Luft am Hintern

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Zieht man für ein Studium in eine andere Stadt, kann man tun und lassen, was man will. Elterliche Vorgaben brauchen einen nicht mehr zu interessieren. Aber tun sie es auf größere Entfernung nicht irgendwie trotzdem, oder sogar gerade deshalb?

Mama sagt, ich soll mir endlich neue Jeans kaufen. Ich gucke genervt. Meine alten Jeans sind einsame Spitze. Nur meine Mutter sträubt sich anzuerkennen, wie praktisch zusätzliche Belüftungslöcher am Hintern sind. Zum Glück bin ich alt genug und lasse mir nichts mehr sagen.

Mein Bruder ist sogar noch älter als ich. Gerade ist er auf Geschäftsreise in Andalusien. Auf Geschäftsreisen testet er Autos vor den malerischen Kulissen von Schweden, Südfrankreich oder Spanien. Per Skype erstattet er mir Bericht. Währenddessen schaue ich mir an, wo er sich herumtreibt, und bin neidisch. In Spanien zum Beispiel thront eine riesige Festung über der Stadt, in der er sich gerade aufhält. Im Internet sieht das mordsmäßig spektakulär aus. Als selbsternannte Kulturbeauftragte lege ich fest, dass er unbedingt dort rauf muss. Un-be-dingt! Aber mein Bruder schaltet auf stur: Festungen sind langweilig, er will lieber an den Strand. Alle Überredungsversuche laufen ins Leere. Ich muss zu härteren Mitteln greifen: Also rufe ich Mama an.

Am nächsten Tag erstattet mein Bruder mir Bericht von der Festung. Er schickt mir auch Bilder: die Festungsmauer mit Blick über die Stadt, ein Kätzchen im Innenhof. Als meine Mutter angerufen hat, um ihm zu sagen, er solle sich die Festung anschauen, hat er zwar ein bisschen gemault: Er wisse schon, dass ich dahinter stecke und so weiter. Trotzdem muss er kurz darauf Mamas Befehl befolgt haben. Mütter haben spezielle Autorität, die seltsamerweise zunimmt, wenn man sich von ihnen wegbewegt.

Bevor ich nach einem Wochenende bei meinen Eltern zurück nach München fahre, beobachte ich ein Szenario, das mir vertraut vorkommt: Mein Vater kämpft um ein paar zerrissene Jeans. Er will sie behalten, Mama droht, sie wegzuschmeißen, sobald die Hose das nächste Mal im Wäschekorb auftaucht. Ich sitze in meinen noch viel zerschlisseneren Jeans am Küchentisch und lache in mich hinein. Ich habe einen eigenen Wäschekorb und kann meine Hosen tragen, bis sie sich auflösen. Ich bin frei zu tun, was auch immer ich möchte. Ein tolles Gefühl ist das! Zwei Tage später rufe ich meine Mutter an und erzähle ihr, dass ich mir neue Jeans gekauft habe. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.