Ein einschneidendes Erlebnis ist die erste gemeinsame Wohnung. Nicht nur wegen der trauten Zweisamkeit, die ja durchaus gewünscht ist. Oftmals entpuppt sich auch in einer Langzeitbeziehung der Partner als völlig fremdes Wesen. Mit ungeahnten, vielleicht auch unerhofften, Gewohnheiten.
Das Psychologiestudium macht einsam – und zwar nicht deshalb, weil man vor lauter Theorien und Fachrichtungen nicht mehr aus dem Lernen rauskommt. Psychologiestudenten machen ihren Mitmenschen Angst. „Kannst Du mir jetzt in den Kopf schauen?“, ist die Standardfrage. Normale Gespräche sind nicht mehr möglich, man hält sich bedeckt: die Angst, durchschaut zu werden.
So war das mal. Aber inzwischen gibt es einen neuen Trend: Psychologiestudenten werden als Quasi-Therapeuten missbraucht. Den Eindruck habe ich zumindest, als ich Chris beim Einkaufen treffe und er mich mit dem Satz begrüßt: „Sag mal, Du kennst Dich doch mit sowas aus.“ Er erzählt dann von seiner Freundin Emma: „Bei der ist irgendwas kaputt“, fängt er an. Es klingt, als rede er von seinem Auto. Es stellt sich heraus, dass Chris tatsächlich eine Art Mechaniker sucht. Um die lockeren Schrauben seiner Emma wieder anzuziehen. Die hat einen an der Waffel. Ganz klar. Und früher war das nicht so. Früher wohnten Emma und Chris auch noch nicht zusammen. Da beide in der Ausbildung stecken, sahen sie sich hauptsächlich am Wochenende, sie unternahmen viel. Die Welt war in Ordnung. Und jetzt nicht mehr. Das liegt an Emma. Ganz klar.
Seit zwei Wochen würde sie nur noch nörgeln und ihn vor seinen Freunden sogar als zwanghaft darstellen. Nur weil er zum Beispiel die Butter im Quadrat abschneide, um eine gleichmäßige Form zu bewahren. Oder weil er nicht nur seine Hemden, sondern auch Unterhosen und Socken bügle. Wenn er verlottert und verknittert rumlaufen würde, wäre sie auch nicht glücklich. Ist doch total verrückt. Außerdem müsse ja irgendwer Ordnung halten. Emma ist ein Schmutzfink allererster Güte, findet Chris. Wo sie geht und steht, zieht sie eine Spur der Verwüstung hinter sich her. Letztens hat er eine Socke und ihre Zahnbürste im Kühlschrank gefunden, das müsse man sich mal vorstellen.
Chris schaut mich erwartungsvoll an. Offensichtlich ist er der Meinung, ich als Psychologiestudentin müsse nun mein Cape umschnallen, zu Emma fliegen und beide vor dem Beziehungsknatsch retten. Ich verzichte. Ein Messie und ein Ordnungsfreak unter einem Dach, das müsste eigentlich Therapie genug sein. Ganz klar.
Von Lisi Wasmer