Hinter geöffneten Türen

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Leonie kann es nicht fassen – vier Tage lang war ihre Haustür einfach so ausgehängt, weil ihre Vermieterin fand, dass die Messingklinke mal wieder poliert werden müsste. Und irgendwie ist man gegen Vermieter auch einfach machtlos.

Manchmal muss man einfach die Tür hinter sich zumachen. Wie wichtig das ist, erkenne ich zum ersten Mal in der Grundschule, als ich eine Klassenkameradin besuche. Deren Barbie-Traumhaus hat zwar jede Menge Türen, ihr Kinderzimmer jedoch gar keine – nur einen leeren Rahmen. Wenn sie etwas angestellt hat, erklärt das türlose Mädchen auf Nachfrage, bekommt sie nicht etwa Hausarrest. Stattdessen hängen ihre Eltern die Kinderzimmertür aus und konfiszieren sie zur Strafe für ein paar Tage. Schon im Alter von sieben Jahren begreife ich, dass das eine ziemlich rabiate Disziplinarmaßnahme ist.

Jetzt frage ich mich, was Leonie angestellt hat, dass ihre Vermieterin ihr die Wohnungstür entzogen hat. Ich weiß, dass es viele Dinge gibt, die man in den Augen von Vermieterinnen falsch machen kann. Da wäre die Wohnungsbesitzerin, die von einer Bekannten einen dreistelligen Betrag einklagen will – angeblich habe sie beim Auszug eine Topfpflanze mitgehen lassen. Oder die Dame, die regelmäßig aus dem Kühlschrank ihrer Mieter alle Nahrungsmittel entsorgt, die dem Mindesthaltbarkeitsdatum nahe oder exotisch gewürzt sind. Leonie hat weder Gummibäume geklaut noch sich beim Lagern von abgelaufener Frischmilch erwischen lassen. Ihre Vermieterin hat einfach beschlossen, dass ihre Messingklinke mal wieder poliert werden müsste und zu diesem Zweck gleich die ganze Tür von Leonies Einzimmerwohnung aushängen lassen. Für vier Tage. Im Sommer baut die Vermieterin übrigens zum besseren Durchzug auch immer die Glasscheibe aus der Haustür.

Leonie ist sauer. Verständlicherweise. Denn dass sie in ihrer Studentenwohnung unfreiwillig vier Tage der offenen Tür für die ganze Stadt veranstaltet hat, erfährt sie erst im Nachhinein von einer Nachbarin. Leonie selbst ist während der Aktion auf Besuch im rundum verschließbaren Elternhaus, wo sie nun seit ein paar Tagen darüber nachgrübelt, ob wohl all ihre Besitztümer die Tage der offenen Tür überlebt haben. Ich sage Leonie, was ich schon meiner Grundschulkameradin sagen wollte: Sie kann sich das doch nicht gefallen lassen! Aber Leonie seufzt nur: Mit den Vermietern ist es heute wie mit den Eltern damals, als man noch klein war: Sie sind die einzigen, die einem einen Ort ermöglichen, an dem man einfach mal die Tür hinter sich zumachen kann – aber eben oft auch dessen größte Bedrohung.

Von Susanne Krause