Es fühlt sich gut an, die Welt zu retten. Fair gehandelte Dinkel-Kekse schmecken nach einer besseren Zukunft, der Fahrradständer am Bio-Supermarkt bedankt sich stellvertretend für Mutter Erde, dass man nicht mit dem Auto angefahren ist.
Nur: Wer hat schon so viel Geld in der Haushaltskasse, um sich einen ganzen Monat lang solch grünes Rauschgefühl leisten zu können? Ich nicht, leider. Nein, ich krame regelmäßig in überfüllten Supermärkten nach Eiern von glücklichen Hühnern, nur um an der Kasse zu bemerken, dass der Eiersalat in meinem Wagen sicher von chronisch-depressiven, ukrainischen Mast-Hennen stammt. So viel zum guten Gefühl.
Jetzt ist ein neues Problem für mein Gewissen aufgetaucht. Direkt vor meiner Haustür – wie das mit globalen Problemen eben so ist. Ich hielt das Ganze erst für eine laute, dreckige Baustelle. Leider ist es viel mehr als das: Es ist eine laute, dreckige Baustelle für eine saubere Zukunft. Vor meiner Haustür soll eine CO2-neutrale Wohnsiedlung entstehen. Super, sollte ich jetzt sagen. Wenn wir eines brauchen – vielleicht noch dringender als Tofu-Ananas-Aufstrich aus fairem Handel – dann sind das CO2-neutrale Wohnsiedlungen. Natürlich sollten unglaublich viele CO2-neutrale Wohnsiedlungen gebaut werden, meinetwegen überall. Aber doch nicht vor meinem Schlafzimmerfenster! Denn dort sieht es nicht aus wie auf der Internetseite des Bauprojekts. Oh nein. Statt Bäumen, die ihre Umwelt fleißig mit Photosynthese beglücken, steht dort, inmitten eines Rauchpilzes aus Bauschutt, eine monströse Maschine, die lautstark Löcher in Mutter Erdes Epidermis gräbt.
Das tut diese Maschine, seitdem sie zur Baustelle transportiert wurde – vorgestern gegen Mitternacht (ja, Mitternacht!), was mich wiederum aus dem Schlaf gerissen hat. Und um die Monstermaschine herum stehen keine Photovoltaikanlagen. Nein, nur Bauarbeiter, die mir jedesmal hinterherpfeifen, wenn ich auf mein Fahrrad steige. Nein, das macht kein gutes Gefühl. Das macht mich wütend. Aber wenn es kein gutes Gefühl macht, wie kann es dann die Welt retten? Schließlich ist die Rettung der Welt eine Angelegenheit, die Spaß macht. Und folglich kann, was da gerade vor meiner Haustür geschieht, nur böse sein. Böse, laut und dreckig. Mehr nicht! Susanne Krause
Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.
Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.