Möglichst weit weg

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Der junge Mann am Nebentisch bestellt sich zum Frühstück ein Radler. Er kann es brauchen. Er hat seine Eltern aus der Eifel zu Besuch.

Gerade fragt seine Mutter zum achten Mal, ob er die halbe Feige von ihrem Käseteller möchte. Er schnaubt wieder „Nein“ in seinen Pony, aber dieses „Nein“ war wohl weniger feindselig, als die sieben zuvor, denn Mama platziert die Feige neben seinem Schinkentoast. Sein Gesichtsausdruck ihres Sohnes wird jetzt so finster, dass ich als Unbeteiligte Angst bekomme. Nicht so die Mutter. „Es ist so schön hier“, ruft sie und zeigt auf ihren Käseteller. „Schau mal, sogar eine Walnuss.“

Ich kenne die beiden erst seit zehn Minuten, seit ich am Tisch nebenan sitze. Aber das hat gereicht, um zu einer Erkenntnis zu kommen, von der die Mutter noch weit entfernt ist: Ihr Sohn ist nicht wegen der Käseplatten nach München gezogen. Nein, München hat andere Vorzüge. Der vielleicht Größte ist, dass es von der Eifel soweit entfernt ist, wie es in Deutschland möglich ist, ohne dass der arme Kerl sich in einem Kaff an der polnischen Grenze verkriechen musste. Ich kann die Telefonate vor dem Besuch beinahe hören: „Mama, ich hab doch so wenig Platz. Hotels? In München? Nicht, dass ich wüsste. Zeit? Ich? Niemals!“ Aber nicht nur, dass seine Mutter nicht bemerkt, dass ihr Sohn während des Frühstücks keine zwanzig Worte spricht. Es gibt auch keinerlei Anzeichen, dass sie ihn versteht, wenn er denn was sagt.

Eine Freundin mit Soziologie im Nebenfach hat mir von einer Studie erzählt, nach der Beziehungen besonders lang halten, wenn die Beteiligten aneinander vorbeireden. Man sollte mal untersuchen, ob das auch für Beziehungen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern gilt. Wenn ja, werden Mutter und Sohn noch lange Freude aneinander haben. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.