Frische Waffeln mit Captain Kirk

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Traditionen werden in den meisten Fällen nicht selbst geschaffen; sie sind einfach da. Doch es geht auch anders: Warum also nicht einfach einen Star-Trek-Film einlegen und dazu Waffeln backen?

Braucht man Traditionen? Judith könnte diese Sache sicher noch besser erklären als ich, sie studiert Religionswissenschaft. Nächsten Sonntag ist schon der erste Advent. Mein Freund David verzieht das Gesicht bei der Ankündigung, dass dieses Jahr die Weihnachtszeit noch früher beginnt als sonst. Judith und ich dagegen bekommen funkelnde Augen und beschließen, dass wir uns unbedingt zum Adventskranzbinden treffen müssen. Ein Adventskranz nadelt die Wohnung voll und sorgt höchstens dann für Spannung, wenn er die Vorhänge in Brand setzt. Aber das macht nichts. Als wir Kinder waren, gehörten Adventskränze dazu. Und jetzt, wo wir große Kinder sind, die – bedingt durch blöde Zufälle – Erwachsenenleben führen, da muss so ein Adventskranz erst recht in die WG. Da sind wir beide uns einig. Selbst die sinnlosesten Traditionen verbreiten kuschelig warme, heimelige Gefühle.

David ist schlecht dran. Er ist nicht nur mit zwei Mädchen unterwegs, denen der Gedanke an Adventsflitter den letzten Funken Verstand geraubt hat (Judith mault etwa, dass es bis zum ersten Kalendertürchen noch so lang hin sei. Und ich erkläre, dass es sicher bald schneien würde). Nein, er ist auch noch unseren Bekehrungsversuchen ausgeliefert. Je mehr Harmonie man als Kind in der Adventszeit verfüttert bekommt, desto fanatischer wird man im späteren Leben für Traditionen einstehen, die man sich nicht mal selbst ausgedacht hat. Das ist eben die Sache mit den Gebräuchen: Man sucht sie sich nicht aus, sie sind einfach da. Und dann soll man sie auch noch besinnlich finden. Da sind Trotzreaktionen verständlich – außer man ist eben so gehirngewaschen wie Judith und ich.

Aber es gibt Hoffnung: Man kann sich neue Traditionen basteln. Auch wenn wir David nicht von der Notwendigkeit eines Adventskranzes überzeugen können, sind wir drei uns doch einig, was einen anderen Brauch betrifft: Star-Trek-Schauen und Waffeln-Backen, das gehört zusammen. Haben wir so beschlossen. Es ist sinnlos, es verbreitet heimelige Gefühle, was will man mehr? Vielleicht etablieren wir es für zukünftige Generationen als eine feste Adventstradition. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.