Band der Woche: Ad Nemori

image

Typisch Metal ist die Band Ad Nemori nicht: melancholisch suchend und nach innen gekehrt. Die Texte thematisieren zwischenmenschliche Werte und achtvollen Umgang mit der Umgebung. Dazu eine fast symphonische Form der Musik.  Fertig ist der Achtsamkeits-Metal.

Die Pop-Welt hält doch immer wieder lustige Phänomene bereit. Etwa die deutschen Charts. Klickt man sich durch die ersten 20 Plätze der Albumcharts, finden sich etwa Helene Fischers Weihnachtsalbum, Andrea Bergs Abenteuer-Lebens-Album oder Roland Kaisers Altherrenfantasie-Album. Klar, Deutschland gilt seit jeher als Nation mit eher mäßigem Musikgeschmack. Doch dazwischen tauchen mit einer ziemlichen Konstanz alte Metalbands auf: Etwa Iron Maidens „The Book of Souls“, diese Woche frisch eingestiegen auf Platz fünf. Platz zwei belegt ein Live-Album von Black Sabbath und bis vergangene Woche war Metallicas „Master of Puppets“, deren Durchbruchsalbum von 1986, auf Platz zwölf. Es ist eine Neuveröffentlichung und Sammler-Edition, aber dennoch: Alter Metal hat in Deutschland eine ähnliche Fanbasis wie Schlager. Das ist zumindest einmal interessant, wenn man bedenkt, dass Metal im Ursprung mal eine laute und ganz und gar nicht gefällige Gegenbewegung zum Pop und insbesondere auch zur heilen Schlagerwelt war.

Auch die jungen Metaller heutzutage schreien noch, geben sogenannte Growls von sich. Doch ein Blick auf die Münchner Band Ad Nemori zeigt, dass die roh-reduzierte Gewalt und gleichzeitig tickende Präzision, die Metallica auf „Masters of Puppet“ erfanden, beinahe vierzig Jahre später einem anderen Anspruch gewichen ist. Der Metal von Ad Nemori wirkt nach Innen gekehrt, gibt sich melancholisch suchend anstelle der rohen Wut. Das Sextett schafft eine beinahe symphonische Form dieser Musik, in der die Growls und das Blast-Schlagzeug, in der die Breakdowns und die rhythmisch punktierten Gitarrenriffs den sphärischen Klangflächen gleichwertig gegenüber stehen. Ihre 2016 erschiene EP „Pyre“ beginnen sie mit Naturgeräuschen, aus denen sich eine sanft gezupfte Gitarre hinaus schält, die noch über eine ganze Weile dahin klimpern darf, von einer Keyboardlinie und einem zurückgelehnten Schlagzeug begleitet, bevor ein Schrei dazwischen fährt und man das zu Hören bekommt, was man gemeinhin unter Metal versteht. „Unsere Songs thematisieren immer wieder zwischenmenschliche Werte und Ideale sowie einen achtvollen Umgang mit allem in unserer Umgebung“, erklärt die Band, die ihre Musik als einen Anstoß zur heute „oft vernachlässigten Selbstreflexion“ sehe. Man wolle weder, dass sich die Menschheit selbst zerstört, noch, dass der Planet „gegen die Wand“ gefahren werde.

So spielen Ad Nemori also schon rein ideell gesehen in einer anderen Liga als die alten Herren, die derzeit die deutschen Albumcharts bevölkern. Deren sei ihre damalige Wut gegönnt, die hat es da gebraucht, das ist keine Frage. Doch der Achtsamkeits-Metal von Ad Nemori könnte unserer Gegenwart nicht besser entsprechen. Und so sanft, ja beinahe feingliedrig ist diese Musik auch komponiert. Dem Gegrowle von Sänger Raphael Weller stehen in diesen Songs die Keyboards gegenüber, die immer einen schwebenden Gegenpol zum Tiefen und Finsteren bieten, das dieser Musik eigentlich substanziell inne liegt. Die Musik von Ad Nemori gerät folglich in einen permanenten Gegensatz: Das Erhabene der Keyboards wird gegen die Schreie ausgespielt. Die sanft geschlagenen Glitzer-Becken reiben sich an dumpfer Double-Bassdrum-Raserei. Und dabei geschieht etwas Spannendes: Ad Nemori benutzen bekannte Metal-Codes wie die langen Haare, die schweren Gitarren und die harte Musik, sie wissen aber längst, dass diese Codes keine einzige Wahrheit mehr sind. Und so arbeiten sie damit, führen die musikalischen Gedanken fort und fügen neue hinzu. Gerade erarbeiten sie das für ein ganzes Album und suchen einen neuen Schlagzeuger. 

Stil: Achtsamkeits-Metal
Besetzung: Raphael Weller (Gesang), Stephan Preißner (Gitarre),
Oliver Pagel (Gitarre), Marco Oberbacher (Bass), Milos Ilic (Keyboard), Schlagzeug aktuell vakant
Aus: München
Seit: 2011
Internet: www.adnemori.bandcamp.com

Text: Rita Argauer

Foto: René Richter

Band der Woche: Beta

image

Eine klassische Indie-Bandbesetzung aus
Gitarre, Bass, Elektronik und Schlagzeug begegnet rotzigem Rap: „Ich hab’ lieber kein Style als Dein’ Style“ hilft da nur bedingt beim Genreverständnis zu Beta. Ist aber auch Wurscht, denn die Musik ist einfach lässig und macht Spaß.

Es ist schon erstaunlich, bei welch homogener Attitüde die Popmusik mittlerweile gelandet ist. Nicht im musikalischen Sinn, da gibt es verschiedenste Ausprägungen. Doch in gewisser Weise herrscht spartenübergreifend ein beinahe irritierender Konsens, bloß nicht zu sehr anzuecken. Schon bei Bands, die auf Underground-Niveau anfangen, zeigt sich eine derartige Angepasstheit. Indie bedeutet nicht mehr unabhängig, sondern steht für freundliche Wesen, die hübsche und bisweilen eben auch ziemliche glatte Musik spielen, die der Elterngeneration genauso gefällt wie den Gleichaltrigen. Wenn sich dann erst eine Plattenfirma einschaltet, werden oft letzte Brüchigkeiten geglättet. Anschaulich zeigt sich das bei der Karriere der Münchner Band Exclusive. Die begannen als Indie-Band, die erfolgreich die Codes der älteren Generation reproduzierte, fanden dann aber auf dem Album „Nachtmensch“ zu einem überraschend eigenständigen und nicht immer ganz konformem Ausdruck. Es klopfte das große Label an, auf dem Nachfolge-Album versuchten sie Rebellionsgestus und Mainstreamproduktion zu vereinen, was ästhetisch in einem seltsam glatten Zwischenstatus hängen blieb.

Den Rebellionsgestus suchen sich nun Exclusive-Schlagzeuger Christian Rehländer und deren Bassist Markus Sebastian Harbauer in einer neuen Combo: die herrlich störrische Hip-Hop-Band Beta. Eine Bandbesetzung aus Gitarre, Bass, Elektronik und Schlagzeug trifft dabei auf den Aggro-Berlin-sozialisierten Rapper Sebastian Grünwald. Funk-Licks, dröhnende Elektro-Bässe und Gitarren-Soli sind genauso Teil des Konzepts wie Raps und die dem Hip-Hop so eigene Überheblichkeit: „Ich hab’ lieber kein Style als Dein’ Style“, lautet die erste Punchline, mit der das Quartett aufbricht und die konsensverwöhnte Münchner Szene ein bisschen aufwirbelt. Mit der Szene wollen sie aber sowieso nicht viel am Hut haben: „Wir schreiben uns keiner spezifischen Szene zu und versuchen uns auch nicht krampfhaft in einer Szene zu etablieren“, sagen sie und positionieren sich anschließend erfrischend gegen die Lobhudelei, die in manchen Kreisen eben sämtliche Kreativität erstickt, weil man die Dinge nur noch so macht, dass sie den anderen gefallen könnten: „Wir halten nicht viel von einem Freundeskreis, der sich nur deshalb abfeiert, weil er in die selben Bars geht oder die gleiche Musik hört oder macht. Das ist wack.“ Eine klare Ansage.

Auch in ihren Zielen zeigen sie sich differenzierter als manch eine Band, die ein klares Marketing-Konzept verfolgt. Anstatt sich leicht einordnen zu lassen und sich eine Attitüde vorzugeben, der potenzielle Fans dann folgen könnten, provozieren sie lieber ein bisschen: „Übertriebene Ernsthaftigkeit macht dich unflexibel“, sagen sie und erklären, dass sie sich lieber nicht festlegen, sondern sich Raum lassen, in dem sie auch mal versagen können. Doch eine solche Haltung verleiht der Musik die nötigen Furchen, die sie interessant macht. Die musikalische Herangehensweise, einen Rapper in Bandgefüge zu packen, ist dabei an sich nicht neu: Ende der Neunzigerjahre fanden sich Rapper in sämtlichen Crossover-Geschichten, angefangen bei den Beastie Boys oder in Genres wie Nu-Metal. Doch Beta sind weit entfernt von einer Retro-Band. Ihre Musik entspringt der Gegenwart; das ist auch etwas, was sie abhebt. Denn Retro-Ästhetik ist genauer betrachtet auch nur die Suche nach einem Generationen-überspannenden Konsens.

Beta hingegen arbeitet gerade an ihrem Debüt-Album und präsentiert sich am Donnerstag, 7. Dezember, in dieser Besetzung das erste Mal live im Münchner Club Rumours.  

Stil: Rap/Elektro/Funk
Besetzung: Sebastian Grünwald (Raps), Markus Sebastian Harbauer (Bass, Produktion), Daniel Kohn (Gitarre), Christian Rehländer (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2016
Internet: www.facebook.com/betamuenchen


Text: Rita Argauer


Foto: privat

Band der Woche: Lakedaimon

image

Die Band
Lakedaimon ist rein besetzungstechnisch bereits bekannt: zusammengesetzt aus der “famosen Neo-Folk-Band Dobré”  geht es stilistisch nun aber in ein eine andere Richtung.

Die treibende Kraft der Popmusik ist der Stil, während in der Klassik die musikalische Idee als einmaliger Einfall hochgehalten wird. Doch dieser etwas konservative gedachte Gegensatz trifft nicht immer zu. Zum einen ist Stil, also der Klang und die Attitüde, wie etwa ein C-Dur-Akkord klingen kann, eine bisweilen ebenso kreative Leistung wie die Erfindung einer Melodie oder eines Arrangements. Zum anderen finden sich auch in der klassischen Musik höchst stilisierte Formen, die sich aus der erfindungsreichen Neukombination von harmonischem Material herausgelöst haben. Doch zurück zum Pop, denn dort gibt es wahre Meister des Stils. Allen voran Damon Albarn, der erstmals mit Blur den Britpop als Stil erfand, später mit den Gorillaz eine Comic-Band ersann, deren musikalischer Stil sich virtuos in die Comic-Ästhetik einfand, und dazwischen mit diversen anderen Projekten, etwa The Good, the Bad & the Queen oder zwei Opern sein musikalisches Einfallsreichtum wiederum spielerisch in verschiedenste Stile goss.

Die Münchner Szene hat mit Johannes Joe Dobroschke einen ähnlich talentierten Stil- und Kompositionsvirtuosen. Das Songschreiben lernte er an der Seite von Jacob Brass in ihrer ersten gemeinsamen Band Spotfin Soap. Nach der Auflösung entstand die famose Neo-Folk-Band Dobré, deren Kopf Joe bis heute ist. Dazwischen gab es das durchgeknallte Experiment Klaus, in dem Joe auf Deutsch singend eine Frühform von Elektro-Indie erfand, surreal wie ein verrückter Wissenschaftler. Und nun, kurz nachdem mit „Who killed the acrobat“ das dritte Album von Dobré erschienen ist, tritt mit Lakedaimon das nächste Projekt von Joe auf den Plan. Besetzungstechnisch gibt es da keinen großen Unterschied zu Dobré. Live wird Joe von seinen vertrauten Bandkollegen begleitet, die Songs, die auf dem Label von Ex-Anajo-Sänger Oliver Gottwald erscheinen, sind quasi ein Spin-Off des aktuellen Albums: „Zwischen dem zweiten und dritten Dobré-Album habe ich sehr, sehr viele Songs geschrieben, von denen einige aber irgendwie nicht mehr so recht zu Dobré gepasst haben“, sagt Joe. Das führt zurück zum Stil und zu Joes recht untrüglichem Gespür dafür. Denn: Sie hätten diese Lieder zwar auch live als Dobré ausprobiert, jedoch seien sie „düsterer, ernster, elektronischer und gleichzeitig poppiger“, sagt er. Ein anderer Stil also, der eine andere Band braucht, auch wenn die Musiker de facto die selben sind.

Um diesen neuen Stil auszuarbeiten, stand ihm auch Martin Brugger alias Occupanther zur Seite, der einige Spuren zu den drei nun fertig gestellten Songs hinzufügte. Die Grundproduktion aber stammt von Joe selbst. Er hat alle Instrumente eingespielt und bezeichnet Lakedaimon als eine Art „Solo- oder Nebenprojekt“. Getragen von seiner Stimme, die heroisch, aber verhallt zur ersten Single „Inhale / Exhale“, – diese erscheint am Freitag, 24. November – anhebt, dann aber von sanfter Elektronik unterbrochen wird und in ihren beinahe jazzigen Harmonien ein wenig an The Notwist auf dem Album „Shrink“ erinnert. Die Synthesizer-Spuren, die in den folgenden Songs noch stärker hervortreten, sind in Joes bisherigem Schaffen aber neu – viel kühler als die folkigen Orgeln und Klaviere bei Dobré. Gleichzeitig ist Lakedaimon aber auf eine gewisse Art zugänglicher, weil die aktuelle Popmusik immer noch stark von solchen Klängen geprägt ist. Doch das überraschendste ist die Sicherheit von Joe. Er klingt nicht so, als würde er sich in einem neuen Stil ausprobieren. Vielmehr schafft er mit untrüglichem Gespür Musik, die konsequent und reif klingt. Zum Stilbewusstsein gehört bei Joe auch ein Songschreiber-Talent, das ihn beinahe mühelos durch seine sämtlichen Projekte hindurch trägt.

Stil: Elektronik/Indie
Besetzung: Johannes Dobroschke (Songwriting, Gesang, Produktion)
Aus: München
Seit: 2017
Internet: www.facebook.com/lakedaimonmusic


Text: Rita Argauer

Foto: Dominik Wierl

Band der Woche: Matija

Ob die Vorstellung des Debüt-Albums im ARD-Morgenmagazin dem Coolness-Faktor Abbruch tut? Mit dem Video zu “White Socks” arbeitet die Alternative-Pop-Band jedenfalls eifrig dagegen: Prädikat “seeehr cool” – auch auf dem Sound Of Munich Now.

In den USA haben Late-Night-Shows ein irres Renommée. Wer als Musiker bei Jimmy Fallon, David Letterman oder bei „Saturday Night Live“ ein Album vorstellt, hat es geschafft. Längst sind die Youtube-Clips daraus legendär, etwa M.I.A. mit „Born Free“ und haltlos rüpelnder politischer Botschaft. Oder eine überaus elegante Beyoncé. Über lästige Promo-Auftritte sind diese Shows längst hinaus, vielmehr werden sie mittlerweile als eigenständiges Kunstwerk mit eigener Inszenierung der Künstler wahrgenommen – besonders, sehr exklusiv und sehr populär. So sehr, dass dort sogar Obama im Wahlkampf für Hillary Clinton sang.

Richtig schön bieder wirkt dagegen die Ankündigung, die Münchner Band Matija werde ihr Debüt-Album im ARD-Morgenmagazin präsentieren. Deutsche Indie-Bands im Frühstücksfernsehen, was soll das? Vor gar nicht langer Zeit hüpfte zwar der Schweizer Hipster-Schlagersänger Dagobert durch den Fernsehgarten, das hatte allerdings eine gewisse Konsequenz, immerhin klingt dessen Musik aufs erste Hören nicht viel anders als Helene Fischer. Aber Matija sind junge Männer, Anfang 20, die unter dem Namen The Capitols erste Bühnenluft schnupperten und nun mit „Are We An Electric Generation Falling Apart?“ ein Album vorlegen, das sie zum nächsten großen Pop-Ding der deutschen Szene machen soll. Doch ist die Generation, die hier auseinanderfällt, schon so zersprungen, dass das Frühstücksfernsehen ein geeigneter Ort für junge Musiker ist? Und sind die Hausfrauen und Pensionisten, für die dieses Format ursprünglich in grauer prä-emanzipierter Vorzeit erfunden wurde, das richtige Publikum? Eindeutig nein. Denn beim Hören werden bei Matija unverkennbar coolere Register dazu geschalten.

Breit drückende Synthies treffen auf ein hektisches, Hi-Hat-getriebenes Schlagzeug und eine stampfende Bassdrum. Sänger Matija Kovac singt darauf im Falsett, inspiriert von Bands wie den Editors, also den letzten elektronischeren Ausläufern des Britpops. Im Video zur Single „White Socks“ steigt Matija dann im schicken Schwarz-Weiß in einer Prestige-Karre einer kurz-berockten, jungen Dame nach, während das funkige Gitarrenriff, das durch den Song trägt, an den Signature-Sound des untergegangen Atomic Café erinnert. Hier wird bedient, was bedient werden soll, damit diese Musik funktioniert: Nämlich das extreme Gefühlsleben junger Menschen. Im einen Song gibt es junge Männer, die sich cool fühlen und Frauen, die sie deshalb anhimmeln. Im Nächsten steht die Frau dann als madonnengleiches Objekt der Begierde im Fokus, für das der junge Mann leidet und sich auch mal in den Dreck wirft („Song for Celine“). Die Musiker von Matija wissen dabei ganz genau, was sie tun. Die Erfahrung, die sie als Capitols gesammelt haben, äußert sich in pointiertem Songwriting und ausgeklügelten Arrangements. Diese Band will es wissen und kann es musikalisch umsetzen. Doch ein wenig mehr Überraschung und ein paar Kanten würden die Erfolgschancen vielleicht noch erhöhen. 

Stil: Pop
Besetzung: Matt Kovac (Gesang, Flöte), Jan Salgovic (Gitarre), Johann Blake (Keyboard, Bass), Sami Salman (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2016
Internet: www.facebook.com/matija.world

Text: Rita Argauer

Foto: Rue Nouvelle

Band der Woche: Willing Selves

image

Anton und Antonia machen gemeinsam Musik. Und das schon lange. Denn Anton und Antonia sind Geschwister. Mit den “Willing Selves” startet nun ihr zweites gemeinsames Projekt: guter Elektro/Pop.

Das Verhältnis von Geschwistern ist oft seltsam. Das beginnt mit der Eifersucht des Erstgeborenen auf den Nachzügler, trägt sich in Behauptungsstreitigkeiten weiter, bildet ein seltsames Konkurrenzverhältnis, in dem aber gleichzeitig ein kaum zu überbietendes Vertrauen liegt. Kompliziert ist das. Umso erstaunlicher sind dann immer wieder die Geschwister, die kreativ zusammenarbeiten und sich darüber nicht irgendwann zerstreiten. Es gibt da bekannte Beispiele wie die Coen-Brüder, es gibt Fake-Geschwister wie die White Stripes, die eigentlich verheiratet waren und sich nur als Bruder und Schwester ausgaben, und es gibt seltsam künstliche Geschöpfe wie die TV-Zwillinge Ashley und Mary-Kate Olsen.

Fast normal wirken da Antonia und Anton Schröpfer, Geschwister und Münchner Musiker, die zusammenarbeiten, seit sie 16 und 17 Jahre alt waren. Damals spielten sie eine verdrehte Form von Reggae. Danach folgte nicht etwa ein Ablösungsprozess, sondern die nächste Band, sowie ein gemeinsames Haus, in dem sie auch ihr Tonstudio haben. Mit dem zirkushaft-melancholischen Trip-Hop-Soul-Projekt Trallala bekamen sie einige Aufmerksamkeit, seit 2016 treten sie in alter Gemeinsamkeit unter dem neuen Namen Willing Selves auf. „Der Wechsel des Namens soll ganz einfach eine Entwicklung zum Ausdruck bringen“, sagen sie, Trallala habe im Gegensatz dazu einen sehr kollektiven Ansatz gehabt. „Trallala hatte viele Gesichter, die die Band über die Zeit hinweg repräsentierten. Mit jedem neuen Gesicht transformierte sie sich“, erklären sie. Bei Willing Selves wollen die beiden nun als konstante Gesichter erkennbar bleiben. Das funktioniert hauptsächlich über die Stimmen. Antonia hat dabei eine tief-soulige Singstimme, die Anton zum Teil auch rappend unterstützt. Doch auch musikalisch hat sich etwas verändert. Während die Ästhetik von Trallala bisweilen überdreht eklektisch war, klingen Willing Selves nun reduzierter, wenn auch nicht weniger stilübergreifend. Etwa die erste Single „Sunset“: Ein zurückgenommener, subtil schiebender elektronischer Track, der die beiden Stimmen markant in den Vordergrund stellt. Doch nach und nach verdrängen einzelne Klavier-Töne mit unterschwelligem Drama die loungige Atmosphäre. Das ist Popmusik, die im besten Sinne so eigensinnig ist wie etwa die Musik von Aimee Mann, die sich ebenfalls nie ganz einer einheitlichen Ästhetik oder Vermarktung unterordnen ließ.

Doch ganz alleine läuft das nicht. Auch als Willing Selves arbeiten die beiden Musiker mit Produzenten zusammen. Etwa die Kollaboration mit dem Landshuter DJ und Produzenten Future Proof, dem sie für seine EP „People“ ihre Stimmen liehen – aus dieser Zusammenarbeit entsprang der Willing-Selves-Track „4Keeps“.

Dass hier eine elektronische Ästhetik überwiegt, wollen die beiden jedoch keineswegs als richtungsweisend verstanden wissen. Denn gerade sei es auch spannend für sie, wieder zu akustischen Instrumenten zurückzukehren, Anton an die Gitarre und Antonia ans Klavier. Das sei etwas, dass sie sich auch live vorstellen können. Für die Umsetzung der Musik auf der Bühne, wollen sie sich nun von ihrer bloßen Sängerrolle lösen und auch als Instrumentalisten auftreten.

Anton und Antonia sind dabei so etwas wie perlende Außenseiter der Münchner Szene. So ganz haben sie sich nie einer gewissen Ästhetik oder Linie angeschlossen, gleichzeitig zeigen sich ihre Veröffentlichungen immer überraschend und glitzernd anders – auch wenn es in der Musik nie um Verweigerung oder Rebellion gegen bestehende Ästhetiken geht.  Rita Argauer

Stil: Elektro/Pop
Besetzung: Antonia Schröpfer (Gesang, Klavier, Produktion), Anton Schröpfer (Gesang, Gitarre, Produktion)
Aus: München
Seit: 2016
Internet: www.facebook.com/willingselves

Text: Rita Argauer

Foto:
Florian Paulus/Kommando Kunst

Band der Woche: Cadet Carter

image

Von unermüdlich Strebsamen und gläsernen Decken des Musikgeschäfts: mit Cadet Carter wagen vier Musiker aus München erneut den großen Wurf.

Das Pop-Business lebt von wunderbaren Aschenputtel-Märchen: Menschen aus einfachen Verhältnissen finden in der Popmusik einen Ausdruck, der dem Zeitgeist entspricht, und schon sind sie weltberühmt, reich und schön, wobei sie letzteres im Idealfall vorher auch schon waren. Besonders in den USA wird diese Art der Karriere immer noch liebend gerne nacherzählt. Doch die viel größere Anzahl von Musikern fristet ein Dasein in der Mitte. In Deutschland ist dieses Mitte-Dasein sogar mehr oder weniger der Standard. Denn selbst Bands und Musiker, die hierzulande überregional besprochen werden und bekannt sind, können nur in wenigen Fällen von der Musik leben. Und richtig glamourös wird es sowieso nicht. Die Bands in der Mitte jedoch, die Touren fahren und auf überregionalen Labels veröffentlichen, die zeichnet alle eine besondere Hingabe, ja Leidenschaft aus. Es ist quasi die gläserne Decke der Popmusik, die hier nicht Frauen von den bestbezahlten Jobs in den Mega-Konzernen trennt, sondern den Großteil der deutschen Bands von den wenigen, die ein Pop-Star-Leben führen können.

Nick Sauter, in München bekannt als Sänger und Kopf der Band Pardon Ms. Arden, möchte es jetzt noch einmal wissen. Pardon Ms. Arden waren der gläsernen Decke schon ziemlich nah gekommen, nachgegeben hat die bei dieser Band allerdings nicht. Jetzt hat Nick mit Cadet Carter eine neue Formation gegründet, mit der erneut der Weg nach oben versucht wird: „Als Band gehen wir ganz klar All-In, wir wollen andauernd auf Tour sein, so viel spielen wie irgendmöglich und so viele Menschen mit unserer Musik erreichen, wie es geht“, erklärt Nick. Für Cadet Carter hat er nun Mitmusiker gefunden, die mit ihren vorherigen Bands alle ein gewisses Level erreicht hatten, dann sei jedoch „irgendetwas dazwischen gekommen, bevor es einen Schritt weiter gehen konnte“. Hardcore- und Punkbands waren das wie Gravity Lost und About An Author, bei denen der Bassist Pascal Theisen und der Schlagzeuger Benny Paska bisher gespielt hatten. Und von der Indie-Band The Backs stößt der Gitarrist John Bauer zu Cadet Carter dazu. Damit habe man eine „Konstellation gefunden, in der die Band für alle das Allerwichtigste ist, und jeder der Band alles unterordnet“, sagt Nick, und das sei für ihn der einzige Weg, wie Bands funktionieren könnten.

Musikalisch gesehen funktioniert diese Konstellation wie eine Zeitreise. Die Musik geht noch weiter zu den Wurzeln der Musiker zurück, Power-Punk und Fun-Punk, wie er Ende der Neunzigerjahre durch Blink 182 in den Mainstream gelangt war. Die Musik ist nicht mehr so indiefreundlich, wie das bei der britisch angehauchten Musik von Pardon Ms. Arden der Fall war. Cadet Carter klingen eine Spur härter und zielen mehr auf die Emo-Szene. Die ist zwar eine Nische, doch eine recht große, und verfügt über ein gut vernetztes und vor allem interessiertes Publikum. Das erste Album ist fertig, man hört dieser Band dabei an, wie genau die Musiker hier wissen, was sie tun: Die Harmonien, die einen mitnehmen, sind wohl geplant, während die verzerrten Gitarren drücken, aber nicht wehtun. Auch das Video zur ersten Single „Car Park Song“ passt genau: Glossy gefilmt spielt das Quartett auf einer Bühne, die auch in einem Stadion stehen könnte, das Publikum fehlt da noch, das könnte aber bald kommen. Ihr erstes Album werden sie im Januar 2018 auf dem überregionalen Label Uncle M veröffentlichen. Darauf erscheinen auch die Münchner Kollegen Blackout Problems, deren Fangemeinde ja durchaus schon eine gewisse Größe hat. Und mit den Donots ist dort auch eine Band unter Vertrag, die zumindest kurzzeitig die gläserne Decke in Deutschland durchbrochen hatte. 

Stil: Pop-Punk / Emo
Besetzung: Nick Sauter (Gesang, Gitarre), John Bauer (Gitarre, Gesang), Pascal Theisen (Bass, Gesang), Benny Paska (Schlagzeug)
Seit: 2016
Aus: München
Internet: www.cadetcarter.com

Text:
Rita Argauer 

Foto:
Käthe deKoe

Band der Woche: LaPrêle

image

Alex Laprell geht für sein Debütalbum “The Mirror” den klassischen Singer-Songwriter-Weg. Der war jedoch nicht ganz absehrbar: eigentlich wollte er Operngesang studieren. Wie gut, dass er sich irgendwann eine Gitarre zugelegt hat.

Graf von Krolock ist ein finsteres Wesen. Klar, immerhin ist der auch so etwas wie der Anführer im „Tanz der Vampire“. Das bringt die Figur dann allerdings auch in einen kleinen Konflikt, denn Krolock ist in seiner ganzen Blutgier und Finsternis auch ein bisschen komisch. In Roman Polanskis Film genauso wie im darauf basierenden Musical. Der„ Tanz der Vampire“ ist ein Extremfall, dort wird das Horror-Genre mit einer Komödie vermischt. Doch darin zeigt sich auch bisschen das allgemein Seltsame an Musicals. Diese Nachfolger der Operetten vermischen einfache Musik mit größtem Drama, was – wenn es gelingt – die höchste Kunst der Popmusik ist. Doch wenn es daneben geht, kippt die Musik schnell in künstliche Theatralität und Kitsch.

Wenn man sich das Debütalbum „The Mirror“ von Alex Laprell, alias LaPrêle, anhört, ist das Komischste daran die Vorstellung, dass diese feine Stimme einst besagten Grafen von Krolock sang. In einer Schulaufführung des Musicals sang er das Vampir-Oberhaupt. Zu dieser Zeit hatte Alex im Gymnasium Musikleistungskurs mit dem Schwerpunkt Gesang, eine Ausbildung im klassischen Fach folgte. Doch dann entschied sich Alex, der ursprünglich auch Operngesang studieren wollte, aber doch für Jura. „Nach dem Abi stand ich kurz davor, Operngesang zu studieren, aber mein Herz hat einfach nicht genug für die Klassik geschlagen. Und mir war auch der Erwartungsdruck in der Branche zu hoch“, sagt er. Erst viel später, während des Studiums, habe er sich dann eine Gitarre zulegt und sich das Spielen selbst beigebracht. Jetzt schreibt er Popsongs, die aber den theatralischen Geist seiner früheren musikalischen Prägung in sich tragen. Dabei ist es jedoch nicht so, dass Alex über seine Musik groß angelegte Geschichten erzählen würde. Er schreibt Musik mit lyrischen Texten, die mehr eine Stimmung hervorrufen, als durch eine konkrete Handlung tragen.

Die Theatralität liegt bei Alex im Detail, genauer in seiner Stimme. Denn dieser hört man an, dass sie einst dafür ausgebildet wurde, über kleine Nuancen und das Timbre zu psychologisieren, ja, mit der Stimme eine Rolle zu erschaffen. Alex kann so etwa seine Stimme zittern lassen, dass sich sofort eine große Unsicherheit in der Musik verbreitet, wie von jemandem, der mit der Welt hadert. Nie jedoch klingt es, als sei Alex in seiner Gesangstechnik unsicher. Diese feine Differenzierung zwischen dem Sänger Alex und der Stimmung, die der Sänger über seinen Gesang transportieren will, gelingt ihm dabei ziemlich gut.

Auf seinem Album, dass er gemeinsam mit seinem Freund Dominik Schmidt produziert hat, dient das besonders dazu, eine recht düstere Stimmung zu erzeugen. „Ich bin ein nachdenklicher Typ, und viel von der Düsterheit der Melodien und Texte spiegelt innere Themen wider, die ich in den vergangenen Jahren bearbeitet und aufgelöst habe“, sagt er. Textlich zeigt sich das dann etwa im Song „Home“, der auf den Satz hinaus läuft, das Gefühl von Heimat oder Zuhause sei ihm unbekannt. Oder „The coin has two sides“, in dem die Zeile „Enjoy the pain“ wieder und wieder gesungen wird. Am Anfang erscheint das etwas seltsam, weil er die Emotionen in seine Stimme presst, die dann bisweilen ein wenig jaulend klingt. Sobald man sich daran jedoch gewöhnt hat, entwickelt die Musik einen ähnlich wohlig-leidenden Sog wie das Conor Oberst bei den Bright Eyes hatte. Wenn die Arrangements, deren Grundgerüst meist aus einer einfach geschlagenen Akustik-Gitarre bestehen, dann mit Saxofon, Horn und E-Gitarre, sowie um zweite Stimmen ergänzt werden, bekommt die Musik eine Dimension, die über einfache Songwriter-Strukturen weit hinausgeht. 

Stil: Düster-Folk
Besetzung: Alexander Laprell (Songwriting, Gesang, Gitarre, Synthesizer), Dominik Schmidt (Produktion, Mixing, E-Gitarre, E-Bass, Drums, Synthesizer), und Gastmusiker
Aus: München
Seit: 2013
Internet: www.laprele.de

Text: Rita Argauer

Foto: Denise Stock

Band der Woche: Kraut & Ruhm

image

Wie ambivalent bayerische Tradition interpretiert werden kann, zeigt nicht zuletzt die Seehofer’sche Idee einer “Leitkultur”. Kraut & Ruhm demonstrieren eindrucksvoll, dass Mundart und Bläsersatz nicht zwangsläufig mit schwarzer Parteilinie gleichzusetzen sind. Im Gegenteil.

Nach seinen Klischees beurteilt sind Bayern und dessen Bewohner ein wenig schizophren. Einerseits gibt es hier eine strenge traditionelle Einstellung, die politisch zu einem beinahe Ein-Parteien-System führt und zu einem Image, für das das Wort Hinterwäldler noch zahm erscheint. Andererseits hatte man hier für kurze Zeit eine Räterepublik, Niederbayern ist für seine bitterböse und kritische Kabarett-Szene bekannt – und ein Anarchismus, in dem Sinne, dass Autoritäten angezweifelt und nicht ganz ernst genommen werden, gehört genauso zur Tradition. Unter diesem Aspekt ist vielleicht besser zu verstehen, dass jemand wie Hans Söllner in bester Mundart zu mehr oder weniger akustischen Reggae-Klängen staatskritische Inhalte in die Welt hinausbläst. Und unter diesem Aspekt ist es vielleicht auch veraltet, Popmusik, die in Mundart und unter den Insignien anderer bayerischer Traditionen geschrieben wird, von vorne herein als konservativ anzusehen und zu bezeichnen.

Die Band Kraut & Ruhm (Foto: privat) siedelt sich in genau diesem Spektrum an. Schon das Bandfoto ist mit allerhand Traditionsinsignien ausgestattet: Das Sextett, das sich ursprünglich in Jetzendorf, einem laut Selbstbeschreibung „wunderschönen Kuhkaff, circa 50 Kilometer von München entfernt“ zusammenfand, präsentiert sich an einem Stammtisch – samt Bier und der Düsternis, die man gemeinhin solch tradierten Unternehmungen wie Stammtischen unterstellen könnte. Doch musikalisch und textlich begeben sich die Musiker, die mittlerweile in München leben und studieren, in eine politische Ecke, die man gemeinhin eher dem Punk zuschreibt. Gar als „linksradikal“ bezeichnen sie sich, zumindest die Gesinnung, die die Musiker als „Überbleibsel“ aus früheren Teenager-Zeiten in Punkbands mitbringen. Jetzt klingt das musikalisch zumindest alles zahmer: Die Gitarren tragen über Off-Beats ein wenig Reggae-Flair, hinzu kommen Bläsersätze und ein sanft begleitendes Schlagzeug. Sänger Domä nimmt dazu, etwa im Song „Obacht“, fast eine Moritaten-Attitüde ein, wenn er über soziale Missstände singt. Strukturell erinnert das an die Tradition der Gstanzl-Sänger: Anekdotische Strophe reiht sich an anekdotische Strophe und dazwischen folgt in einer Art Refrain, der harmonisch aber gleich zur Strophe bleibt, die Moral der Geschichte. Und damit nehmen Kraut & Ruhm noch einen anderen Aspekt bayerischer Volksmusik in ihre Musik auf, als das etwa ein Großteil der zuletzt angesagten Bayern-Beat- und La-Brass-Banda-Bands taten.

Den Gesang im Dialekt betrachten sie dabei aber keineswegs als dogmatisch. Sängerin Miri habe etwa immer noch Probleme damit, in Mundart zu singen, deshalb übernimmt sie die englischen Passagen, die es in manchen Songs genauso gibt. Sie hätten Musik „schon immer als eine Möglichkeit wahrgenommen, auf gesellschaftliche Missstände oder Problematiken hinzuweisen“, erklären sie. Als sie in Teenager-Jahren Bob Marley entdeckten, sei der Reggae-Einfluss hinzu gekommen. Dennoch geht es bei Kraut & Ruhm nicht nur um Dinge, die die Musiker als „verbesserungswürdig“ betrachten, also „die menschliche Gier nach Geld und Macht, Ausbeutung von Umwelt und Mitmenschen, Intoleranz“, sondern auch ein gewisser Spaß am Exzess, ganz zünftig etwa um eine „koide Mass auf der Wiesn“. Ob sie damit einen nächsten Wiesn-Hit auf dem Oktoberfest landen werden, wo die bayerische Kultur erfolgreich in Kommerz verwandelt wurde, bleibt fraglich. Denn dem Kommerz ist die Musik und die Haltung der Musiker recht fern. Dass sie deshalb auch eher im alternativen Indie-Bereich stattfinden, etwa 2016 mit einem Auftritt auf dem – in dieser Szene doch sehr traditionellen – Puch-Festival, ist viel stimmiger. 

Stil: Mundart-Mashup
Besetzung: Dominik „Domä“ (Gesang), Miriam Bettaieb (Gesang), Felix „Feeel“ Schneider (Gitarre, Background-Gesang), Simon „Seimen“ Seufert (Gitarre), Dominik „Gürti“ Gürtner (Bass), Max „Dr. Drum“ Schneider (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2016
Internet: www.krautundruhm.com

Text: Rita Argauer

Foto: Privat

Band der Woche: Pho Queue

image

Songs an der “Schnittstelle zwischen
Auflegen und Musikmachen”, zwischen “elektronischer Musik und Ensemble-Arbeit”: das Münchner Trio Pho Queue beweist, dass computerbasiertes Soundgdesign keinen Gegensatz zu anspruchsvoller Komposition darstellt.

Wenn man vor 40 Jahren elektronische Musik machen wollte, musste man gut bei Kasse sein. Die ersten Synthesizer, die ansatzweise dem entsprachen, was man sich heute darunter vorstellt, kosteten so viel wie ein Haus. Entwickelt wurden sie von Robert Moog, und sie waren noch monophon – sie konnten also immer nur einen Ton zur gleichen Zeit erzeugen. Mit Akkorden ging da nichts, der Weltraum-Ufo-Klang passte aber zum damaligen Mondlandungsgefütterten Science-Fiction-Geist.

Heute ist der Synthesizer, der das Zeitalter der elektronischen Musik einläutete, hingegen wohl eher ein Demokratisierungsinstrument der Musik. Denn während man für die Beherrschung der üblichen Instrumente Unterricht braucht, ist es einfach und selbst erlernbar, auf einem Synthesizer zu spielen; man braucht dafür viel mehr Ideenreichtum und Experimentierfreude als technische Beherrschung. Sowieso ging die Entwicklung der elektronischen Musik zwangläufig mit der Entwicklung neuer Instrumente einher – und diese zu spielen, ist etwas, dass man neben der Musik quasi mit hinzu erfinden muss.

Für den Münchner Felix Kirner zeigte sich das in seiner Jugend an einem noch extremeren Beispiel als dem Synthesizer, den er heute bei der Band Pho Queue spielt: Mit 13 Jahren sei er durch das Auflegen zur Musik gekommen: „Am Turntablism hat mich damals speziell interessiert, dass sich der Plattenspieler als Instrument einsetzen lässt und man so neue Musik kreieren kann“, sagt er. Im März 2017 gründete er mit Adriano Prestel (auf dem Foto rechts neben Felix Kirner) und Ferdinand Kirner die Band Pho Queue. Ein etwas wirrer Name, der diverse Assoziationen zulässt, von einem vietnamesischen Suppengericht zur oft belächelten englischen Sitte, sich bei jeder Gelegenheit in Reihen anzustellen, hin zum Billard-Stoßgerät und dem Homophon zu VoKü, der Abkürzung für Volksküche, im linken Punkbereich beliebt, um günstiges Essen für alle bereitzustellen. Die Band selber verweist dabei konsequent auf die Suppe, denn beim Genuss dieser hätten die drei Musiker beschlossen, doch mal zusammen zu musizieren.

Letztlich ist das jedoch auch alles nicht so wichtig, denn spannender ist hier die Musik: Pho Queue ist eine Band, die sich genau an der Schnittstelle zwischen Auflegen und Musikmachen und zwischen elektronischer Musik und Ensemble-Arbeit befindet. Eine klassische Bandbesetzung wird hier durch elektronische Elemente erweitert und ersetzt. Pho Queue schreiben aber weiterhin eher Songs und keine Tracks. Denn darin befindet sich der vielleicht substanziellste Unterschied zwischen Band-Musik und DJ-Musik. Die Tracks der DJs sind beatbasierte, meist instrumentale Endlosschlaufen, die durch Modulation und Addition von Geräuschen und anderen Klängen der Stimmung im Club angepasst werden. Band-Songs hingegen orientieren sich meist am Gesang, aber auch an Strukturen wie Strophen und Refrains. Pho Queue schreiben nun Songs, die sich am souligen und breiten Gesang von Adriano Prestel entfalten, deren musikalische Substanz sich aber aus dem Turntablism und der Ästhetik von DJ-Tracks ergibt. Auch in ihrer Besetzung vollzieht das Trio die Verbindung dieser beiden Herangehensweisen: Die Brüder Felix und Ferdinand Kirner spielen Gitarre und Synthesizer – auch hier werden also die jeweiligen Signature-Instrumente von elektronischer Musik und Bandmusik vereint. Ohne den ganzen theoretischen Hintergrund klingt etwa der Song „Downtight“ dann nach modernem Soul, der den Geist der Clubs atmet. Ihren ersten Auftritt hatten sie auf dem FNY-Festival in einer Tiefgarage im Werksviertel. Gerade arbeiten sie an einem ersten Album.

Stil: Soul/EDM
Besetzung: Adriano Prestel (Gesang), Felix Kirner (Synthesizer), Ferdinand Kirner (Gitarre)
Aus: München
Seit: 2017
Internet: www.soundcloud.com/phoqueue


Text: Rita Argauer

Foto: Sophie Wanninger

Band der Woche: Django S

image

Die Jungs von
Django S bezeichnen ihren Musikstil als „Bavarian Madness“. Sie feiern politisch, provokant und mit großer Lust an inszenierter Prolligkeit das Musiker-Leben.

Dass Bayern in Pop-Deutschland mal wenigstens so ein bisschen beliebt werden konnte, überrascht. Bayern zeigte sich ja bisher eher glanzlos im Vergleich zu den deutschen Pop-Städten Berlin und Hamburg. Und auch, wenn da auf der nördlichen Seite viel Selbstüberschätzung und auch ein bisschen ignorante Arroganz dabei gewesen sein durfte: Mit Ausnahme von solch ausgesprochen geschmackssicheren und gleichzeitig mit hübschestem Understatement ausgestatteten Gruppen wie Slut aus Ingolstadt oder The Notwist aus Weilheim, hatte Bayern bis Mitte der Nullerjahre deutschlandweit relativ wenig zum aktuellen Pop-Geschehen beizutragen.

Mit dem Understatement war es dann jedoch schlagartig vorbei, als plötzlich auch die Rest-Republik auf den protzig-prolligen und Blaskapellen-geschulten La-Brass-Banda-Sound tanzte. Wenn schon Bayern, dann richtig Bayern. Plötzlich gab es diverse Tubas, Trompeten oder Posaunen, alle mit einfachen Vor- oder Nachschlägen, die die mehr oder weniger lustigen Mundart-Texte der jeweiligen Sänger antrieben.

Nun, diese Zeit ist jetzt auch schon wieder vorbei. Deshalb wirkt es auch fast ein wenig rückwärtsgewandt, wenn Django S ihren Musikstil weiterhin vehement als „Bavarian Madness“ bezeichnen, die sie dann auch gleich zu Lebenseinstellung und Lifestyle erheben. Wenn man jedoch in deren neues Album „Mund auf, PU-Schaum“ hineinhört, katapultiert es einen eigentlich gleich noch ein Jahrzehnt weiter nach hinten. Von den früheren Misch-Versuchen von Balkan- und Bayern-Beat hat sich das Septett mittlerweile verabschiedet. Auf dem neuen Album wird ein Stil revitalisiert, der Ende der Neunzigerjahre zuletzt an der Pop-Oberfläche schwamm: Ska-Punk, also Bläser und verzerrte Gitarren, die geballte Faust auf dem Albumcover im Stil sozialistischer Wahlplakate der Weimarer Republik sowie der Eröffnungsbrüller „Geld oder Leben“. Dessen Text darf man hier durchaus mehr metaphorisch und weniger im Wild-West-Stil verstehen: Django S machen in diesem Song den Gegensatz zwischen einem guten Leben und einem gut bezahlten Job auf. Da klingelt einem die provokativ-assoziale Hymne „Unemployed“ der Deutsch-Punk-Band Wizo in den Ohren, hinzu kommen breitbeinig rockistische Gitarren und eine Stimme, die mit Absicht ein bisschen tiefer gedrückt wird, als sie eigentlich klingen könnte. Eine ziemlich prollige Angelegenheit. Das erinnert rein musikalisch an Neunzigerjahre-Bands wie Dog Eat Dog. Oder eben aktuell an Kraftklub, was auch zum aktuellen britischen Hooligan-Look von Django S auf deren Fotos passt.

Genauer betrachtet ergibt das alles Sinn: Django S befinden sich gerade an der Grenze vom Studenten-Dasein zum Berufsleben. Das bedeutet nicht nur, dass sie das Ende der Neunzigerjahre noch als Pop-Hörer und frühe Teenager mitbekommen haben dürften, sondern auch, dass der Lebenslauf in diesem Alter in ein Arbeitsleben kippt, das im Normalfall weniger vom Party-Band-Dasein bestimmt wird. Django S sind eigentlich ganz bürgerlich aufgestellt: Alle Mitglieder haben entweder einen Ingenieurs-Beruf studiert oder studieren so ein Fach gerade noch. Doch bevor die Entscheidung zwischen Geld oder (Rocker-)Leben letztlich getroffen werden muss, feiern Django S noch einmal politisch, provokant und mit großer Lust an inszenierter Prolligkeit das Musiker-Leben. Das dürfte auch schon arbeitenden Menschen gefallen. Als Ausbruch. Etwa auf einem Konzert, am Freitag, 6. Oktober, im Münchner Backstage. Ein passender Ort, an dem solche Musik sowieso nie aufgehört hat und seit den Neunzigerjahren wunderbar existiert. 

Stil: Ska/Rock/Brass/Punk
Besetzung: Leonard „Dr. Faxe“ Spies (Gesang, Gitarre), Klaus „Motschep“ Moser (Bass, Gesang), Martin „Maschd“ Brandl (Gitarre), Valentin „Vallus“ Limmer (Schlagzeug), Simon „Seamon“ Maier (Trompete), Raphael „Azrael“ Opperer (Posaune), Simon „Vladi“ Ladner (Trompete)
Aus: Rosenheim, München
Seit: 2010
Internet: www.suridjangos.de

Text: Rita Argauer

Foto:
Phil Pham