Strandkinder

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Cornelia Heißig und Raphael Buchberger entwerfen Schmuck aus Muscheln. Nun wollen sie ein junges Kollektiv gründen.

Fast drei Stunden sind sie mit dem Roller quer durch den Dschungel gefahren, ohne genau zu wissen, was sie erwarten würde. Erst einen Tag zuvor ist ihre erste Schmuckkollektion endlich fertig geworden, haben Location und Models dem Fotoshooting zugesagt. Am Ende des Tages sind die ersten Bilder für ihr Lookbook fertig und C

ornelia Heisig und Raphael Buchberger überglücklich. Die beiden erzählen so lebhaft von ihrem kleinen Abenteuer, als wäre es gestern gewesen. In Wirklichkeit hat die Reise nach Bali bereits letztes Jahr stattgefunden.

Cornelia und Raphael reisen gerne, am liebsten gemeinsam und ans Meer. “Wir sind beide Strandkinder”, sagt die 24-Jährige. Von ihren Reisen bringen sie immer Andenken mit, vor allem Muscheln. Einige Male hat Cornelia auch probiert, aus den mitgebrachten Muscheln Schmuck zu basteln, aber nie war das Ergebnis zufriedenstellend. Bis sie schließlich auf die Idee kam, eine Halterung zu entwickeln, mit der man die Muschel an einem Armband befestigen kann, ohne sie kaputt zu machen. Als sie Raphael von ihrer Idee erzählt, präsentiert der 25-Jährige ihr gleich am nächsten Abend ein Logo und eine fast fertige Homepage. Die Idee Pöf Pöf Jewelery war geboren.

Pöf Pöf? “Ich habe mindestens 100 Spitznamen für Conni und einer davon ist Pöf”, sagt Raphael. Was der Kosename bedeuten soll, wissen die beiden, die seit knapp zwei Jahren auch privat ein Paar sind, selbst nicht mehr so genau. Fest steht nur: Statt einen Namen zu nehmen, der komplett austauschbar ist, wollten sie einen Namen für ihr kleines “Herzensprojekt”, wie sie es nennen, der persönlich ist. Ein Name, der etwas mit ihnen und ihrer Leidenschaft, dem Reisen, zu tun hat.

Allein mit einem Namen und einer Homepage war es aber natürlich nicht getan, das wussten Cornelia und Raphael. Denn mit der Herstellung von Schmuck kennen sie sich zwar nicht aus, dafür aber umso mehr mit Marketing. Er, der große, junge Mann mit dem braunen Wuschelkopf, der Creative Technology mit Schwerpunkt Design studiert hat und schon seit er 19 Jahre alt ist neben seinem festen Job als Freelancer arbeitet. Sie, die zierliche Blondine, die erst eine Ausbildung zur Marketingkauffrau gemacht hat und jetzt Tourismus-Management an der Münchner Hochschule studiert und nebenbei als Werksstudentin jobbt. Nachdem klar wird, dass Pöf Pöf nicht nur eine Idee bleiben soll, überlegen sich die beiden, wie man die erforderliche Halterung aus Fimo-Knetmasse basteln kann.

Mit einem ersten Modell geht Cornelia zu einer Münchner Goldschmiedin. Das Ergebnis ist schön, soll aber fast 500 Euro kosten. “So viel wäre niemand bereit gewesen zu zahlen”, sagt Raphael, der Pragmatiker des eingeschworenen Zweier-Teams. Die beiden erinnern sich schließlich an die Straßen auf Bali in Ubud, in denen sich Silberschmied an Silberschmied reiht. Zufälligerweise ist Raphaels Bruder gerade vor Ort und macht eine Schmiedin für die beiden ausfindig, die erste Samples anfertigt. Raphael und Cornelia sind begeistert und buchen sofort einen Flug. Vier Wochen verbringen sie auf Bali, arbeiten bei 30Grad im Schatten und kehren schließlich mit ihrer ersten eigenen Kollektion nach Deutschland zurück. Im Gepäck viele Armbänder mit Herzmuscheln und Schneckenmuscheln – für andere Muschelformen gibt es aktuell noch keine Halterung.

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Das Paar arbeitete anfangs noch mit Muscheln, die sie selbst gefunden haben. Nun beziehen sie diese aber auch von einem französischen Hersteller, der Muscheln importiert. Langfristig sollen ihnen, so die Idee, die Kunden aber selbst gesammelte Muscheln schicken, die sie zu ganz persönlichen Schmuckstücken fertigen. “Wear your memories” lautet das Motto. Ein solches Armband kostet dann zwischen 60 und 80 Euro. Billiger könnten sie die Bänder nicht verkaufen, sagen sie, denn die Schmiedin auf Bali fertige die Verschlüsse und Halterungen, in Deutschland setzt Cornelia jedes Armband zusammen – alles per Hand. Dem jungen Paar ist bewusst, dass sich damit keine Millionen erwirtschaften lassen, doch sie haben schon neue Pläne: Pöf Pöf soll irgendwann nicht mehr nur ein Schmuck-Label sein, sondern für einen Lifestyle stehen.

“Fast jede Woche wird in München ein neues Start-up gegründet”, sagt Raphael. Ihr Ziel sei es, all diese jungen Kreativen zu vernetzen, denn bislang gebe es kaum Austausch, sagt Raphael. Angst, jemand könnte ihre Idee klauen, haben sie nicht und verstehen deshalb auch nicht, warum diese Angst in Deutschland so verbreitet ist. Die Hilfsbereitschaft untereinander sei deshalb leider häufig gering. Auch von der Stadt München würde sich Cornelia, vor allem für junge Mode- und Schmucklabels, mehr Unterstützung wünschen. Die Unterstützung von jungen Kreativen beschränkt sich für ihren Geschmack zu sehr auf die Musikbranche und technische Innovationen. Im Sommer planen sie deshalb eine erste Veranstaltung zum Thema Reisen, bei der sich junge Menschen über ihre Reiseblogs und andere Ideen austauschen können. Langfristig ist auch eine Art Kollektiv geplant. Der Name steht schon fest: Kartell di Monaco. Wer genau diesem Kollektiv angehören soll und wofür es stehen wird,ist allerdings noch unklar. Cornelia und Raphael, die ihre Sätze gerne gegenseitig beenden, planen nicht gerne lange im Voraus – weder auf ihren zahlreichen Reisen noch bei der Arbeit.

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Die meisten Kooperationspartner, die sie angeschrieben haben, seien begeistert von ihrer Idee, dass man gemeinsam mehr erreichen könne als alleine, sagt Cornelia. Natürlich sei das nicht immer so gewesen. “In den meisten Fällen wartet niemand auf dich und deine Idee”, sagt Cornelia. Gerade am Anfang sei das schon teils sehr frustrierend gewesen. Denn trotz dem geringem finanziellem Risiko – gemeinsam haben sie bislang 4000 Euro Eigenkapital in Pöf Pöf investiert – steckt viel Zeit und Herzblut in dem Projekt.

Doch es hat auch Vorteile, wenn das Team nur aus zwei Menschen besteht, die sowieso gerne Zeit miteinander verbringen: Man kann gemeinsam aus seinen Fehlern lernen, an ihnen wachsen und vielleicht sogar irgendwann das gemeinsame Hobby zum Beruf zu machen. So weit in die Zukunft wollen die beiden jungen Münchner aber nicht planen – noch nicht.

Text: Jacqueline Lang

Fotos: Privat

Lernen, mit weniger zufrieden zu sein

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Schneehose statt Bikini: Andrea Lerchl und Clara Kaufhold gehen auf eine Hundeschlittenfarm nach Lappland. Ein Gespräch vor einer spannenden Reise.

Es gibt den Schnee, die Hunde, die Natur. Und dann irgendwann kommen die Menschen. Einsam ist es dort, wo Andrea Lerchl, 22, und Clara Kaufhold, 26, das kommende halbe Jahr verbringen: Die jungen Frauen fahren nach Äkäskero in Nordfinnland, um auf einer Hundeschlittenfarm zu arbeiten, gegen Kost und Logis. „Mit Sonnenaufgang fangen die Hunde an zu heulen“, sagt Andrea, genannt Annie. Dann heißt es aufstehen, anziehen, arbeiten. Die 500 Huskys füttern. Sie in die Schlitten spannen. Schnee schippen. Flächen enteisen.

München im Frühling. An der Isar wird gegrillt, Kinder schlabbern zufrieden das erste Eis des Jahres. Letzte Vorbereitungen bei Annie und Clara, bevor es losgeht. Sachen packen, Zimmer untervermieten, sich irgendwie vorbereiten auf das, was kommt. In Äkäslompolo, der nächstgelegenen Ortschaft, wohnen gerade einmal vierhundert Menschen. Der nächste Supermarkt ist nur mit dem Auto zu erreichen. Und im April ist es dort noch empfindlich kalt. Nachts wird es bis zu minus 11 Grad. Bis alles komplett abgetaut ist, dauert es.

Warum machen Menschen so etwas? In die Kälte fahren, wenn daheim der Sommer anbricht, die Leute ihre Flipflops rausholen? Clara überlegt kurz, sagt dann: „Ich war mal in Dänemark und dachte: Was ein kaltes, trübes Land.“ Nicht die beste Einstellung, um sechs Monate nach Lappland zu gehen. Aber: Die Natur fehle ihr, die Tiere, das Grün. Clara hat Veterinärmedizin studiert, Schwerpunkt Pathologie, promoviert nun, „hockt den ganzen Tag auf dem Hintern“, wie sie es ausdrückt. „Ich hoffe, ich finde dort die Zeit und die Ruhe, in mich zu gehen und mich auch mal von der ganzen Technik zu distanzieren. Facebook, Twitter … Ich bin das Internet so leid.“ Annie nickt zustimmend. Es gehe ihnen auch um Verzicht. Verzicht auf Konsum, auf Medien. „Ich würde gern lernen, mit weniger glücklich zu sein“, sagt Clara.

Das klingt nach Weltflucht. Zu sich finden, in Schneehose und Bergschuhen. Hundeschlitten fahren und Eisfischen, im Sommer dann Beeren sammeln, die Mittsommernacht genießen. Erlebnisurlaube wie diese haben Konjunktur. Die Farm, auf der die beiden arbeiten werden, bietet genau das an. Wer als Gast kommt, zahlt mindestens 1700 Euro für eine Woche Abenteuer. Viel Geld für ein paar Tage in Abgeschiedenheit. Doch Annie und Clara machen keinen Urlaub. „Morgens Hunde kuscheln, abends in die Sauna und dazwischen noch ein selbstgebrannter Schnaps? So wird das nicht, das weiß ich. Man muss arbeiten. Bei jedem Wetter.“ Theaterwissenschaftsstudentin Annie war schon einmal auf einer solchen Farm. Da hatte sie gerade ihr Soziologie-Studium geschmissen, brauchte einen Ort zum Runterkommen, um herauszufinden: Was will ich eigentlich? Finnland, sagt sie, sei schon immer ein Kindheitstraum gewesen. Sie ist Metal-Fan, Länder wie Finnland, Schweden oder Norwegen gelten als Zentren der Szene. Also ist sie 2013 ein erstes Mal in das Land gefahren, das sie so sehr faszinierte.

Doch damals war Annie nur sechs Wochen da, wohnte auf einer Ranch ein Stück weiter südlich. Und: Sie war allein. Da war keine Freundin, mit der es sich zu arrangieren galt. Anfangs, gibt Annie zu, habe sie gezweifelt, ob es wirklich die beste Idee sei, zu zweit zu fahren. Ein Gap Year in Lappland ist etwas anderes als Backpacking in Australien. Die Natur fordert, man muss sich nach ihr richten.

So weit im Norden erwartet man die Dunkelheit. Und findet sie doch nicht. Der Schnee reflektiert permanent das Licht, auch nachts. Tagsüber kann es so grell sein, dass man eine Sonnenbrille braucht. Später, wenn der Mittsommer kommt, geht die Sonne kaum noch unter, der Schlafrhythmus wird irritiert. Hinzu kommt die Stille: keine Autos, keine Menschen. Es ist so ruhig, man hört jeden Schritt im torfigen Schnee, den eigenen Herzschlag. Annie erinnert sich an ihre erste Tour und sagt: „Das war emotional richtig belastend.“

Um diese Eindrücke zu verarbeiten, braucht man Raum. „Ich halte uns für erwachsen genug, dass wir auch mal einen Streit aushalten, ohne dass eine von uns gleich heulend nach Hause fährt“, sagt Clara. Vor der Reise haben sie oft darüber gesprochen: Wie gehen wir mit Streit um? Wie finden wir eine Basis fürs Zusammenleben? Nicht zu viel erwarten – von einander, wie von der Reise, das haben sie sich vorgenommen.

Aber geht das überhaupt? Gerade für Clara ist diese Auszeit mit einigen Entbehrungen verbunden. Sie lässt ihren Freund zurück, ihre Haustiere, hat ihren Job gekündigt, ihre Promotion ruht. Um sich für die Zeit selbst versichern zu können, hat sie zudem viel sparen müssen. „Natürlich bin ich nervös“, sagt Clara. Sie hat sich auf verschiedene Stipendien beworben, um die Promotion später fortsetzen zu können, wird auch – während sie in Finnland ist – Bewerbungen schreiben, für die Zeit danach. Ängstlich wirkt sie dennoch nicht. Am Ostermontag ist es losgegangen, Roadtrip mit Claras Auto, durch Osteuropa hoch nach Finnland. „Ich freue mich so, wieder Tiere in meinem Leben zu haben“, sagt Annie. Da lächeln beide. 

Auf ihrem Blog “two wild things” kann man sehen, wie es den beiden auf ihrer Reise so geht.


Text: Carolina Heberling

Foto: Robert Haas

Unterwegs im Seidenkleid

Sibylle Randoll reist auf den Spuren ihrer Ahnen durch die USA
– zu besonderen Anlässen im blauen Seidenkleid.

Wie gut, dass ihr langweilig war an diesem Weihnachtstag im Jahr 2012. Sibylle Randoll entdeckte im Schrank ihrer Schwester das Tagebuch ihres Ururgroßvaters und begann, darin zu blättern. Schnell war sie vertieft in die Geschichte von Otto Dahl, dem jungen Lederfabrikanten aus Wuppertal, der im 19. Jahrhundert nach Amerika reiste. Der Hudson River! Die Indianer! Die Niagara-Fälle – dieselben Wasserfälle, die Sibylle Randoll selbst bei einem Auslandsaufenthalt besucht hatte. „Als ich das gelesen habe, war ich sofort angefixt“, sagt sie. Und hatte von diesem Tag an die Idee im Kopf, die Route ihres Ururgroßvaters nachzureisen.

Die junge Frau mit dem ungebändigten blonden Haar und dem Grübchen im Kinn hat etwas Resolutes an sich. Wenn nicht jetzt, wann dann? Denn Sibylle ist jetzt 26 – genauso alt wie ihr Ururgroßvater damals. Otto Dahl hatte sich im Jahr 1880 mit seinem Vater überworfen. Kurz entschlossen buchte er ein Ticket auf einem Ozeandampfer. In Amerika kam er bei deutschen Bekannten unter, arbeitete in New York und Chicago. Im damals noch wilden Westen lernte er neue Techniken der Lederverarbeitung, jagte Hirsche und traf Indianer. Fürs Sightseeing blieb das Wochenende. „Es war eine Art Work and Travel – nur eben 1880“, sagt Sibylle. Eineinhalb Jahre sollte die Reise dauern. Als die Nachricht vom Tod des Vaters eintraf, kehrte Otto Dahl zurück und übernahm die Firma in Deutschland.

Seine Amerika-Route will Sibylle Randoll nun nachfahren. „Barmen to Bozeman“ heißt ihr Reiseprojekt: von Barmen im heutigen Wuppertal bis ins verschlafene Bozeman in Montana. Statt in die USA zu fliegen, sticht Sibylle am 4. Mai mit einem Luxusdampfer in See – es ist ihr erstes Mal auf einem Kreuzfahrtschiff. In den USA will sie nicht mit dem Auto, sondern mit der Eisenbahn unterwegs sein: Auf ihrer Strecke liegen New York, die Niagarafälle, Chicago, Salt Lake City and der Yellowstone-Nationalpark.

Es soll eine bewusst entschleunigte Reise werden, sagt sie. „Wir jetten heutzutage für ein Wochenende um die halbe Erde. Wie ist es so, langsam zu reisen?“ Zumindest auf der Fahrt nach Bozeman wird Randoll der Route ihres Ururgroßvaters so treu wie möglich bleiben.

Auf ihrem Blog explories.de will sie zweisprachig über die deutsche Kultur in Amerika berichten. Schon lange interessiert sich Sibylle für Kultur-Exklaven. Bei einem Aufenthalt in der ehemaligen Kolonie Namibia war sie überrascht, wie lebendig die deutsche Kultur dort teilweise noch ist. „Dort schauen viele am Sonntagabend den Tatort und sprechen beim Abendessen über Merkel.“

In den USA stellen Deutsche historisch gesehen die größte Einwanderergruppe – und haben Spuren hinterlassen: Die Brooklyn Bridge etwa wurde von einem Ingenieur aus Thüringen geplant. Sibylle möchte herausfinden, wie aktiv deutsche Kultur in den USA heute gelebt wird. „Zieht man sich einmal im Jahr ein Dirndl zum Oktoberfest an oder ist das noch im Alltag verankert?“ Sie will in den USA deutsche Restaurants testen und zu Treffen und Festen der deutschen Communitys gehen.

Ausgewanderte Deutsche haben damals auch Otto Dahl aufgenommen, der für sie gearbeitet und bei ihnen übernachtet hat. Ein paar Pflichttermine hat Sibylle schon: die Steuben-Parade in New York, das German Fest in Milwaukee und der German-American Day am 6. Oktober. Das erste Meeting steht jedenfalls schon fest: Bei der Ankunft in New York hat sie das deutsche Generalkonsulat zum Lunch eingeladen.

Auffallen dürfte sie auf jeden Fall: An den wichtigsten Tagen der Reise möchte Sibylle ein blauglänzendes Seidenkleid tragen, das sie extra nach der Mode des 19. Jahrhunderts hat anfertigen lassen. Das „Nachmittagstee- und Spaziergehkleid“, wie sie es nennt, füllt einen halben Koffer und besteht aus sieben Schichten, mit Korsett und Kragen. Gegen Regen schützt der Schirm der Urgroßmutter, der mehr als hundert Jahre alt ist. Nur das Po-Kissen aus modernem, leichten Material und der Reißverschluss fallen historisch aus der Reihe: Schließlich muss Sibylle das schwere Kleid selbst anziehen können.

Für Sibylle ist das Projekt auch eine Möglichkeit für Sightseeing abseits der ausgetretenen Pfade. „Ohne meinen Ururgroßvater wäre ich nie auf die Idee gekommen, nach Bozeman zu fahren. Warum auch?“

Sibylle hat BWL und Tourismusmanagement studiert und ist in der Welt weit herumgekommen: Allein fürs Studium war sie in den Niederlanden, Peru, Dänemark, Slowenien, Spanien und Namibia. Überraschen kann sie die USA-Reise trotzdem noch, meint sie. Ein Baum, den ihr Großvater damals skizziert hat, steht immer noch, nach 136 Jahren. „Was ich da fühlen werde, wenn ich mit der Zeichnung meines Ururgroßvaters dort stehe“, sagt Sibylle und sucht kurz nach Worten. „Darauf bin ich sehr gespannt.“

Von: Elsbeth Föger

Foto: Benjamin Behringer

Wieder unterwegs

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Ein Unfall ändert für Marko Baader, 21, alles. Wer auf einen Rollstuhl angewiesen ist, leidet unter großen Einschränkungen. Sogar ein kleiner Tagesausflug wird zu einer logistischen Herausforderung. Das wollte Marko ändern und gründete eine Autovermietung für Rollstuhlfahrer

München – Den 2. April 2011 wird Marko Baader, 21, nie vergessen. Er feiert mit seinen Freunden und will schnell zur Tankstelle, um sich etwas zu essen zu kaufen. Er stolpert und stürzt mit dem Kopf gegen eine Mauer. Dabei bricht er sich drei Halswirbel.
Als er aufwacht, realisiert er nur langsam, was mit ihm geschehen ist. Seine Freunde reihen sich um sein Bett, in ihren Augen stehen Tränen. Marko glaubt erst, es sei ein Albtraum. Er will sprechen, aber daran hindert ihn ein Luftröhrenschnitt. Er kann nichts sagen, nicht fragen, als er erfährt, dass er von nun an querschnittsgelähmt ist.

Marko liegt wochenlang auf der Intensivstation, schließlich kommt er in die Reha. Er lernt wieder, einen Arm zu heben, aber der restliche Körper bleibt gelähmt. Marko fällt in tiefe Depressionen. Er will nicht mehr leben.
Währenddessen versucht sein Vater, Joachim Baader, einen elektrischen Rollstuhl aufzutreiben. Die Vereinbarung mit der Kasse sieht dafür zunächst keine finanziellen Leistungen vor. Es heißt, die Familie müsse die immensen Kosten selbst übernehmen. Sie starten Spendenaktionen, veranstalten Benefizkonzerte, verteilen Flyer, das Bayerische Fernsehen schaltet sich ein. Am Ende zahlt die Kasse doch einen Großteil und es kommt viel mehr Geld zusammen als erhofft.

„Wir wollten der Gesellschaft etwas zurückgeben“ sagt Joachim Baader. So kauften er und Marko von dem finanziellen Überschuss einen Bus und gründeten die wheels4wheels, eine Autovermietung für Rollstuhlfahrer.
An den Rollstuhl gebunden sind Menschen mit Behinderung enorm eingeschränkt: Mobilitätspauschalen ermöglichen es zwar, zwischen Wohngruppe und Familie hin und her zu pendeln. Und im Krankheitsfall zahlt die Kasse ein Taxi zum Arzt. Aber für einen Tagesausflug mit Freunden, raus in die Natur, gibt es kaum Kapazitäten. Da kommt das sogenannte PlegiCar von wheels4wheels gerade richtig. Sein Gehäuse birgt Platz für mehrere Rollstühle, verfügt über eine spezielle Bodenverankerung und ist mit einer hydraulischen Hebebühne ausgestattet. „Es ist wahnsinnig wichtig, dass die Leute aus ihren vier Wänden rauskommen“, finden Marko und Joachim Baader, „dass sie merken, sie sind noch am Leben!“
Doch da die Miete für solch einen Bus sehr teuer ist, haben sich Vater und Sohn außerdem für eine Gemeinnützigkeit eingesetzt. Inzwischen gibt es zwei Busse, die aber noch nicht abgezahlt sind. Bald kommt vielleicht ein dritter Bus hinzu. Spendengelder können dabei helfen, die Kosten zu deckeln und die Fahrten günstiger anzubieten.

Marko erzählt von einem Freund aus seiner Wohngruppe, der an Muskeldystrophie leidet und 24 Stunden am Tag beatmet werden muss. wheels4wheels erfüllte ihm vor zwei Jahren noch einen lang ersehnten Traum. Begleitet von Pflegern und Familie, fuhr er ins Disneyland nach Paris. Aber das PlegiCar soll nicht nur Menschen mit Behinderung dienen. Marko und sein Vater wollen auch Senioren im Rollstuhl ermöglichen, „mit Nahestehenden auf Entdeckungsreise zu gehen“.

Inzwischen war der Bus mit seinen Gästen schon in Brüssel, London, in Kroatien und Österreich. Marko ist begeistert. Denn der Bus bietet viel mehr Freiheiten: „Es gibt Firmen, die Urlaubsreisen anbieten, aber da gibt es einen ewigen Vorlauf. Und du bist immer in der Gruppe. Das ist wenig individuell. Du machst, was die Betreuer sagen.“

Und Vorschriften mochte Marko noch nie. Seine Freunde und er fahren mit dem Bus auf Raves oder an den Ammersee, wo sie bis spät nachts am Kaminfeuer sitzen. Jetzt planen sie eine Reise nach Holland. Oder nach Prag. Marko strahlt. Die Lebensfreude hat ihn wieder. Dazu leistet der Bus einen gehörigen Beitrag. Vor allem aber sind es die Spenden für die Fahrten, die Menschen mit Behinderung sozialen Anschluss garantieren, Horizonte weiten und Wege ebnen können, hin zum Abenteuer Leben.

Von Susanne Brandl
Foto: J. Baader