Bass, Beats, Piranhas

Feiern am Ende der Welt: Eneko Brög, 23, und Jonas Köksal, 24, organisieren die „O Mato-Experience“ mitten im brasilianischen Amazonasgebiet. Warum tun sie das?

V0n Wolfgang Westermeier

Freunde elektronischer Musik sind es in München gewohnt, einiges auf sich zu nehmen. Wer illegale Partys schätzt, muss samstags regelmäßig sein Handy checken und anhand der angegebenen Koordinaten den Tanzfloor finden. Wer im Grünen feiern will, den locken Partyveranstalter ins Münchner Umland. Wer Raven mit Urlaub verbinden will, dem wurde bestimmt schon mal vom Monticule- Festival vorgeschwärmt, das vier Münchner in Südfrankreich veranstalten. Demnächst gibt es Beats auch als Fernreise – die „O Mato Experience“, die die Münchner Eneko Brög und Jonas Köksal organisieren. Mitten im brasilianischen Amazonasgebiet, 200 Kilometer von der nächsten Großstadt entfernt und nur per Boot zu erreichen.

Bei der ersten Ausgabe im vergangenen Jahr waren es 30 Menschen, diesen September werden gut doppelt so viele ein gemietetes Amazonas-Schiff besteigen und von Manaus aus zehn Stunden lang den Rio Negro hochfahren. „Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich an die Bootsfahrt denke“, sagt Jonas. „Die meisten waren noch nie am Amazonas. Und wenn der Fluss dann immer weiter wird und es irgendwann gar keine Zivilisation mehr gibt, das ist ein Gefühl, das die Leute total zusammenschweißt.“

Zwar wäre es auch möglich, mit dem Bus zum nächstgelegenen Ort zu fahren und von dort ein kleineres Motorboot zu nehmen. Sie haben sich jedoch bewusst für die lange Variante entschieden. „Die Fahrt mit dem Schiff ist wichtig für die Gruppendynamik“, sagt Eneko. „Sie bestimmt den Vibe für die nächsten zehn Tage.“ Denn: „O Mato“ möchte mehr sein als nur Party. Während des Festivals werden die Teilnehmer nicht nur gemeinsam feiern und zu elektronischer Musik tanzen, sondern auch an Workshops teilnehmen, etwa zu Heilpflanzen aus dem Urwald. Auch die Dörfer indigener Völker besuchen und den Regenwald erkunden stehen auf dem Programm. Dafür ist es wichtig, dass man sich vertraut – und dass man vorher genug Geld zusammengespart hat. Das Ticket für die vollen zehn Tage vom 4. bis 14. September kostet 550 Euro, ein Wochenende kostet 140 Euro.

Der Veranstaltungsort „Cheiro do Mato“, was „Duft des Waldes“ bedeutet, ist eine ausgebaute Urwaldlodge im Besitz von Enekos Vater. Eine grundlegende Infrastruktur ist vorhanden. Es gibt einen Grundwasserbrunnen, Generatoren, Solaranlagen und ein gigantisches Floß, das Tanzfläche und Bar zugleich ist. Dennoch ist die Ausstattung eher elementar als luxuriös. Geschlafen wird in Hängematten auf dem Schiffsdeck. Mal eben schnell zum Supermarkt und Sonnencreme kaufen, funktioniert hier nicht.

Wie kommt man darauf, ausgerechnet dort ein Festival zu veranstalten? Was Eneko angeht, wurde ihm die Lust am Abenteuer praktisch in die Wiege gelegt. Sein Vater arbeitete viele Jahre lang als Dokumentarfilmer in Südamerika. Er verliebte sich in den Amazonas, kaufte ein kleines Schiff und ein Stück Land und bietet seit mehr als einem Jahrzehnt Expeditionen in den Dschungel an.  Als Eneko sechs war, begleitete er seinen Vater zum ersten Mal auf einer Tour. „Ich war begeistert von der unberührten Natur, vom Regenwald, vom Abenteuer“, sagt der heute 23-Jährige. Es dauerte nicht lange, bis er regelmäßig Reisen nach Brasilien unternahm. Und mit jedem Jahr wuchs sein Wunsch, die Faszination für diesen Ort mit seinen Freunden zu teilen. „Die Idee hatte sich irgendwie in meinem Kopf festgesetzt“, sagt Eneko.

Vor ein paar Jahren begleitete ihn dann zum ersten Mal eine kleine Gruppe seiner Freunde. Er erzählte ihnen von seiner Idee für ein Festival und rechnete mit allem, nur nicht mit Begeisterung. Sein Freund Jonas, 24, war sofort überzeugt. Gemeinsam erkundeten sie das Potenzial für eine mögliche Veranstaltung. Schon im darauffolgenden Jahr fand zum ersten Mal „O Mato“ statt. Jonas ist schon länger im Veranstaltungsbereich tätig. In München organisierte er in regelmäßigen Abständen Open-Air-Partys, bevor er zum Studieren nach Berlin zog. „Meine Reiseerfahrung und seine Erfahrung als Veranstalter haben sich perfekt ergänzt“, sagt Eneko.

Einhundert Teilnehmer soll die „O Mato Experience“ einmal zählen, im Ticketverkauf liegen sie noch nicht ganz im Sollbereich. Woran das liegt? „Ich glaube, das hat ganz viel mit Vertrauen zu tun“, sagt Jonas. „Ich habe viele Freunde, die haben mir das erst einmal gar nicht geglaubt.“ Jetzt, da die Veranstaltung in die zweite Runde geht, sind die beiden optimistisch, dieses Ziel bald, wenn nicht sogar dieses Jahr noch, zu erreichen. Sie haben ein erfolgreiches Festival vorzuzeigen, können auf Bilder und Erfahrungsberichte zurückgreifen. Dennoch müssen sie nach wie vor einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Viele potenzielle Festivalbesucher fürchten sich vor Krokodilen, Spinnen und Piranhas. „Das ist so ein Klischee“, sagt Jonas. „Man muss schon aktiv suchen gehen, um die zu finden.“

Um den Bekanntheitsgrad von „O Mato“ zu steigern, organisieren Eneko und Jonas außerdem kleine bis mittelgroße Partys – in München, Berlin und Stuttgart, aber auch in Rio de Janeiro und in Kapstadt sind sie bereits gewesen. Zusammen mit der Organisation des eigentlichen Festivals nimmt das fast ihre gesamte Zeit in Anspruch. Das Studium, das beide so gut wie abgeschlossen haben, kam streckenweise etwas kurz.

Lohnt sich dieser Aufwand, ja braucht es das überhaupt, ein Festival am Ende der Welt, mitten im Dschungel? „Klar haben wir uns gefragt, ob es sich lohnt, unsere ganze Zeit da reinzustecken“, sagt Jonas. Und würde es nur um das zehntägige Festival gehen, würde die Antwort wohl negativ ausfallen. Langfristig gesehen wollen sie aber etwas viel Größeres schaffen. „Das Festival ist auch ein Mittel zum Zweck“, sagt Eneko. „Irgendwann, vielleicht in fünf bis zehn Jahren, soll das Grundstück das ganze Jahr über in Betrieb sein.“ Es soll ein alternativer Rückzugsort entstehen, der kreativen Freigeistern eine Heimat bietet. Die Menschen sollen kommen, um beispielsweise Musik zu produzieren oder wissenschaftliche Workshops zu besuchen, vor allem aber, um sich von der Reizüberflutung der Großstädte zu erholen.
Sie wollen weitestgehend unabhängig sein von einem ökonomischen System, von Wechselkursen und Arbeitgebern. Ihre eigene Währung, „O Tamos“, haben sie bereits eingeführt. Damit ist die „O Mato Experience“ für Jonas und Eneko nicht einfach nur ein Festival, es ist der Beginn eines Lebensentwurfs. Jeden Tag im Büro aufzutauchen und dort die Zeit abzusitzen, können sie sich jedenfalls nicht vorstellen. „Ich will schon irgendwie was ausprobieren, was Neues schaffen“, sagt Eneko.

Fotos: Eneas Bohatsch, Andreas Linke, Jonas Köksal