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Von Freitag bis Freitag: Unterwegs mit Agnes

Die Zeit und ihre Dauer ist für unsere Autorin Agnes im Moment eine zweigleisige Beziehung. Sie vergeht langsam oder auch schnell, dafür plant Agnes einige Aktivitäten diese Woche. Viel Vergnügen!

Eines meiner liebsten Alben des vergangenen Jahres ist „How to Let Go“ von der norwegischen Sängerin Sigrid und eines meiner liebsten Lieder darauf ist das letzte „High Note“. Das beginnt so: „Time you’re being cruel, all you ever do/is trying to find your ways of escaping me“. Der Text beschreibe das Gefühl, nie wirklich mit der Zeit im Einklang zu sein, sagte Sigrid in einem Interview, entweder vergehe sie zu langsam oder zu schnell. I relate.

Im Sommer noch hatte ich das Gefühl, die Zeit vergehe zu langsam. Das klingt eigentlich erst einmal schön, nach langen, faulen Tagen in der Sonne, aber so nett war es nicht lange, denn das Gefühl rührte daher, dass ich darauf wartete, zu erfahren, ob ich eine Stelle an der Uni bekomme oder nicht und wenn ja, wann. Und derweil konnte ich nicht wirklich viel tun. Ich wurde rastlos, wollte eine Aufgabe, eine, die mehreren Monaten oder sogar Jahren Struktur gibt.

Dann hat es geklappt mit der Stelle, und seitdem rast die Zeit. November, Dezember, Nikolaus noch eine Woche bis Weihnachten. Hat man als Kind wirklich darauf hingefiebert, das nächste Türchen am Adventskalender öffnen zu dürfen? Heute merke ich oft erst nach Tagen, dass ich welche vergessen habe, kann doch gar nicht sein, dass heute schon wieder der 16. ist. Und das alles ist natürlich überhaupt nicht die Schuld der Zeit, sondern meine und vielleicht noch die der Gesellschaft und es ist auch echt langweilig, das alles festzustellen, aber es beschäftigt mich trotzdem.

Ich versuche gegenzusteuern. Kleine, schöne Momente zu planen, in denen ich mit der Zeit im Einklang bin. Ganz gut gelingt mir das oft, wenn ich etwas mit meinen Freund*innen unternehme, das ein klein wenig besonders ist. Am Freitagabend habe ich genau das vor: Meine Mitbewohner*innen und ich machen eine Weihnachtsfeier mit Käsefondue, Wichteln und selbst gemachtem Glühwein.

Am Samstag bin ich dann ein bisschen pragmatischer unterwegs, ich gehe zum Repaircafé in der IMAL Halle im Kreativquartier. Mein Fahrrad klappert schon seit Monaten, und gerade wenn es verschneit und eisig ist, sollten die Bremsen vielleicht doch ein bisschen zuverlässiger funktionieren, als sie es gerade tun… Abends sehe ich mir dann im Bellevue di Monaco „Gaza mon amour“ an, einen Film über einen Fischer, der ein ruhiges Leben führt, heimlich verliebt, bis er eine obszöne Apollo-Statue aus dem Wasser angelt. Klingt spannend, finde ich.

Am Sonntag dann eine weitere vorweihnachtliche Aktion: Schlittschuhlaufen im Werksviertel. Ach ja, eigentlich ist es ja ein schönes Zeichen, wenn die Zeit schnell vergeht, denn das heißt oft, dass man viel unternimmt – und dass das wieder möglich ist, anders als in den beiden vergangenen Jahren, freut mich wirklich wahnsinnig. Und ich koste es aus, so gut ich kann.

Ab Montag verbringe ich meine Tage dann wieder vor allem mit Recherchieren und Schreiben für Zeitungs- und Magazin-Artikel, aber auch für meine Dissertation. Routinen gehören auch zum Umgang mit Zeit. Abends belohne ich mich noch mal mit Kino: Ich sehe mir im Monopol „She Said“ an über die Frauen, die Harvey Weinsteins Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe öffentlich gemacht haben. Der Film interessiert mich als Frau und Feministin, aber auch als Journalistin. Ich habe gehört, dass er das dramatisiert, was an Journalismus wirklich dramatisch ist: meist sind das eher nicht irgendwelche heimlichen Treffen in Parkgaragen oder irgendwelche mysteriösen geleakten Daten, sondern das Wissen, dass es einen Missstand gibt und Menschen, die darüber sprechen könnten, – aber nur grundsätzlich, nicht wirklich, weil sie das zu viel kostet. Die Erleichterung, die Dankbarkeit und den tiefen Respekt, wenn einer von ihnen es doch schafft, kenne ich auch.

Auch am Dienstag arbeite ich tagsüber. Heute kann ich dafür aber in die Stadtbibliothek bei mir im Viertel – Neuhausen – gehen, die hat montags geschlossen. Ich weiß gar nicht, warum ich die nicht schon viel früher für mich entdeckt habe, sie ist näher als die Unibibliotheken, ziemlich gemütlich, und wenn ich genug getan habe, kann ich abends noch ein paar Minuten in einem Buch über etwas ganz anderes lesen. Zuletzt habe ich zum Beispiel etwas über Popkultur in den 80ern, Widerstand im Nationalsozialismus und Ausflugsziele in der Oberpfalz gelernt (ja, gibt es).

In meiner letzten Von Freitag bis Freitag-Kolumne habe ich darüber geschrieben, wie sehr ich es mag, dass ich in München immer noch etwas Neues entdecken kann. Das habe ich auch am Mittwoch wieder vor: Ich gehe zum ersten Mal in meinem Leben ins Ballett. Also, wenn man die Aufführungen nicht mitzählt, in denen meine Schwester und ich als Kinder mitgetanzt haben, und das sollte man, glaube ich, wirklich nicht. Mit einer Freundin sehe ich mir im Gärtnerplatztheater „Giselle“ an, dafür gibt es heute Studierendenkarten.

Am Donnerstag muss ich eventuell noch ein paar Weihnachtsgeschenke besorgen, dafür stöbere ich durch ein oder zwei Oxfam-Secondhandläden. Am Abend treffe ich mich mit den anderen Junge Leute-Autor*innen zur Weihnachtsfeier. Wir haben gewichtelt und einander Postkarten mit unseren fünf Songs des Jahres geschickt, darüber reden wir dann und über noch viel mehr.

Am Freitag geht es mit dem Zug nachhause. Und ich bin mir ziemlich sicher: Ab dem Moment, in dem ich dort ankomme, werden die Zeit und ich für ein paar schöne stade Tage ganz gut miteinander im Einklang sein.