Hippie-Hop

image

Baseball-Cap statt Tutu: Susana Kurek, 20, hat ihre Ballettkarriere aufgegeben, um jetzt bei Tanz-Battles anzutreten. Unter all den Tänzern in Jogginghosen ist sie die Grazie

Sie hat in Spitzenschuhen ihr Kinderzimmer aufgeräumt, so sehr wollte sie Primaballerina werden. Doch gerade als ihre Ballettkarriere in Schwung kam, folgte die Wende um 180 Grad: Susana Kurek, 20, hat das Tutu gegen die Baseball-Cap getauscht. Jetzt tritt sie als Hip-Hop-Tänzerin bei Tanz-Battles an. Ihre Entscheidung gegen den Mädchentraum mag ungewöhnlich erscheinen, für Susana war sie folgerichtig: In den „hundert Jahre alten Choreografien“ beim Ballett vermisste sie schlicht die Kreativität, die Individualität.

Dabei ist es gerade die Möglichkeit, sich selbst auszudrücken, die Susana am
Tanzen so liebt. „Beim Hip-Hop kann ich wirklich alles, was ich beherrsche, in einen Tanz reinstecken“, sagt Susana über ihre Leidenschaft. Es passt zu ihr. Sie investiert jede Menge in das, was sie tut. Und riskiert manchmal viel: Das Hip-Hop-Tanzen hat sie sich mithilfe von Youtube-Videos zunächst selbst beigebracht. Als sie dann in einem Münchner Skaterladen den Verkäufer vor dem Spiegel tanzen sah, forderte sie ihn zu einem Battle. Der junge Mann lachte nur, erzählt sie heute, und nahm sie mit in ein Jugendzentrum. Zum Training. So kam sie zur ihrer Crew „StreetLove“ – und bald auch zu den ersten richtigen Battles.

Beim „Express-Your-Style“-Battle in München tritt Susana gegen mehr als 100 Tänzer aus ganz Deutschland an. Der Jogginghosenanteil ist hoch, die Musik laut, das Licht gedimmt. Getanzt wird immer und überall und am liebsten spontan. Die einen bewegen sich wie Roboter, andere scheinen ständig mittelschwere Stromschläge abzubekommen. Direkt daneben tanzen Jugendliche, deren weiche Bewegungen förmlich in die Musik hineinzufließen scheinen, bis sie mit einem angedeuteten Faustschlag den „Yo”-Faktor wiederherstellen. Begegnen sich zwei Tänzer, begrüßen sie sich nicht mit Worten, sondern mit synchronen Dance-Moves. Tanzen als Sprache.

Während des Wettbewerbs unterstützen sich die Konkurrenten gegenseitig durch intensives Kopfnicken und anfeuernde „Yeah“-Rufe. In der Pre-Selection gilt es, aus einer Gruppe von zehn Tänzern hervorzustechen. Susana zeigt ihren Lieblings-Tanzstil, Vogueing, bei dem sie Model-Posen in die Hip-Hop-Choreografie einarbeitet. „Da kann Hip-Hop auch einmal sehr feminin sein“, sagt Susana, die nebenbei tatsächlich als Model arbeitet. Sie besticht durch Eleganz und Rhythmusgefühl, obwohl die Schrittfolge ganz spontan entsteht. Viel Kopfnicken, viele „Yeahs“, sie hat es mühelos in die Battles geschafft.

Einen deutschlandweiten Hip-Hop-Wettbewerb hat sie schon gewonnen, obwohl ihre Karriere erst mit 15 Jahren begann. Mit „StreetLove“ ist sie oft im ganzen Land unterwegs, um bei Battles anzutreten. Viel Anerkennung von außen gibt es dafür nicht, das Klischee von den verfeindeten Straßengangs ist hartnäckig. Dabei betont Susana eines gern und stolz: „Wir sind eine große Community.“ Wenn sie von der Hip-Hop-Szene erzählt, klingt das nach Familie, nach Lagerfeueratmosphäre. Nach Hippie-Hop.

Susanas Hip-Hop-Trainer Miguel Sozinho beschreibt sie als sehr ambitionierte Tänzerin, vor allem aber als „künstlerisches Wesen“. „Sie ist unglaublich vielseitig, kann sich auf alles einlassen und sieht die Dinge immer aus mehreren Blickwinkeln”, sagt er. Miguel hat gerade seine eigene Hip-Hop-Akademie in München gegründet. Zusammen mit Susana und den anderen Tänzern organisiert er internationale Festivals und regionale Tanzwettbewerbe. Diese tragen recht eigenwillige Namen, „Champion the Best“, zum Beispiel, oder „Funk the System“. Susana hilft, wo sie kann, leitet Kurse an der Akademie und sucht Sponsoren. Auch Workshops mit Flüchtlingen hat sie schon veranstaltet. „Du machst die Musik an und die Leute strahlen“, so beschreibt sie – selbst strahlend – ihre Erlebnisse als Trainerin.

Quasi nebenbei hat sie gerade ihr Abitur gemacht, jetzt möchte Susana Management studieren. Sportmanagement natürlich. „Bei mir entsteht eigentlich alles aus dem Tanzen“, sagt sie. Aus ihrer Seminararbeit ist ein kleines Buch über Hip-Hop geworden, für das die 20-Jährige gerade einen Verlag sucht. Es macht ihr Spaß, die Hip-Hop-Kultur zu erklären. Das nächste Buch ist schon in Planung. Es soll um Experimental gehen, einen ganz neuen Tanzstil, und für Susana „die perfekte Kombination aus Jazz Dance und Hip-Hop“. Schon bald wird sie Kurse in dieser Disziplin geben. Sie sei die erste Experimental-Trainerin in München, sagt Susana.

Wie viele Stunden sie selbst pro Woche trainiert? „Montags sind es vier …“, Susana beginnt, die Stunden an den Fingern abzuzählen. Sie reichen nicht, am Ende kommt sie auf 17 Stunden. Jede Woche. Dazu kommen die Wettbewerbe und Auftritte. So ist Susana mit ihrer Crew etwa im neuen Musikvideo des Berliner Rappers Chefket zu sehen.

Selbst das Balletttanzen hat sie nicht ganz aufgegeben. Sie trainiert weiter, „diesmal nur für mich“. Was Susanas Tanzstil besonders macht, sind gerade diese Balletteinflüsse: Hip-Hop tanzt sie gerne auf Zehenspitzen und verbiegt ihre Sneakers damit. „Ich balle auch nie meine Fäuste“, erklärt sie. Stattdessen breitet sie die Arme in Schulterhöhe elegant aus, die Körperspannung ist bis in die Fingerspitzen sichtbar. Sie bleibt die Grazie unter all den friedlichen Menschen im Gangsta-Style.

https://www.facebook.com/streetlove.page

https://www.facebook.com/SusanaKurek

Katharina Hartinger

Foto: Markus Boos, Albert Moser