Priscillia Grubo, 27, zeigt in ihren Fotos, wie People of Colour ihre Haare gleichsam als politisches und persönliches Statement inszenieren können.
Man sieht eine junge Frau, die an ihrem vollen Afro zupft, mit ihm hadert. Die ihn zu formen versucht, schließlich unter einem Handtuch versteckt. Auf einem anderen Foto trägt das junge Modell Léonie Emeka weiße Baumwoll-Knäuel zwischen den offenen schwarzen Locken. Geschossen hat diese Bilder die Münchner Fotografin Priscillia Grubo, 27.
„Ich wollte mit der Baumwolle eigentlich einen ästhetischen Akzent setzen, weil das Material dem Haar des Models so ähnlich scheint“, sagt sie. „Während dem Shooting haben wir dann plötzlich gemerkt, wie politisch diese Bilder sein werden“, sagt Priscillia. Sie lacht.
Mit Afro-Haaren setzt sich Priscillia, deren Eltern aus der Karibik stammen, in ihren Fotografien immer wieder auseinander. Mal locker und poppig, mit vielen knalligen Farben. Mal ernsthaft, mal fast schon sentimental, wie bei Sonderausstellung „Black Art Matters“ auf der Photo.München-Werkschau vergangenen Winter. Die dort ausgestellten Fotografien sollten „anspruchsvolle und sensible Themen beleuchteten“, sagt Santiago Lösslein Pulido, 23, der die Sonderausstellung kuratiert hat. Priscillias Bilder bestechen durch ihre schlichte, klare Optik, während sie essenzielle historische und politische Fragen behandeln. Rassismus. Kolonialismus. Die aber auch geprägt sind von Ästhetik, Aufbruchsstimmung und der Suche nach einem neuen Schönheitsideal. Im Begleittext der Ausstellung heißt es über Priscillias Fotografien, sie zeige damit eindrucksvoll, „wie People of Colour ihre Haare gleichsam als politisches und persönliches Statement inszenieren können“.
„Seitdem ich Kind bin, fällt es mir schwer, meine natürlichen Haare zu lieben – ohne Chemie, ohne Extensions“, erzählt Priscillia, die es im Interview bevorzugt, ihre eigenen Haare unter einer großen, blau-weiß gebatikten Ballonmütze zu verstecken. „Ich trage das inzwischen fast immer so“, fügt sie da noch hinzu, als sie den fragenden Blick bemerkt. „Dann muss ich mir keine Gedanken über eine Frisur machen und habe den Kopf frei für Anderes“.
Direkten Rassismus, taktlose Kommentare oder Fragen habe sie selbst glücklicherweise kaum erlebt. Erst der Austausch mit anderen Menschen, die ihr von den eigenen rassistischen Erlebnissen und Traumata erzählen, sensibilisiert sie für das Thema. Priscillia sagt heute, sie sei damals naiv gewesen. „Trotzdem möchte ich nicht überall im Alltag nach Rassismus suchen“, sagt sie, „sonst mache ich mich selbst noch verrückt.“ Mit ihrer Kunst möchte Priscillia erzählen, nicht anklagen. „Ich versuche immer, die Menschen aus meinem ganz persönlichen Blickwinkel einzufangen“, sagt sie, „und dann durch die Bilder eine Geschichte zu erzählen.“
Priscillias eigene Geschichte, sie beginnt in ihrer Kindheit in Frankreich mit der frühen Faszination für Fotos. Eingefrorene Momente. Ihre Geschichte schreitet auf verworrenen Wegen, niemals direkt und doch zielstrebig und erzählt von einer jungen Frau, die in der Fotografie ihre Bestimmung zu finden scheint. Deren Bilder es schon auf verschiedene Fotoausstellungen in München und auf das Cover des kanadischen Mob-Magazins geschafft haben, eine internationale Plattform für aufstrebende Künstlerinnen und Künstler der Fotografie. Und das, obwohl die junge Frau erst seit wenigen Jahren professionell in dem Bereich tätig ist.
Einer, der ihr mit der Orientierung geholfen hat, ist der Münchner Fotograf Manfred Jarisch. „Priscillia hat einen super interessanten Zugang zur Fotografie“, erzählt der 55-Jährige, bei dem die junge Französin mehrere Projekte assistieren konnte. Er unterstützt sie bis heute, hilft ihr beim Aufbauen von den in der Branche so wichtigen Netzwerken, fungiert als eine Art Mentor. „Es ist schon beeindruckend, wenn jemand aus einer Stadt wie Paris nach München kommt und sagt: Hier bleibe ich. Das kann der Stadt auf jeden Fall nur Gutes tun“, fügt er hinzu.
Nach München kam Priscillia vor etwa fünf Jahren als Videocutterin für verschiedene in der Stadt ansässige Produktionsfirmen. Fotografieren konnte sie vorerst nur nebenbei – „dabei wusste ich eigentlich schon damals, dass ich möglichst nur noch das machen will“, erzählt sie. Diesen Wunsch lebt Priscillia inzwischen aus: Im November vergangenen Jahres kündigte sie ihren letzten Job. Die Fotografie, so erzählt sie, sei ein deutlich intuitiveres, direkteres Handwerk. Für stundenlange Nachbearbeitungen von Filmen habe ihr irgendwann nicht mehr die Ruhe gereicht, sagt Priscillia. Eine Ungeduld treibt sie an. Der Drang zu experimentieren und Ergebnisse zu sammeln, der färbt sich bei Priscillia ab in der aufgeweckten Sprache ihrer Erzählungen, in den dazu gehörenden, weit ausholenden Gesten.
Als selbständige Fotografin hat sie sich inzwischen auf unkonventionelle Porträts konzentriert. Priscillia sagt, sie möchte den Menschen vor ihrer Linse „aus einer neuen Perspektive zeigen. Es soll ein Produkt aus der Begegnung des Shootings werden, und kein glattes, wiederholbares Abbild der Person.“
Warum also gerade die Porträtfotografie? „Man weiß vorher nie genau, was dabei herauskommt. Ständig passiert etwas Neues, etwas Unerwartetes. Ich liebe die Spannung, die bei so einem Shooting entstehen kann“, sagt sie.
Dass das Neue, das Unerwartete sie reizt, das erkennt man auch in den übrigen Bildern Priscillias, die mal vor Lebensfreude strotzen, und auch mal nachdenklichere Töne anschlagen. „Ich bin noch auf der Suche nach meinem Stil, nach meiner fotografischen Handschrift“, sagt sie. Doch vielleicht ist es gerade das Offene, das Spielerische, das Priscillias Fotografien ausmacht.
Auf der Suche nach ihrem persönlichen Stil arbeitet Priscillia immer wieder eng mit Münchner Initiativen wie dem Afrodiaspora-Kollektiv oder der aktuell von Jiréh Emanuel, einem Freund Priscillias, gestarteten Initiative zur Ächtung des N-Wortes zusammen.
Im vergangenen Sommer begleitete sie mehrere Demonstrationen der Münchner Black-Lives-Matter-Bewegung – und erzählt dort von einer anderen Seite des politischen Widerstands. Man sieht junge Menschen, die solidarisch Seite an Seite stehen. Die sich gegenseitig unterstützen. Die füreinander da sind. Es sind die kleinen Gesten, deren Sprache in den Bildern gesprochen wird.
Von Louis Seibert