Fotos ohne Verpflichtung

Luciano Pecoits, 17, dokumentiert in München den Skate-Lifestyle – auf der Straße wie auf Partys. Derzeit ist er mit seinen Fotos in der “10 im Quadrat”-Ausstellung im Farbenladen des Feierwerks zu sehen.

Überall im Raum verteilt sind Menschen. Die einen richten ihren Blick starr an die Wand, die anderen reißen sich aus ihrer Denkerpose, um zur nächsten Wand zu schlendern und die dort hängenden Fotografien zu betrachten. Als gäbe es einen abgemachten Verhaltenskodex, geht jeder im Farbenladen im Uhrzeigersinn nacheinander alle Wände ab – nur, dass es da diese eine Gruppe gibt, die den Raum kreuz und quer, ohne ersichtliches System abbummelt. Unter ihren Armen klemmen Skateboards. Augenscheinlich haben sie sich wenig Mühe gegeben, sich modisch dem Rest der Gäste anzupassen. Warum auch – vermutlich haben sie zuvor den sonnigen Nachmittag am Skatepark verbracht. 

Wo man schon mal da ist, kann man sich die Bilder der anderen Fotografen ja auch mal ansehen, tatsächlich ist „die Gäng“, wie sie sich liebevoll nennen, aber nur für die Werke ihres Freundes Luciano da. Luciano Pecoits ist der einzige ohne Skateboard unter ihnen. Er ist 17 und der jüngste Fotograf, der für für die Ausstellung „10 im Quadrat“ ausgewählt wurde.

Szenenwechsel: In einer kleinen Münchner Bar fließt der Alkohol in Strömen. Heranwachsende, die bis auf wenige Ausnahmen alle Kappen und Mützen tragen, tanzen hemmungslos. Mit weißer Schlaghose und Stehkragen schüttelt ein als Elvis verkleideter Gast seinen Kopf zur Musik. Hinter der Bar rockt ein gleichaltriger in einem stereotypischen Hartz-4-Jogginganzug, während auf einem Sofa ein Junge den unteren Teil seines Bauchs freimacht, um sich spontan selbst ein Tattoo zu stechen. Mittendrin: Luciano, der das Ganze mit seiner kleinen, analogen Point-and-shoot-Kamera dokumentiert. „Es ist schon fast eine Art Zwang, das zu dokumentieren, was ich erlebe“, sagt er: „Immer wenn ich durch meinen Ordner mit Negativen blättere, wird mir klar, dass es das Richtige ist, so ein Zeugnis anzufertigen.“ Luciano vermutet aber, dass die Situationen, die er fotografiert, für Außenstehende gehaltlos seien. Fraglich ob das Understatement ist, oder ob er von der Skate-Szene wirklich so übersättigt ist. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Szenefremde den Skate-Lifestyle einfach nicht verstehen. 

Er selbst skatet jetzt seit zwei Jahren. Skaten ist für ihn ein Spiel aus Liebe, Sucht und Hass. „Warum sollte man sich mehrere Stunden an irgendwelchen Stufen zerhauen, erfolglos nach Hause gehen, um sich am nächsten Tag erneut die Stufen herunterzuschmeißen?“ Skaten ist die Suche nach dem Extremen – und der Perfektion.
Luciano stoppt immer wieder seinen Erzählfluss, sucht nach Formulierungen, die dem, was er für die Skatekultur empfindet, gerecht werden. Zu sehen, wie jemand solch eine ehrliche Leidenschaft dafür empfindet, ist in der Reminiszenz an die Jahre um 2010 herum erfrischend. In München war man zu dieser Zeit nur dann cool, wenn man seine Klamotten aus Skate-Shops bezog.

Heute ist „SHRN“ der Laden für die leibhaftigen Skater Münchens. Für Luciano ist der Shop ein zweites Zuhause oder der „Hangout Spot Nummer 1“, wie er sagt. Sein Archiv an Fotos ist primär für ihn selbst bestimmt, für SHRN-Plakate macht er aber ab und zu mal eine Ausnahme. Zurück im Farbenladen: Lucianos Freunde sind zu Besuch. Dass sie seine hier ausgestellten Bilder in die Mangel nehmen, nimmt er ihnen nicht übel: „Es ist nicht ihr Genre. Und meine Arbeiten für das Projekt entsprechen nicht meinen anderen Bildern, überhaupt nicht: Die Fotos sind sauber, ziemlich strukturiert und es mangelt ihnen an Intimität“, sagt der 17-Jährige. Dabei legt er auf Intimität so viel Wert wie auf Authentizität. Selbst wenn seine Freunde zum Spaß mal eine absurde Pose oder Grimasse machen, repräsentiere das immer noch etwas Echtes. „Meine Fotos zeigen die Beziehung zwischen mir und jemand anderem.“ Für die Ausstellung musste er Menschen fotografieren, die er zu diesem Zeitpunkt nicht kannte. Für Luciano war es eine besonders schwere Aufgabe, diese Menschen „echt“ darzustellen. Seine Komfortzone ist eben das tägliche Abhängen mit seiner Gang, wo Bilder ohne Verpflichtung entstehen.

Luciano ist gerade im Abiturstress. In seinem Abiturjahrgang machen sich alle wild Gedanken, was in naher Zukunft aus ihnen wird. Für ihn selbst beantwortet sich die Frage mit einem auffälligen Selbstverständnis. „Auf jeden Fall wird weiter geskatet. Und das dokumentiert.“ Im Moment sucht er für die Zeit nach dem Abi nach Fotoassistenz-Jobs oder Praktika. „Ich würde gern mehr über Fotografie lernen, um das Geschehen besser dokumentieren zu können“, sagt er. Und wieder dreht sich alles ums Skaten.

Text: Hubert Spangler

Foto: Luciano Pecoits

Über’s Skaten zum Fotografieren

Täglich porträtieren wir an dieser Stelle eine(n) der 20 mitwirkenden
KünstlerInnen unserer “10 im Quadrat”-Ausstellung im Farbenladen – mal
Fotograf, mal Modell. Heute: Fotograf Luciano Pecoits.

Luciano Pecoits,
geboren 1999, ist der Jüngste der diesjährigen Farbenladen-Fotografen.
Momentan besucht er die 12. Klasse der FOS Holzkirchen
München.

Der Halb-Brasilianer ist leidenschaftlicher Skater. Über
dieses Hobby ist er auch zum Fotografieren gekommen. Zwei
Lieblingsbeschäftigungen, die er gerne miteinander verbindet. Seine
Fotos sind mal verschwommen, oft in schwarz-weiß und stets analog.

Für
die „10 im Quadrat“-Ausstellung hat er die zehn Models die Location und
somit auch die Szene selbst auswählen lassen. Laut Luciano sollte es
eine Situation oder ein Ort mit Bedeutung für die porträtierte Person
sein, egal, ob es sich dabei um einen Ort zum Ausruhen oder um den
jeweiligen Lieblingsplatz in München handelte. „Ansonsten war alles
ziemlich spontan und kam auf den Charakter der Person an“, sagt Luciano
über das Projekt. Im Mittelpunkt seiner Fotoserie soll die Frage um
Authentizität stehen. Für Luciano stellt Authentizität den Kern sozialer
Bindungen dar und ist somit seiner Meinung nach für jeden von großer
Bedeutung.

Auch bei der Vernetzung unter Künstlern scheint
Luciano gegen Oberflächlichkeiten zu sein: „Diese zwanghafte Vernetzung
ist schlimmer, als die Isolation Einzelner. Soziale Kontakte finden sich
so oder so, insofern sie es wollen.“

Die Ausstellung “10 im Quadrat” ist an allen Wochenenden im Mai, samstags von 16 – 22 Uhr, sonntags von 16 – 20 Uhr, im Feierwerk Farbenladen geöffnet. Neben den Fotografien werden Konzerte, Lesungen und Diskussionen veranstaltet. Für weitere Infos klickt unsere Junge-Leute-Facebookseite.
Der Eintritt ist frei.

Text: Amelie Völker

Foto: Luciano Pecoits

Mein München: Bernd-Eichinger-Platz

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Der richtige Trick am richtigen “Spot”, eingefangen und festgehalten von Niklas Keller.

Niklas Keller, 19, und zwei seiner Freunde, wollten sich nur unterstellen, als es wieder einmal regnete, in dieser verregneten Woche Ende April 2016. An der Hochschule für Fernsehen und Film, in einem Hinterhof. Aber dann riss der Himmel auf, und das Licht war auf einmal gut. Also stellte Niklas sich auf die Mauer am Eingang und fotografierte einen der beiden Freunde bei einem Heelflip. Total ungeplant.
Normalerweise plant Niklas seine Fotos genauer. Oft läuft er durch die Stadt und denkt in Bildern, bevor er seine Freunde fragt, ob sie Zeit für ein Shooting haben. Er spricht von „Spots“ und meint damit Orte, an denen man gut Skateboarder ablichten kann.
Über den Sport ist Niklas zur Fotografie gekommen. „Meine Freunde und ich waren ganz gute Skifahrer und irgendwann wollten wir davon auch Bilder haben“, sagt er. Und dann habe ihm das Fotografieren irgendwann fast mehr Spaß gemacht als das Skifahren.
Jetzt, ein Jahr nach seinem Abitur, das er in Grafing, vierzig Minuten Richtung Süd-Osten, „auf dem Land“ gemacht hat, entdeckt Niklas immer wieder neue dieser „Spots“ in München, einer Stadt, die ihn in ihrer Hektik motiviert, wie er sagt. Trotzdem bringt Niklas viel Ruhe in seine Bilder, seien sie geplant oder ungeplant. Die klaren Linien auf diesem Foto, die alle auf den Skater in der Mitte zuzulaufen scheinen, lassen eine gewisse Geometrie entstehen – und der junge Mann und sein Board werden nun für immer in einer unbekannten Höhe schweben.  

Von: Theresa Parstorfer

Neuland

“Tennis” gibt es nur analog – das Fotomagazin von Skater Florian Netzer erscheint bewusst nur im Print. Die Idee: Wer eine Sache in den Händen hält, bringt ihr mehr Wertschätzung entgegen.

Neuland betritt Florian Netzer, 23, (Foto: Simon Reichel) mit der ersten Ausgabe seines selbst verlegten Magazins „Tennis“. Auf 24 Seiten veröffentlicht der junge Skater seine Fotografien, Collagen und Gedanken. Wenn etwas online veröffentlicht wird, dann erhält es wenig Wertschätzung, findet Florian. Mit seiner Kamera durchforstet er die Straßen Münchens. Oft sind es skurrile Momente, die er beobachtet und dokumentiert. Aufgewachsen ist Florian in Pullach. Doch Anschluss hat er dort nie gefunden. Seine Fotos sind ein Versuch, sich den Eigenarten fremder Menschen anzunähern. Mittlerweile sind Hunderte von Bildern entstanden, die er nun mit seinem Magazin der Öffentlichkeit präsentieren will.

„Tennis“ soll in unregelmäßigen Abständen erscheinen. Kostenpunkt: drei Euro. „Studieren will ich nicht, deswegen bringe ich mir alles selbst bei. Grafik, Layout und Typographie“, sagt Florian. Die Einnahmen sammelt der 23-Jährige. Bis er 30 Jahre alt ist, soll das gesparte Geld nicht angerührt werden. Dann soll es genutzt werden, um einen Bildband mit seinen Fotos im Eigenverlag zu veröffentlichen. „Ich nenne es analoges Crowdfunding“, sagt er. Informationen unter: www.tennismagazine.bigcartel.com  Stefanie Witterauf

Neuland

Skater tragen einfach nur Mützen und sehen dabei cool aus? Dass sie viel mehr können, beweist nun Michael Wiethaus aka “Mixen” – er organisiert eine Ausstellung, bei der nur Kunst von  Münchner Skatern gezeigt wird.

Michael Wiethaus (Foto: Conny Mirbach) kuratiert eine Ausstellung, bei der nur Skateboarder ausstellen. Sämtliche Kunstformen sind vertreten. Die Gemeinsamkeit der Künstler ist ihre Leidenschaft: das Skaten. „Skaten war schon immer mehr Kunst als Sport. Viele Skater sind erfolgreiche Künstler, werden aber oft in kulturellen Belangen nicht ernst genommen“, sagt Michael, der in der Szene „Mixen“ genannt wird. Mixen ist Anführer der Skatergruppe „CURCUMAS“, die seit einigen Jahren in gepimpten Jeansjacken auf ihren Boards durch München fährt.
Die Vernissage von „Außer Mützen und Cool sein“ findet am Samstag, 14. März, von 19 Uhr an in der 1Page Gallery in der Blumenstraße 33 statt. Neben Mixen stellen die Künstler Conny Mirbach, Daniel von Mitschke, Florian Netzer, Ray Moore, Robert Poorter und Simon Reichel aus. Die Musik zur Ausstellung steuern Mikey Gee & Resus, Katmando und Marvin Anyone bei.

Trickfilme aus Neuseeland

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Thomas Kleinhans, 19, nennt sich in der Szene Tom Cat. Das letzte halbe Jahr hat er in Neuseeland verbracht, um seine Skatertricks zu filmen und sein Englisch zu verbessern. Als ihm das Geld ausgeht, gibt er Skate-Workshops für Kinder.

Bad Tölz – Am U-Bahn-Gleis an der Fraunhoferstraße hört man das Geräusch eines fahrenden Skateboards. Die Aufmerksamkeit der Fahrgäste richtet sich auf den jungen Mann mit weißem Hemd und Locken. Er beschleunigt, fährt zu einer Säule, macht während der Fahrt einen Handstand, sein Skateboard mit einer Hand fest im Griff, um nach wenigen Sekunden wieder auf dem Brett zu stehen. Die bewundernden Blicke sind Thomas Kleinhans, 19, sicher.

Das vergangene halbe Jahr hat Thomas, der in der Szene seinen Künstlernamen Tom Cat verwendet, in Neuseeland verbracht. Mit Freundin und Skateboard reiste er um die halbe Welt, um dort zu skaten und sein Englisch aufzubessern. Denn Tom möchte als Skater und Model Karriere machen. Rund 18 000 Kilometer entfernt macht Tom genau das, womit er auch in Bad Tölz seinen Tag am liebsten verbringt: Er skatet.

Vor elf Jahren ist Tom mit seinem Vater an einem Skatepark vorbeigefahren. Vom Autofenster aus sah er, wie jemand einen Trick auf dem Skateboard vorgeführt hat. Von diesem Moment an ließ er seinen Eltern keine Ruhe, bis sie ihm ein Board kauften. „Ich habe aus Faszination angefangen zu skaten. Mich hat beeindruckt, wie man die Schwerkraft so ästhetisch nutzen kann“, sagt Tom. Er ist ein stiller Typ, denkt lange nach, bevor er antwortet. Sehr bedacht, sehr knapp: „Skaten ist für mich Kunst, Freude und Mediation – kein Wettbewerb.“ Wie in anderen Szenen merke man den Konkurrenzkampf, aber es geht ihm um den Spaß. Und wenn man Freude beim Skateboarding hat, sei auch die Teilnahme bei Contests okay.

In Neuseeland reisten Tom und seine Freundin, bevor sie sich ein Auto gekauft haben, mit dem Longboard. Den Rucksack stellten sie zwischen ihre Beine aufs Brett und fuhren an der Küste entlang. Nach ein paar Monaten ging Tom das Geld aus. In einem Holiday-Park sah er eine kleine Rampe stehen. Ohne lange nachzudenken schnappt er sich einen Stift und Papier und kündigt einen Skate-Workshop für Kinder an. „Es war ein super Erlebnis, in einem fremden Land etwas anzuwenden, was ich in Deutschland gelernt habe“, sagt Tom.

Halbtags arbeitet Tom in einem Fashion-Store für Skater-Klamotten in Bad Tölz. Somit hat er Zeit für seine Workshops. Mit seinem Kumpel Tobias Kupfer bringt er Kindern das Skaten bei. Den Zehn- bis Fünfzehnjährigen zeigt er, wie sie die Füße richtig aufs Skateboard stellen und richtig fallen, um sich nicht wehzutun. „Da hocken sie nicht vor der Playstation, sondern sind draußen und bewegen sich“, sagt er.

Zeit in der Natur zu verbringen, ist ihm sehr wichtig. In Bad Tölz, wo er noch bei seiner Mutter wohnt, kann er gleich raus aus dem Haus und skaten – und im Winter snowboarden. Besonders die Natur von Neuseeland habe eine Anziehungskraft auf ihn gehabt. „Dort hat man alles: Berge mit Schnee und Urwälder, wo man an Lianen schwingen kann.“ An schönen Plätzen auf seiner Reise stellte er ein Stativ auf und befestigte daran sein Handy. Mit der Kamera filmte er seine Tricks und teilte die selbst aufgenommenen Skate-Videos in sozialen Netzwerken. Kommerzielle Zwecke verfolgte er damit nicht, er wollte seine Freunde anspornen, auch so eine Reise zu machen.

Trotz der schönen Erfahrungen merkte Tom, dass er nach sechs Monaten in der Ferne seine Familie und sein Zuhause vermisst. Obwohl er die neuseeländische Mentalität der deutschen vorzieht, überfällt ihn das Heimweh nach Bad Tölz. „Dahoam ist eben dahoam“, sagt Tom und wechselt vom Hochdeutschen ins tiefste Bairisch. Nur um im nächsten Moment hinterher zu schieben, dass er nach schon zwei Wochen wieder Fernweh hat und seine nächste Reise auf Bali plant.

Foto: www.philpham.de

Stefanie Witterauf

Mit High Heels in der Halfpipe

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Gabi Schumann (Foto: Jonas Funck) ist eine der wenigen Frauen, die in München profimäßig auf dem Skateboard stehen. Manchmal auch mit Stöckelschuhen. Als Hommage an München ist sie Ende Juni im Dirndl aufs Brett gegangen.

Am Ellenbogen: Hämatome, Kratzer, halb verheilte Wunden. Es sieht schmerzhaft aus. Für Gabi Schumann, 18, gehören solche Verletzungen dazu: Die junge Münchnerin skatet. Selbstverständlich, dass man da auch mal hinfällt und sich die Arme aufschürft. Was nicht selbstverständlich ist: als zierliches Mädchen einem echten Männersport nachzugehen, denn Gabi ist eine der wenigen Frauen, die in München profimäßig auf dem Brett stehen – Sponsoringvertrag inclusive.

Gabi verschafft sich mit waghalsigen Aktionen auf dem Board Respekt bei den Jungs: So hat sie mit ein paar Freundinnen einen Skate-Clip gedreht, der die Mädchen in High Heels auf ihren Boards zeigt. „Wir wollten einfach zeigen, dass auch Mädels skaten können“, sagt sie. In München, schätzt Gabi, gibt es vielleicht drei oder vier Mädchen, die genauso professionell auf dem Brett durch die Stadt sausen wie ihre männlichen Kollegen. Frauen fahren ihrer Meinung nach auch ganz anders: „Jungs verstehen oft nicht, dass wir beim Skaten einen ganz anderen Körperschwerpunkt haben als sie, klar, dass das dann anders aussieht.“

So lässig sie mittlerweile auch auf dem Brett wirkt, angefangen hat alles doch mit einer Angst. Der Angst vor dem Skaten. Sie ist vierzehn, als sich ihre Zwillingsschwester ein Skateboard kauft. „Damals“, sagt Gabi, „war es total in, ein Skater-Girl zu sein.“ Zunächst sieht sich Gabi nicht selbst auf dem Board: Sie ist eher ruhig, spielt Geige, ein bisschen Basketball, traut sich nicht an Sportarten ran, die stark die Beine beanspruchen. Doch inspiriert von ihrer Schwester, will es Gabi dann irgendwann doch probieren. Schnell merkt sie, wie leicht ihr das Skaten fällt, lernt rasch zahlreiche Tricks, übt täglich: „Mein Ehrgeiz ist halt ziemlich ausgeprägt. Dann wollte ich einfach immer üben und konnte gar nicht mehr aufhören“, sagt Gabi, „auch, weil ich anfangs Angst hatte, dass ich mich beim Skaten nicht weiterentwickle.“ Und während ihre Schwester das Skaten irgendwann aufgibt, wird Gabi kontinuierlich besser.

Doch der Sport kann auch frustrierend sein. 2012 zieht sich Gabi beim Skaten einen Kreuzbandriss zu, auch das Knorpelgewände wird beschädigt. Es dauert, bis die Verletzung geheilt ist: Dreizehn Monate darf sie keinen Sport treiben. Das Skaten fehlt ihr. Um sich abzulenken, zeichnet sie, macht einen Motorradführerschein, doch nichts ersetzt während der Skate-Pause die Leidenschaft zu fahren. Als sie dann 2013 endlich wieder auf das Board darf, spürt sie zunächst noch Schmerzen. Und Angst. „Dann war ich zwei Wochen in Brasilien und konnte dort wieder richtig viel fahren, sechs Kilometer jeden Tag.“ Das hat Gabi die Angst genommen. Inzwischen, sagt sie, sei sie fast wieder auf dem Niveau von früher, an die Verletzung erinnert nur noch ein kleiner Verband an ihrem linken Knie.

Vor der Verletzung nimmt sie auch an Skate-Contests teil, doch das Angebot spezieller Contests für Frauen ist sehr klein. Deshalb fährt Gabi meistens spaßeshalber bei den Jungs mit, hinterher gibt es bei einigen der Wettkämpfe dann den „Girls Award“ – einen Preis, weil man als Mädchen überhaupt teilgenommen hat. Und dass sie bei den Männern locker mithalten kann, davon ist man in der Münchner Skate-Szene überzeugt: „Gabi ist einzigartig. Es gibt wenige sehr gute weibliche Skater. Klar, die Jungs sind natürlich stärker. Aber Gabi ist auch noch ein gutes Vorbild – sie ist bescheiden, freundlich, auch zu den Anfängern. So etwas gibt es auch bei den Männern nur noch sehr selten“, sagt Ricardo Friesen, dessen Surf- und Skate-Shop „SantoLoco“ sie sponsert: Gabi bekommt sowohl das Material gestellt, ebenso wie die Reisekosten, wenn sie zu einem Contest fährt. Und diese Unterstützung ist auch nötig: Im Durchschnitt verfahre sie ein Board pro Monat, sagt Gabi.

Wenn die junge Frau vom Skaten redet, muss man schon genau hinhören, um ihren Akzent zu bemerken. Er verrät, dass sie nicht aus Deutschland kommt. Geboren und aufgewachsen die Wahl-Münchnerin in Brasilien. Ihr Nachname klingt nicht brasilianisch – und erinnert daran, dass sie deutsche Vorfahren hat. Dieser Umstand ermöglicht es ihrer Familie dann auch, deutsche Pässe zu bekommen, mit denen sie nach Deutschland auswandern. Damals ist Gabi zehn. „Wir haben einfach vier Koffer gepackt und sind hergekommen. Wir haben als Familie einfach mal ein Abenteuer gebraucht“, sagt die Brasilianerin mit den dunklen Augen und den vollen Lippen, die sich – wie so oft, während sie erzählt – zu einem großen Lächeln formen. Wie abenteuerlich die Unternehmung ist, zeigt sich schnell: Als sie herkommen, können ihre Eltern weder Deutsch, noch Englisch, die Kinder ebenso wenig. Schnell muss Gabi sich eingliedern, die Sprache lernen. Eigentlich wollen sie nur zwei Jahre in Deutschland bleiben. Inzwischen ist Gabi achtzehn und lebt mit Mutter und Schwester noch immer hier.

Das soll sich im September nun ändern: Ihre Abenteuerlust zieht die 18-Jährige für ein halbes Jahr in die USA. Dort will Gabi skaten und eine Bibelschule des so genannten „YWAM“ besuchen. „Youth with a mission“, heißt diese christliche Organisation, die in der ganzen Welt Missionsarbeit leistet und wegen ihres Missionsstils auch immer wieder in die Kritik gerät. Klingt zunächst nicht so, als habe das viel mit Skateboarden zu tun. Aber: Idee des YWAM sei es, so die Organisation, auf kreativen, zeitgemäßen Wegen einen Zugang zu Gott zu finden – so zum Beispiel über das Skaten. Hierfür bietet die Organisation in Los Angeles eine Schule für skate-affine Gläubige an.

Gabi, die ein lässiges Top trägt, wirkt nicht so, wie man sich jemanden vorstellt, der auf eine Bibelschule geht. „Wenn man hier sagt, man ist gläubig, dann ist man gleich so komisch, so ein Alien“, sagt Gabi verärgert, „in Brasilien sind die Leute viel respektvoller, aber in Deutschland hat man als Christ gleich einen Stock im Arsch.“

Dass sie anders ist, merkt man ihr beim Skaten an, denn bis sie abreist, will sie auf dem Board noch so einige Experimente durchführen: Als Hommage an München, den Austragungsort der diesjährigen X Games, ist sie Ende Juni im Dirndl aufs Brett gegangen. Doch damit nicht genug: Auch ihre Musik möchte Gabi mit aufs Board nehmen – sie will fahren und gleichzeitig Geige spielen. Ob das tatsächlich klappt, weiß sie noch nicht so genau. Nicht, dass die Geige hinterher genauso aussieht wie ihr Ellenbogen.