Unsere Autorin Johanna erklärt euch ihr 30-Minuten Prinzip und zeigt euch, was München diese Woche alles zu bieten hat. Mit dabei: viel Kultur, Bewegung und menschliche Begegnungen.
Von Johanna Hintermeier
Ich würde mich gerne als Frau der Tat beschreiben, die nach ihrer Entscheidung, noch zwei weitere Jahre für den Master in München zu leben, im Anschluss gleich ihr Vorhaben umsetzt, dann noch mehr Orte, Menschen und Events kennenzulernen. Mein Dilemma: Durch die Corona-Lockerungen komme ich kaum hinterher, erst einmal das nachzuholen, was ich an München in den vergangenen Monaten vermisst habe. Ein weiteres Problem: Mich beschleicht öfter das Gefühl, dass man es mir eigentlich gar nicht recht machen kann. Im März haderte ich mit der gähnenden Leere meiner Kalenderseiten, ich schaute schon gar nicht mehr rein, Home-Office und donnerstags die Gemüsekiste entgegennehmen – auch ohne friendly reminder zu meistern. Dann genoss ich die Stille, unterbrochen von kleinen Techno-Tanzeinheiten mit mir vor meinem Spiegel. Seit Juli unterteile ich meine Tage wie in Prä-Corona in 30 Minuten Abschnitte – neuer Nebenjob ist gleich 16 mal 30 Minuten, unbezahlte Pause ist gleich 30 Minuten, radeln zu Freunden – 30 Minuten, Veranstaltung besuchen gleich viermal 30 Minuten. Weder mit Leere noch Eventstress bin ich zufrieden. Diese Gedanken kann man aber gut zur Seite schieben, denn:
Freitagabend sind circa sechs mal 30 Minuten vorgesehen, ich besuche die Reithalle in der Heßstraße 132. In der ehemaligen Exerzierhalle des Bayerischen königlichen Regiments haben sich mit dem Projekt Utopia Künstler*innen diesen Ort seit zwölf Wochen gewissermaßen annektiert und jede Woche mit anderen kurierten Kunstprojekten gefüllt. Sie nutzen die Halle so lange, bis hier wieder regulär Veranstaltungen stattfinden können. Diese Woche ist die Iwanson International School of Contemporary Dance zu Gast. Die Vernissage verspricht mir ästhetische Bewegungen und Shows, ohne dass ich mich selbst vom Fleck rühren muss.
Samstag starte ich nachmittags mit der Altstadt Radlring Demo von 15 Uhr an am Odeonsplatz, die beliebte Taktik sich eine Schwimmnudel auf den Gepäckträger zu klemmen, um auf den fehlenden Abstand von Radlerinnen und Radlern zu Autos hinzuweisen erweist sich als sehr Corona tauglich. Am Abend treibt mich meine Sehnsucht nach studentischem Flair und Unialltag in die Hochschule für Film und Fernsehen – die Studierenden präsentieren im Open Air Kino in ihrer Jahresschau Kurzfilme. Dokumentationen, aber auch Film- und Fernsehproduktionen können von Freitag bis Sonntagabend bestaunt werden (maximal 100Besucherinnen und Besucher).
Sonntag lasse ich es ruhig angehen, der erste freie Tag diese Woche, vielleicht schaue ich nachmittags bei den Privatgarten-Lesungen vorbei. Man bringt seine Picknickdecke mit und lässt sich in Gärten von verschiedenen Lektorinnen und Lektoren deren ausgewählte Texte vorlesen. Ein Freund allerdings pocht auf einen Ausflug, denn im zufriedenen Münchner Speckgürtel gelegenem Oberhaching will er die Kugler Alm besuchen. Warum sich die Pilgerreise die Isar runter in den Münchner Süden lohnt? Das Radler wurde an besagtem Ort erfunden!
Über meine körperliche Verfassung Montagmorgen schweigend zurück in die Woche: Spätschicht beim Bäcker und heute mit meiner mexikanischen Kollegin, was bedeutet – sehr viel Salsa dröhnt aus den Lautsprechern. Ich schlucke meine Reiselust mit einer Butterbrezen herunter und mache mich abends auf zum Kino Mond und Sterne im Westpark. Die European Outdoor Film Tour kommt ohne Skript und ohne Schauspieler, sondern nur realen Extremsportlerinnen und Extremsportlern aus. Ich bestaune die atemberaubenden Naturaufnahmen aus der Mongolei, sehe mit Sarah McNair-Landry die erste weibliche Polar Tour Guid der Welt in der Eiswüste wandern und bange um den Inlineskater Karim, der durch Kingalis (Hauptstadt Ruandas) viel befahrene Straßen gleitet. Alle Vorwürfe gegen mich als unverantwortliche Fahrradraserin weise ich von nun von mir. Kleiner Dämpfer: Wer noch keine Tickets hat, sollte sich schleunigst welche für den 11. August sichern. Der Montagstermin ist bereits ausverkauft, die restliche Woche sind aber ebenfalls tolle Filme geboten. Es lohnt sich, schon beim Einlass von 19.45 Uhr an da zu sein, um sich gute Plätze zu sichern, der Film dauert 120 Minuten (gleich viermal 30 Minuten).
Dienstag schaue ich von 19 Uhr an Max Weber Platz in Haidhausen beim Stammtisch der „Über den Tellerrand“ Community vorbei, das gleichnamige Restaurantprojekt kocht in einem Restaurant mit Geflüchteten und „Einheimischen“ zusammen und bietet bei dem Treffen Raum für Gespräche und köstlichen Humus. Der Stammtisch findet immer am dritten Dienstag im Monat statt, hat nun aber länger ausgesetzt. Auf dem Nachhauseweg radle ich dann am Maximilaneum entlang und lächle selig über die Menschen, die auf dem Kies der Praterinsel den Abend genießen. Auf Mittwochabend freue ich mich doppelt: Ich bin zum ersten Mal seit Monaten wieder im Import Export beim Schweren Reiter und ich höre endlich Fehler Kuti live, der Münchner Kulturwissenschaftler, der eigentlich Julian Warner heißt, verarbeitet Migrations- und Diskriminierungserfahrungen in seinen Songs– politische und musikalische Anregung garantiert, wie der Titel seines Debütalbums „Schland is the place for me” andeutet.
Unter dem Hashtag “Live Music Matters” tritt die Münchner Urgestein-Band Bluekilla Donnerstag von 19 Uhr an im Backstage München auf. Meine Schwester kommt mich aus Berlin besuchen und ich kann ihr die lustige Truppe mit jazzigem Groove nicht vorenthalten, genauso wenig wie einen kurzen Abstecher zum nahe gelegenen Hirschgarten danach (dort findet übrigens Dienstag von 18 bis 19 Uhr ein „Silent Zumba Kurs“ statt, die Musik wird über Bluetooth Kopfhörer abgespielt, aber von so einer Betätigung werde ich meinen Gast kaum überzeugen können …).
Und Freitag? Wenn das Wetter es zulässt in die Berge. Pseudo tiefsinnig grübelnd stelle ich dann fest, dass immerhin das Radfahren zwischen Veranstaltungen eine Konstante in meinem neuen zweiten Leben in München bildet und die neuen Entdeckungen nur auf mich warten, auch ohne 30 Minuten Takt.