Ran an den Speck

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Qualitätskontrollen sind gut, richtig und wichtig. Auch in Bezug auf Beziehungen. Nur eines sollte man darüber nicht Vergessen: das Vernaschen.

Es gibt Berufe, die lassen sich nur schlecht vom Privatleben fernhalten. Reality-Soap-Stars dürften es da zum Beispiel nicht leicht haben. Oder auch Metzgereifachverkäuferinnen. Maries Mama kann das bestätigen. Als sie noch in der Ausbildung war, jung und mit notorisch leerem Kühlschrank, brachte ihr Freund einmal einen halben Schinken vom elterlichen Bauernhof vorbei. Eine echte Kostbarkeit. Leider waren es die 70er, der Trend zum Qualitätsmanagement kam gerade auf und machte auch vor Metzgereifachverkäuferinnen keinen Halt. Wie in der Arbeit unterzog Maries Mama den Schinken erst einmal einer ausgedehnten Produktqualitätsanalyse. Sie drückte ein bisschen, schnüffelte die Schwarte entlang und murmelte vor sich hin. Wortfetzen wie „Konsistenz, gummig“ oder „Geruch, atypisch“. Kurz: Es war der letzte Schinken, den ihr Freund vorbeibrachte.

Eine schöne Geschichte, irgendwie. Aber was soll das? „Thomas ist dein Schinken“, versuche ich Marie zu erklären. Aha, sagt Marie verächtlich. Wenn überhaupt, sei Thomas ein Rindvieh. Das liegt daran, dass Thomas sie sitzen gelassen hat. Dabei habe sie ganze Wochen der Qualitätsprüfung auf ihn verschwendet. Frechheit.

Es ist so, dass in Maries Brust seit jeher ein bisschen das Herz ihrer Mutter schlägt. Das der Qualitätsprüferin, nicht das der Metzgereifachverkäuferin. Was ihr unter die Nase kommt, wird vor dem Verzehr erst einmal eingehend überprüft. Erst dann gibt es das Gütesiegel. Das gilt auch für Männer. In Thomas’ Fall hat Marie über einen Monat mit der Produktqualitätsanalyse zugebracht. Armer Thomas, man stelle sich das vor: Marie drückt hier rein und da rein, schnüffelt die Schwarte entlang und murmelt. „Geruch, männlich. Konsistenz, zu weich.“ Dabei verliert sie ganz aus den Augen, was am Schinken eigentlich das Wesentliche ist: das Vernaschen.

Vergangene Woche wollte sie dann aber doch endlich ran an den Speck. Ich stelle mir vor, wie Marie vor dem Bett steht, ein Klemmbrett mit Bewertungsbogen in den Händen, bereit zur Bestandsaufnahme. Aber so weit kam es gar nicht. Thomas hatte keine Lust mehr, seine Qualitäten unter Beweis zu stellen. Der Schinken sagte adieu. Ohne Gütesiegel. Und für Marie endete der Abend höchst vegetarisch.
Lisi Wasmer

Mal ehrlich: Jeder junge Mensch ist auf der Suche. Nach Liebe. Nach einem Lebensabschnittsgefährten. Vielleicht nach einer Affäre. Das Problem: Sobald sich das Leben um mehr als nur eine Person dreht, wird es verzwickt – eine Kolumne über die Tücken der Partnersuche. „Beziehungsweise“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Bei Krause zu Hause“.

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Lisi Wasmer setzt sich in ihrer Kolumne mit allen Tücken der Partnersuche auseinander. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gibt uns Lisi Einblicke in verschiedenste Beziehungen. Die Lektüre endet bei uns oft mit Tränen in den Augen- sei es vor Lachen, Freude oder Traurigkeit.