Seit Beginn der Corona-Pandemie werden Menschen nach Haushalten aufgeteilt. Aber wie verhält es sich in Studentenwohnheimen, wo Dutzende zusammenleben?
Ein Haushalt – das ist eine wichtige Maßeinheit während der Corona-Pandemie. Eine Einheit, die bestimmt, wie viele Menschen sich sehen dürfen. Aber wie sieht das eigentlich bei Studierenden aus, die mit Dutzenden von Leuten zusammenleben? Wir haben in Münchner Wohnheimen nachgefragt.
Leben in der Küche
Jonas Schalk, 20, sitzt am Schreibtisch in seinem Zwölf-Quadratmeter-Zimmer im Newman-Haus, einem Studentenwohnheim am Englischen Garten. Es sieht typisch studentisch aus: Das Bett ist mit bunter Bettwäsche bedeckt, rechts davon steht ein Stuhl mit haufenweise Klamotten darauf, an den Wänden hängen Fotos. Auf einem Foto sieht man Jonas, wie er mit seinen Mitbewohnern Bier Pong spielt. Auf dem anderen trichtert Jonas: Er ext eine Flasche Bier aus einem Trichter. Das ist neben Bier Pong einer der beliebtesten Wettbewerbe auf Studentenpartys. Die Fotos sind die einzigen Sachen, die an das lustige Studentenleben erinnern, das Jonas früher geführt hat. Das Newman-Haus, in dem er wohnt, ist in der Studentenszene für seine Hausfeste berühmt. Jedes Jahr organisierten die Bewohner zwei Partys: am Anfang und am Ende des Semesters. Einmal waren auf einem Fest 400 Leute im Newman-Haus zu Besuch. Im Wohnheim selbst wohnen etwas mehr als 120 Studentinnen und Studenten. Nun ist alles anders: Seit März 2020 gab es keine Feste im Wohnheim, man darf jetzt nur noch eine Person zu sich einladen – und nur ins Zimmer. Das Studentenleben „funktioniert gar nicht“, sagt Jonas.
„Vor Corona kannte ich jeden im Wohnheim“, sagt er. Früher gab es Flurpartys, Fußballspiele und Spieleabende. Vor allem für Neue, die noch niemanden im Haus kannten, war die Einführung in die Gemeinschaft wichtig. Für sie organisierte man früher Challenges, in denen sie mit nackten Füßen ins kalte Wasser treten oder zwei Shots exen sollten. Jetzt hat Jonas Kontakte nur im eigenen Wohnbereich, also in seiner WG. 21 Mitbewohner teilen sich die Küche, neun Männer und zwölf Frauen. „Die Küche ist zu einem zentralen Ding in meinem Leben geworden“, sagt Jonas. Dabei muss er in der Küche eine Maske tragen, nur beim Essen darf er sie absetzen. Die Regeln wurden von der Heimleitung bestimmt, doch sich an sie zu halten, klappt nicht immer. „Wenn ich koche, muss ich was riechen, was schmecken. Und das kann ich mit Maske nicht so“, sagt Jonas. „Ich wohne hier, das ist mein Zuhause. Und klar, es sind 20 Leute, aber es ist ein Wohnheim, wir sind eine Ausnahme“, sagt der Student. „Aber solange jeder außerhalb des Wohnheims vernünftig ist, können wir hier entspannter sein.“
Freundschaften gehen kaputt
Zusammenleben ist immer eine Aushandlung. Im Roncalli-Kolleg an der Nymphenburgerstraße hat man das schnell begriffen und zu Beginn der Pandemie die „Corona-Crew“ ins Leben gerufen. Aus jedem Stockwerk des Wohnheims, in dem 125 Studierende wohnen, tagen hier in regelmäßigen Abständen Vertreterinnen und Vertreter und legen die Regeln fürs Zusammenleben fest. Masken auf dem Flur, gerade darf nur eine fremde Person aus einem anderen Haushalt in die Stockwerksküchen – also ist es schwierig, eben mal die WG auf dem Flur eine Etage tiefer zu besuchen. „Wir sind demokratisch und selbstorganisiert“, sagt Barzin Zare, der Moderator der Corona-Crew. Der 26-jährige Bauingenieur-Student kam im Januar 2020 neu ins Wohnheim und erlebte noch ausgelassene Barabende und die Faschingsparty, bevor Corona und die Unsicherheit in den Betonbau aus den Siebzigerjahren zogen.
Barzin ist stolz auf die effektive Selbstorganisation, keine Person hat sich bislang im Roncalli neu infiziert, drei an Covid-19 Erkrankte haben sich das Virus außerhalb des Kollegs geholt, aber nicht weitergegeben. Im Wohnheim fällt es leichter, die Lockdown-Beschränkungen auszublenden. Zwar wohnen alle nur auf neuneineinhalb Quadratmetern, aber Sportraum, Fernsehraum und Kegelbahn können pro Stockwerk gemietet werden. Jetzt sind die Lernräume offen. Das war in der Prüfungsphase besonders wichtig. „Wir haben uns immer an den gesetzlichen Rahmen gehalten“, sagt Barzin und ergänzt diplomatisch: „Einigen waren die Regeln zu strikt, einigen war es zu lasch.“ Er zuckt die Schulter: Politik im Wohnheim ist halt wie Politik auf großer Ebene. Pooya Shokushi, Medizinstudent, sagt es so: „Durch die Beschränkung habe ich zu einigen Mitbewohnerinnen eine viel tiefere Freundschaft – aber bei Debatten um Corona gehen auch Freundschaften kaputt.“
„Ganz ehrlich, ich glaube Wohnheime sind der angenehmste Ort zum Wohnen in der Pandemie“, sagt seine Mitbewohnerin Lena Bödeker, lächelt sichtbar durch die Maske und zeigt auf das Flachdach der Kapelle im Innenhof des Wohnkomplexes. Dort oben hat sie vergangenes Jahr mit einer kleinen Band die beiden Gebäude beschallt, die Bewohner standen an den Fenstern. „Mein schönster Moment 2020.“
Zusammenwachsen
Blaue Jacke, Jeans und feste Schuhe – Theresia Kunz, 26, geht ihre übliche Runde an den Pinakotheken spazieren. Normalerweise bummelt sie hier mit ihren Mitbewohnern oder Freunden. Die Studentin wohnt in der Nähe, im Studentenwohnheim Oek-Heim. Aktuell kann sie mit ihren Freunden nicht mehr in eine Bar oder ins Kino gehen. Spaziergänge sind fast das einzige, was Studierenden an Freizeitaktivitäten bleibt. Doch so war es nicht immer. Früher hatte Theresia ein lustiges Studentenleben. Sie kannte fast alle Bewohner im Wohnheim – es sind 80. Mittlerweile kennt sie nicht mehr so viele. Das liegt daran, dass mit Corona fast alle Veranstaltungen, die das Studentenleben im Oek-Heim ausmachen, weggefallen sind. Barabende jeden Donnerstag, Tutorenaktionen mit Ski-Touren und selbstgebastelten Lebkuchenhäusern: Das alles fehlt jetzt.
Die Bewohner des Hauses haben sich ein strenges Hygienekonzept überlegt. Sie dürfen jetzt keinen Kontakt zu den Leuten aus anderen Stockwerken haben. Zu Besuch sind nur noch feste Partner und Partnerinnen erlaubt. Jeder, der aus dem Ausland kommt, muss in Quarantäne. Als alle nach Weihnachten von zu Hause zurück ins Wohnheim kamen, mussten sie sich auf Corona testen lassen und auf das Ergebnis in der Quarantäne warten. „Das war für mich so ein einschneidender Moment“, sagt Theresia. Seitdem ist sie noch vorsichtiger geworden und fährt sogar keine U-Bahn mehr, nur noch Rad – ihren Mitbewohnern zuliebe.
In Theresias Stockwerk wohnen noch 17 andere Studierende, mit denen sie Küche, Toiletten und Duschen teilt. Alle sind sehr vorsichtig, deswegen fühlt sich Theresia hier sicher. Sie freut sich, so viele Kontakte trotz Corona haben zu dürfen. „Ich finde es wunderschön, weil es ein ganz großes Privileg ist, nicht allein zu wohnen“, sagt die Studentin. Dabei ist ihr Stockwerk während Corona noch mehr als Gemeinschaft zusammengewachsen. Gerade kocht sie öfters mit ihren Mitbewohnern, macht Sport. „Für mich persönlich fühlt es sich noch mehr wie zu Hause an als vorher“, sagt Theresia. „Da ist der Flur zu einer Familie geworden.“
Besuchsverbot
Svetlana Kapitanchuk, 29, Bodo Kaiser, 25, und Daniel Senn, 20, sitzen am Holztisch in ihrer Küche. Auf dem Tisch steht eine mit Blümchen verzierte Teekanne und drei Tassen. An der Küchentür hängt ein buntes Plakat mit einer Giraffe. Der Schrank mit Küchenutensilien ist mit einer Lichterkette geschmückt. Svetlana, Bodo und Daniel wohnen zusammen mit sechs anderen Menschen in einem Flur im Studentenwohnheim Geschwister Scholl, direkt am Stammgelände der TU.
Corona hat das Leben in ihrem Wohnheim beeinflusst. Veranstaltungen fielen aus, die Bar im Keller ist geschlossen, am Eingang und in anderen Fluren muss man eine Maske tragen. In ihrem eigenen Flur halten Svetlana, Bodo und Daniel es etwas lockerer. Masken müssen sie innerhalb des Flurs nicht tragen, und auch eine Person von außerhalb des Wohnheims darf man immer noch einladen. In manchen Etagen ist sogar das verboten.
Was den Studenten fehlt, sind ihre Routinen. Früher ging Bodo jeden Morgen in den kleinen Sportraum. Doch als Corona kam, waren alle Slots schnell ausgebucht. Bodo konnte nur noch einmal die Woche Sport machen. „Man hatte schon das Gefühl, jemand will dir etwas wegnehmen. Es ist ein Teil der Routine, und die ist, finde ich, noch wichtiger in Corona-Zeiten“, sagt er. Mittlerweile geht Bodo wieder öfters trainieren, doch dafür muss er um 6 Uhr in der Früh aufstehen.
Am Anfang der Pandemie hat sich Bodo mit Corona infiziert. Er musste die Quarantäne in seinem Zehn-Quadratmeter-Zimmer durchstehen. Essen musste er bestellen, ein paar Mal kochte Svetlana für Bodo. So steckte er niemanden an. Das hat den Mitbewohnern gezeigt, dass es auch im Wohnheim mit Corona funktionieren kann. Der Lockdown hat die Gemeinschaft im Flur sogar gestärkt, glaubt Svetlana. Am Anfang fehlten ihr soziale Kontakte, doch dann fingen die Mitbewohner an, öfters zusammen zu kochen oder Karten zu spielen. Auch Silvester feierten die Studenten zusammen. „In dieser Zeit habe ich gemerkt, wie nett meine Mitbewohner sind“, sagt Svetlana.
Von Ekaterina Astafeva und Johanna Hintermeier