Foto: Screenshot SZ

Musikvideo-Kolumne: Cashmere Caramel

Musikvideos zeigen Geschichten – und diese zu erzählen ist unser Ziel. Wir haben die Videos Münchner Bands stummgeschaltet und festgehalten, was die Film-Clips beschreiben. Diese Woche: Nicht wie du von Cashmere Caramel.

Nur mit Bademantel bekleidet sitzt er auf der Couch: Der Protagonist, der spätnachts von inneren Dämonen verfolgt wird. Der Reihe nach erscheinen sie alle auf dem Fernsehbildschirm vor ihm. Das Gerät ist scheinbar kaputt, immerzu flackert das Bild – und taucht das Gesicht des Protagonisten in ein grelles, künstliches Licht. Eigentlich sollte er schlafen, doch vielleicht ist der Weg vom Sofa zum Bett zu weit oder ihm lassen seine Gedanken keine Ruhe. Lethargisch hält er stattdessen die Fernbedienung in seiner rechten Hand und zappt mit müden Augen durch das nächtliche Programm. Die gewollte Ablenkung findet er nicht. Im Gegenteil: Er findet sich selbst auf jedem einzelnen Sender.

Die anderen Versionen seiner selbst, die auf Dächern oder zwischen Schaufensterpuppen stehen, scheinen ihn nicht loszulassen. Der Protagonist wechselt ständig das Programm, doch genauso oft wechselt das Gegenüber sein Outfit und Ort. Dieser taucht zwischen Zimmerpflanzen vor weißer Wand, in einer einsamen Wohnung voller Stroboskoplicht, das mit Sicherheit einen epileptischen Anfall auslösen könnte und mit einer Kerze in der Hand neben einem Gemälde der Jungfrau Maria auf. Er ist immer mit sich selbst, doch nie allein.

Einen kurzen Moment der Freiheit aus diesem Reigen scheinen Sonnenstrahlen durch ein Fenster zu bieten. Weicht die Nacht schließlich dem Tag und der Albtraum hat ein Ende? Wohl eher nicht, denn dieser kurze Moment des Friedens währt nur wenige Augenblicke und die tiefe Dunkelheit der Nacht gewinnt wieder die Überhand. Spätestens, wenn er sich selbst auf der Couch im Fernsehen wiederfindet, erreicht der Albtraum im Wachzustand einen Höhepunkt. Realität und Fiktion verschwimmen zu einem Brei.

Was der mit einer Skimaske vermummte Mann in seiner Wohnung zu suchen oder die Nachrichtensprecherin über das Thema „Auto oder Öffentlich?“ zu berichten hat, verliert an jeglicher Bedeutung. Ebenso wie die Identität des Protagonisten. Die Frage, wer er denn überhaupt ist, bleibt unbeantwortet und der Titel des Videos kann nur eine Teilantwort bieten. Zumindest ist der Protagonist „Nicht wie du“, wer auch immer „du“ ist. Auch dass die inneren Dämonen aus dem Bildschirm geflohen sind, nun neben ihm auf der Couch sitzen und ihn bedrängend ins Ohr flüstern, scheint dem Protagonisten in dessen nächtlicher Lethargie nicht zu stören. Ein Ausbruch aus seinem Gefängnis bleibt unerreicht und die Nacht scheint nie zu enden.

Von Johannes Rockstuhl