Band der Woche: Todeskommando Atomsturm

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Die Münchner Deutsch-Punk-Band Todeskommando Atomsturm macht Musik als
Gegenentwurf zum Mainstream.

Das klingt wunderbar direkt, laut, aber ergreifend.

Zur Zukunft hatten Punks schon immer ein gespaltenes Verhältnis. Natürlich ist der „No Future“-Slogan prägend. Gleichzeitig trägt aber die Wut und das zur Schau gestellte Nicht-einverstanden-Sein mit den bürgerlichen Verhältnissen auch eine Hoffnung, ja einen Anspruch auf eine Selbstgestaltung in sich, die weit entfernt ist vom Nihilismus der Zukunftsverweigerung. Punk hat in Deutschland auch erstaunlich viel Zukunft geschaffen. Etwa mit den Hausbesetzungen der Achtzigerjahre. So gibt es etwa in den größeren Städten Deutschlands sogenannte autonome Zentren, abgekürzt AZ. Und heute, wo sich das mit dem finanzierbaren Wohnen in Großstädten zum echten Problem auswächst, werden die ursprünglich in der linken Punkszene entstandenen Modelle der Hausverwaltung – etwa durch Kombinate, neu gegründete Genossenschaften und Selbstverwaltungen – zum Vorbild für gerechtere städtebauliche Konzepte.

In vielen dieser selbstverwalteten Wohnhäuser finden auch Konzerte statt. Die bauliche Qualität dieser Häuser schwankt zwar: vom heruntergekommenen Gerber in Weimar zu groß angelegten Wohnprojekten wie dem Bettenhaus in Marburg. Oder von bröckelnden Herrenhäusern wie in der Ludwigstraße in Halle an der Saale zu kleinen, aber stolzen Orten wie dem Kafe Marat und dem Kafe Kult in München.

Die Zukunft von Musik außerhalb eines gierigen Marktes, der sich Sämtliches – egal, ob es alternativ, antikommerziell oder von vorne herein gewinnbringend gedacht war – einverleibt, liegt in genau diesen Orten. Denn Bands können wunderbar autonom von Medien und der Bookingpolitik von Agenturen und Labels durch Europa touren. Durch solche Zentren. In Ljubljana ist das „Metelkova“ gleich ein ganzes Gelände samt Hostel, in Pontevedra findet sich ein einstöckiger Hof samt Garten. Die Münchner Punkband Todeskommando Atomsturm bewegt sich fast ausschließlich in dieser Szene. „Für uns ist es total wichtig, dass es solche Läden gibt“, erklären sie, die die Kriminalisierung dieser Szene ablehnen. Natürlich seien AZs aber politisch, führen sie aus, denn die Betreiber engagierten sich in gleichem Maße für Musik wie gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie. Diese Gedanken und diese Welteinstellung spiegeln sich auch in der Geisteshaltung der fünfköpfigen Band. „Außerhalb der Band gehen wir einem erschreckend geregelten Leben nach“, erklären sie. Sie seien alle berufstätig, versuchten aber sich auch selbst in der DIY-Konzertszene zu engagieren. Denn hier herrscht ein anderes Denken als gewohnt: Die Musik ist nicht dazu da, um damit Geld zu verdienen, sondern als Gegenentwurf zum Mainstream, der seine Freizeit derzeit hauptsächlich auf Instagram verbringen dürfte.

Die Musik, die bei Todeskommando Atomsturm herauskommt, ist wunderbar direkt, laut, aber ergreifend: Punk, ein schnelles Schlagzeug und wütende Gitarren. Natürlich vehementer Gesang mit konkreten Texten, in denen auch mal das Punkklischee in der Gegenüberstellung von bürgerlichem Leben und Punker-Dasein in der Single „Zukunft ist nichts für mich“ von 2012 auftaucht. Aber die Band mit dem Anti-Namen weiß auch um die Wucht, die Melodien haben und setzt diese konstant ein. Ziele hätten sie sich mit der Band nie gesetzt. Sie seien froh und auch ein bisschen stolz, dass das Label „Twisted Chords“ ihre zwei bisherigen Alben veröffentlicht habe und dass sie in ganz Deutschland Konzerte geben. Denn anders als die Münchner Bands, die darauf warten, dass eine Plattenfirma sie endlich auf Tournee schickt, planen Todeskommando Atomsturm das erfolgreich selbst – unabhängig und getragen vor einer gewachsenen und treuen Fangemeinde. 

Stil: Deutsch-Punk
Besetzung: Chrissi (Gitarre), Matze (Schlagzeug), Lea (Gesang), Pölle (Bass), Tobi (Gitarre)
Seit:
2008
Aus: München
Internet: todeskommando.bandcamp.com


Text: Rita Argauer


Foto: Thomas Nibler

Band der Woche: Chasing Sound

Es sind harmonische Details, die die Musik von Chasing Sound auf eine
andere Ebene rücken. Vorgetragen wird das mit Gelassenheit.
Man hat das Gefühl, hier wird verträumt drauflosgespielt.

Wer verliebt sich in wen und wird diese Liebe auch erwidert? Im Film „Singles“, der auf Deutsch den genial bescheuerten Untertitel „Gemeinsam einsam“ trägt, geht es um nichts anderes. Damit steht dieser Film absolut nicht allein. Liebesver- und entwirrungen dienen, seit es das Theater gibt, als Motor für Bühnenstücke. Wenn auch in manch griechischer Tragödie wohl etwas übler, wenn etwa die Liebe zwischen Medea und Jason letztlich zum Kindsmord führt. „Singles“ ist eher eine vergleichsweise oberflächliche Slacker-Schmonzette. Hier ist etwas anderes interessant: Die Musik. Es wirkt beinahe so, als sei dieser Film, der 1992 in Seattle spielt, nur gedreht worden, um ein weiteres Stückchen der damalig neu aufgekommenen Mode und Musik zu verwerten. „Singles“ ist eine leicht zu durchschauende Kommerzialisierung der vormals eher antikommerziellen Grunge-Kultur.

Trotzdem ist es sinnvoll, sich diesem Film zu widmen: Denn die Macher lassen die Musik, die ja doch so herrlich ist, auf wunderbare Weise durch den Film führen. Auf dem Soundtrack findet sich etwa das darauf exklusiv veröffentlichte Stück „Drown“ von den Smashing Pumpkins, ein herrlich dahinleierndes Indie-Grunge-Stück. Oder Pearl Jam, natürlich, Soundgarden, aber auch die Unbekannteren wie Mudhoney oder die Screaming Trees sind dabei. Nirvana nicht, aber von denen existiert auch kein Stück, das in einer ähnlichen guten Mischung diesen Slacker-Nihilismus eben so besonders hoffnungsfroh erklingen lassen würde. Die Münchner Band Chasing Sound jedoch hätte ein paar Lieder parat, die sich auf dem Singles-Soundtrack gut machen würden. Irgendwo belebt das Quartett, das sich 2015 gründete, dieses Gefühl von gedeckelter, aber schwelender Euphorie heute wieder. Aufs erste Hören klingen deren Songs zwar ein wenig beliebig: heruntergeschrubbte Gitarrenriffs, Ride-Becken-dominierte Schlagzeugbeats und typischer Indie-Jungsgesang. Das Ganze dann im obligaten Lo-Fi-Sound, in dem klirrende Höhen oder fette Bässe eher als schlechter Geschmack, denn als Emotionsverstärkung gelten.

Doch es sind harmonische Details, wie etwa ein nicht ganz reiner Akkord im Song „Bolt out of the Blue“, die die Musik von Chasing Sound auf eine andere Ebene rücken. Vorgetragen wird das mit einer Gelassenheit, die eben im besten Sinne slackerhaft ist. Die vier Musiker sind ziemlich gut darin, etwaige Ambitionen und grellen Ehrgeiz in ihrer Musik zu verstecken. Man hat das Gefühl, hier wird verträumt drauflosgespielt – ganz so, wie es einem der Film „Singles“ für das Leben der Mittzwanziger damals in Seattle erzählen will.

Einen Unterschied gibt es jedoch von Seattle 1990 zu München 2017. Seattle war damals popmusikalisch etwas abgeschlagen, es gab wenig bekanntere Bands, die bis hinauf in den Nordwesten der USA tourten. Ein Umstand, der die lokale Musikszene erblühen ließ. München dagegen ist saturiert: Es finden täglich mehrere Konzerte statt, bekannter und lokaler Künstler. Die lokalen Bands sind in München so zahlreich, dass in der sowieso schon unter Platzmangel leidenden Stadt ein wirklich ernsthaftes Problem mit bezahlbaren Probenräumen herrscht, und um Publikum auf die Konzerte einer Nachwuchsband zu locken, müsse man sich PR-technisch schon ganz schon anstrengen, erklären Chasing Sound. Sie probten ihrerseits in einem Keller, der schlecht klinge. Doch vielleicht führen genau diese „katastrophalen Klangeigenschaften“ sowie die Übersättigung zu der charmanten Perspektivlosigkeit, die durchklingt bei Chasing Sound; und die deren Musik abhebt von all den hochpolierten Bands, die denken, die Welt habe nur auf ihre Musik gewartet. 

Stil: Alternative / Lo-Fi
Besetzung: Jonathan Platz (Gitarre, Bass), Alexander Poth (Schlagzeug), Sebastian Reßle (Gesang, Gitarre, Bass), Josef Scholz (Gitarre, Gesang, Bass)
Aus: München
Seit: 2015
Internet: soundcloud.com/chasing_sound

Text: Rita Argauer

Foto: Adelina Hartmann

Band der Woche: Delamotte

Die Finalisten des Sprungbrett-Wettbewerbs
Delamotte
begeistern mit

ihrer absurden Herangehensweise an die eigene Inszenierung und dem erfrischend surrealen Umgang mit verschiedenen Genres.

Die Auseinandersetzung mit Popmusik hat eine Konstante: den Rückgriff auf die Beatles. Das ist natürlich erschreckend, denn immerhin ist deren Blütezeit nun auch schon um die 50 Jahre vorbei. Wenn man jedoch dieses wiederkehrende Auftauchen der Beatles mit den Konstanten der Klassik vergleicht, wirken die 50 Jahre fast nichtig. Da bezieht man sich gerne mit einer ähnlichen Vehemenz auf Johann Sebastian Bach – und der ist 1685 geboren, da verhandelt man also ganz andere Zeitspannen. Was man bei so viel Beweihräucherung oft vergisst, ist der absurde und bisweilen ins surreale kippende Witz, den die Liverpooler auch schon bei den Teenie-Love-Songs von „Love me do“ bis „Please please me“ hatten. Zumindest außen herum und in den Filmen, die Songs sind da noch in sich geschlossene Berührungswunderwerke.

Rein technisch reicht die Indie-Gitarren-Band Delamotte da heran. Richtige Mucker sind die fünf Musiker, die ihre Klassiker (in dem Fall die Beatles) gelernt haben und nun in wunderbaren Harmonien und herrlichen zweiten Stimmen im Song „Backshift“ beinahe an die sanfte Entrückung von „Please please me“ herankommen. Doch, was Delamotte, die sich im oberpfälzischen Neumarkt gründeten und mittlerweile zum Teil in München studieren, besonders macht, ist ihre absurde Herangehensweise an die eigene Inszenierung und ein erfrischend surrealer Umgang mit Genres. Denn neben dieser glitzernden Beatles-Kunst, die technisch in ihren Songs steckt, klingt das im Gesamten eher wie eine wild durchpflügte Landschaft verschiedener Popmusikstile: Da ist zum Beispiel die hüpfende Funk-Gitarre, ultra tight gespielt, denn technisch sind sie eben alle ausgesprochen versiert. Aber wann es da losfunkt und in welchen kompositorischen Zusammenhängen diese Licks auftauchen, das hat etwas von der schmunzelnden Konventionsverweigerung, die die Beatles in ihren Filmen an den Tag legten. Und Delamotte haben noch mehr solcher songwriterbezogenen Witze zu bieten: etwa eine Falsett-Stimme, irgendwo zwischen Iron Maiden und Michael Jackson im Song „Rainy Night“. Oder das Keyboard und die Orgeln, die sich watteweich unter die Gitarren legen und in „Change your Karma“, dem Opener der EP mit dem abstrusen Titel „Eine kleine Einführung“, die Musik ein wenig nach der Titelmelodie einer Vorabend-Serie klingen lassen; bis der Gesang einsetzt, samt den Harmonien, die die Jungs chorknabenrein zusammen singen können, und schon ist man als Hörer wieder ergriffen.

Mit diesen Songs, die ein bisschen wie eine wildgewordene Jukebox klingen, trotzdem herrlich musiziert sind und eben durchaus berühren, spielten sie sich gerade ins Finale des Sprungbrett-Wettbewerbs. Demnächst planen sie eine EP herauszubringen, mehr Texte auf Deutsch wollen sie darauf packen, denn das zwinge sie zu mehr Ehrlichkeit, erklären sie. Obwohl sie von großen politischen oder gesellschaftlichen Botschaften in ihrer Musik eher nicht viel halten. Der kleine Rahmen ihrer Auftritte erscheint ihnen dafür unpassend: „Wenn Musiker auf der Bühne anfangen, politisch zu werden, geht es meist nur darum, dem Publikum noch einmal zu sagen, was es ohnehin schon denkt und fühlt.“ Ein Song sei im besten Fall ein „kleiner Orgasmus“, der Musiker und Zuhörer für zwei bis vier Minuten alles um sie herum vergessen lässt. Einen kleinen Ausblick, wie schräg dieser Humor mit dem musikalischen Beatles-Können dieser Band werden könnte, zeigt sich jetzt schon im Song „Garten Eden“: Deutscher Gesang trifft auf verstimmte Synthies und sedierten Pseudo-Rap. Ein Hoch auf das Schräge und den Humor in der Popmusik, die sich oft viel zu Ernst nimmt. 

Stil: Gitarren-Pop/Beat
Besetzung: Constantin Habel (Gitarre, Gesang), Alex Gsell (Gitarre, Gesang), Tim Walter (Bass, Gesang), Christian Hilbig (Keyboard, Gesang), Nikolas Thier (Schlagzeug)
Aus: Neumarkt, München
Seit: 2014
Internet: www.soundcloud.com/delamotte-1


Text:
Rita Argauer

Foto: Privat

Band der Woche: Lyckliga

Lyckliga drehen die Zeit zurück in die
erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, doch sie verzichten völlig auf
Elektronik oder Beats. Mit Geige, Cello und Akustik-Gitarre spielen sie
ein Grundgerüst aus Gipsy-Jazz, das sie mit Klezmer-Klassikern und
Gesang anreichern.

Vor einigen Jahren erreichte die Retrowelle der Popmusik einen skurrilen Höhepunkt. Die Sehnsucht nach einer Vergangenheit fand mit dem Erfolg von Elektro-Swing einen Bezugspunkt in einer Zeit, in der es das, was man heute unter Popmusik versteht, noch gar nicht gab. Doch die Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts locken auf andere Weise: Wenn in der Gegenwart die Kontrolle des Selbst bis hin zum inszenierten Selbst-Design von so großer Bedeutung sind, erscheinen die stilisierten Entgleisungen der Weimarer Zeit reizvoll: Rauchen, Trinken und den Alltag wegtanzen. Der passende Soundtrack dazu findet sich im Swing. Der Klang der alten Aufnahmen wirkt aus der Zeit gefallen. Heute muss Musik in Clubs fetter klingen: Wenn da eine einsame Klarinette herumtrötet, begleitet von einem Kontrabass, der auf einer knapp hundert Jahre alten Aufnahme auch eher kratzig-dünn klingt, holt das keinen vom Hocker. Der Dekaden-Hybrid Elektro-Swing entsteht genau aus diesem Mangel: Alte Jazz-, Charleston-, Lindy-Hop- und Swingaufnahmen werden durch Beats gepimpt. Von unten schiebt der Bass und oben lockt ein anachronistisches Blasinstrument und das ganze Land tanzt darauf.

Der Effekt faszinierte schon bald darauf in die Musikerszene: Wenn solche Hybride derartige Erfolge feierten, müsste das doch auch heute neu herstellbar sein. In der einen Ecke entstand daraus der Balkan-Beat-Sound, es gab aber auch ein paar Bands, wie die Münchner i.n.phonium, die sich an die Live-Band-Umsetzung des Neo-Swings wagten. Der große Erfolg gelang aber weiterhin Musikern wie Parov Stelar, der sich weit mehr als DJ und Produzent, denn als Live-Musiker versteht. Fast wie ein Gegenstück dazu wirkt dagegen das Münchner Trio Lyckliga. Auch diese drei Musiker drehen die Zeit zurück in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, doch sie verzichten völlig auf Elektronik oder Beats. Mit Geige, Cello und Akustik-Gitarre spielen sie ein Grundgerüst aus Gipsy-Jazz, das sie mit Klezmer-Klassikern und Gesang anreichern. Die harmonischen Wendungen, die scharfe Rhythmik an der Gitarre und die bisweilen klagende Streicherlinien erinnern dabei klar vielmehr an die Dreißigerjahre als an 2017.

Kennengelernt haben sich die drei vergangenheitsbewussten Musiker in der Band des Singer-Songwriters Ryan Inglis. Auf dem Weg zu einer Session habe man die gemeinsame Vorliebe für diese alte Jazz-Musik entdeckt. Melodisch und rhythmisch ist das weit weniger kompliziert, als man das dann von den Jazz-Größen der Fünfziger- und Sechzigerjahre kennt. Vielmehr liegt in dieser Musik im Kern noch jüdische und osteuropäische Volksmusik. Doch Lyckliga, was schwedisch in etwa die Glücklichen bedeutet, sind keine reinen Kopisten dieser Musik. Das beginnt bei kleinen Details, wie etwa dem Cello, das im Gipsy-Jazz im Gegensatz zur Geige und Gitarre eher ungewöhnlich ist, und kulminiert gerade in Experimenten der Band mit einer Loop-Station. „Wir wollen unseren Sound noch weiterentwickeln und erforschen“, erklärt die Cellistin Elisa von Wallis. Und so zeigen sich Lyckliga nicht nur als eine Art zurückgenommene
Ursprungsversion des Elektro-Swings,sondern auch als östliches Gegenstück zu
alpinen Neo-Volksmusik-Bands wie Kofelgschroa. Deren Fröhlichkeit weicht bei Lycklida dem melancholischen Einschlag der östlicheren Volksweisen, die trotz aller besetzungsbedingter Zurückhaltung Zug entwickeln. Gerade reist das Trio durch Frankreich, spielt Auftritte in Bars und auf der Straße und begibt sich damit auch in das Wirkungsland Django Reinhardts; dem Gitarristen, der der Musik Lyckligas mehr Pate steht als irgendein Popmusiker.

Stil: Gipsy-Jazz
Besetzung: Kristina Witzgall (Geige), Elisa von Wallis (Cello), Sebastian Klein (Gitarre)
Aus: München
Seit: 2016
Internet: www.lyckligajazz.com


Text: Rita Argauer


Foto: Laurent Daniel


Band der Woche: April Haze

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Aus der Masse herausstechen, das gelingt nicht vielen Künstlern. April Haze schafft es dennoch. Der Unterschied zu anderen Künstlern liegt im Kleinteiligen.

Fiona Apple brüskierte einst die Musikindustrie. Das ging 1997 noch recht einfach: Es reichte, wenn eine junge Frau mit famoser Stimme, die gerade für ihr Debütalbum gelobt und geliebt wurde, bei den MTV Music Awards in Fäkalsprache verkündete, was sie von dieser Welt halte: nämlich nichts. Entsetzen folgte bei den Plattenfirmen. Heute gehört die Kritik jedoch zum guten Ton. Stars, die sich differenziert äußern, werden gelobt. Und derbe Sprache ist zugleich eine Performance. Belächelt werden heute eher die Lieblichen. Aufrührerisches ist en vogue, das zeigt sich nicht zuletzt darin, wie sehr etwa queere Ästhetiken vom Mainstream benutzt werden und vormals subkulturelle Codes der Abgrenzung wie Tätowierungen bei den großen Glamour-Stars dazu gehören. Ganz anders ist das bei der Musik. Es scheint fast so zu sein: Je subversiver die Aussage, desto zuckriger der Sound. Eine These, die in Yun Hurns Achtzigerjahre-Schmonzette „Diamant“ einen Höhepunkt erlangt. Der Mainstream leiht sich die subkulturellen Symbole zwecks der Authentizität, die Subkultur bedient sich des Bubblegum-Pop-Sounds, um damit eine Art Ermächtigung über den Mainstream zu erreichen.

In dieser seltsamen Verdrehtheit taucht nun das Münchner Duo April Haze auf. Und hier funktioniert das plötzlich alles nicht mehr. Die Tattoos wirken hier nach alter Manier als Abgrenzung zur Masse. Und das Duo sieht aus wie die Clique der Outsiders in amerikanischen High-School-Filmen der Neunzigerjahre. Dazu machen April Haze Musik, die sich ernst nimmt. Aus einer coolen, postironischen Sichtweise der Gegenwart, die so etwas wie den Song „Diamant“ hervorgebracht hat, ist es ein Leichtes, über diesen Anspruch von April Haze zu lächeln. Sängerin Miriam Krost singt ein wenig überambitioniert, eben mit Nachdruck ob der Wichtigkeit ihrer Aussagen. Und Multiinstrumentalist und Arrangeur Rick Strauß schafft dazu einen opulent instrumentierten Sound. „Uns ist es wichtig, sich selbst bei der Musik treu zu bleiben“, erklärt Miriam. Sie wollen mit der Musik etwas „ganz Individuelles und Originelles“ kreieren. Doch angesichts der Ironie und der symbolischen Verdrehung, die ja auch zugleich ein Schutzmechanismus vor Kritik ist, erfordert es doch einigen Mut, so an die Musik heranzugehen, wie Miriam und Rick das tun.

Wenn man jedoch Songs wie „Hurricane“ hört, dann löst sich da etwas ein: Denn April Haze klingen wirklich anders als vieles in der Münchner Bandszene. Und das, obwohl sie nicht versuchen, die Dinge schreiend laut anders zu machen, die Abgrenzung erfolgt hier mehr im Kleinteiligen. Das beginnt bei Miriams Stimme, die in ihrer leichten Belegtheit eine gewisse Ähnlichkeit mit der bereits erwähnten Fiona Apple hat. Hinzu kommen opulente Streicher und eine gezupfte Gitarre, die mit sauberem Klaviersound gemischt wird und so ein wenig nach einem Cembalo klingt. Der Beat darunter rollt dagegen beinahe groovend wie in einem Soul-Song. Ja, das wirkt alles ein wenig zusammengeschustert, in den guten Momenten verbindet sich das aber zu einer Art der neuen Nachdrücklichkeit, die gut tut. Gerade in Deutschland. Denn oft wirkt es so, als fehle es der deutschen Popmusik im Vergleich zu den englischsprachigen Ländern ein wenig am Selbstvertrauen. So wird eben nicht einfach und mit den verfügbaren Mitteln, Stilen und Klängen, die sich in mehr als 70 Jahren Popmusik so gefunden haben, musiziert und experimentiert. Oft wird viel mehr über Text und Ironie ein Schatten dieser verschiedenen Popstile konstruiert. Da gibt es tolle Dinge. Doch es ist auch immer wieder erfrischend, wenn sich Bands unbefangen ans Songschreiben machen, wie April Haze das tun.

Text: Rita Argauer

Foto:
Alex Brandt

Band der Woche: Snowfall

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Snowfall ist das
Nebenprojekt der Young Chinese Dogs. Der Sound ist dunkler, es wird mehr
Elektronik verwendet, mehr Beat und mehr Sphäre. Birte
Hanusrichter und Oliver Anders Hendriksson wollte eine ganz eigene Version der
Popmusik machen.

Es ist schon erstaunlich, was Quentin Tarantino in der Popmusik angerichtet hat. Denn fast immer, wenn jemand heute modernen Americana-Sound mit zeitgenössischem Popflair machen möchte, dann wird dieser Regisseur zum atmosphärischen Vorbild der Musik erklärt. Am liebsten von Musikern, die in Mitteleuropa aufgewachsen sind und deren persönliche Prägung dementsprechend weit entfernt ist von einer abgewrackten Südstaaten-Kneipe, in der man vom Alter von zehn Jahren an gelernt hat, Whiskey zu trinken und den Blues zu spielen. Tarantino ist in solchen Fällen als stimmungsmäßige Chiffre schon beinahe zum Genrebegriff für einen bestimmten Musikstil geworden.

Mal abgesehen von diesem etwas seltsamen Disziplinen-Übersprung, der geschieht, wenn ein solcher Regisseur zum musikalischen Vorbild erklärt wird, weil er ein gewisses Händchen dafür hat, die Stimmungen seiner Filme mit retrotrunkenen Soundtracks zu garnieren, liegt in dieser Verdrehung aber noch ein zweiter Bruch: Denn bezieht sich Popmusik auf Tarantino, liegt unter der lässigen Haltung eine unverhohlene Romantik. Aus dieser Musik, die im öfter verregneten als schwülen Deutschland entsteht, aber nach der bluesig-gedämpften Lässigkeit von New Orleans klingen soll, spricht auch immer eine Sehnsucht und die damit einhergehenden Verklärung. Denn der Alltag eines semi-professionellen Musikers in New Orleans sieht wohl ziemlich anders aus, als man sich das hier vorstellt. Die Musiker, die in Deutschland solche Musik machen, sind also letztlich so etwas wie die cinemascope-geschulten Romantiker der Postmoderne.

Bei Birte Hanusrichter und Oliver Anders Hendriksson wird dieses musikalisch gewordene Fernweh nach einer fiktiven Version der USA allerdings hochprofessionell umgesetzt. Nachdem deren in Deutschland doch recht bekannt gewordene Band Young Chinese Dogs wegen differenter privater Ziele der einzelnen Bandmitglieder zurückgefahren wurde, gründeten die beiden Snowfall. Ein Duo, das seinen Stil selbst als Pop-Noir bezeichnet. Das erinnert rein begrifflich nicht von ungefähr an den Film Noir, bedient sich also dort schon des Kinos. Den Einfluss Tarantinos lässt die Band dann als sofortige Referenz in der Selbstbeschreibung folgen. Doch Birte, die neben ihrem Dasein als Musikerin auch eine im TV-Deutschland gefragte Schauspielerin ist, kennt sich dementsprechend aus mit der Erzeugung von Atmosphären und dem fiktiven Erschaffen einer Welt, die im Idealfall für den Zuschauer, respektive Hörer zur willkommenen Alltagsflucht werden kann.

Für Birte und Oliver ist Snowfall gerade ein Herzensprojekt: „Mit Snowfall leben wir uns künstlerisch aus“, sagt Oliver. Auf „#1 Gold“, ihrer ersten EP, die am Freitag, 25. August, erscheinen wird und zuvor mit einem Konzert beim Münchner Theatron im Olympiapark am Sonntag, 20. August, auch live vorgestellt wird, beginnt das jedoch erst einmal noch mit „Oh-Oh“-Gesangslieblichkeit. Der Opener „Carry me home“ klingt dabei mehr nach etwas reduziertem Nashville-Pop als nach dem destruktiven Exzess, den Tarantino atmosphärisch unter fast alle seiner Themen zu mischen vermag. Verheißungsvoller kündigt sich da die Single „Cemetry Lovesong“ an, in der der Themenkomplex morbider Liebschaften in experimentellerer Struktur und mit einer Art folkig reduziertem Gothic-Pathos verhandelt wird. Doch erst im letzten Song „Marry Me“ entsteht aus Moll-Akkorden und einem Dur-Refrain, einem Telefoneffekt auf der Stimme, einer anachronistischen Akustik-Gitarre sowie einer verhallten fernen Orgel die atmosphärische Dichte, bei der das Kopfkino illusionsreich anspringt.

Stil: Folk/ Blues/ Pop
Besetzung:
Birte
Hanusrichter (Gesang), Oliver Anders Hendriksson (Gitarre)


Aus: München
Seit: 2016
Internet: www.listentosnowfall.com

Text: Rita Argauer

Foto:
Lennja White

Band der Woche: King Pigeon

King Pigeon begeistert mit Indie-Gitarrenmusik. Ihre Songtexte handeln von
zwischenmenschliche Beziehungen und den großen und kleinen Geschichten, die das Leben so schreibt.

Dass München ein Problem mit Zuordnungen hat, ist nichts Neues. Es gibt hier nicht den einen popmusikalischen Stil, der über die Stadtgrenzen hinaus so bekannt wäre, dass er für die Stadt stehen würde. Münchner Bands müssen sich also mehr über sich selbst als über ihre Stadt vermarkten, wenn sie denn außerhalb der Stadt Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Das letzte Mal, dass die Stadt München eine stilistische Profil-Schärfung im Pop-Sektor aufzuweisen hatte, war vor etwa zehn Jahren.

Da existierte so etwas wie eine münchnerisch-britische Freundschaft, angetrieben von Christian Heine und vollzogen in dessen Club, dem Atomic Café. In der Zeit, als diese neue Welle an Indie- und Britrock-Bands aufrauschte und gitarrengetriebene Musik wieder in den Aufmerksamkeitsfokus gelangte, spielten all diese Bands im Atomic Café, bevor sie irgendwo anders in der Stadt auftraten. Auf die Münchner Szene hatte das einen gewissen Effekt: Bands wie Exclusive, die dem damaligen Namensgebungstrends dieser Bands entsprechend noch The Exclusive hießen, verpackten das gleich in ihre erste Single: „Atomic Atomic“ ging der Refrain, der sich wohl nicht nur auf irgendwelche atomaren Begebenheiten bezog, sondern auch als ein Sehnsuchtsruf in Richtung der Indie-Bühne der Stadt funktionierte. Und während sich Exclusive von dieser Art der Musik im Laufe ihrer Karriere völlig verabschiedeten, gibt es heute immer wieder Bands, die so etwas wie die Nachhut dieses Stils sind.

Das Atomic Café ist mittlerweile geschlossen, früher aber haben dort auch die Bandmitglieder von King Pigeon in ihrer späteren Jugend gelernt, wie Indie-Gitarren-Musik klingt. Und genau solche spielen sie jetzt auch. „Wir sind alle mehr oder weniger in den Nullerjahren aufgewachsen und somit entsprechend musikalisch sozialisiert“, erklären sie, „dadurch sind wir alle am Indie und seinen Facetten hängen geblieben.“ Also schreiben sie Lieder über zwischenmenschliche Beziehungen und die „großen und kleinen Geschichten, die das Leben so schreibt“. Heraus kommt dabei Musik, die die gleiche verschrobene Leichtigkeit atmet, die den Film „Garden State“ zum Feel-Good-Movie der Prä-Hipster-Generation machte. Doch weil die Popkultur sich immer schneller entwickelt, klingt das heute schon fast so nostalgisch wie das klirrende Gitarrenriff, das den Song „My Girl“ auf der ersten EP von King Pigeon eröffnet. Die erschien 2016 unter dem Titel „Sonic Fields“ und darauf findet man alles, was vor zehn Jahren durch den Club in der Neuturmstraße rauschte: etwas vertrackte Liebesgeschichten, treibendes Schlagzeug samt Bass, funkig-kratzige Gitarrenriffs, ein etwas aufgerauter Grundklang und melodiöser Gesang.

Diese Art der Indie-Gitarren-Musik entstand in einer Zeit, unmittelbar nach 9/11. Es ist Musik, die den Feel-Good-Vibe der Neunzigerjahre noch kennt, die jedoch schon ein wenig unter dem, was weltpolitisch darauf folgen könnte, erschaudert. Heute hat sich das verändert, die Attitüde ist deutlich pessimistischer, man geht eher beinahe davon aus, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorsteht. Umso extremer zeigen sich die musikalischen Formen: Sei es überproduzierter Bubblegum-Pop oder düsterste Experimente. Die unbeschwerte Indie-Gitarren-Musik wirkt aus heutiger Sicht beschwichtigend oder wohltuend. Je nach Perspektive. Man kann das auch live erleben, wenn King Pigeon am Samstag, 5. August, beim Free & Easy im Backstage auftreten, bevor sie sich ihrer neuen EP widmen, auf der sie planen, mit etwas Elektronik zu experimentieren. Vielleicht reißt sie die Gegenwart schließlich doch noch an sich.

Stil: Indie / Gitarre
Besetzung: Christian Schön (Gesang, Rhythmusgitarre), Marius Werani (Leadgitarre, Gesang), Fabian Betzmeier (Bass), Moritz Eckermann (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.king-pigeon.com


Text: Rita Argauer

Foto: Sebastian Menacher

Band der Woche: Mundhaarmonika

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Die Münchner Hip-Hop Band Mundhaarmonika macht theatralische Popmusik mit
jazzig-leichtem Sound. Ihre Texte handeln von Lebensrealitäten der Digital Natives und deren romantische Fluchten.

In der Klassik ist eine Sache ganz einfach: Man muss überhaupt nicht fragen, wer seine Texte ernst meint oder wer über sich oder über ein lyrisches Ich singt. Denn: Im Normalfall singen und spielen die Musiker nicht ihre eigenen Kompositionen, sondern sie interpretieren die kreativen Ergüsse anderer – also muss auch niemand Angst haben, dass sich jemand, der gerade Schuberts „Winterreise“ singt, gleich von der Brücke stürzt oder Isolde den Liebestod als finale Vereinigung mit Tristan wählt. Die ist ja sowieso noch mal eine speziellere Variante, denn als Oper ist sie schon dem Genre nach Musiktheater und demnach eine fiktionale Geschichte.

In der Popmusik ist das anders, da wird Authentizität hoch gehalten und der Hörer möchte bitte gerne glauben, dass das, was der Sänger da von sich gibt, auch dessen innerstem Seelenleben entspricht. Dieser Anspruch wiederum führt manchmal zu absurd-süßen Blüten: Etwa als Nina Hagen ein Drama um einen nur in schwarz-weiß dokumentierten Urlaub machte und zum stampfenden Kurt-Weill-Klavier nölte: „Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel’.“ Ob die Seele dieser damals mädchenhaft-jungen Sängerin tatsächlich am Farbfilm hing, bleibt fraglich, das operettenhafte Talent zur Übertreibung schob den Song hingegen ins Theatrale.

Mit dem Farbfilm hat es auch die Münchner Hip-Hop-Band Mundhaarmonika. Und irgendwie hat es die auch mit dem Theater, denn keine andere Spielart moderner Popmusik nimmt wohl soviel Anleihe an theatralen Codes wie der Hip-Hop. Doch doppelt codiert oder absurd übertrieben wie bei Nina Hagen ist die Sache mit dem Farbfilm im gleichnamigen Song von Mandhaarmonika nicht. Dieser Song nimmt das Bild eher ernst und malt eine prächtig glitzernde Landschaft aus. Das ist hochgradig romantisierend, wenn sich nebst den „leise leuchtenden Farben“ zu Bläsersätzen „durch die Nacht“ geträumt wird, und auf eine gewisse Art auch genauso künstlich wie bei Nina Hagen. Doch Rapper Simon Hofelich und seine hoch versierte Musiker-Crew stellen fest: Diese Musik soll bitte als authentisch gelebte Sommermusik ernst genommen werden.

Das gelingt auf dem am kommenden Freitag, 28. Juli, erscheinenden Album „Raptestdummy“ ganz prächtig. Die Band produziert jazzig-leichten und luftigen Sound, Simon Hofelich setzt Texte darauf, es wirkt so wie der sonnengebräunte Schalk eines Surfer-Boys, bei dem man auch eher nicht wissen will, welche Abgründe darunter liegen. Doch die Oberfläche funktioniert blendend. In guten Momenten gelingt Musik, die auf einer einfachen Ebene zu verstehen ist und keine ästhetischen Verklausulierungen vornimmt. Denn trotzdem wird hier auf hohem Niveau produziert und geschrieben. In schlechteren Momenten kippt es jedoch in die klamaukige Heile-Welt-Attitüde der Wise Guys.

Die Texte kreisen dabei ebenfalls leicht zu entziffernd um die Lebensrealitäten der Digital Natives und deren romantische Fluchten. Etwa im Song „Tschüssinger Tschausn“, in dem es in der Hook heißt „Brauch’ kein Google Maps im Gepäck / nein, die Freiheit, die schmeckt“. Doch ganz so naiv ist Mundhaarmonika dann doch nicht. „Am Ende des Tages zählt, ob das Publikum unterhalten wird“, erklären sie ganz abgebrüht. Denn generell sei allen Genres gemeinsam, dass man auf der Bühne eine Rolle einnehme und versuche, die Aussage hinter dieser Rolle möglichst authentisch wiederzugeben. Damit verwirbeln sie zwar die Zuordnung um Echtheit in der Popmusik um ein Weiteres. Aber vielleicht ist das auch genau die Rätselhaftigkeit, die Popmusik auch immer braucht, um spannend zu sein. 

Stil: Hip-Hop/ Jazz-Pop
Besetzung: Simon Hofelich, Felix Renner (Bass), Andreas Begert (Keyboard), Vincent Crusius (Drums), Temren Demirbolat (DJ), Marcel Chylla (Video), Matthias Kieslich (Ton) 
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.mundhaarmonika.de

Text:
Rita Argauer

Foto: GoldPr

Band der Woche: Fox & Grapes

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Der Sound der Münchner Dark Pop Band Fox & Grapes ist geprägt von schwelenden Synthesizer. Mit ihrer Musik stechen sie aus dem gewohnten Synthie-Indie-Pop

heraus.

Madonna wurde eine Zeit lang für ihr Dasein als Chamäleon ziemlich geschätzt. Das war um die Jahrtausendwende und noch vor der Zeit, als die Grande Dame der Popmusik eher durch Seltsamkeiten als durch Musik die Aufmerksamkeit auf sich zog. Damals hieß es, die Dame erfinde sich für jedes Album neu. Da kam sie für ein Lied als Henna-tätowierte Gothic-Raben-Lady („Frozen“) an den Strand, einen Song später landete sie dramatisch und mit allerhand religiösen Symbolen des Judentums ausgestattet beinahe auf dem elektrischen Stuhl („Die another Day“). Ziemlich radikal, provokant und dennoch spannend waren diese Sprünge in der Ästhetik. Anders ist das bei Radiohead. Die gibt es heute auch noch und die machen auch heute noch ziemlich großartige Musik. Doch der fließende Übergang von der Gitarrenband auf „Pablo Honey“ und „The Bends“ zu den elektronisch angereicherten und im Popkontext bis dato eher unerhörten Klängen auf „Ok Computer“, „Amnesiac“ und „Kid A“ beeindruckt. Eine Entwicklung, viel weniger spektakulär als bei Madonna, aber musikalisch entsprechend tiefer greifend.

Ein wenig wirkt es so, als würde die Münchner Band Fox & Grapes diesen Weg musikalisch nachzeichnen. Auf den ersten Blick sieht das Münchner Quartett um Sänger, Gitarrist und Songschreiber Jonathan Haellmayer, das sich am liebsten im blau-gefärbten Gegenlicht ablichten lässt und verträumt-verloren im Leben herumsteht, wie eine weitere Reinkarnation des Dream- bis Dark-Pop der Achtzigerjahre aus. Schwelende Synthesizer prägen auch den Sound der aktuellen Single „Song for U“, Glöckchen-Samples gesellen sich zum echten Schlagzeug, und Jonathan singt über unerfüllte Begierde. Doch beim zweiten Titel der aktuellen EP „Demo XVII“, „Everybody has a Prize“, rauscht eine Gitarre dazwischen. Und plötzlich entsteht dieses akustische Zwielicht zwischen Knister-Beat und Gitarrenwärme, welches Radiohead auf der Platte „Kid A“ perfektioniert hatten. Es ist künstlerisch höchst virtuos, solche Momente zu konstruieren. Doch in dieser Intensität entsteht so etwas wohl am ehesten, wenn man als Musiker selbst diesen Weg von der Gitarren-Band zum elektronisch-avancierten Popprojekt gegangen ist.

Bei Jonathan und seinem Bandkollegen, dem Bassisten Antonio Merker, war das die Gitarren-Band Vaccine. Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends spielten sie zwischen der Zurückhaltung der frühen Radiohead und dem ausladenden Harmonie-Gebade von Coldplay. Nach der Auflösung von Vaccine, fanden sich die beiden dann mit dem Schlagzeuger Philip Spiegel und Sabrina Seitz am Synthesizer und Sampler 2015 zu Fox & Grapes zusammen. Und zur jahrelangen Gitarrenband-Erfahrung begannen sie nun auch eine gewisse Faszination für den größenwahnsinnigen Synthie-Symphoniker Jean Michel Jarre auszuleben. „Jarre ist Gott“, sagt Jonathan pragmatisch-ironisch dazu. In der Musik prallen so jedoch eine ganze Menge spannender Unvereinbarkeiten aufeinander: die Künstlichkeit großer Synthie-Flächen und die Nahbarkeit von Gitarren etwa. Oder der warme emotional involvierte Gesang Jonathans und die kühlen reduzierten Disko-Beats am Schlagzeug. Dass das Ganze nicht nach beliebigem Synthie-Indie-Pop klingt, mag wohl an der jahrelangen Entwicklung der Band liegen. Doch ein klein wenig Plan steckt auch dahinter: „Aus unserer völlig subjektiven Sicht gibt es in München einen Überfluss an tanzbarer Partymusik“, erklärt Jonathan, sie hätten jedoch hier auch tolle Freunde gefunden und würden nun das System eben von innen heraus zerstören. Die Trümmer, die sie dabei erzeugen, klingen ganz herrlich.

Stil: Dark Pop
Besetzung: Jonathan Haellmayer (Gesang, Gitarre), Philip Spiegel (Schlagzeug), Antonio Merker (Bass), Sabrina Seitz (Gesang, Synthesizer, Licht)
Aus: München
Seit: 2015
Internet: www.foxandgrapes.net


Text: Rita Argauer

Foto: Thomas Lutz

Band der Woche: Skullwinx

Der Metal der Skullwinx ist inhaltlich
viel näher an Richard Wagner als etwa am Punk

– das beweisen die fünf jungen Männer vom Tegernsee mit tiefgründigen Vertonungen von griechischen Sagen.

Die Washington Post hat die E-Gitarre kürzlich für tot erklärt. Das verwundert nicht, immerhin wandelte sich die elektronisch verstärkte Gitarre vom einstigen Rebellionssymbol zum Lieblingsinstrument der Väter- und für manche sogar schon Großvätergeneration. Und mit solch einem Instrument werden heute keine musikalischen Revolutionen mehr angezettelt, damit wird in Nostalgie geschwelgt – uninteressant für die Jugend. Fast. Denn ein erheblicher Teil dieser Jugend hat ein gewisses Faible für Vergangenes.

Die Retromanie zeigt sich nicht nur darin, dass nur noch Bands, die auch schon vor 30 Jahren weltbekannt waren heute die ganz großen Stadien füllen. Sie zeigt sich auch darin, dass die neuen Bands oft gerne so klingen wie die alten. Gerade befinden wir uns in diesen stilistischen Remakes an der Grenze der Achtzigerjahre zu den Neunzigerjahren. Und hier kommt die E-Gitarre dann vielleicht wieder ins Spiel. Denn die vermeintliche Geschmacklosigkeit der Haarspray-Heavy-Metal-Bands, sowie deren unverbesserlicher Pathos könnte für die Pop-Generation in ihrer Schwergewichtigkeit interessant werden.

Zu wünschen wäre das der Tegernseer Band Skullwinx allerdings überhaupt nicht. Denn die würden dann ziemlich schnell von ihrer authentischen Nischen-Szene in die Mainstream-Aufmerksamkeit der Hipster purzeln, was ihnen ein Problem mit der Realness und der Glaubwürdigkeit einbringen würde – und was außerdem die schöne alternative Szene, in der sie sich befinden, erheblich stören würde. Denn Skullwinx sind so etwas wie die Reinheitsgebietenden des Achtzigerjahre-Heavy-Metal. Dazu gehören nicht nur Lederjacken und Haarpracht, sowie recht virtuose Fingerfertigkeiten an der Gitarre. Dazu gehört auch Überzeugung: „Die Szene nennt sich NWOTHM“, erklärt Leadgitarrist Lennart Hammerer, der sich durchaus passend Lenny nennt. Das Kürzel steht für „New Wave Of Traditional Heavy Metal“ und repräsentiert eine junge Generation, die den Stil ihrer Helden spielt, also den von Judas Priest, Blind Guardian oder Iron Maiden. Und Skullwinx sind Hardliner. Nach den Achtzigerjahren „wurde alles verfälscht“, sagt Lenny etwa: „Rap oder das brutale Geballer“ des späteren Metals habe für ihn nichts mit Metal zu tun.

Der Metal der Skullwinx ist inhaltlich jedoch sowieso viel näher an Richard Wagner als etwa am Punk. Skullwinx nehmen das alles überaus ernst, sie schreiben ausschließlich Konzeptalben, die man guten Gewissens als kleine Musikdramen bezeichnen kann, auf denen ganz in Wagnerischer Manier jeweils irgendeine Art von Sage vertont und mystifiziert wird. Auf ihrem ersten Album waren das die Missionen von Herkules, 2016 erschien das jüngste Werk „The Relic“. Darauf trifft Siegfried auf Attila den Hunnenkönig oder Karl den Großen, alles im Gewand von rasenden, aber melodiösen Gitarren-Soli und in punktierter Rhythmik trabenden Akkord-Phrasen. Das Ganze endet im apotheotischen Zehn-Minuten-Song „The Relic Of An Angel“. Hier wird dann final die Theodizee-Frage verhandelt, also nichts Geringeres als das theologische Problem, warum ein gerechter Gott ungerechte Dinge geschehen lässt. Ganz schön dick ist das alles, doch die Schwere, mit der diese Geschichte erzählt wird, könnte auch ein Bedürfnis der Pop-Generation nach Bedeutung füllen. So wie die Promi- und Polit-Elite Jahr für Jahr nach Bayreuth pilgert, um dort Wagners Versionen der Heldensagen erzählt zu bekommen. Warum sollte so eine Tradition voll wohligem Pathos der Pop-Generation verwehrt bleiben? Vielleicht gar nicht. Die Skullwinx haben jedenfalls zuletzt ein Festival für ihren traditionellen Heavy Metal in München gegründet.

Stil: Traditional Heavy Metal
Besetzung: Kilian Osenstätter (Schlagzeug), Lennart Hammerer (Lead-Gitarre), Severin Steger (Rhythmus-Gitarren), Johannes Haller (Gesang), Konstantin Kárpáty (Bass)
Aus: Tegernsee
Seit: 2013
Internet: www.skullwinx.de

Text: Rita Argauer

Foto:
Celine Schmid