Wer Scooter fährt, riskiert gebrochene Zähne, gerissene Schnürsenkel – und Stress mit den Skatern. Nico Kindermann nimmt das alles in Kauf. Mit Hilfe des Bürgermeisters baute er sogar den Skatepark um
Er rast. Schnellt die Rampe hoch. Springt ab. Reißt den Scooter in die Höhe. Schwingt ihn einmal im Kreis. Landet auf dem Brett des Rollers und kurz danach auf der Rampe. Wahnwitzig schnell läuft das alles ab und bevor man richtig nachvollziehen kann, was da passiert ist, fährt Nico Kindermann, 21, schon wieder die nächste Schräge hoch. Er selbst würde es vermutlich nie so formulieren. Würde nicht Rampe sagen, sondern „Ramp“. Und er bräuchte auch nicht mehrere Sätze, um seinen Trick zu beschreiben. Für ihn ist das einfach ein „Bri Flip“.
Es ist eine eigene, sehr gut vernetzte Welt, in der sich Nico bewegt. Eine Welt, die ihre eigene Sprache und ihre eigenen Regeln hat. Hier geht es um einen Sport, den manche nicht für voll nehmen: das Scootern. Dabei hat das professionelle Rollerfahren seine großen Wettbewerbe – wie die ISA World Scooter Championship in Barcelona zum Beispiel. Und es hat seine Stars, manche mit Millionen von Fans. Ein bisschen ist es wie beim Skaten, das aus der Subkultur kam, immer bedeutender und dann olympische Disziplin wurde. Scootern ist noch längst nicht da, wo Skaten jetzt ist. Vielleicht wird es auch nie so weit sein – das zumindest denkt Nico und er sagt das als einer, der nicht nur scootert, sondern sich für den Sport einsetzt, bei manchen Wettbewerben in der Jury sitzt und hofft, irgendwann mal einen eigenen organisieren zu können.
An einem sonnigen Oktobernachmittag sitzt er auf einem steinernen Quader am Rande des Skateparks Germering. Er dreht sich eine Zigarette und beobachtet das Treiben auf der Asphaltfläche: Es ist gut was los, oberhalb der vielen Rampen bilden sich Schlangen. Skatepark – das kurz erwähnt – ist eigentlich das falsche Wort, denn Skater treiben sich hier nur vereinzelt rum. Die, die warten, sind mit dem Scooter gekommen.
Nico, schwarze Jogginghose, zerkratzte Knieschoner, sticht heraus auf dem Platz. Er ist einer der Ältesten, schon mit am längsten dabei – und jetzt sitzt er da also, zieht an seiner Zigarette und spricht übers Scootern. Mehr als 100 Stunden sei er jedes Jahr am Fahren, sagt er. „Früher war das noch viel mehr“, aber früher musste er auch noch nicht arbeiten gehen. Der Job bei einer Autovermietung und seine Freelancertätigkeit als Fotograf und Filmer, spezialisiert auf Autos, das zieht Zeit.
Wenn Nico erzählt, dann schweift sein Blick oft über die Rampen. Sein Tonfall ist recht ernst, aber nicht ohne Begeisterung. Es geht ihn um die Sache: Der Skatepark in Germering ist etwas Außergewöhnliches im Großraum München. Nirgendwo sonst trifft man auf so viele Scooter-Fahrer wie hier, zwischen A 96, Golfclub und Schwimmbad.
Um zu erklären, wieso Nico Scooter fährt, kommt man nicht daran vorbei, auf Freunde einzugehen, Freunde wie Michi Nikolay, 22. An diesem Nachmittag rast auch er – Drei-Tage-Bart, wehendes Shirt – auf dem Skateplatz herum. Die beiden sind in gegenüberliegenden Häusern aufgewachsen, jobbten zusammen im Freibad, kurz: Sie verbrachten große Teile ihrer Jugend miteinander. Vor gut sieben Jahren gab es zu Weihnachten einen Roller – und dann ging es los. Erst mit dem Fahren, bald mit den Tricks – und was man zusammen anfängt, das zieht man auch durch.
Nur gab es ein Problem: Der Skateplatz war damals mickrig. Auf alten Bildern sind zwei kleine Rampen und eine vereinsamte Halfpipe. Nico war unzufrieden und machte, was man 2014 als fast 15-Jähriger eben lokalpolitisch tun konnte: Er schrieb dem Bürgermeister auf Facebook. Immer und immer wieder. Bis er dann gebeten wurde, einen Kostenvoranschlag einzusenden. Also fragte er bei einer Firma an, leitete Preis und Pläne weiter, wartete. „Dann haben die von der Firma geschrieben: ‚Die Stadt hat gerade 50 000 Euro überwiesen‘“, sagt er und lacht. Eigentlich verrückt, das alles.
Hier könnte Schluss sein, die Geschichte auserzählt. Das ist sie aber nicht. Nico macht weiter. Zu viele Leute auf zu wenig Platz? Dann setzt man sich halt dafür ein, dass der Skateplatz erweitert wird. Kaum Sitzgelegenheiten? Dann gräbt man halt einen Grashügel um, sodass er die Form einer Tribüne annimmt. Als Nico sein Handy zückt, um ein paar der ersten Nachrichten an den Bürgermeister zu zeigen, findet er sie nicht. Er scrollt und scrollt und scrollt. Der Chatverlauf ist einfach zu lang.
Das nächste große Ding: Licht. Theoretisch kann man das ganze Jahr über Scooter fahren. Schnee haben Michi und Nico hier auch schon geschaufelt. Wenn es nur eine Beleuchtung gäbe, für die langen Nächte im Winter. „Ich habe schon mit einem geschrieben, der macht normalerweise Licht für Fußballfelder und Arenen. Der sagte mir, er braucht hierfür zwei Flutlichter, dann ist das alles ausgeleuchtet“, sagt Nico. Eine Petition gibt es schon.
Scootern kann ein harter Sport sein. Michi hat sich einmal acht Zähne gebrochen, einer ist ganz rausgebrochen. „Seitdem trage ich keinen Helm mehr, hat ja da auch nichts genützt“, sagt er. Der Verschleiß ist hoch. Drei bis vier Reifenpaare gehen jedes Jahr drauf, sagt Nico, „zum Glück ist am Roller Vieles ersetzbar“. Auch Schuhe mussten schon dran glauben. Bei Nico ist der Stoff zerklüftet, die Sohle zerkratzt. „Ganz schlimm“, sagt er, „sind die Schnürsenkel“. Die reißen so schnell.
Nicht immer werden Scooter-Fahrer ernst genommen. Auch von Skatern nicht. Nico berichtet von einer unangenehmen Begegnung im Hirschgarten. Michi unterbricht manchmal, ergänzt oder führt fort. Sie waren beide dort. Ein älterer Skater ist die beiden aggressiv angegangen, beleidigte sie, sagte „verzieht euch mit eurem Kinderspielzeug”, erzählen sie. Sie blieben, irgendwann riefen sie die Polizei. „Wenn du als Scooter-Fahrer dahingehst, fahren dich die Skater in Grund und Boden“, sagt Nico. Inzwischen hängt dort ein neues Schild: Scooter erlaubt.
Es ist Abend geworden in Germering. Nico nimmt an einem improvisierten Wettkampf teil. Vier Teilnehmer, zwei Runden. Jeder hat 90 Sekunden Zeit, zu zeigen, was er kann. Nico ist dran. Er fährt eine Rampe hoch, oben, an der Kante, bleibt er stehen, wartet. Stemmt all seine Kraft in Richtung Kante, in der Hoffnung, dort noch ein, zwei Augenblicke ausharren zu können. Dann kippt er, verliert kurz die Kontrolle über den Roller und rennt die Rampe mehr runter, als dass er fährt. Dann springt er zurück aufs Brett des Scooters. Weiter geht’s. Nach seiner Runde kehrt er keuchend zur Steinbank zurück. „Scooterfahren”, sagt Nico, „ist unglaublich kräftezehrend“.
Von Max Fluder