Band der Woche

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Benjamin Süß’ Musik ist wie ein “künstlerisches Bäumchen-wechsle-dich-Spiel”- er hat sich als Wendekind schon in vielen musikalischen Stil-Bereichen ausprobiert. 2014 hat er sich eine Band gesucht, Anfang diesen Jahres erschien ihr erster Album

Die alte Frau, die gleichzeitig eine elegante Dame ist. Oder die zwei Gesichter, die genauso die Silhouette einer Vase sein können. Man kennt das aus dem Biologieunterricht und aus der Kunsterziehung: Kippbilder, die das Gehirn auf den Arm nehmen und den Biologen genauso wie den Künstlern als Anschauungsmaterial dienen. Doch Vexierbilder haben eine politische Tradition; wenn auch eine kleine: Die Uneindeutigkeit, die in solchen Wechselbildern liegt, war eine Möglichkeit, Botschaften an einer Zensur vorbei zu übermitteln. Uneindeutigkeit schützt den Künstler und schafft etwas Neues – der Blickwinkel, den der Betrachter wählt, um auf ein solches Bild zu sehen, kann von Außen nicht beeinflusst oder gar kontrolliert werden. Und selbst der Betrachter vermag es manchmal nicht, die andere Figur im Kippbild zu erkennen. Das Gehirn ist zu voreingenommen vom ersten Eindruck.

Der Münchner Musiker Benjamin Süß sucht in seiner Kunst immer wieder diesen kippenden Moment und bewussten Perspektivwechsel. Seine Band hat er deshalb Wendekind (Foto: Bjoern Matthes) genannt. Ein Projekt, das er solo begonnen hat und nun als Quintett fortführt. „Egal, wie tief die Löcher aus meinem Leben sind, ich wende das Blatt mit dem kleinen Jungen zum Guten, ich bin das Wendekind!“, ein Satz, der Benjamin beim Freestylen eingefallen ist. Doch Hip-Hop macht er schon lange nicht mehr. Denn auch die musikalische Ausrichtung wendete er häufig.

Obwohl Benjamin schon als Kind Klavier, Geige und Flöte gelernt hatte, bekam er die Verbindung zur Popmusik erst über die Gitarre, die unweigerlich mit seiner damaligen musikalischen Leidenschaft verknüpft war: der Rockmusik. Kurz darauf schrieb Benjamin seine ersten Lieder. Doch sein Geschmack und seine Musik kippten in den nächsten Jahren immer wieder. Skatepunk wurde von Nu-Metal abgelöst, Hardcore von Hip-Hop. Und immer produzierte Benjamin Songs in dem jeweiligen Stil, richtete sich irgendwann ein Home-Recording-Studio ein, und lernte so auch die verschiedensten Möglichkeiten der Musikproduktion kennen. Und dann erkannte er, dass sein künstlerisches Bäumchen-wechsle-dich-Spiel auch eine Gabe ist: Er begann 2010 als Wendekind all diese Einflüsse in eigenartige Songs zu schreiben.

Und nun hat sich Benjamin, der gerade sein Architektur-Studium beendet hat, eine Band zusammengesucht: „Wir setzten uns Herbst 2014 hin und nahmen mein Album zusammen auf“, sagt er. Anfang 2015 ist es fertig gewesen. Schließlich habe er zu seinen Musikern gesagt, dass Wendekind nun nicht mehr nur er alleine sei, sondern eine Band. Man merkt auch in seiner Musik einen gewissen Hang dazu, Dinge ernst zu nehmen und sie dementsprechend groß auszudrücken. Doch in der musikalischen Gestaltung gelingt ihm dazu ein ausgleichendes Moment.

Seine ursprünglichen Akustik-Gitarren-Songs haben ein ornamental ausformuliertes Arrangement bekommen. Eines, das aber nicht in ein vorhersehbares Pop-Schema passen will, sondern sich eher an dem blubbernd-opulenten und gleichzeitig zurückgenommenen Klang von Bands wie CocoRosie, Animal Collective oder in der Münchner Variante Angela Aux oder Joasihno bedient. Glockenspiel und schnarrende Bässe unterlegen schwelgerisch-euphorischen Gesang und deutsche Texte. Am Freitag, 31. Juli, steht nun das Release-Konzert zum Debüt-Album im Münchner Rationaltheater an. 


Stil: Weirdo-Songwriter/Indie
Besetzung: Benjamin Süß (Gesang, Gitarre, Komposition), Volker Beer (Gitarre, Bass), Matthias Grabichler (Gitarre, Bass, Gesang, Mundharmonika), Cornelius Neckenig (Schlagzeug, Percussion), Paul Pommer (Klavier, Synthesizer, Orgel)
Aus: München
Seit: 2010
Internet: www.facebook.com/wendekindmusik/

Rita Argauer

Foto: 

Bjoern Matthes