckt: Dieses Unbehagen, wenn man in der neunten Klasse plötzlich laut vorübersetzen musste. Und fünf Minuten brauchte, um einen Satz aus zehn Worten zusammenzustöpseln. Wenn der nette Dozent mit dem blauen Pulli und der Halbglatze hier in der Uni einen aufruft, zögert niemand. Die Studenten übersetzen so fließend und schnell als lese man Englisch.  Mit jedem Satz die Angst: Irgendwann bin ich an der Reihe. Und dann gibt es nur mich – und all die vergessenen Vokabeln, den Ablativus Absolutus, das PPP, die Deponentien…

Man erspart es mir. Ein Glück. Wie in jeder Philologie, sind es Feinheiten, die im Kurs diskutiert werden: Wie übersetzt man dieses Wort am besten? Was jene Metapher wohl meint? Und wie geht man eigentlich mit Textstellen um, in deren Originalhandschrift ein Teil verloren ging? Das klingt detailverliebt. Unwichtig. Ist es aber nicht. Wir denken oft, es brauche nicht viel, um zu verstehen, machen uns gar nicht erst die Mühe, uns länger mit etwas zu beschäftigen. Sogar in meinem geisteswissenschaftlichen Studium habe ich das oft erlebt. Ein Text ist ein Text, also kann man ihn gefälligst auch verstehen. Und zwar sofort.

Doch was, wenn all das weit weg scheint? Die Feldzüge, die Römer? Die getragene Rede von Vaterland  und Heldentum? Es tritt einem gegenüber und fordert vom Papier herunter, eingeordnet zu werden. Von uns. Viele Jahrhunderte später. Der Autor ist schließlich tot, bild- wie körperlich gesprochen. Da macht es ein Unterschied, ob „voluptas“ an dieser einen Stelle im Text „Vergnügen“, „Wunsch“ oder „Genugtuung“ meint. Allmählich weiß ich wieder, warum mir diese Sprache einst Spaß gemacht hat. Man fühlt sich wie ein Schatzsucher. Die Studenten graben sich durch komplizierte Satzstellungen und abstruse Metaphern zu Bedeutungen vor. Schicht für Schicht wird ein Sinn freigelegt als sei er ein kostbarer Fund fürs Museum. Das erfüllt. Und macht ein bisschen pathetisch. Denn ach, ihr Dichter, wann starb schöner je ein Krieger als in den Schlachten Roms?

Von: Carolina Heberling

Foto: Lukas Haas

Neuland

Matthias Lang Film “König Laurin”, Abschlussarbeit für die HFF-München, ist für gleich zwei renommierte Filmpreise nominiert.

Alte Burgen und edle Ritter: Matthias Lang, Absolvent der Hochschule für Fernsehen und Film München, hat vergangenes Jahr seinen Abschlussfilm „König Laurin“ gedreht. Sein Debüt erzählt die Südtiroler Sage vom Zwergenkönig Laurin, dessen Rosengarten man angeblich sieht, wenn bei Sonnenuntergang für einen kurzen Moment die Alpen glühen. Der Film, der für Kinder wie Erwachsene gedacht ist, wurde nun direkt für zwei wichtige Preise im Bereich Kinderfilm nominiert: „König Laurin“ geht ins Rennen um den „goldenen Spatz“ und um den „weißen Elefanten“ – zwei Auszeichnungen, mit denen bereits Arbeiten wie „Wickie und die starken Männer“ (Regie: Michael „Bully“ Herbig) oder „Ostwind“ (Regie: Katja von Garnier) prämiert wurden. „Ich bin begeistert“, sagt Matthias, „denn mit uns sind gestandene Filme wie Heidi nominiert. Es ist schön, in einem Atemzug mit solch großen Produktionen genannt zu werden.“ Ob sein Film am Ende einen der Preise gewinnt, entscheidet sich im Juni. Aber: „Gewinnen ist mir gar nicht so wichtig, ich bin einfach gespannt, wie die Kinder auf den Film reagieren“, sagt Matthias. 

Von: Carolina Heberling

Foto: Lisa Heym

Ego-Shooting

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Amelie Satzger, 21, ist Fotografin und dabei immer ihr eigenes Model. Für sie ist das ein „meditativer Moment“, keine Aufmerksamkeitslüsternheit – im Netz kommen die Bilder gut an.

Ein intelligenter Tweet, ein lustiges Youtube-Video und schon ist man berühmt. Karrieren beginnen heutzutage oft im Internet. Wer sich zu inszenieren weiß, hat schnell mal ein paar Tausend Follower, die einem beim Schminken, Kochen, Modeln oder ganz generell beim Leben zusehen. Auch Amelie Satzgers Erfolg hat im Netz seinen Lauf genommen. Amelie war 19, da begann sie Selbstporträts von sich auf Instagram zu teilen. Anfangs war das nur ein Zeitvertreib – die junge Frau hockte gerade auf Föhr. Familienurlaub. Nicht unbedingt spannend, wenn man jung ist und die Welt entdecken will. Also hat sie ihre Kamera genommen, sich selbst geknipst und die Bilder hinterher online gestellt.

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Die Fotos, die sie von sich teilte, fanden rasch ein Publikum. Innerhalb weniger Wochen folgten ihr auf Instagram mehrere Tausend Menschen, auf der Fotoplattform 500 px hat sie inzwischen mehr als 32 000 Follower. Klingt erfolgreich. Aber: Manche dieser Seiten sind oberflächliche Orte. Auf Instagram sieht man oft nur die Schönen. Die, deren Leben man gern hätte. Die mit den perfekten Kleidern vor der perfekten Kulisse, die dann unter all dieser Perfektion zusammenbrechen – wie Instagram-Model Essena O’Neill, deren Aufbegehren gegen diesen Zirkus sie erst richtig berühmt machte. Ihre Botschaft damals: Hier wird wenig Substanzielles geboten. 

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Die Bilder, die Amelie Satzger, heute 21, macht, wollen nicht so recht passen zu dieser Welt. Schön ist auch Amelie. Toll sind auch die Kulissen, in denen sie steht. Und doch, die Fotografien der jungen Münchnerin erzählen mehr. Da gibt es dieses Bild von Amelie: Ein Mädchen treibt auf dem Wasser. Seine Augen sind geschlossen. Friedlich wirkt das himmelwärts gerichtete Gesicht, doch ihr Kleid zieht den Körper bereits in die Tiefe hinab. Es wirkt, als stürbe auf dem Foto dort Ophelia, die Geliebte Hamlets. Es ist ein Motiv, das in der bildenden Kunst oft aufgegriffen wurde. Nur bleibt Ophelia in diesen Bildern zumeist Objekt. Anders bei Amelie: Sie beobachtet durch die Kamera stets sich selbst, hat einen deutenden Blick auf das Ich. Und zwar in allen Seinsweisen, die die eigene Persönlichkeit zu bieten hat. Mal stark, mal zerbrechlich, mal kindlich, mal frech, aber immer: Amelie.

Dass so etwas mehr ist als ein Zeitvertreib im Internet, war schnell klar. Amelie hat ihr Archäologiestudium abgebrochen, ist um die Welt gefahren. Australien, Nepal, Island. Immer im Gepäck – die Kamera. So ist allmählich eine Reihe mythologisch angehauchter Selbstporträts entstanden: Amelie an nebligen Ufern, Amelie vor Wasserfällen, Amelie vor bedrohlich wirkenden Steinklüften…

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Klingt nach Selbstdarstellungssucht. Nach riesigem Ego. Da fährt eine in ein Land wie Nepal und fotografiert sich selbst. Doch mit der Aufmerksamkeitslüsternheit der Selfie-Stick-Generation haben Amelies Fotografien wenig gemein. „Es ist so ein meditativer Moment, wenn ich mich selbst fotografiere“, sagt die junge Frau mit dem dunkelblonden Haar und lächelt zurückhaltend. Es gehe ihr nicht darum, sich selbst als Person darzustellen, sondern darum, Gefühle zu verarbeiten, Geschichten zu erzählen durch die Bilder. „Da fühlt es sich nun mal nicht authentisch an, andere Menschen in Szene zu setzen.“ Sie ist einfach nur eine Künstlerin, die sich irgendwann zufällig selbst vor die Kamera gelaufen ist.

Sich selbst so zu fotografieren, erlaubt der Fotografin größeren Freiraum. Sich ganz allein an die Grenzen dessen begeben, was man preisgeben möchte. Sich auch mal nackt und schutzlos zu fühlen angesichts der Gewaltigkeit der Natur, in der man sich fotografiert. Amelie, die kleine Figur in der endlosen Wüste. 

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Wie wichtig diese ständige Selbsterfahrung für ihre Fotos ist, zeigt sich auch an der Produktionsweise der Künstlerin, denn von der ersten Idee bis zum fertigen Foto vergeht bei Amelie oft viel Zeit. Das beginnt mit einem Bild im Kopf oder einem Song im Ohr, der erzählt werden will. Es folgt die Suche nach dem passenden Motiv. Also begibt sie sich raus in die Natur, läuft viel herum, sieht sich alles genau an, hört Musik, überlegt dabei. „Dann schlafe ich eine Nacht drüber und komme am nächsten Tag wieder.“ Dieses Mal mit Kamera. Doch bis das Bild fertig ist, dauert es. Es gilt, den richtigen Fokus zu finden, Testaufnahmen zu machen. „Oft renne ich zwischen Kamera und Motiv hin und her.“ So lange, bis sie das Gefühl hat: So soll das Bild aussehen. Mit Selbstauslöser wird fotografiert. Je nach Wetterlage kann das gesamte Prozedere schon mal einige Stunden in Anspruch nehmen.

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Wer so lang mit sich und der Natur ringt, in ihr bei Eis oder Sturm nach dem einen Bild sucht, für den ist ein Berg, ein Ufer, eine Düne nicht einfach nur Kulisse. Amelie ist am Stadtrand von München aufgewachsen, in Fürstenried. Von dort ist es nicht weit zum Starnberger See, den sie so liebt und wo viele ihrer Bilder entstanden sind, so auch das Ophelia-Motiv. „In der Natur sind keine Menschen, die mich stören. Dort finde ich die Ruhe, meine Gedanken zu verarbeiten. In der Stadt ist das nicht mehr so leicht. Auf jedem Grünstreifen, in jedem Park beobachten mich Menschen. Und: Es wird viel mehr darauf geachtet, dass alles gepflegt aussieht.“

Wildwuchs? Leider nein. Eine ganz neue Erfahrung für Amelie, die erst im Februar an den Kolumbusplatz gezogen ist. Urbaner Trubel, dazu die vielen kreativen Menschen in der Nachbarschaft. Es arbeitet in ihr, wenn sie von diesen neuen Eindrücken spricht, das merkt man. An Amelies Händen klebt noch die Farbe vom Streichen der neuen Wohnung.

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Die Bilder, die sie erschafft, wirken im Kontext des Städtischen fast wie eine Gegenwelt. Entvölkerte Landschaft, durch die einsam sie wie eine Elfe oder Gottheit schreitet. Manchmal gibt es aber doch Spuren des Menschlichen. Die abgeholzten Bäume am Starnberger See etwa, vor denen sie posiert. Denn auch solche Dinge möchte sie zeigen. Den Eingriff des Menschen in die Natur. Die „Schönheit des Verfalls“, die so entstehe. Dieses Konzept scheint anzukommen: Amelie studiert inzwischen Fotodesign an der Hochschule München und hat bereits im Fotomagazin Storm eine Bildstrecke veröffentlicht. Für den Sommer ist eine Einzelausstellung geplant.

Die größte Resonanz kommt aber nach wie vor online. „Photo is perfect! It looks like an album or movie cover”, schreibt einer ihrer Fans auf Instagram. Ein anderer fragt: „Kannst du mal was Schlechtes posten, damit ich mich besser fühle?“

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Von: Carolina Heberling

Fotos: Amelie Satzger

Ein Abend mit: Elena Anais Lorscheid

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Elena Anais Lorscheid promoviert in Germanistik und gibt Schreibworkshops. Außerdem hat sie die Rationalversammlung ins Leben gerufen. Wenn Elena Anais nicht gerade ihre Gedanken zu Papier bringt, steht sie mit einem Bier unter der Dusche oder genießt im Café Da Me das Elena Frühstück. Und ab und zu kann es auch schon mal vorkommen, dass sie sich als Frisörin Lisa ausgibt.

Hier beginnt mein Abend:
Unter der Dusche mit einem Bier

Danach geht’s ins/zu:
zum Ausstellungspark und ins Kilombo oder ins ImportExport

Meine Freunde haben andere Pläne. So überzeuge ich sie vom Gegenteil:
„Findet ihr das nicht total münchnerisch?“

Mit dabei ist immer:
mein Notizbuch und eine Schreckschusspistole

An der Bar bestelle ich am liebsten:
einen Weißwein und einen Anisschnaps

Der Song darf auf keinen Fall fehlen:
Tigan & Zyntherius – Sunglasses at night

Mein Tanzstil in drei Worten:
Shaky, einfach shaky

Der Spruch zieht immer:
„Wer sich nicht ruiniert, aus dem wird nichts“ (Peter Rühmkorf)
Und zu späterer Stunde: „Nasty, but nice!“ (Parfümbeschreibung)

Nachts noch einen Snack. Mein Geheimtipp ist:
eine Pizza im Best Döner Kebap in der Schwanthalerstr.

Meine dümmste Tat im Suff war:
Einem unattraktiven Mann an der Bar habe ich erzählt, dass ich Lisa hieße und Frisörin wäre. Danach hat sich herausgestellt, dass er bei einem renommierten Verlag gearbeitet hat.  

Das beste Frühstück nach einer durchfeierten Nacht gibt`s im/bei:
Caffè Da Me, das Elena Frühstück steht auf der Karte

Diesem Club/dieser Bar trauere ich nach:
Dem Baby aus soziologischen Studienzwecken für meine Geschichten

Internetseite: www.elenalorscheid.de (im Aufbau)


Carolina Heberling

Foto: Marvin Ruppert

Ein Abend mit: Tristan Marquardt

Heute Abend liest Tristan Marquardt, 28, bei uns im Farbenladen. Wenn der Lyriker und Literaturvermittler ansonsten nicht gerade damit beschäfigt ist diverse Lesereihen zu initiieren oder an seiner eigenen Poesie zu feilen, dann trifft man ihn höchstwahrscheinlich im Café Philoma am Stiglmaierplatz oder zum Frühstück und Abendessen beim Uiguren Taklamakan am Hauptbahnhof.

Hier beginnt mein Abend:
Bei einer der vielen wunderbaren Lesungen – im Keller der kleinen Künste oder im Einstein oder im Lyrik Kabinett oder im Rationaltheater oder…

Danach geht’s ins/zu:
Samstag ins Charlie. Sonst: Café Philoma. Die Oase am Stiglmaierplatz, deren Besonderheit es ist, keine zu sein. Jede Nacht offen bis 5.

Meine Freunde haben andere Pläne. So überzeuge ich sie vom Gegenteil:
Alles andere hat zu.

Mit dabei ist immer:
Gute Freund*innen. Diskussionsbedarf. Und die Gewissheit, beim Darten die 19 zu treffen.

An der Bar bestelle ich am liebsten:
Tegernseer und Haselnussschnaps. Aber meine Schwäche ist Sekt.

Der Song darf auf keinen Fall fehlen:
Im Philoma regelt das Radio Arabella von ganz allein. Im Club die Jungs von Public Possession.

Mein Tanzstil in drei Worten:
Kopf- und Hüftschwung.

Der Spruch zieht immer:
Reim kann sein, Rhythmus muss.

Nachts noch einen Snack. Mein Geheimtipp ist:
Taklamakan. Der Uigure am Hauptbahnhof.

Meine dümmste Tat im Suff war:
Weiterzutrinken.

Das beste Frühstück nach einer durchfeierten Nacht gibt`s im/bei:
Taklamakan. Der Uigure am Hauptbahnhof.

Diesem Club/dieser Bar trauere ich nach:
Café am Hochhaus, wegen der Sonntage.

Internet: www.meinedreilyrischenichs.wordpress.com

Foto: Katja Zimmermann

Am seidenen Faden

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Eine Insel mit zwei Bergen: Filmstudentin Eva Merz will in ihrem Abschlussfilm „Strings of Hope“ die Geschichte
der Augsburger Puppenkiste erzählen. Gedreht wird in den USA. Doch nun droht das Projekt zu scheitern.

Urmel aus dem Eis, die Katze mit Hut, kleiner König Kalle Wirsch. Die Figuren der Augsburger Puppenkiste haben jahrzehntelang das Leben deutscher Kinder geprägt. Wer konnte es nicht mitsingen, das Lummerlandlied? So bekannt die Marionetten selbst sind, so wenig kennt man ihre Macher. Die Menschen, die sie schnitzen, sie liebevoll einkleiden, sie mit puppenspielerischem Können an den Fäden führen. Das möchte Filmstudentin Eva Merz nun ändern. Die 27-Jährige arbeitet derzeit an ihrem Abschlussfilm „Strings of Hope“, der die Geschichte von Walter Oehmichen und seiner Familie erzählt, den Begründern der Augsburger Puppenkiste.
 Doch Eva dreht nicht in Schwaben, sondern in Los Angeles. Mit amerikanischen Schauspielern. „Ich wollte keinen deutschen Film für deutsches Publikum drehen“, sagt sie, „sondern ein Stück deutsche Kultur in die Welt tragen.“ Die Puppenkiste sei in den USA kaum bekannt, erklärt Eva, die dort seit 2013 lebt und studiert.

Eva, geboren in Weilheim, hatte in München zunächst Fotodesign studiert, doch eigentlich wollte sie immer zum Film. Zwei Mal bewarb sie sich an der Filmhochschule in München. Zwei Mal wurde sie nicht genommen. So etwas kratzt am Selbstbewusstsein. Doch aufgeben, das konnte Eva nicht. Als Abschlussprojekt ihres Fotodesign-Studiums realisierte sie den Kurzfilm „Mondnacht“ basierend auf einem Gedicht von Joseph von Eichendorff. Über Jahre hatte sie versucht, Sponsoren und Förderer für den Film zu finden. Vergebens. Sie zahlte ihn letztlich aus eigener Tasche.

Eine gute Entscheidung, denn Mondnacht brachte sie in jenes Land, das für viele Filmemacher das Eldorado des Kinos ist: die USA. Sie hatte sich mit dem Film an mehreren Filmschulen dort beworben, gleich zwei lockten mit Stipendien, weil sie von der Arbeit der jungen Frau begeistert waren. Eine neue Erfahrung für Eva. „Mir wurde in Deutschland immer erzählt, was ich alles nicht machen kann“, sagt sie, „die Lebenseinstellung in L.A. ist viel motivierender. Hier glauben die Leute an ihre Träume.“ Das tat auch Eva – und wanderte 2013 aus, um am American Film Institute Conservatory zu studieren, zu dessen Absolventen Regisseure wie David Lynch zählen. Aber der Traum vom Filmemachen klang schöner, als er war: Nach einem Jahr Studium wurde Evas Stipendium nicht verlängert. 50 000 Dollar hätte sie allein für die Studiengebühren aufbringen müssen. Zu viel für Eva. Sie brach das Studium ab.

Manch anderer wäre enttäuscht nach Deutschland heimgekehrt. Nicht so Eva. Für Menschen wie sie gibt es das schöne Wort „Stehaufmännchen“. Das sind Puppen mit rundem Unterkörper, deren Schwerpunkt so liegt, dass sie sich immer wieder von selbst aufrichten, egal in welche Schieflage sie geraten sind. Eva hat sich wieder aufgerichtet: Mittlerweile ist sie im UCLA Extension-Programm, einer Art Fortbildung, um eine zusätzliche Expertise im eigenen Job zu bekommen. Solche Kurse gibt es auch für Regie. Um ein Zertifikat dafür zu bekommen, muss Eva nun ihren Abschlussfilm realisieren.

In „Strings of Hope“ versucht sie, die Entstehung der Augsburger Puppenkiste nachzuzeichnen. Es ist eine Geschichte, die 1945 beginnt. Da gibt es den Augsburger Schauspieler Walter Oehmichen, der bereits während des Krieges den Traum vom eigenen Figurentheater hegt und nun versucht, aus dem Nichts ein Theater hochzuziehen. Doch wie soll das nur funktionieren, wo Deutschland in Schutt und Asche liegt? Wie soll man damit eine Familie ernähren? Hinzu kommt: Oehmichen war im Dritten Reich der NSDAP beigetreten, um seinen Job als Oberspielleiter am Theater Augsburg zu behalten, wurde später sogar Landesleiter der Reichstheaterkammer. „Er wollte verhindern, dass ein hochrangiger Nazi auf diesen Posten kommt“, erklärt Geschichtswissenschaftler Matthias Böttger der seit mehr als einem Jahrzehnt die Geschichte der Puppenkiste aufarbeitet, „doch das hat sich später sehr gerächt.“ Oehmichen, der bereits 1945 den Antrag stellt, die Puppenkiste eröffnen zu dürfen, wird von den amerikanischen Besatzern zunächst als verdächtig eingestuft. Die Genehmigung für das Theater gibt es erst mal nicht. Drei Jahre dauert es, bis es zu einer Anhörung kommt. Er wird freigesprochen. Vermutlich auch, weil er während des Dritten Reichs Stücke inszenierte, die eigentlich verboten waren. 1948 kann die Puppenkiste eröffnet werden.

Diese Dinge richtig wiederzugeben, das ist Eva wichtig. Sie hat Oehmichens Erben getroffen, mit ehemaligen Mitarbeitern gesprochen, Einblick in Familienalben bekommen. Mehr als ein Jahr recherchiert sie nun schon. „Deutsche in Hollywood sind oft die bösen Nazis“, sagt Eva, „da gibt so ein Schwarz-Weiß-Denken.“ Ihr gehe es darum, in ihrem Kurzfilm auch die „Grautöne“ wiederzugeben, die Brüche in der Biografie ihrer Figuren sichtbar zu machen. Oehmichen, so formuliert Historiker Böttger es, sei im Dritten Reich tatsächlich eher unpolitisch gewesen, „aber die Erfahrung der Kriegswirren hat ihn stark geprägt. Er war später sehr links.“

Trotzdem erzählt „Strings of Hope“ vorrangig eine Familiengeschichte. Eva geht es um die Interaktion zwischen Oehmichen und seiner Tochter Hannelore, die jene liebgewonnenen Figuren wie das Urmel geschnitzt hat, mehr als 6000 Stück. Die Eltern hatten Hannelore, 1945 fast noch ein Kind, zunächst das Schnitzen verboten. Der Film beschäftigt sich mit genau diesem Konflikt. Und mit der Hoffnung, die Theater in einer Zeit der Not geben kann. „Ich bin großer Fan von Märchen, Mythen, Puppenspiel, weil ich glaube, dass das heilende Wirkung hat. So etwas gibt einem Kraft in Zeiten von Krieg oder Hunger.“

Wenn Eva das sagt, weiß man, warum der Film ihr am Herzen liegt. Sie hat es selbst so oft erlebt, das Scheitern. Den ständigen Neustart. Das Gefühl, aus dem Nichts etwas schaffen zu wollen. Momentan versucht sie, für Strings of Hope eine Finanzierungsmöglichkeit zu finden. 26 000 Dollar wollte sie über die Plattform Kickstarter sammeln, doch es kam nicht annähernd genug Geld für den Kurzfilm zusammen. Strings of Hope hängt buchstäblich am seidenen Faden. In den kommenden drei Wochen muss sie das Geld auftreiben, sonst scheitert das Projekt. Eva wirkt nicht verbittert oder gar deprimiert, wenn sie das ausspricht. Man merkt, sie will das, unbedingt. Irgendwie wird es gehen. Muss es gehen. Denn Eva hat Großes vor: Falls ihr Projekt gut ankommt, will sie die Geschichte noch einmal erzählen. Als Spielfilm. Gedreht wird dann aber nicht nur in den USA, sondern auch in Schwaben. 

Von: Carolina Heberling

Foto: Steffanie Helmchen

Poesie und Biologie

Biologiestudentin Sophia Klink, 22, schreibt ihren Debüt-Roman “Luftunterfläche”: Über die Biologie schreiben und in diesem Schreiben über generelle
Phänomene nachdenken. Beziehungen, Lebenssinn – abgebildet auf ein Tier,
eine Pflanze, einen Pilz. Wenn sie nicht schreibt, verbringt Sophia ihre Zeit in der Uni, forscht über Schnecken.

Ihre Körper leuchten in gelb, grün, blau, orange. Kein LSD-Trip, sondern Biologie. Mit anmutiger Langsamkeit schieben sie sich Stück für Stück voran. Meeresnacktschnecken sind faszinierende Tiere. Das findet auch Sophia Klink, 22. Sophia, die Biologiestudentin, die gerade ihren ersten Roman schreibt.
„Luftunterfläche“ heißt ihr Buch, das vom Erwachsenwerden dreier Abiturienten erzählt, die in biologischen Experimenten nach einem Sinn des Lebens suchen, einer Aufgabe, der man folgen kann. Ihre Protagonisten betrachten die Welt durchs Mikroskop. Würmer sind für sie nicht einfach Tiere, sie sind Forschungsgegenstände, die man tötet, um sie zu untersuchen. „Ich kann nicht genau sagen, wann sie sterben. Irgendwann bewegen sie sich einfach nicht mehr. Wir verlieren kein Wort über das Töten. Es ist Töten, auch wenn wir es Fixieren nennen“, heißt es da an einer Stelle. Das klingt brutal und nachdenklich zugleich. Sophia spielt mit solchen Dingen: Über die Biologie schreiben und in diesem Schreiben über generelle Phänomene nachdenken. Beziehungen, Lebenssinn – abgebildet auf ein Tier, eine Pflanze, einen Pilz. Vergangenes Jahr hat Sophia für dieses Projekt das Literaturstipendium der Stadt München erhalten. 6000 Euro, die es der Autorin ermöglichen sollen, ohne finanziellen Druck zu schreiben. 

Beziehungen, Lebenssinn –
abgebildet auf ein Tier,
eine Pflanze, einen Pilz. 

Sophias „ungewöhnliche und eigenständige essayistische Prosa mit dem Mut zum Ungesagten“, so formuliert es die Jury des Literaturstipendiums, erzählt von einem Wunsch, der viele junge Menschen umtreibt: Aktiv sein, etwas zum Positiven verändern, obwohl man das vielleicht gar nicht kann. In Sophias Buch heißt Veränderung: etwas Positives bewirken für die Natur. Aber: „Ich will nicht belehren.“ Literatur soll nicht den moralischen Zeigefinger erheben. Es gehe darum, den Blick auf die Schönheit und Fragilität der Natur zu lenken, erklärt die Biologiestudentin, „auf die unsichtbaren Dinge“.

Unsichtbare Dinge? „Ich kenne mittlerweile so viele Pflanzen und Tiere. Vor meinem Studium dachte ich: Das ist Gras, Gras und noch mal Gras.“ Manch ein Leser mag diese Details, die sich durch ihre Texte ziehen, als belanglos empfinden. Für die Jungautorin sind sie das nicht. Beginnt Sophia von der Natur zu sprechen, redet sie dermaßen schnell, dass man kaum noch folgen kann, so begeistert ist sie. Warum sind Schmetterlingsflügel bunt? Ach ja, Regenwürmer haben zehn Herzen. Und Schnecken: faszinierende Tiere … Das Thema treibt sie um, das spürt man im Gespräch.

Es treibt sie so sehr um, dass sie 2012 ein Biologiestudium aufgenommen hat. Ein scheinbar seltsamer Entschluss für jemanden, der schreiben will, seit er in die erste Klasse kam: „Ich wusste immer: Das will ich machen! Bücher schreiben ist so etwas Tolles, das will ich auch können.“ Zwei große Schuhkartons voll selbst geschriebener Geschichten aus der Jugendzeit stehen bei ihr zu Hause. Thema dieser Texte: klar, die Natur. Geschichten über Landstreicher, die mit Tieren sprechen können.

Sophia ist ständig
in der Uni, forscht intensiv
an den Schnecken. 

Klingt, als sei Biologie das perfekte Studium für Sophia. Ihr Spezialgebiet: Schnecken. Seit 2015 ist sie Mitglied einer Forschungsgruppe der LMU, die sich intensiv mit Mollusken, also Weichtieren wie Schnecken, Würmern oder Muscheln, auseinander setzt. Aber, sagt Sophia: „Meine Kommilitonen und Profs finden schon cool, dass ich schreibe, doch man würde mit ihnen abends nicht unbedingt auf eine Lesung gehen.“ Traurig klingt das, einsam, hat sie doch schon die umgekehrte Erfahrung gemacht: dass sie als Biologin aneckt unter Schriftstellern, sich fehl am Platz fühlt. Sophia war 19, da wurde sie erstmals zum Treffen junger Autoren eingeladen. Eine große Ehre. Viele ehemalige Teilnehmer des Treffens sind heute erfolgreiche Autoren. Also ist Sophia dorthin gefahren. Von Trudering nach Berlin. Dorthin, wo man wenig über Biologie und viel über das Schreiben redete. Wo die Schriftsteller so freigeistig und intellektuell und lebenserfahren wirkten. Sie erinnert sich: „Ich wurde dort sehr herzlich empfangen, aber ich kam mir sehr brav vor.“ In gewisser Weise ist sie das: Sophia ist ständig in der Uni, forscht intensiv an den Schnecken. Für Freunde, Schreiben, Kulturevents bleibt wenig Zeit. Sophia, die Pflichtbewusste. Sophia, die auf den ersten Blick etwas unsicher wirkt.

Natur wird in ihren Texten
zur Metapher für Freiheit,
für Schönheit

Doch dann gibt es diese andere Seite. Vergangenen Sommer hat sie eine Backpacking-Tour gemacht. Drei Wochen durch Südost-Europa. Ganz allein. Da war diese Nacht, in der Sophia auf einer Klippe geschlafen hat. Bei Regen. Und starkem Sturm. Nur in einen Schlafsack eingerollt, die Habseligkeiten in eine Mülltüte gewickelt. „Ich habe sechs Stunden lang auf dem höchsten Aussichtspunkt gelegen und mir die Seele aus dem Leib gehustet. Dann habe ich mir eine Mulde gesucht und konnte noch ein paar Stunden wunderbar schlafen“, sagt sie. So wie Sophia das schildert, klingt das so normal, so selbstverständlich. Da merkt man, dass sie weniger angepasst ist, als sie zunächst zu sein scheint. Dass sie angenehm unerschrocken durch das Leben geht. Und dass sie wirklich weiß, wovon sie schreibt, wenn Natur in ihren Texten zur Metapher für Freiheit wird, für Schönheit.

Das findet Anerkennung: Mit 21 wurde sie ein weiteres Mal zum Treffen junger Autoren eingeladen, 2015 gab es das Literaturstipendium der Stadt München, derzeit nimmt sie am Romanseminar der bayerischen Akademie des Schreibens Teil. 100 komplett ausgearbeitete Seiten sollen im Zuge des Seminars bis November entstehen, das hat sich die Autorin in Bezug auf ihr Debüt vorgenommen. Im Sommer geht es dann wahrscheinlich nach Malaysia – Forschungsreise. Schwerpunkt: Klar, die Meeresnacktschnecken. Gar nicht so einfach für Sophia. Sie hat eine Schneckenphobie. 

Von Carolina Heberling

Foto: Yunus Hutterer

Neuland

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Unabhängige Lesereihen“, für mehr Vernetzung in der Literaturszene – Tristan Marquardt und Heike Fröhlich haben diese Initiative gegründet, um den Austausch in der Szene zu stärken – über gewohnte Grenzen hinaus. Mit dabei sind derzeit 16 Gruppen aus Deutschland, Österreich und der
Schweiz, so auch die Münchner Lesereihen „Liaison“ und „meine drei
lyrischen ichs“. 

Jede Stadt hat ihre Autoren. Man kennt sich untereinander, veranstaltet gemeinsame Lesungen, diskutiert über Texte. Doch wie sieht es jenseits der Heimat aus? Diese Frage haben sich Tristan Marquardt und Heike Fröhlich gestellt: Sie haben die Initiative „Unabhängige Lesereihen“ gegründet, die Veranstaltungsreihen und Autoren fernab des etablierten Literaturbetriebs miteinander vernetzen soll. „Ich fand es cool, dass auch in kleineren Städten wie Göttingen oder Jena in den vergangenen Jahren Lesereihen entstanden sind, die großen Andrang haben“, sagt Lyriker Tristan, 28. Ein erstes Treffen hat bereits im Lyrik Kabinett in München stattgefunden, im März kommen die Veranstalter der Lesereihen in Leipzig zusammen. Die Idee dahinter: Zusammen ist man weniger allein. Oft gebe es ähnliche Fragen und Probleme, die auftauchen, wenn man eine Reihe organisiert. In der Gruppe könne man solche Erfahrungen austauschen und einander gezielt beraten. „Es ist doch schade, wenn etwas von der Initiative eines einzelnen abhängt“, sagt Tristan. Mit dabei sind derzeit 16 Gruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, so auch die Münchner Lesereihen „Liaison“ und „meine drei lyrischen ichs“.

Weitere Infos unter: http://lesereihen.org

Von Carolina Heberling
Foto:Mario Steigerwald

Von Freitag bis Freitag München – Unterwegs mit Carolina

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Silvesterkater? Fehlanzeige! Carolina startet aktiv ins neue Jahr: Es geht ins Theater, auf dem Midnightbazar im Kesselhaus wird geshoppt und allerlei gute Musik gibt es auch noch. Sei es beim Muffat Winterfest oder im Milla bei der Albumreleasefete von “On The Shoulders Of Giants”. So kann 2016 beginnen!

Jedes Jahr hat seine toten Tage. Der Tag nach dem eigenen
Geburtstag. Die Woche, bevor die Uni wieder losgeht. Der November so ganz
generell. All diese Tage sind zweifelsohne da, wir erleben sie und doch werden
sie nur markiert durch das, was ihnen vorausgeht. Oder das, was ihnen folgt.
Was habe ich an diesen toten Tagen gemacht – vor einem, zwei, fünf Jahren? Ich
könnte es nicht sagen.

Der erste Januar ist so ein toter Tag. Man liegt auf der
Couch, pflegt den Kater und schaut eine Serie. Irgendwie traurig, wenn ein Jahr
so anfängt. Ich beschließe also 2016 so zu begrüßen, wie es angemessen ist: Mit einem Katerfrühstück. Abends um sieben. 

Auf dem Kochblog kunterbuntweissblau von Wahl-Münchnerin Amelie Heinz habe ich ein tolles Rezept für Filet Wellington entdeckt. Mal sehen, ob das was wird. Aber man soll sich ja selbst Herausforderungen schaffen, so zum Jahresstart.

Samstag wird dann endlich all das Geld ausgegeben, das man
mangels besserer Geschenkideen zu Weihnachten bekommen hat – muss ja
schließlich weg, ehe es schlecht wird: Der Midnightbazar im Kesselhaus feiert seinen
sechsten Geburtstag. Neben allerlei Trödel gibt es hier auch Livemusik und
einen Streetfoodmarkt. Danach geht es direkt weiter zum Muffat Winterfest, wo
COSBY, Ebow und viele andere spielen.

Sonntag ist Finaltag. Über drei Wochen habe ich mitgefiebert,
nun ist es soweit. Die Darts-WM der PDC kommt zum Abschluss. Die WM ist ein ganz
wunderbares Event: Dicke alte Männer in hässlichen Hemden werfen Pfeile auf ein
Brett, während im Hintergrund albern verkleidete Engländer jede Menge Bier
saufen und lustige Lieder anstimmen.  Das
große Finale schauen meine Freunde und ich natürlich stilecht: Im Harlekin,
einer Dartkneipe in Untergiesing, wo ich selbst ab und an ein paar Pfeile
schmeiße. Da merkt man übrigens, warum Dart trotz des Mummenschanzes drum herum
ein Sport ist – es ist einfach verdammt schwer, so eine 180 zu werfen. Anfangs
habe ich nicht mal das Board getroffen.

Montag. Kater. Darts und
Bier gehören einfach zusammen. Ich bleibe also im Bett und mache einen Lesetag. Endlich komme ich dazu durch die neue Ausgabe der Münchner Zeitschrift kon-paper zu blättern, die im Dezember erschienen ist.
Thema des aktuelle Hefts: Verfall. Genau so fühle ich mich. Danach gibt es noch das neue Fotobuch von Jungfotograf Stefan Loeber: In “Bedouin” zeigt Stefan die Lebensbedingungen von Beduinen in Israel. Keine leichte Kost, aber ein tolles Buch voll wunderbarer Fotos.

Dann werde ich wieder aktiver: Dienstag geht es in Kyeso am
Candidplatz, denn dort spielen Chaps & Taps und Kafkas Orient Bazaar.
Letztere habe ich vor ein paar Jahren auf dem Sound of Munich Now erstmalig
gehört und bin seitdem großer Fan. Ich bin sehr gespannt, was der Abend
musikalisch so bringt.

6. Januar – Heilig Drei König. Die toten Tage sind jetzt
offiziell vorbei. Aber die Ferien leider auch. Ich futtere mich ein letztes Mal
mit Weihnachtsplätzchen voll und entsorge wehmütig den vertrockneten
Tannenbaum. Rückblickend ist das aktuelle doch immer das schönste Weihnachten. Die
Geschenke! Und die Freizeit. Was hat man die vergangenen Wochen eigentlich
gemacht? Ging alles viel zu schnell vorbei. Ich versuche diese Erkenntnis durch
sinnloses Fernsehen noch ein paar Stunden hinauszuzögern und gehe schließlich
viel zu spät ins Bett.

Das rächt sich. Raus aus den Federn, ab in die Uni, heißt es
am Donnerstag. Aus dem Hörsaal geht es direkt weiter: Zunächst zur Performance
„Rote Reihe Nr. 8“ im Haus der kleinen Künste. Auf die Bühne gebracht wird die
Geschichte des Massenmörders Fritz Haarmann. Das wird ein Familientreffen! Mein
Kumpel Lars Keke Altemann hat die Regie geführt, es spielen meine
Schauspielkollegen Andreas Gießer, Stefan Natzel und Heiner Stöckle. Die letzte
Theaterunternehmung von Lars und Stefan musste übrigens nach nur zwei
Aufführungen eingestellt werden, weil einer der Darsteller sich im Eifer des
Gefechts die Knochen gebrochen hat. In diesem Sinne: Hals- und Beinbruch,
Jungs! Nach der Vorstellung ziehe ich direkt weiter ins Milla, wo die Band On
The Shoulders Of Giants
ihr Debütalbum vorstellt.

Freitag wird noch einmal gefeiert, bei  „Bass statt Hass“  im Feierwerk. Das Motto ist wörtlich zu
verstehen, denn mit dieser Party sollen jene Flüchtlingen begrüßt werden, die
in einer neu gebauten Unterkunft nahe des Feierwerks eine Heimat gefunden
haben. Der Eintritt wird an den bayerischen Flüchtlingsrat gespendet. Was für
eine schöne Art, jemanden willkommen zu heißen. Und plötzlich ist sie rum, die
erste Woche des neuen Jahres. Vielleicht werde ich das hier in einem Jahr noch
einmal lesen und denken – wow, war ja doch ganz schön viel los, an den toten
Tagen.  So ist das wohl, wenn man in
einer lebendigen Stadt wohnt.