Band der Woche: Paul Kowol

Der Pop-Gitarrist Paul Kowol schreibt simple Songs mit deutschen Texten. Besonders weltbewegende Musik zu machen ist dabei gar nicht sein Anspruch. Doch das macht seine Erscheinung umso authentischer.

Wenn man einen Musiker richtig gut beleidigen will, reicht ein Vergleich: Die Musik klinge nach Teenie-Band. Denn Teenie-Bands sind prinzipiell nicht ernstzunehmen. Da schreibt irgendein Produzent Songs, deren emotionale Achterbahnfahrt pro Song so steil und kurvenreich ist, dass außerhalb eines pubertären Teenie-Hirns wohl niemand in der Lage ist, diese gefühlsgesteuerten musikalischen Kapriolen zu verstehen. Teenie-Band steht also immer noch für hirnverbrannte Wahnsinnsmusik, die nur dafür geschrieben wurde, pubertätsverwirrte Jugendliche abzuzocken.

Doch es braucht dann doch ein erhebliches musikalisches Talent dafür, derartige Teenie-Musik umzusetzen. Und mit Robbie Williams und Justin Timberlake haben es mindestens zwei ehemalige Teenie-Band-Stars geschafft, dieses vorhandene Talent in einer zweiten Karriere in andere Bahnen zu lenken. Die Außenwelt tut sich Anfangs immer schwer damit, den nötigen Respekt zu zollen, Williams und Timberlake haben ihn mittlerweile. Es gibt auch tragischere Gestalten, etwa Britney Spears, die hatte mit „Toxic“ nur einen einzigen Song, der ihr Respekt einbrachte, aber keine zweite Karriere. Und Harry Styles, ehemals der roughe Boy der Boyband One Direction befindet sich gerade an der Kippe zur zweiten Karriere. Sein erstes Solo-Album ist emotional noch überbordend, aber dennoch schon clever komponiert. Styles ist ungefähr im gleichen Alter wie der Münchner Paul Kowol. Und auch die Musik der beiden gleicht sich auf gewisse Weise. Paul schreibt an der Akustik-Gitarre ebenfalls überbordende Love-Songs. Und Paul schreckt auch vor solch musikalischen Tricks wie zwei Background-Sängerinnen nicht zurück, die etwa im Live-Video zu „On my own“ mit einem leicht anachronistischen Flair zu seiner Seite stehen und mehrstimmig den Refrain mitsingen, während Paul selbst in deren Mitte charmant und selbstsicher mit seiner Stimme spielt. Er lässt seinen Gesang vom Singen ins Erzählen kippen, ganz mit dem bisweilen vielleicht etwas schmierigen Entertainer-Gen ausgestattet, aus dem sowohl Robbie Williams als auch Harry Styles ebenfalls ihre enorme Bühnenwirksamkeit ziehen.

So etwas kann man nicht trainieren, so etwas kann man nicht lernen. Dass Paul es jedoch mitbringt, zeigt sich auch aktuell beim Sprungbrett-Wettbewerb, bei dem er durch die Publikumswertung bis ins Finale (live am Freitag, 23. Juni, im Feierwerk) kam. Paul kann Menschen auf seine Seite ziehen. Und da er nicht als Teenager für eine Boygroup gecastet wurde, kann er sich nun auch ohne Vorbelastung um seine Musik kümmern. Gerade schreibe er intensiv an seinen Songs, die er nun immer öfter auch mit Band live spielt, bald möchte er etwas veröffentlichen. Der Grat ist schmal auf dem er sich bewegt, er macht Mainstream-Musik, die auch nichts anderes sein will. Doch sein musikalisches Niveau ist hoch. 

Stil: Pop
Besetzung: Paul Kowol (Gitarre, Gesang), ab und an mit Live-Band
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.paul-kowol.com

Text: Rita Argauer

Foto:
Helge Schütte von Föhr

Band der Woche: Melli Zech

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Melli Zech macht ihre Musik ganz der Nase nach: sie singt und spielt was ihr gerade so einfällt und richtet sich nicht nach bestimmten musikalischen Idealen. Das macht ihre Musik umso schöner.

Idealismus wird im Popgeschäft oft belächelt. Schlicht, weil derjenige, der sich ernsthaft mit seiner Musik für etwas einsetzt, eben bisweilen nicht sonderlich cool rüberkommt. Die Coolen, das sind die Abgebrühten, die sich nicht aus der Gelassenheit bringen lassen. Und cool ist nun einmal spätestens seit den Siebzigerjahren zum doch recht präsenten Diktum der Popwelt geworden. Natürlich gibt es Ausreißer wie die Wut der Punks oder die oft beißende Sozialkritik mancher Hip-Hop-Acts. Doch das bisweilen etwas naive Hoffen und gleichzeitige Pochen auf eine bessere Welt, das die Hippies in den Sechzigerjahren noch voller Überzeugung aufs Tableau gebracht haben, das ist dahin.

Vielleicht überrascht auch deshalb die Attitüde von Melli Zech (Foto: Tobias Windfeldt-Schmid). Die erst 17-jährige Münchner Songwriterin wirkt auf den ersten Blick naiv. Sie liebe die Musik, wie sie nicht müde wird, zu betonen. „Für mich ist Musik alles. Mein ganzes Leben dreht sich um sie.“ So einfach drückt sie das aus. Und so einfach geht sie auch an ihre Musik heran. Mit sechs Jahren bekam sie ihre erste Gitarre geschenkt, seitdem hat sie Unterricht. Später brachte sie sich noch selbst das Klavierspielen bei und probierte sich an anderen Instrumenten. Doch vor allem begann sie, Songs zu schreiben. Und auch hier ist eine gewisse Unbefangenheit spürbar: Melli macht nicht Musik, weil sie sich irgendeinen Stil von einem bekannten Künstler abgeschaut hätte, sie schreibt Songs, die ihr gerade so einfallen. Wild ist natürlich die Mischung bisweilen. Etwa, wenn das mit ruhiger und belegter Sprechstimme vorgetragene „Addiction“ von dem im hüpfenden Reggae-Off-Beat gehaltenen „Memories“ abgelöst wird. „Was ist ein eigener Sound eigentlich?“, fragt Melli hingegen, denn irgendwie sei doch alles schon einmal da gewesen. Deshalb gar nicht weiter über so etwas nachdenken, sondern eben einfach Songs schreiben, die stimmig sind, überzeugend.

Doch ganz so leichtfüßig, wie diese Herangehensweise ist, ist Mellis Weg zur Musik dann doch nicht vonstatten gegangen. Als Kind habe sie eine ernste Blut-Erkrankung gehabt, die sie glücklicherweise besiegen konnte. Allerdings mit dem Ergebnis, dass sie in der ersten Klasse fast taub gewesen sei. Eine Operation half, aber auch der Tipp eines Lehrers ihrer Sprachförderschule, dass Melli doch ein Instrument lernen sollte, um über die Musik das normale Hören und vor allem auch Lesen und Schreiben zu lernen. Eine dementsprechend enge Bindung hat Melli zu ihrer ersten Gitarre aufgebaut. Dass Musik also ein Teil ihres Lebens bleiben sollte, war klar. Sie absolvierte eine Tontechnik-Ausbildung und schloss ein paar weitere Kurse über Popmusik an. Später möchte sie jedoch eine Ausbildung zur Sozialpädagogin machen, um Kindern Musik nahezubringen und ihnen zu helfen. Das ist idealistisch und im bisweilen oberflächlichen Pop-Geschäft auch richtig mutig. 

Stil: Songwriter / Pop
Besetzung: Melli Zech (Gitarre, Gesang)
Aus: München
Seit: 2015
Internet: www.soundcloud.com/melli-zech

Text: Rita Argauer

Foto: Tobias Windfeldt-Schmid

Band der Woche: VKKO

Wie kann man heute noch revolutionäre Musik machen? Das Verworner-Krause-Kammerorchester kommt schon nahe dran – denn sie spielen Techno. Dass diese Kombination gar nicht so abwegig ist, zeigt die Stimmigkeit ihrer Kompositionen.

Zuletzt war das mit der Ausbildung der verschiedenen Kunsthochschulen in Deutschland ein bisschen kompliziert. Während in München etwa der Akademie der Bildenden Künste in überraschender Regelmäßigkeit mit Lisiena oder Nalan mit die avanciertesten Pop-Acts der Stadt entsprangen, sonderten die Jazz-Klassen der Musikhochschule plötzlich Mainstream-Pop-Bands ab, etwa Moop Mama oder den studierten Jazz-Bassisten Martin Brugger, der als Occupanther feine elektronische Musik veröffentlicht, die durchaus ein breiteres Publikum erreichen dürfte. Eine Hochschule für Popmusik gibt es in München nicht, diesbezüglich fehlt also der Vergleichswert. Aber die Kompositionsklassen der Musikhochschule blieben sich bisher dabei ihrer eigentlichen Fachrichtung als einzige ziemlich treu: Die dort Studierenden komponieren neue klassische Musik, die sie in Noten aufschreiben und die dann von anderen, die ihr Instrument studiert haben, gespielt werden. So ist das auch beim Verworner-Krause-Kammerorchester, kurz VKKO. Die beiden Musiker Claas Krause und Christopher Verworner studieren Komposition in München, schreiben ihre Stücke in Partituren und dirigieren ein Ensemble, das diese Stücke dann spielt.

Als zuletzt gut 2000 Menschen, die für gewöhnlich ein Konzert der Münchner Philharmoniker besuchen, im Gasteig ankamen, schallte ihnen brechend lauter Techno entgegen. Doch auf der Bühne stand weder ein Computer, noch ein Mischpult – sondern eine ganze Menge Blechbläser, und ein wild aussehender, junger Dirigent trieb sie an, zu hochenergetischem und trotzdem harmonisch sehr trockenem Sound. Das Klassik-Publikum blieb stehen, denn irgendwie funktionierte diese Band nach den Codes der Klassik (Notenständer, akustische Instrumente, ein Dirigent). Das VKKO, das hier eine straßenmusikalische Intervention der Hochkultur vollzog, klang nur völlig anders: jung, frisch und neu. Eigentlich so, wie man das von Neuer Musik heutzutage erwarten könnte. „Wir lieben die Neue Musik mit ihrer klassischen Tradition“, sagen die Komponisten Claas und Christopher, aber sie würden eben auch Radiohead, den Berghain-Techno-Sound und britische Bass-Musik lieben. Also schreiben sie für das VKKO Musik, die sie selbst gerne hören und die es bisher so noch nicht gibt.

Bei solchen Mash-up-Geschichten besteht natürlich auch immer die Gefahr, beliebig zu werden. Und die Musik des VKKO begibt sich ständig in diese Grenzgebiete. Da wird plötzlich in bester Portishead-Manier gesungen, während ein Streichquartett darunter fast nach einem James-Bond-Soundtrack klingt, nur um dann wieder von Brass-Sätzen zerrissen zu werden. Doch Claas und Christopher schreiben seit 2014 für das VKKO, man hört den Songs an, dass da mittlerweile eine Routine in der Mischung der verschiedenen Stilistiken vorhanden ist, die die Musik fließend, natürlich und nicht zerhackt oder zu gewollt klingen lässt. „In der jetzigen Generation gibt es kaum Komponisten, die nicht auch Popmusik lieben“, sagt Claas, wenn man ihn auf den Gegensatz von neuer klassischer Musik und Popmusik anspricht. Außerdem sehe er ebenfalls den Einfluss der Avantgarde auf die Popkultur. Es gilt also, die Schubladen zu verlassen und aus den Möglichkeiten der Musik, die es heutzutage gibt, „gute, relevante Kunst zu machen“, sagt Claas. Die Vehemenz, die der Musik vom VKKO dabei inne liegt, die ist sowohl in der Popmusik als auch in der Neuen Musik ungewöhnlich und ausgesprochen mitreißend. Sie mögen die „raue Kraft“ der Technoshows und Rockbands und würden auch bei einem Konzert in der Philharmonie die „Notenständer zerschreddern“. Dass das passiert, darauf kann man sich nur freuen. 

Stil: Neue Musik /Pop
Besetzung: Claas Krause (Live-Elektronik, Gitarre, Dirigat), Christopher Verworner (Dirigat, Zündschnur, DSI Mopho) – dazu ein Orchester
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.kammerorchester.eu

Text: Rita Argauer

Foto: VKKO

Band der Woche: Chaem

Chaem macht schwer einzuordnende Musik: irgendwo zwischen Singer/ Songwriter, Drum’n’Bass und ins psychedelisch gehendem Pop bewegt sie sich musikalisch. Fest steht jedenfalls: damit ist sie absolut einzigartig in München.

In den Neunzigerjahren war vieles viel einfacher. Der Informationsfluss war – in dieser Prä-Internet-Zeit – langwieriger und kleiner. Deshalb setzten sich verschiedene Genres und Stilistiken der Popmusik viel fester und konsequenter durch. Musikstil und Künstler waren dadurch herrlich leicht einzuordnen. In den vielfältig durchmischten und viel schnelllebigeren Stilformen der heutigen Popmusik gibt es solche Ordnungen nur noch selten. Die Neunzigerjahre aber waren auch in der Popmusik so planbar wie ein Bausparvertrag. Eine dieser stilistischen Pop-Konstanten, die heutzutage völlig verschwunden sind, sind die singenden und alternativ-songwritenden Frauen: Heather Nova, Aimee Mann, Fiona Apple, Alanis Morissette oder PJ Harvey. Die machen zwar zum Teil heute auch noch Musik, damals erfüllten sie aber noch eine andere Funktion in den Vermarktungsstrategien einer noch intakten Industrie: Sie waren – ein bisschen alternativ, aber dennoch zugänglich – das Äquivalent zu den leidenden Männern der Grungebands. Heute gibt es die nicht mehr. Die letzte, die eine solche Songwriterin werden sollte, war das Skater-Girl Avril Lavigne. Und von der existiert heute nur noch die seltsame Verschwörungstheorie, sie sei irgendwann gestorben und durch eine Doppelgängerin ersetzt worden.

Doch am Rande der Münchner Popszene tauchte jüngst eine Sängerin auf, die diese Songwriterinnen-Ästhetik in die Gegenwart transferiert – und zwar nicht dadurch, dass sie sich eine Gitarre schnappen und einen auf Neunziger-Retro-Girl machen würde. Chaem trägt viel mehr Talent, Aussagewillen und vor allem Lust an neuer Musik vor sich her. Etwas, das die aktuelle Musik von PJ Harvey und Fiona Apple immer noch so interessant macht. Chaem ist am Ammersee aufgewachsen ist, „mitten in der Pampa“, wie sie es ausdrückt, und dementsprechend hatte sie viel Zeit für kompositorische Experimente. In diversen Bands hat sie dann in der Jugend auch schon gesungen, zuletzt bei den Postrockern Flor and the Sea. Doch sie habe eine gewisse künstlerische Eigenheit, die sie in ihrem Soloprojekt viel kompromissloser ausleben könne, erklärt sie. Ihre eher raue Stimme besticht dabei durch einen weiten Umfang und bricht sich an einer gewissen kompositorischen Hemmschwelle vor all zu offensichtlicher Zugänglichkeit. Exemplarisch zeigt sich das in der Single „Carousel“. Ein hüpfender Up-Tempo-Song, der sich aber der suggerierten Ausgelassenheit doch nie ganz hingeben will und immer wieder melancholisch verschattet wirkt. 

„Carousel“ ist auch der Titeltrack ihrer ersten EP, die Chaem gerade veröffentlicht hat. Und die zieht erstaunlich weite Kreise, wird etwa vom irischen Blog „Overblown“ hymnisch gelobt. Die Versponnenheit der Musik, das vereinzelte Klavierspiel und Texte, die latent ins Psychotische kippen, etwa, wenn der Song „Munich“ sich irgendwann auf den nihilistischen Satz „Happy to forget my name“ fokussiert, erinnern tatsächlich an Fiona Apple. Die darunter liegenden modernen und zeitgenössischen Drum ’n’ Bass-Beats hat Chaem dabei gezähmt und ganz zärtlich zu den harmonisch suchenden Akkord-Welten hinzugefügt. Eine Mischung aus dem seltsam narrativen Stil einer Joanna Newsom und der musikalisch erhabenen Schönheit von The Notwist kommt dabei heraus, die wenig nach München klingt. Die Münchner Szene aber hält Chaem, die auch mit den Neoklassik-Musikern Carlos Cipa und Dieter Dolezel zusammenarbeitet, ihrer Vielschichtigkeit und unkonventionellen Art wegen für unterschätzt.

Stil: Art-Pop
Besetzung: Chaem (Produktion, Songwriting, Gesang)
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.chaem.net

Text: Rita Argauer

Foto: Christin Büttner

Band der Woche: Orion and the First Day of Aries

Nicht vielen Bands gelingt dieser schnörkellose Übergang von einem zum anderen Stil. Orion and the First Day of Aries schon: schließlich ist ihr Genre am besten mit Akustik-Hardcore zu beschreiben.

Der größte Reiz elektronisch verstärkter Instrumente liegt in der Möglichkeit, den Klang zu verfremden. Eine Geige klingt wie sie klingt, da spielt vielleicht noch die Art, wie der Bogen geführt wird, eine gewisse Rolle. Doch die grundlegende Klangästhetik bleibt gleich. In der Popmusik scharten Musiker seit den späten Sechzigerjahren jedoch regelrechte Armadas von kleinen bunten Boxen vor ihren Füßen: Effektgeräte, die zwischen Verstärker und Instrument geschlossen werden und den Klang in mittlerweile fast jede erdenkliche Richtung hin verändern können: Verzerrer sind die bekanntesten, es gibt aber auch alle möglichen Arten von Hall- und Delay-Geräten oder Octaver, die die Tonhöhe verschieben und Flanger, die die Stimmung des Instruments minimal modulieren. Bevor das hier nun in all zu großen Tech-Talk ausartet, muss klar gemacht werden, wie stilprägend diese Effektgeräte für die jeweilige Epoche der Popmusik sind, schlicht, weil jede Epoche eigene und neue Effektgeräte hervorbrachte. Also, wenn man heute ein Delay-Gerät aus den Achtzigerjahren benutzt, dann färbt das ganz subtil und gleichzeitig sehr grundlegend den Klang der Band. 

Anders ist das bei Akustik-Projekten. Denn: akustische Instrumente werden nicht verstärkt und wenn doch, dann sollen sie immer noch möglichst akustisch klingen – Effektgeräte sind hier nicht erwünscht. Anders ist das bei Orion Schweitl. Der hat gerade eine kleine Sammlung von seinen auf der Akustik-Gitarre komponierten und meist solo aufgeführten Songs unter dem Namen Orion And The First Day of Aries  (Foto: Maximilian Schieder) veröffentlicht. Und was den Sänger und Gitarristen von den vielen Songwritern abhebt, die alle hübsch-melancholische Melodien zu Gitarrenpickings singen, ist, dass Orion Effektgeräte benutzt. Etwa, um eine zweite Gitarrenstimme zu verhallen, die im Song „Collecting Colors“ über den Grundakkorden schwebt und die Musik in eine im besten Sinne eigenartige Stimmung taucht. Oder ein Delay, das in stehenden Akkorden für einen leicht zitternden Nachhall und unerwartete Fülle sorgt. Orion rückt seinen Akustik-Pop so durch allerhand technische Spielereien im Laufe der EP sowieso weit weg von den üblichen Songwriter-Mühlen. 

Die Voraussetzung für diese Verschiebungen liegt jedoch nicht nur in den Effektgeräten. Denn Orion kommt eigentlich aus der Hardcore- und Punk-Szene. Mit seiner jüngsten Band Sandlotkids hat er diesen Einfluss ganz großartig mit seinem melodischen Talent verbunden. Nun sind bei seinem Solo-Projekt die Melodien an der Oberfläche gelandet. Dabei genieße er es, selbst und alleine über die Ästhetik seiner Musik entscheiden zu können, live vermisse er jedoch das Bandgefüge und gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Orion ist auf eine gewisse Weise gleichzeitig hingebungsvoll und voller Slacker-Haltung. So will er einerseits sein Leben mit Musik gestalten, andererseits gibt er zu, dass die Songs auf seiner EP nie erschienen wären, wenn ihn nicht ein Freund überredet hätte, die Lieder aufzunehmen. Seine Musik gewinnt aus diesem Gegensatz von Mitteilungsbedürfnis und Teilnahmslosigkeit ihren besonderen Reiz. Da ist einerseits die unaufgeregte Dominanz von Gitarre und Gesang. Da fahren aber andererseits fast in jedem Song durchaus überraschende Elemente dazwischen: Etwa eine Bläserlinie. Oder ein synkopiert-zitternder Schlagzeug-Beat. Dass diese Musik, die doch so viele Grenzziehungen verweigert auf Hardcore-Festivals, wo Orion bereits auftrat, ebenso funktioniert, wie auf einer Wohnzimmer-Konzerte-Tour, die er plant, bestätigt das.  

Stil: Akustik / Hardcore
Besetzung: Orion Schweitl (Gesang, Gitarre, Produktion)
Seit: 2010
Aus: München
Internet: www.orionandthefirstdayofaries.bandcamp.com

Text: Rita Argauer

Foto: Maximilian Schieder

Band der Woche: Oh Why

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Als Lukas Bernhard und Carla Pollak nicht mehr ausreichend zufrieden mit der Ausbeute beim Straßenmusizieren waren, gründeten sie just die Indie-Band Oh Why – den Sound der Straße haben sie sich aber teilweise erhalten.

Mit der eigenen Musik Geld verdienen, dieser Lebensplan ist für die meisten in überaus weite Ferne gerückt. Immerhin sind in den Neunzigerjahren – man mag es kaum glauben – Bands wie die Babes in Toyland mit Musik, die dermaßen weit ab vom Mainstream war, weltweit auf mittelgroßen Labels erschienen, die damals noch Vorschüsse zahlten, die so etwas wie ein Berufsmusikertum zumindest für eine gewisse Zeit finanzierten. Heutzutage ist die schnellste, sicherste und auch lukrativste Art mit der eigenen Musik Geld zu verdienen, auf die Straße zu gehen. Das erscheint erst einmal reichlich absurd, denn Straßenmusik ist immer eine Konzertdarbietung, zu der in den seltensten Fällen gezielt jemand kommt und deren Gewinn sich aus der Großzügigkeit der vorbeikommenden Zufallspassanten generiert. Dass ein Publikum einer Straßenmusikband mal eben gerne einen Betrag in den Hut wirft, der die Summe, die nach einem gestreamten Song auf Spotify auf dem Konto des Künstlers landet, in den meisten Fällen, auch wenn sie unter fünf Euro bleibt, übertreffen dürfte, ist eine der Absurditäten im heutigen Umgang mit der Wertigkeit von Musik. Dass Musiker wie Erol Dizdar, der von seiner Musik lebt und zwar hauptsächlich davon, dass er mit der Konnexion Balkon auf der Straße spielt und nicht davon, dass er mit den gerade doch auf eine gewisse Art gehypten Friends of Gas durch die Clubs des Landes tourt, bestätigt das. 

Unter diesen Voraussetzungen hat die junge Münchner Band Oh Why also erst einmal ganz instinktiv die richtige Bühne gewählt, als die Gründungsmitglieder, der Gitarrist Lukas Bernhard und die Sängerin Carla Pollak, 2013 begannen, in Münchens Innenstadt zu musizieren. Doch – und hier liegt die Crux – schon wegen des fehlenden Stroms in der Fußgängerzone bleibt die Musik in den Klangmöglichkeiten von Grund auf beschränkt. Und so eine Atmosphäre, wie sie die Band heute in den Anfang ihres Songs „Planet 9“ legt, ist auf der Straße ohne anständige Verstärker kaum aufzubauen. Denn um so ein mystisches Ambient-Rauschen zu erzeugen, braucht es Gitarrenverstärker, die die Töne verzerren und verhallen. Da braucht es aber auch Mikrofone, die das Straßenmusik-Relikt Cajón (die Holzkiste, auf der ein Trommler sitzt und die klingt wie ein Schlagzeug) verstärken und verfremden. Und da braucht es im Idealfall die Bühne eines Clubs, eine Nebelmaschine und entsprechende Scheinwerfer, um die Band auch optisch passend zu den Klängen in Szene zu setzen. Oh Why lernten nach und nach diese erweiterten Möglichkeiten für die Darbietung ihrer Musik zu schätzen: Also kam zuerst der Schlagzeuger Vincent Crusius dazu, später dann noch Bass und Keyboard. 

Die Möglichkeiten, einfach auf der Straße zu spielen, wurden von den Musikern, die alle Anfang 20 sind und in München studieren, so zwar rapide eingeschränkt, Carlas dunkel belegte Alt-Stimme aber bekam einen musikalisch interessanteren Untergrund: Irgendwo zwischen Neunzigerjahre-Indie-Rock und einem Gespür für lang aufgebaute Atmosphären, verabschiedeten sie sich endgültig vom kurzweiligen, nachmittäglichen Shopping-Soundtrack auf dem Marienplatz und traten in den Dschungel der Münchner Indie-Band-Szene ein. Hier müssen sie jedoch an etwas anderem feilen: Man muss herausstechen, sich eigen und besonders machen. Daran arbeiten Oh Why gerade, live immer wieder in diversen Konzerten, und im Studio an ihrer ersten EP, die im Laufe des Jahres erscheinen soll.  

Text: Rita Argauer

Foto: Alexandra Kuth

Band der Woche: Chuck Winter

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Der Münchner Musiker Chuck Winter versteht es bestens, aus den vergangenen 60 Jahren Popmusik seinen ganz eigenen Sound rauszufiltern. Der klingt mal nach Bob Dylan, mal nach 90s Rock – doch am liebsten ganz bunt gemischt.

Derzeit herrscht eine tote Zeit. Das zeigen schon die unermüdlichen Retro-Bezüge aktueller Künstler: Eine ganze Generation leidet darunter, das Gefühl zu haben, alles sei schon einmal da gewesen. „Standing on the Shoulders of Giants“, nannten Oasis eines ihrer Alben, das im Jahr 2000 erschien und auch für diese Band eine künstlerische Wende bedeute: Man wurde sich bewusst, dass es auch vorher schon rüpelnde Gitarrenbands mit süßen Melodien gab. Dementsprechend eingetrübt ist die Musik auf diesem Album, die Unschuld der Anfangsjahre war unwiederbringlich verloren.

Heute, 17 Jahre später, existiert auch am Anfang keine Unschuld mehr. Und die neuen Künstler stehen auch nicht mehr auf den Schultern der gigantischen Vorgänger, sondern bedienen sich eher fröhlich bei Versatzstücken einzelner ikonischer Stile. Eine tote Epoche, deren Künstler aus den Überbleibseln der Vorgänger jedoch eine ziemlich gute Party zusammenstellen.

Besonders bunt gerät diese beim Münchner Songwriter Chuck Winter. Und haben seine retrofreudigen Münchner Kollegen wie The Charles oder der Famous Naked Gipsy Circus noch die Entscheidung für eine einzelne Epoche – in den genannten Fällen war das die Blues- und Rockmusik der Sechziger- und Siebzigerjahre – getroffen, bedient sich Chuck hingegen bei fast allem, was die Musik so hergibt. Da erklingen bluesige Orgeln über Sixties-Gitarren, während Glam-Rock-Soli der Siebzigerjahre durch ein Neunzigerjahre-Ambiente schallen. Besonders anschaulich zeigt das der in München geborene Deutsch-Amerikaner im gerade veröffentlichten Video zur Single „Hipbones“. Chuck selbst sitzt dabei als düstere und augenscheinlich von Bob Dylan inspirierte Figur vor seiner spielenden Band, die ein wenig wie aus einem High-School-Film zusammengecastet wirkt, und absolviert ein Speed-Dating mit verschiedenen modischen Erscheinungen der Popkultur: Da trinkt er etwa mit einer Dame Schnaps, die die gleiche Perücke trägt wie Uma Thurman in „Pulp Fiction“. Anschließend wird eine Zigarette mit einer Film-Noir-Schönheit geraucht, bevor er seine Dates mit einem die Geschlechterrollen queer in Frage stellenden Typen in eine ganz gegenwärtige Debatte hineinzieht. Chucks Mund ist dabei zu Beginn blutverschmiert, als würde er bildlich zugeben, sich die Popkultur der vergangenen 60 Jahre einzuverleiben wie ein Vampir. Doch der epochale Vampirismus dieses Künstlers, der gerade beim Sprungbrett-Wettbewerb so zu überzeugen wusste, dass er zuletzt die Kölner Studi-Schlager-Durchstarter AnnenMayKantereit supportete, geht auf.

Durch sein hemmungsloses Ausschlachten der Vergangenheit, aber auch durch die kleinen aber feinen Hinweise auf die Gegenwart, ist Chuck Winter einer der lebendigsten unter den Zombies dieser toten Epoche. Vielleicht auch, weil er mit sich selbst ganz im Reinen zu sein scheint: Als Jugendlicher sei es sein Ziel gewesen, eine eigene Platte in den Händen zu halten. Dieses erreicht er nun am 2. Juni, da erscheint seine Debüt-EP. Nun träumt er davon, auf Tour zu gehen und auch im Ausland Anklang zu finden. Live spielt er mit einer Band zusammen, die Musik ist dadurch noch einmal eigenständiger geworden. Die Band hat er Die Steuerfahnder getauft. Und mit diesem erst einmal seltsamen Namen verweist er in seinem kaleidoskopartigen Referenz-System noch einmal auf eine ganz andere Tradition der Popmusik: Den deutschsprachigen Rock von Lindenberg über Westernhagen bis Grönemeyer. Und so seltsam es klingt, es funktioniert.

Stil: Blues/Rock/Songwriter
Besetzung: Chuck Winter (Gitarre, Gesang, Songwriting)
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.chuckwintermusic.com

Text: Rita Argauer

Foto: Christin Büttner

Band der Woche: Grasime

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Minimalistische Beats und ein hoher Wert an Selbstreferenzialität: „Perspektive“ heißt das neue Album, das der Münchner Rapper Grasime im Januar mit dem Produzenten O von

Kram aus der Ecke

veröffentlicht hat.  

Die Beatles hatten es leicht. Denn vor ihnen gab es das Genre Popmusik nicht so recht. Einen Musikstil zu erfinden, das muss man zwar erst mal schaffen. Doch diese Leichtigkeit, die ihre Musik auch in ihren vertrackteren späten Alben hat, ist wohl unmittelbar daran geknüpft, dass sich die Beatles eben in einem noch sehr jungen Stil auf unausgetretenen Wegen befanden. Je älter die Kunstform wird, desto schwieriger ist es, eine erfrischende Unbedarftheit beizubehalten. Dafür eröffnet sich später aber ein neues Spielfeld in der Musikerschaffung: das Selbstreferenzielle. Kunst, die sich auf sich selbst beziehen kann und in der spielerisch und ironisch das Thema der Kunst aus der Kunst selbst gezogen werden kann. Dabei wird quasi Kunst über Kunst geschaffen, was in manchen Fällen langweilig ist; was, wenn es gut gemacht ist, aber auch witzig werden kann. 

Hip-Hop und Rap sind schon rein instrumental gesehen Musikformen, die sich erst einmal auf ihr eigenes Genre – Popmusik – beziehen. Denn die Ursprünge des Hip-Hop liegen in den ersten Samples und Beatversuchen. Musik, die bereits existierte, wurde in einer Collagentechnik weiterverarbeitet. Doch gerade Hip-Hop hat auch sprachlich, also auf der Textebene, einen hohen Wert an Selbstreferenzialität. „Perspektive“ heißt daher das neue Album, das der Rapper Grasime im Januar mit dem Produzenten O von

Kram aus der Ecke

veröffentlicht hat. Minimalistisch sind die Beats, während Grasime die Perspektive auf sich selbst richtet. Grasime, auch bekannt aus der Münchner Underground-Crew Weltuntergäng, rappt über seine eigenen Initiationen zum Hip-Hop. Der Musiker gehört dabei zu einer Generation von Rappern, denen der ständige Bezug auf ihren eigenen Musikstil von Anfang an als Inhalt völlig zu eigen war. Das mag vielleicht an der Form des Battle-Raps als Einfluss liegen, in der die beiden Kontrahenten sich rappend über die Rap-Künste des jeweils anderen mokieren. Wie in einem Spiegelkabinett verdoppeln sich die künstlerischen Mittel permanent selbst. Weniger analytisch ausgedrückt entstehen lustige Dinge, die Grasime auch treffend ausstellen kann. „Erzähl mir nichts von Hip-Hop, sonst erzähl ich Dir von Jean-Paul Sartre“, beginnt er den Track „B.B.M.R.“, und vermischt dabei schmunzelnd eine linksintellektuelle Bildungsbürgerlichkeit mit den Drohgebärden des Battle-Raps.

Doch für Grasime hat Hip-Hop noch einen anderen Zweck als die lustigen Schaukämpfe der Rap-Battles. Als Teenager hat er diesen Musikstil über seinen Bruder kennengelernt. Er identifizierte sich mit der Subkultur, zu der Scratches und Graffiti genauso gehören wie das Rappen und Beats-Bauen. So erklärt er fast idealistisch den Satz „Hip-Hop lebt nicht davon zu konsumieren, sondern von Partizipation“ zum Leitmotto, quasi als Sozialpädagogik in cool. Mit 18 war diese Initiation bei Grasime so weit, er kaufte sich den ersten Computer und fing an, seine Musik zu produzieren. Unter den Münchner Hip-Hop-Strömungen gehören Grasime, sein Label Bumm Clack, das als Veranstaltungsreihe begann und nun auch Musik veröffentlicht, sowie die Weltuntergäng zu denen, die die im Hip-Hop oft gesuchte Realness wohl am meisten erfüllen. Neben den intellektuellen Spielereien der gerade aufgelösten Blumentopf und den ironischen Zeilen von Fatoni erscheint die Szene um Grasime zunächst fast konservativ. Doch letztlich treffen die funkig-jazzigen Beats und die Unmittelbarkeit einen Old-School-Nerv. Das ist auch wieder selbstreferenziell. Aber macht einfach Spaß.  

Stil: Hip-Hop
Besetzung: Grasime (Raps), O von Kram aus der Ecke

(Produktion)
Aus: München
Seit: 2010
Internet: bummclack.bandcamp.com

Text: Rita Argauer

Foto: Niklas Niessner

Band der Woche: Martin Piehlmeier

Bei dem Münchner

Akustik/Instrumental-Musiker

Martin Piehlmeier treffen Postrock-Strukturen auf kluge rhythmische Arbeit. Seine erste EP 

„Bergblick“ hat er, passend zum Titel, ganz abgeschottet in der österreichischen Berglandschaft aufgenommen.  

Manche Menschen ziert von Geburt an ein großartiger Name. Dafür braucht es das Glück, in eine Familie hineingeboren zu werden, die über einen spektakulären Nachnamen verfügt. Beispiele hierfür ist etwa das Adelsgeschlecht „von Streit“. Bei diesen Voraussetzungen braucht es dann nicht mehr viel Fantasie. Selbst wenn man einen recht normalen deutschen Vornamen davor setzt, hat der potenzielle Namensträger den besten Künstlernamen, den sich etwa der Gitarrist einer Punkband für sich ausdenken könnte. Das Pop-Biz liebt alles, was schillert. Etwa, wenn Kate Esther Calvert auf einem Plattencover stehen würde, würde man am ehesten noch eine bodenständige Songwriterin erwarten, nicht aber die spitzfindigen, wütenden und gleichsam poetischen Zustandsbeschreibungen der jüngeren britischen Gesellschaft, die besagte Mrs. Calvert unter dem Namen Kate Tempest veröffentlicht.

Künstlernamen sind, wenn es um den ersten Eindruck geht, nicht unerheblich. Wenn sich jemand also dafür entscheidet, unter seinem eigenen, süddeutsch gefärbten Namen aufzutreten und seine erste EP auch noch „Bergblick“ nennt, assoziiert der geneigte Musikentdecker damit wohl erst einmal eine Art von Mundart-Gitarrenfolk, wie ihn auch Claudia Koreck veröffentlicht. Doch beim Münchner Musiker Martin Piehlmeier und seiner ersten EP liegt man mit dieser Annahme ziemlich daneben. Denn dessen in vielerlei Hinsicht unprätentiöses Auftreten dient keinem bestimmten Image. Vielmehr wirkt es tatsächlich so, als sei ihm all der Firlefanz um Imagebildung und Namensfindung herzlich egal. Der Neurowissenschaftler macht mit seinen 25 Jahren Musik, die wie eine auf Akustik-Instrumente heruntergebrochene instrumentale Version von The Notwist klingt. Postrock-Strukturen ohne die obligate Verstärker-Verzerrer-Kombination dieses Genres treffen auf kluge rhythmische Arbeit, zusammengeklopft auf dem Gitarrenkorpus. Die Gitarre ist für ihn nicht nur harmonisches Instrument, sondern auch getrommelter Rhythmusgeber. Es klingt, als wären da weit mehr Menschen am Werk, de facto spielt er das jedoch alleine. 

Auf all diese an sich schon ziemlich beeindruckenden Voraussetzungen wirft Martin jedoch einen trocken-unterkühlten, ja, naturwissenschaftlichen Blick. Die Musik dient nicht der Selbstdarstellung, kein bisschen Glamour umweht diesen Musiker. Hier macht jemand, der auch noch auf einem anderen Gebiet recht begabt ist, Musik zum Ausgleich: „Obwohl ich während meines Studiums sehr viel zu tun hatte, habe ich so viel Musik gemacht wie noch nie und gemerkt, dass das Eine ohne das Andere einfach nicht funktionieren kann“, sagt er. Dennoch beeinflusse seine wissenschaftliche Seite die Musik, er habe an den molekularen Zusammenhängen in der Entstehung von Alzheimer geforscht und suche „instinktiv den Kontrast zwischen der strengen Naturwissenschaft und der weichen Musik“. Ähnlich pragmatisch erklärt er auch den heimatseligen Titel seiner ersten Veröffentlichung: Um sich vom Großstadtlärm zu distanzieren und die Natur zu genießen, habe er diese EP in abgeschiedenen Hütten in den Bergen aufgenommen. Außerdem sei ihm in den acht Jahren Auslandsstudium der Begriff der „Heimat“ vielfältig bewusst geworden. Für den Sommer habe er nur ein paar Konzerte in seiner ehemaligen Heimat London geplant, im Herbst will er verstärkt in München auftreten.

Stil: Akustik/Instrumental
Besetzung: Martin Piehlmeier (Gitarre, Songwriting)
Aus: München
Seit: 2006
Internet: martinpiehlmeier.com

Text: Rita Argauer

Foto:

privat

Band der Woche: Arcsecond

Die Jungs von Arcsecond sehen ihre Pop-Musik als „unbedingt kontemporär“. Sie sind passend zu ihrem ersten Album „War against Stagnation“ auf der Suche nach Neuem und wollen in diesem Jahr erst so richtig Gas geben.

Schlagzeuger sind die Stiefkinder der Popgeschichte. Jedenfalls meistens. Denn wenn man von ein paar prominenten Fällen absieht, kennt der gemeine Pophörer meist nur die Sänger der Bands mit Namen. Ein paar schon eher nerdige Freaks können dann noch die besonders herausragenden Gitarristen aufzählen, die dann wie etwa Slash bei den Guns’n’Roses zur eigenen Marke werden. Doch herauszusuchen, wer denn jetzt diesen genial einfachen, ungemein gut klingenden und fatal tanzbaren Backbeat in Michael Jacksons „Billie Jean“ gespielt hat, machen die wenigsten. Um das hier zu Ende zu bringen: Es war Leon Ndugu Chancler, ein amerikanischer Jazz-Schlagzeuger, der diesem Song das so signifikante Skelett gab, ohne das er wohl nicht einmal die Hälfte seiner Schubkraft gehabt hätte und vermutlich nie zu einer solchen musikgewordenen Ikone geworden wäre. Wenn der oder die Schlagzeuger/in gut ist, ist die Band meist zumindest interessant. Wenn die Drummer schlecht sind, funktionieren selbst die schönsten Harmonien nicht so wie sie könnten.

Der Münchner Schlagzeuger Michael Neuber ist gut. Das war er schon, als er den Synthie-Pop der Band Soft Nerd rhythmisch gestaltete, das ist er jetzt mit seiner neuen Band Arcsecond noch immer. Etwa wenn er in der Single „W.A.S.“ den Charakter des Songs von Anfang an prägt: Federleicht kippen dabei die geraden Schläge in der jeweils zweiten Takthälfte in funkige Synkopen. Er spielt das jedoch nicht in jazziger Lässigkeit, sondern mit dem unbedingten Aussagewillen, den auch die Schläge in Michael Jackson „Billie Jean“ haben. So wird diese Single, die sich textlich um eine unbeständige Liebesbeziehung in flüchtigen Annäherungen dreht, permanent von einem nervösen Schluckauf durchzuckt, der aber gleichzeitig zum sofortigen Kopfnicken führt. Besser kann ein Einstieg in einen Popsong kaum funktionieren. Und auf dieser Welle können dann so allerhand Skurrilitäten stattfinden. Etwa verhallen pathetische Orgel-Akkorde, eine funkige Gitarre und eine Stimme, die am Phrasenende bisweilen ins Falsett kippt. Bei Arcsecond sind hörbar Musiker am Werk, die einige Erfahrung mit dem Schreiben von funktionierenden Popsongs haben. Denn nicht nur der Schlagzeuger Michael spielte schon in diversen Bands. Gitarrist Niko Hasselt musiziert auch in der Band Good Cpt. Jak, er brachte auch die ersten Songideen mit in die frischgegründete Band. Das war im Sommer 2015. Seitdem haben sie ihr erstes Album produziert, das zehn auf den Punkt heruntergebrochene Popsongs enthält, die erfrischenderweise nicht versuchen, einen Lebensstil zu transportieren. „War against Stagnation“ heißt ihr Album und passend dazu sind sie auf der Suche nach Neuem.

Dementsprechend findet man in der Musik des Quartetts keinerlei Retro-Anleihen. Vielmehr entsteht da ein Sound, der aus dem schöpft, was in der Musikgeschichte in einer solchen Besetzung bisher entstanden ist, aber keine Ästhetik eindeutig übernimmt oder gar akribisch nachbaut. „Wenn wir gerade Lust haben, ein langsames und verkünsteltes Instrumentalstück zu schreiben, dann machen wir das“, erklären sie, ohne Rücksicht auf Erwartungen sehen sie sich dabei als „unbedingt kontemporär“. Im Hier und Jetzt spielen sie also, würden auch gerne mal auf Deutschlandtour gehen und treten das nächste Mal im Mai in der Glockenbachwerkstatt auf.  

Stil: Pop
Besetzung: Niko Hasselt (Gitarre), Aurel von Egloffstein (Gitarre), Johannes Schibler (Tasten), Michael Neuber (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2015
Internet: anarcsecond.bandcamp.com

Text: Rita Argauer

Foto: Nataša Jeftic