Digitale Spaltung – Ein Problem unserer Gesellschaft, das oft nur
die kennen, die sich weder Computer noch Smartphone leisten können, oder
nicht wissen, wie diese funktionieren. Jetzt wollen zwei Münchner
Studenten dieser digitalen Benachteiligung entgegenwirken – mit Ihrem
Verein “Digital Helpers”.
Ein Leben ohne Internet, Computer, Handy: Schwer vorstellbar,
wenn man es gewohnt ist, einfach alles online zu erledigen. Oder sogar
unmöglich, denn von Uni-Organisation bis hin zu Wohnungs- und Jobsuche
hängt viel davon ab, ob der Netzanschluss stimmt. Heinrich Rusche, 22,
und Lorenz Haubner, 23, wissen um die Wichtigkeit von Technik und Netz
und haben deshalb etwas dagegen, dass nicht alle Menschen in Deutschland
Zugang haben zum Internet – oder teilweise gar nicht die Geräte
besitzen, die diesen Zugang ermöglichen. Die beiden Münchner Studenten
der VWL beziehungsweise BWL haben deshalb zusammen mit zwei Kommilitonen
– Leopold Neuerburg, 22, und Pierre Ostrowski, 25 – im Juli 2012 den
Verein „Digital Helpers“ gegründet, der Benachteiligte mit Geräten und
Know-how versorgen und Zugang zu dem gewähren soll, das für die meisten
von uns eine alltägliche Verständlichkeit ist: Internet.
Digitale Spaltung ist der Fachausdruck für das, was die Studenten mit
ihrem Verein bekämpfen wollen. Der Begriff meint, dass eine Kluft
besteht zwischen denen, die Computer, Internet und Handy nutzen, und
denen, die das – aus welchen Gründen auch immer – nicht können. „Das ist
ein handfestes Problem, das in der Gesellschaft als solches gar nicht
wahrgenommen wird“, sagt Heinrich.
Natürlich: Klimawandel, soziale Schere, Dritte Welt – alles Probleme,
die präsenter sind in den Medien und damit auch in den Köpfen. Aber
eine digitale Kluft? Gibt es nicht drängendere Fragen als einen
Internetzugang für die paar wenigen Menschen, die noch keinen haben?
Tatsächlich aber existiert das Problem nicht nur am Rande der
Gesellschaft, sondern betrifft mehr Menschen, als man meint. Laut der
jährlichen Studie der Initiative D21, genannt (N)onliner-Atlas, nutzten
2012 etwa 24 Prozent der Bundesbürger kein Internet. „Das Problem der
digitalen Kluft bestand schon vor dem Internet, hat sich durch dieses
allerdings deutlich erweitert“, sagt Christoph Neuberger, Professor am
Institut für Kommunikationswissenschaft der LMU München. Das Problem
betreffe mittlerweile alle Lebensbereiche. Allerdings warnt der
Wissenschaftler auch davor, alle „Nonliner“ automatisch als soziale
Verlierer zu stilisieren. Oft würden hinter derartigen Studien konkrete
ökonomische Interessen stecken. Auch, wenn die Zahlen stimmen mögen.
Für die Digital Helpers hat das Problem allerdings viel grundlegendere
Bedeutung als einfach nur die Tatsache, dass ein paar Menschen nicht in
sozialen Netzwerken Banalitäten austauschen können. „Die digitale Kluft
betrifft sowohl einen Wissensmangel als auch die Chancengleichheit“,
sagt Lorenz. Wer keinen Internetzugang hat, tue sich zunehmend schwer,
am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Lorenz und Heinrich wollen mit
ihrem Verein an zwei Enden ansetzen: In erster Linie geht es um eine
materielle Überwindung der Kluft. Die Digital Helpers organisieren
Spenden von Computern, um überhaupt die Grundlage dafür zu schaffen, die
Spaltung zu mildern. Die Strategie: Hauptspender sind Unternehmen, die
gleich in größeren Mengen Computer abgeben. Und Abnehmer sind nicht die
Bedürftigen direkt, sondern soziale Vereine, die dann die Geräte
weitergeben. Heinrich und Lorenz verstehen sich als Vermittler und
glauben, dass diese Methode deutlich zielführender ist als der direkte
Weg zu Privatpersonen. Auf der anderen Seite wollen die beiden Studenten
langfristig mit ihrem Verein den Menschen den Umgang mit Technik und
Internet beibringen.
Dieser Teil des Projekts läuft nun mehr und mehr an. Zum Start soll
es im Mai eine große Podiumsdiskussion in München geben, die das Thema
„Digitale Spaltung“ behandeln soll. Außerdem wollen Lorenz, Heinrich und
ihre Kollegen auf die Rechner Tutorials für den richtigen Umgang mit
PCs laden, um die materielle Hilfe direkt mit der Lernhilfe zu
verbinden. Bisher kann sich die Resonanz auf das Projekt sehen lassen:
Bereits gut 15 Unterstützer haben sich seit Gründung aus ganz
Deutschland gefunden. Viele von den neuen Helfern kennen die beiden noch
nicht einmal persönlich. „Die breite Unterstützung hat uns sehr positiv
überrascht“, sagt Heinrich und ergänzt, dass es ohne das ehrenamtliche
Engagement dieser vielen Neuzugänge aus der ganzen Republik kaum möglich
wäre, das Projekt am Laufen zu halten.
Die Gründung eines gemeinnützigen Vereins statt eines
profitorientierten Start-up-Unternehmens entspricht nicht den
Vorurteilen, die viele immer noch mit Wirtschaftsstudenten verbinden. Es
zeigt, dass Sozialkompetenz nicht an Fakultätstüren halt macht. Aber
warum nun genau dieses soziale Projekt, und nicht etwas ganz anderes,
vielleicht näherliegendes? Für Lorenz und Heinrich hat das in erster
Linie pragmatische Gründe: Technik ist ihr Spezialgebiet. Die
Selbstverständlichkeit, die für sie die neuen Medien haben, und die
Begeisterung, die sie davor aufbringen, hätten sie dazu angespornt, noch
mehr Menschen einen Zugang zu dieser Welt zu öffnen, die für sie so
selbstverständlich ist. „Statt Geld zu spenden, das wir nicht haben,
wollen wir Zeit geben, die wir zwar eigentlich auch nicht haben, aber
immerhin etwas mehr davon“, sagt Lorenz und lacht. Für beide kommt
hinzu, dass sie sich auf diesem Gebiet einfach viel authentischer
fühlen. „Vom Klimawandel habe ich einfach weniger Ahnung. Also tue ich
lieber dort etwas, wo ich helfen kann“, sagt Lorenz.
Die Verbindung von Wirtschaftsstudium und Vereinsorganisation geht
bei den Digital Helpers auf. Mit ihrem theoretischen Wissen über
Gründungen sind sie an die Sache herangegangen, nicht zuletzt auch, um
sich einfach mal auszuprobieren. Der BWL-Slang ist dabei durchaus nicht
verloren gegangen. Wo andere sagen, sie wollen etwas „Sinnvolles“ tun,
betonen die beiden den „positiven Impact“. Und die Aufgabenbezeichnungen
von Lorenz und Heinrich werden auf ihrer Internetseite nicht einfach
„Kundenbetreuung“ oder „Kassenwart“ genannt, sondern „Akquise“ und
„Strategie & Finanzen“.
Von: Valentin Feneberg