Eine Woche bleibt Jessi noch in München. Dann zieht sie für ihren Master nach Berlin. Genügend Zeit, um das Nachtleben der Stadt an der Isar noch einmal zu genießen. Mit einer entspannten Schnibbelparty, einer deutsch-vietnamesischen Chansonsängerin und einer Podiumsdiskussion im alten Heizkraftwerk.
Gleich zu Beginn eine Vorwarnung: Ich bin sehr schlecht darin, Abschied zu nehmen. Ich fasele immer Nonsens statt die richtigen Abschiedsworte zu finden, stehe da wie ein Hund, den jemand im Regen vergessen hat, und fange im schlimmsten Fall an zu weinen. Der schlimmste Fall ist mal wieder eingetroffen. Ich werde München verlassen. In einer Woche. Mein geliebtes München, das mich die letzten vier Jahre in guten wie in schlechten Zeiten begleitet hat. Und zwar für Berlin, was manch einem als Hochverrat vorkommen mag.
Ich hingegen finde München und Berlin beide großartig und kann diese Städterivalität nicht wirklich verstehen.
Also: Eine letzte Woche München, dann geht es nach Friedrichshain. Genügend Zeit, um noch einmal an all meine Lieblingsplätze zu gehen, bei spannenden Aktionen von Vereinen vorbeizuschauen und erstklassigen Bands zuzuhören.
Der Freitag beginnt bereits vielversprechend. Die Jungs und Mädels von rehab republic laden zu ihrer zweiten Schnibbelparty. Die Idee dahinter: Zusammen mit Foodsharing sammeln die rehabler Gemüse mit kleinen Schönheitsfehlern von Münchner Supermärkten ein, das sonst in der Tonne gelandet wäre. In der Glockenbachwerkstatt wird das eingesammelte Grünzeug dann fleißig geschnitten, geschält, gekocht und gemeinsam gegessen. Die Soulstube und Boshi San liefern den Soundtrack für einen entspannten Abend.
Samstag ist es wieder soweit. Die Wiesn fängt an. Einer der wenigen Gründe, warum ich verstehen kann, dass manch einer München nicht ganz so toll findet. Bei Blasmusik und Hendl kommt bei mir eher Genervtheit als Stimmung auf. Aber kein Problem, die Theresienwiese lässt sich umgehen und stattdessen beginne ich meinen Tag mit der Ausstellung „Deine Isar – deine Stadt“ am “Isarbalkon”, organisiert vom Linoleum-Club. Zu diesem Motto konnten bis zum ersten September junge Literaten oder bildende Künstler ihre Werke einsenden. Die Gewinner dürfen am Samstag ihre Kunst ausstellen. Abends geht es für mich zum Open-Air-Kleidertausch. Hoffentlich spielt das Wetter mit, wenn im Gemeinschaftsgarten von Green City die Klamotten die Besitzer wechseln.
Sonntagabends ist es Zeit für einen meiner Lieblingsplätze in München. Im Salon Irkutsk singt die deutsch-vietnamesische Chansonsängerin Le-Thanh Ho. Die lindgrün-türkisenen Wände und die dunkelrote Bar bieten ein entspanntes Ambiente für ihre nachdenklichen Texte. Eine Portion Borschtsch und (mindestens) einer der verschiedenen Wodkas gehören zum Pflichtprogramm in dem kleinen Lokal.
Nach diesem entspannten Wochenende, ist es für mich Montag Zeit der Realität wieder in die Augen zu sehen. Umziehen bedeutet leider auch: Möbel verkaufen, Auto mieten, Sachen packen und Reste aufbrauchen.
Am Dienstagabend öffnet das Kunstkollektiv downstairs seine Atelierräume im Mixed Munich Arts für eine Podiumsdiskussion zum Thema „Irakkrieg Drei.Null“. Als Politikstudentin bin ich schon gespannt auf die unterschiedlichen Positionen zur Zukunft des Iraks und der Verantwortung “des Westen”. Der Politikblog Actually Not hat vielversprechende Diskutanten eingeladen: Michael Birnbaum, langjähriger Auslandskorrespondent der SZ, Azad Yusuf Bingöl, politischer Aktivist und Jan Svoboda vom Jungen Forum der Gesellschaft für Außenpolitik.
Das Provisorium ist ein weiteres dieser Kleinode im Münchner Nachtleben, das Wanja Belaga geschaffen hat (wie den Salon Irkutsk). Mittwoch ist die Vernissage von „See with open eyes and feel with an open heart“ mit Fotografien von Melanie Dulat. Die Bilder der 21-jährigen Münchnerin laden zum Träumen ein, wenn Tiere und Menschen zu neuen Wesen verschmelzen.
Eines meiner persönlichen Highlights dieser Woche ist der Donnerstagabend in der Glockenbachwerkstatt. Auf der zweiten Party der neuen Reihe “Blaze up the bass” präsentiert die Rapperin Taiga Trece Lieder von ihrer ersten EP “7 auf ein’ Streich”. Nicht umsonst war die junge Münchnerin mit den mexikanischen Einflüssen vor kurzem erst unsere Band der Woche. Im Anschluss schaue ich noch im Harry Klein vorbei, wo Baal, H.B.C und Andi Lehner auflegen.
Am Freitagabend gehe ich zur Vernissage einer ungewöhnlichen Ausstellung, die einen etwas anderen Blick auf die Ukraine und die aktuelle Krise wirft. Die ukrainische Fotografin und LGBT-Aktivistin Natalia Roi inszeniert lesbische Pärchen und Singles, die ihre Sexualität in der homophoben Gesellschaft nicht öffentlich ausleben dürfen. “Kein Recht, sie selbst zu sein” heißt folgerichtig die Ausstellung im Gasteig.
Entgegen meiner sonstigen Freitagabendaktivitäten, geht es für mich danach früh ins Bett. Denn am Samstagmorgen steige ich in den vollbepackten Mietwagen und fahre in den Norden. Die ein oder andere Träne kann ich beim letzten Blick auf München wohl nicht unterdrücken. Und die richtigen Worte zum Abschied habe ich immer noch nicht gefunden.
Jessica Christian