Fernweg plagt manche Leute mehr und manche weniger. So sieht das zumindest Christoph. Mit einer Reise nach Ecuador wird er seines auf jeden Fall stillen. Nur für wie lange und was es mit der Gier nach Neuem auf sich hat, das muss er noch herausfinden.
Christoph sagt, es gebe zwei Typen von Menschen: Solche, die immer etwas Neues brauchen und solche, für die gewohnte Verhältnisse über allem stehen. Ich sage, dass das Quatsch ist und es weder die eine noch die andere Art von Menschen gibt. Christoph beharrt trotzdem darauf, zu Typ eins zu gehören. Drei Wochen später ist seine Abschiedsparty. Er geht erst nach Südamerika und dann nach Ostdeutschland. Fremde neue Welten.
Gegen ein Uhr morgens schält sich die Melancholie aus dem Alkohol. Die Schüsseln mit Chili con Carne und Guacamole sind fast leer und jemand hat die Salsa-Musik leiser gedreht. Christoph legt sich auf den Boden und fragt, warum man die Freunde immer dalassen muss. Ich sage, dass das eben so ist, wenn man dauernd etwas Neues braucht. Das klingt sogar in meinen Ohren patzig und ist nicht besonders tröstlich. Aber was ist schon sein Trost verglichen mit meinem Triumph? Denn ich hatte recht: Christoph ist kein kompromissloser Vagabund. Er ist einfach ein stinknormaler Mensch, der die Ahnung nie loswird, dass er anderswo viel besser aufgehoben wäre. Und dabei gleichzeitig fürchtet, bereits am richtigen Ort zu sein, ohne es zu merken.
Er sieht mich von unten an, als wäre ich ein Orakel und fragt dann, ob das irgendwann aufhört. Ich seufze. Meine selbstgerechten Antworten gehen zur Neige und für Tiefsinn bin ich nicht betrunken genug. Um Zeit zu schinden, stopfe ich mir eine Handvoll Käse-Nachos in den Mund. Das hilft nicht viel, meine Antwort bleibt dürftig: eines Tages könne man sich vielleicht besser damit arrangieren, sage ich, mit dem was man hat und mit den Sehnsuchtsorten. Eigentlich glaube ich eher, dass man irgendwann irgendwo hängenbleibt, weil man plötzlich zwei Kinder hat und eine Wohnung abbezahlt (aber dank einer weiteren Ladung Käse-Nachos kann ich das für mich behalten).
An dem Morgen, als er den Flug nach Ecuador nimmt, hängt der Nebel düster über der Baustelle vor meinem Fenster. Die Wettervorhersage für Quito ist sonnig und warm. Ich schreibe Christoph eine SMS, damit er nicht vergisst, die Riesenschildkröten auf den Galapagosinseln von mir zu grüßen. Dann mache ich mich an den Abwasch. Susanne Krause
Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.
Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.