Unanständige Schattenspiele

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Wo Licht ist, ist auch Schatten. Wenn das der verliebten Hannah nur nicht auf der Damentoilette einfallen würde!  

Wo viel Licht ist, ist starker Schatten. Das ist von Goethe. Der wusste das schon Jahrzehnte, bevor Edisons Kohlefadenfunzel salonfähig wurde. Heute sitzen wir im Schein EU-konformer Energiesparlampen an Hannahs Esstisch, trinken uns die Fastenzeit schön und sprechen über das Berufsleben. Geil ist: Bis Papa auf die Idee kommt, das Taschengeld einzustellen, haben wir alle Asche wie Heu. Wenn man nach Hause kommt, hat man einfach frei – keine Seminararbeit, kein Lernen. Und wenn man wie Tobi auch noch an einer Uni arbeitet, gibt es nicht mal einen Dresscode. Nicht so geil: Wenn man abends nach Hause kommt, ist man viel zu müde, um seine neue Freizeit richtig zu nutzen. Und Tobi versteht jetzt, warum Verwaltungsmenschen immer so einen genervten Eindruck machen: Ohne Studenten wäre sein Job schöner. 

Hannah holt ihm noch ein Bier. Für Störfaktoren am Arbeitsplatz hat sie Verständnis. Hannah arbeitet bei einem Autohersteller. Gut bezahlt, dafür mit Dresscode und Störfaktoren soweit das Auge reicht, erzählt sie: Hannah ist die einzige Frau in einem Großraumbüro mit 32 Maschinenbauern. 31 davon gestehen ihr jeden Tag mehr oder weniger lästig ihre Liebe. Einer ist Simon. Er arbeitet in Hannahs Projektgruppe und war ihr schon nach wenigen Tagen so sympathisch, dass sie ihn nach der ersten Ergebnispräsentation mit nach Hause nahm, um das positive Feedback vom Chef gebührend zu feiern. Sie feierten die Nacht, das Wochenende und einmal sogar heimlich auf der Arbeit. Eine Woche später war Hannah verliebt und Simon versetzt. Jemand musste ihre Feierstunde in der Büroküche verpetzt haben.

Umso mehr freute sich Hannah darauf, Simon beim Firmenfasching endlich wiederzusehen. Entsprechend knapp fiel ihr Kostüm aus, das 31 Störfaktoren bei ihrem Auftritt kurzfristig in Schnappatmung versetzte. Bald wurde der Andrang so groß, dass sie in Richtung Damentoilette stöckelte, um sich einen kurzen Moment Ruhe zu gönnen. Sie schloss die Tür hinter sich, atmete durch, schaltete das Licht an – und hätte Goethe in diesem Moment gerne erwürgt. Eigentlich Simon, aber um an ihn ranzukommen, hätte sie vorher die Kollegin wegrammen müssen, mit der er hier gerade unanständige Schattenspiele an die Klowand zeichnete.

Tobi holt ihr noch ein Bier. Hannah spricht einen Toast aus. Auf Simon und darauf, dass dieser bald die Schattenseiten seines umtriebigen Sexlebens kennenlernen möge. Ich mache das Licht aus. Wir trinken auf die Fastenzeit, geregelte Einkommen und Finsternis. Und auf Goethe, der es schon immer wusste.

Lisi Wasmer