Ministerin für Ein- und Aussatz

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Elena Anais Lorscheid promoviert in Germanistik und gibt Schreibworkshops. Als sie nach München kam, war sie vom Angebot der männerdominierten Leseszene enttäuscht – und gründete die Rationalversammlung.

Von Theresa Parstorfer

Schreiben ist ein ekliger Prozess. Findet zumindest Elena Anais Lorscheid. Wie eine Art von Vokabeln-Lernen, durch das man sich eigentlich nicht um des Lernens willen, sondern um des Danach-Könnens willen quält. „Man muss alleine sein können, wenn man schreibt. Und man muss seine eigenen Gedanken aushalten können“, sagt sie.
Elena ist 28 und eigentlich wollte sie in diesem Alter schon ihren ersten Roman fertig geschrieben haben. „Das hat leider nicht geklappt“, sagt sie und lächelt dabei. Aber in diesem Jahr will sie fertig werden mit dem Buch. Und dann, im Laufe der nächsten zwei Jahre soll es erscheinen. Wenn man sich so anhört, was Elena sonst noch alles auf die Beine stellt neben ihrer Promotion in Germanistik, ist es ohnehin erstaunlich, dass sie noch die Zeit findet, einen Roman zu schreiben.

Immer wieder gibt sie Schreibworkshops, und seit vier Jahren organisiert sie einmal im Monat zusammen mit anderen die Rationalversammlung. Das ist eine Lesebühne, die von Anfang an ausverkauft war und vor Kurzem aufgrund steigender Besucherzahlen vom Rationaltheater ins ImportExport umgezogen ist.

Lesebühne. Das ist ein Wort, das oft fällt, wenn man sich mit Elena unterhält. Sie bewegt sich in der „Lesebühnenwelt“ wie andere im Musikjargon. Sie kennt alle Bühnen und die meisten Autoren. Schon während ihres Germanistik-Bachelorstudiums in Marburg hatte sie drei Jahre lang eine solche Veranstaltung geleitet, bei der Autoren ihre Texte vorlesen können. Als sie dann für ihr Studium der Komparatistik nach München zog, sei sie ein wenig enttäuscht gewesen vom Angebot der Münchner Leseszene. So entstand die Idee der Rationalversammlung. Auch wenn alle der sechs Veranstalter Hintergründe im Poetry Slam haben und die Grenze zwischen dem, was in der Rationalversammlung gemacht wird und klassischem Poetry Slam teilweise fließend ist, sind Elenas Gefühle, was den Slam angeht, gemischt. Sie erzählt davon, wie schwer sie es als Mädchen hatte, als sie anfing, an Wettbewerben teilzunehmen. „Sexismus im Poetry Slam ist vielleicht ein heikles, aber doch sehr interessantes Thema“, sagt sie. Eigentlich sei ihr schon immer klar gewesen, dass das Slammen nicht das war, was sie wirklich machen wollte. „Wenig erhebend“ habe sie es gefunden, sechs Stunden zu Contests fahren zu müssen, um dann fünf Minuten auf der Bühne zu stehen. Und dann im schlechtesten Falle die niedrigste Bewertung zu bekommen, weil man eben „zu leise, zu nachdenklich“ sei.

Sie hat die Erfahrung gemacht, dass es auch anderen jungen Autorinnen so geht. Sich nicht trauen, sich selbst nicht für gut genug befinden und von der Männerwelt an die Wand geschrieben und geslammt werden. „Das ist in München auch noch mehr so als in anderen Städten. Berlin oder Leipzig. Da gibt es sehr viel mehr Frauen auf den Bühnen.“ Deshalb will sie als nächstes Projekt eine Frauen-Lesereihe organisieren. „Composita“ soll diese Reihe heißen und wie ein Sprungbrett funktionieren, denn „Mädchen mit wenig Texterfahrung würden sich wahrscheinlich erst einmal nicht mit vier Jungs wie denen auf die Bühne trauen“, sagt Elena.

Es ist der zweite Dienstag im Monat und die Rationalversammlung tagt. Die ImportExport Kantine ist gesteckt voll, auch die Fensterbretter sind belegt und der Geräuschpegel der Gespräche übertönt beinahe die Beats des DJs. Elena trägt ein schwarzes Kleid mit weißen Punkten und lacht, als Heiner Lange sie als „Ministerin für den Ein- und Aussatz“ ankündigt.

Mit acht Jahren hat sie ihre
erste Geschichte für ihre
Schwester geschrieben

Sie sagt, sie selbst sei schüchtern, ihre Texte seien verträumt, speziell, nicht auf lustiger Pointen-Suche und Lacher-Jagd. Aber dennoch: „Ich schreibe keine Frauenliteratur. Ich suche mir oft Situationen, die jeder kennt, und lasse die dann so abdrehen, dass einem unwohl wird dabei.“ Familienszenen seien so ein Beispiel. „Da ist es manchmal so, dass vorne rum so getan wird, als hätten sich alle lieb und als würde man zusammengehören. Bei aller Kuscheligkeit ist natürlich jeder auch auf seinen eigenen Vorteil bedacht.“ Oder Vegetarier mit Lederschuhen. Sie will auf kleine Abgründe aufmerksam machen, die in jedem von uns schlummern. Auch der Text, den sie auf dieser Rationalversammlung liest, trieft vor böser Ironie. „Die Welt ist ja schlimm. Aber das Internet zeigt mir immer wieder die Klugheit der Leute. Ehrlich. Die halten die Schlimmheit der Welt im Zaum, und dann rege ich mich gar nicht mehr auf. Dann bin ich komplett beruhigt, weil die Leute einfach so klug sind“, kündigt sie ihn an. Ein endloser Facebook-Posting-Thread folgt. Die Klugheit der Leute im Netz, die genau wissen, was passiert und was es bedeutet, wenn Putin Anspruch auf den Nord- und den Südpol erhebt. Das Publikum johlt.
Ein bisschen wird es darum auch in ihrem ersten Roman gehen. Um eine orientierungslose Gesellschaft, um Jugend, und um Wege und Pläne, die sich am Ende doch immer ändern. Auf einmal wirkt Elena sehr selbstbewusst. „Ich glaube schon, dass er ganz gut ist“, sagt sie. Nach einem Verlagspraktikum habe sie gemerkt, dass sie nicht als Lektorin arbeiten, sondern selbst von einer betreut werden wollte.

Elena landet immer wieder beim Schreiben. Sie ist keine Slammerin, keine Kabarettistin, keine Lektorin, sie will nach der Promotion auch nicht an der Uni bleiben. Sie weiß, in 90 Prozent der Fälle kann man nicht hauptberuflich als Autorin überleben. Nicht in einer Stadt wie München.

Aber Schreiben gehört einfach zu ihr. Seit sie mit acht Jahren eine erste Geschichte für ihre kleine Schwester geschrieben hat. Über einen Igel, einen Dachs und einen Fuchs, die gemeinsam Abenteuer erleben. Vielleicht ist daran auch ihre Mutter Schuld, die ihr den zweiten Namen Anais gab, nach der französischen Schriftstellerin Anais Nin, die Mitte des 20. Jahrhunderts für ihre Tagebücher und erotischen Erzählungen bekannt wurde. Ein wenig kalt habe sie diese Art von Literatur immer gefunden, sagt Elena. Aber irgendwie schön sei es dann doch, nach so einer Frau benannt worden zu sein. Deshalb nennt sie sich auf der Bühne auch so. Elena Anais.
Elena würde das Schreiben nicht einmal als Hobby bezeichnen. „Wenn ich nicht immer geschrieben hätte, hätte ich andere extreme Sachen gemacht, um mit meinen Dingen klar zu kommen“, sagt sie und lacht. „Aber vielleicht ist Schreiben ja auch etwas Extremes.“ Ein extremer, ekliger Prozess eben, an dessen Ende man sich aber doch immer besser fühlt.

Foto: Martin Moser

Von Freitag bis Freitag München – Unterwegs mit Katharina

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Eine Woche voller Wochenenden – Katharina macht aus ihrem letzten Ferienmonat einen täglich grüßenden Samstag und lässt sich von viel Musik das Leben versüßen: Flowerstreet Festival, EP-Release-Party von The Capitols und das Streetlife Festival sind der Soundtrack dieser Woche. Aber auch interaktive Kunst auf dem Olympus Photography Playground und die erste heiße Schokolade des Wintersemesters sind mit dabei.

Spätestens wenn der
Studienausweis für das neue Semester im Briefkasten liegt, merkt man, dass sich
die Semesterferien dem Ende zuneigen. Ein leicht melancholisches Gefühl
schleicht sich in die sonst so ungetrübte Ferienlaune, das auch mit einem Blick
aus dem Fenster in den wolkenverhangenen Himmel nicht so recht verschwinden mag.
Doch wie Kraftklub so schön singen: „Ein bisschen Melancholie ist manchmal OK“.
Und wenn schöne Dinge nicht irgendwann vorbei wären, würden sie ja auch
irgendwie ihren Reiz verlieren. Bevor ich jetzt allzu philosophisch werde, wage
ich es lieber, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Einmal im Kalender blättern,
verrät mir, dass ich ja doch noch gut einen Monat Zeit habe, den ganzen Tag das
zu machen, wonach mir gerade der Sinn steht.

Beflügelt von diesem Gefühl
stürze ich mich am Freitag gleich
mal rein ins Vergnügen. Ab auf den Spielplatz – oder besser gesagt den Olympus
Photography Playground
im Mixed Munich Arts. In dem ehemaligen Heizkraftwerk, das nachts seine Pforten
für Clubgäste öffnet, findet derzeit eine interaktive Kunstausstellung mit
verschiedenen Installationen statt.
Am Eingang bekomme ich, anstatt
Eintritt zu zahlen, eine Kamera samt Speicherkarte in die Hand gedrückt. Mir wird
erklärt, dass es darum geht, die Kunstwerke durch die Linse der Kamera zu
betrachten und eigene Fotos zu schießen. Die Speicherkarte darf  ich dann am Ende kostenlos mit nach Hause
nehmen. Das hört sich gut an! Also schnappe ich mir eine und fange gleich an,
wild drauf los zu knipsen. Echt faszinierend, aus wie vielen unterschiedlichen
Perspektiven man die Installationen bestaunen kann und wie aus den Fotos neue
Kunstwerke entstehen können. Jetzt heißt es aber erstmal: Ab nach Hause. Ich
bin gespannt, wie die Bilder geworden sind.      

Es ist Samstag. Gut, dass ich gestern Abend früh im Bett war, denn heute
muss ich fit sein. Wir, also meine Band THE
LIVING
und ich, fahren zum Aufnehmen ins Studio in die Nähe von Augsburg. Dort sind
wir den ganzen Tag damit beschäftigt, an unserer neuen EP zu basteln.
Auf dem Nachhauseweg müssen wir
aber unbedingt noch einen Zwischenstopp einlegen. Wie jedes Jahr im September lockt
das Flowerstreet Festival mit einem tollen Line Up zahlreiche Gäste ins Feierwerk. Mit einem Bändchen am
Handgelenk werde ich sogleich von den einfühlsamen Folk-Klängen von The Red Aerostat verzaubert, lausche Chinese Silk and
Videotape
 beim Erzeugen ihrer vielschichtigen Soundwelten und werde von den verzerrten
Gitarren von Elektrik Kezy Mezy und Lem Motlow mitgerissen. Als das Duo von I’m Not A
Band
 aus Berlin das Feierwerk mit ihrem clubähnlichen Electrosound erfüllt, können
meine Füße und die aller um mich herum nicht mehr still stehen. Das ändert sich
auch nicht, als der letzte Act die Bühne betritt. Schmutzki aus Stuttgart, die auf dem diesjährigen Southside das ganze Festivalgelände und
alle Besucher mit ihren roten Schmutzki-Stickern
tapeziert haben, verwandeln das komplette Publikum mit ihrem Mix aus Punk,
Indie und Alternative in eine tobende Menge. Vollkommen erschöpft und mit „Wir
sind Schmutzki“-Gesängen im Ohr falle ich zu Hause in mein Bett und schlafe
sofort ein.

Am Sonntag morgen erwache ich mit einem herrlich euphorischen Gefühl
und beschließe, dass es an diesem Wochenende noch nicht genug Musik gewesen
sein kann. Ich schwinge mich in meine Jacke, schlüpfe in meine Schuhe und
steuere auf die Ludwigstraße zu. Vom Odeonsplatz bis zum Siegestor und noch
weiter sind zahlreiche Stände und Bühnen des Streetlife Festivals aufgebaut. Der Singer-Songwriter Daniel del Valle mit seiner Band Sleepwalkers Station lockt mich mit seiner melancholischen Stimme untermalt von leisen
Gitarrenklängen auf die Lastenradbühne. Verträumt und nachdenklich werde ich weitergetragen.
DayDreamer auf der M94.5 Bühne lassen mich in meinen Erinnerungen an den Sommer schwelgen
und Finn Nelé zieht mich mit seiner unverwechselbaren Stimme in seinen Bann.

Montage sind immer so eine Sache. Das Wochenende ist mal wieder
viel zu schnell vorbeigegangen und der Alltag geht wieder los. Aber halt! Es
sind ja noch Ferien! Das heißt, das Wochenende geht quasi nie vorbei – also
fast nie. Das muss ich ausnutzen. Das Motto für den heutigen Tag lautet
allerdings nicht Musik, sondern Poetry Slam, was mich ins Lyrik Kabinett
München zum Poetry in Motion
 führt. Hier sind heute international
erfolgreiche Künstler aus Berlin, Hamburg und München zu Gast, die mit ihren
Gedichten und ihrer Redekunst auf höchstem Niveau um die Wette eifern.

Am Dienstag, der sich immer noch so anfühlt als wäre Wochenende, mache
ich mich auf den Weg ins Stadtmuseum und gleichzeitig eine Zeitreise in die
60er Jahre. Die Ausstellung „New Yorks 60s“ zeigt Bilder des Münchner Fotografen Sepp Werkmeister, der vor allem für seine
Fotografien von berühmten Jazzmusikern bekannt ist. Die ausgestellten Bilder zeigen
Szenen aus den Straßen des New Yorks der 60er Jahre mit all seiner
gesellschaftlichen Komplexität.
Für mein Abendprogramm bleibe ich
da doch gleich weitestgehend beim Thema. Das Jazz-Institut der Musikhochschule
München veranstaltet heute seinen monatlich stattfindenden Jazz-Jam im Milla. Durch die Virtuosität der Musiker und die Kelleratmosphäre des Milla
fühle ich mich gleich ins Chicago der 50er und 60er Jahre zurückversetzt. Es
würde mich nicht wundern, wenn gleich Louis Armstrong auf der Bühne erscheint. Beschwingt
von der Musik, steppe ich schließlich im Swing-Achtel-Rhythmus nach Hause.

Ich muss zugeben: Irgendwie freue
ich mich doch schon wieder auf die Uni – interessante Vorlesungen, meine Leute,
Fachschaftsparties und alles was sonst noch dazu gehört. Zur Einstimmung darauf
treffe ich mich am Mittwoch mit
einer Freundin im Deli-Star einem Bagel-Laden hinter der LMU. Wir schauen zu, wie unsere Bagel frisch
gemacht werden und genießen zur Vorbereitung auf das Wintersemester eine Heiße
Schokolade – unserer Meinung nach die beste in ganz München. Danach schlendern
wir noch ein bisschen durch die Gegend und machen einen Abstecher zum
Breitengrad,
einem Laden voller Krimskrams, in dem man aus dem Stöbern nicht mehr raus kommt
und in dem wir schon ganze Mittagspausen verbracht haben. Apropos Uni. Da fällt
mir ein, dass ja heute der letzte Tag ist, an dem ich mich in meine Kurse für
das neue Semester eintragen kann. Das muss ich jetzt daheim unbedingt noch erledigen.

Ein Tag Konzertpause muss einfach
reichen. Bevor ich noch anfange, an Entzugserscheinungen zu leiden, ist mein
Ziel am Donnerstag Abend wieder
einmal das Feierwerk. Und das nicht ohne Grund. Nachdem ich zwei Jahre damit
verbracht habe, mir im Internet YouTube-Videos von ihnen anzuschauen, sind Life in Film aus London heute Abend endlich für ein Konzert in München. Als sie schließlich anfangen
zu spielen, breitet sich ein unbeschreiblich wohliges Gefühl in mir aus – und dieser
britische Akzent – einfach wunderschön!

Auch am Freitag ist mein Bedarf an Musik immer noch nicht ganz gedeckt.
Diesmal jedoch aus einer anderen Perspektive. The Capitols aus München feiern heute ihre EP-Release-Party im Strom und ich spiele mit meiner Band THE
LIVING
 als Support. Deshalb packen wir nachmittags unser Zeug zusammen und düsen zum
Soundcheck. Gegen 20 Uhr füllt sich der Club langsam und unsere Aufregung
steigt – wandelt sich aber, sobald wir die Bühne betreten, in Euphorie um. Viel
zu schnell ist unser Auftritt vorbei und The
Capitols
übernehmen. Den Abend lassen wir schließlich bei ausgelassener
Stimmung mit dem Mix von MOMENTUM ausklingen und ich merke, dass eigentlich gar keine Zeit bleibt, melancholisch
zu werden oder den Ferien nachzutrauern.

Katharina Würzberg

Foto: 

Heide Fischer

Neuland

Lyrik und Prosa sind nicht tot. Das beweisen 20 junge Poetry-Slammer, die nun schon zum zweiten Mal jeweils einen ihrer Texte in einem Buch veröffentlichen. Felicia Brembeck, deutsche Meisterin des U-20-Poetry-Slam 2013, und ihre Kollegen möchten mit dem Buch zeigen, dass es sehr guten Nachwuchs in der Szene gibt.

20 Jung-Poeten, eine Gemeinsamkeit: Alle sind aufstrebende Poetry-Slammer, die nun je einen ihrer Texte in einem Buch veröffentlichen, das gerade eben im Lektora Verlag, einem kleinen Poetry-Slam-Verlag, erschienen ist: Tintenfrische II ist der Titel, die Fortsetzung von Tintenfrische I. „Wir möchten damit gern zeigen, dass es Nachwuchs in der Slam-Szene gibt. Und zwar guten Nachwuchs, der sich nicht verstecken muss vor erfahrenen Künstlern, sondern teilweise mit hohem literarischen Anspruch schreibt“, erklärt Felicia Brembeck, 21, deutsche Meisterin des U-20-Poetry-Slam 2013, die selbst einen ihrer Texte in Tintenfrische II veröffentlicht hat.

Die Initiative ging von den jungen Bühnenpoeten aus, auch die Herausgeber Jason Bartsch und Nils Früchtenicht sind Autoren des Buches. Die Botschaft: „Hey, macht euch mal keine Sorgen! Es kommen junge Leute nach, die sich mit Sprache beschäftigen, die lesen und sogar schreiben. Lyrik ist nicht tot. Und Prosa stirbt auch nicht so schnell!“, sagt Felicia.

Stephanie Albinger

Foto: Meike Harms

Quoten-Poesie

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Felicia Brembeck, 20, steht bei Poetry Slams oft als einzige Frau auf der Bühne. Sie schreibt Texte über ihren Glauben und muslimische Kopftuchträgerinnen. Jetzt will sie Mädchen beim Einstieg in die Szene helfen

Erotik-Slam in Augsburg. Die Bühne liegt in rotes Licht getaucht. Felicia Brembeck steigt aufs Podium. Sie trägt ein eng anliegendes schwarzes Kleid und eine dunkle Netzstrumpfhose. Bis dahin nicht ungewöhnlich. Ihre Slam-Kollegen sind vorher am Mikrofon schon zur Sache gekommen: derbe Sprüche, anzügliche Witze, zotige Geschichten. Doch Fee, so heißt sie auf der Bühne, macht es anders. Die junge Münchnerin trägt einen Text über Vergewaltigung vor – und setzt noch eine Abtreibung drauf.

Wie ernst ihre Texte sind, merkt man Fee, 20 (Foto: Jeannette Kummer), gar nicht an. Sie hat ein ansteckendes Lachen. Und eigentlich einen bühnenwirksamen Sinn für Humor. Auf Partys von ihrem Theologiestudium zu erzählen – das käme „einem Outing gleich, eine Nacht mit Sigmar Gabriel verbringen zu wollen“, heißt es in einem ihrer Texte. „Ich entdecke in letzter Zeit immer mehr, dass ich auch humorvoll schreiben kann“, sagt sie. Entschuldigend. So, als ob das eigentlich überhaupt nicht zu ihr passe.

Eine typische Poetin ist Fee nicht. Wenn der Schnaps nach Poetry Slams in Strömen fließt, lehnt sie höflich ab. Nein danke, sie trinke keinen Alkohol. Und sie trägt statt Schlabberhosen und Sneakers auch mal Glitzerpulli und Blumenohrringe. Fee, blond und adrett, hat etwas Niedliches an sich (Foto: Marvin Ruppert). Als sie am Anfang ihrer Slam-Karriere noch nervös ins Mikrofon stammelte, da fanden das die Leute einfach süß, glaubt sie. Und von einem Hip-Hop-Tanzkurs schickte sie die Lehrerin nach zwei Stunden mit den Worten nach Hause: „Magst du nicht lieber Ballett machen?“ 

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Aber wenn Fee auf der Bühne steht, ist das Niedliche verschwunden. Keine Spur von Piepsstimme. Fee spricht laut, klar, durchdringend. Ihre Wortbilder: kraftvoll. Nervös ist sie kaum mehr, sagt sie. Die zwei, drei Auftritte die Woche merkt man ihr an. Nur im Münchner Substanz kommt das Herzklopfen wieder. Hier hat sie in der 12. Klasse den Poetry Slam kennengelernt. „Das hat mich damals total verzaubert.“ Vorher hatte sie schnulzige Gedichte geschrieben. Jetzt lernte sie in Workshops das Poetry-Handwerk. Bald traute sich Fee auf die Bühne – verpatzte den ersten Slam, nur um den zweiten zu gewinnen.

Den Platz vor dem Mikrofon hat sie mittlerweile für sich erobert. Selbstverständlich ist das nicht: Poetry Slam ist schließlich immer noch größtenteils eine Männerdomäne. „Generell treten mehr Männer als Frauen auf“, bestätigt Ko Bylanzky, der die Slams im Substanz organisiert. Zu feministischen Schlachtrufen veranlasst das Fee aber nicht. Gedichte schreiben, über Gefühle reden, all das sei viel zu lange als unmännlich abgetan worden. „Ich finde es positiv, dass es im Slam männliche Rollenvorbilder gibt“, sagt sie. Trotzdem: An vielen Slam-Abenden ist Fee die einzige Frau – als Quotenfrau, wie sie mutmaßt. Ihre Weiblichkeit bringt ihr allein optisch oft einen Vorteil ein, gesteht sie freimütig. Aber auch viele dumme Komplimente: „Wow, für ’ne Frau bist du wirklich gut.“ Fee rollt mit den Augen.

Um Frauen den Einstieg in den Slam zu erleichtern, bastelt die junge Münchnerin gemeinsam mit Slam-Freunden an einer Website. „Slam Alphas“ will Newcomerinnen in Porträts vorstellen. „Wenn jemand einen Poetry Slam organisiert und überlegt, wen er einladen könnte, dann fällt ihm meistens eher ein Mann ein als eine Frau“, sagt Fee. Die neue Plattform richtet sich daher vor allem an Veranstalter. Gerade sie sollen draufkommen, dass es ja doch einige spannende Slammerinnen gibt. Und dass man die mal einladen könnte.

Damit es ihnen vielleicht auch mal so geht wie Fee. Sie feiert auf Slam-Bühnen ihre Erfolge. 2013 hat sie die deutschsprachigen U 20-Meisterschaften gewonnen, seitdem flattern oft Einladungen von Slam-Clubs ins Postfach. Für Engagements mit Gagen bis zu tausend Euro reist Fee durch Deutschland. Bescheiden geblieben ist sie trotzdem. Über ihre Titel sagt sie, fast wie um sich zu rechtfertigen: „Das hat viel mit Glück zu tun, mit den richtigen Umständen.“ Der Text muss zur Stimmung des Publikums passen, richtig platziert sein, um gut wirken zu können, den Nerv der Veranstalter treffen. „Es liegt nicht an uns, ob wir gewinnen, sondern am Publikum!“

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Und die Zuschauer klatschen die junge Münchnerin oft ins Finale (Foto: Inken Weber). Obwohl sie ihr Publikum mit harter Kost versorgt: Themen, die nicht zum Schenkelklopfen sind, sondern eher zum betretenen Innehalten, Mitfühlen, Aufgewühlt-Sein. Das muss nicht immer etwas so Schockierendes sein wie sexuelle Gewalt. Häufig kommt die Inspiration für neue Texte auch aus Fees Lebenswirklichkeit. „Aber man darf sich halt auch nicht nackt machen auf der Bühne“, sagt sie. Nicht alles, was ihr privat am Herzen liegt, ist auch für ein großes Publikum relevant. Persönliches macht sie daher gerne diffus, verkleidet es in Kunstform. Als eine langjährige Freundschaft in die Brüche ging, schrieb sie sich Wut und Trauer in einer Nacht von der Seele. Herausgekommen ist einer ihrer erfolgreichsten Texte, mit dem sie oft aufgetreten ist, Preise gewonnen hat. „Der Müllschlucker“ – das ist sie selbst, die bereitwillig für einen Freund da ist, wenn es ihm schlecht geht. Und irgendwann versteht, dass er nur das Dunkle, Traurige bei ihr ablädt wie auf einer Müllhalde. „Es war ein negatives Erlebnis und ich hab was Positives draus gemacht“, sagt Fee und zögert kurz. „Kunst.“

Kunst als Therapie, ja, aber nicht nur. Als gläubige Christin ist Fee schon auf einem interreligiösen Slam aufgetreten – gemeinsam mit jüdischen und muslimischen Poeten. „Das hat viele Vorurteile bei mir aufgelöst“, sagt sie. Etwa über muslimische Kopftuchträgerinnen. „Das sind Leute, über die ganz viel geredet wird, aber mit denen wenig gesprochen wird.“ Ihnen will Fee in ihren Texten Gehör verschaffen: Wie ist es, wegen eines Kopftuchs unter Generalverdacht gestellt zu werden? Anderen eine Stimme zu verleihen, ist ein gewagter Anspruch – und ein wenig stereotyp. Fee nimmt dem Klischee mit einem Witz die Schwere. „So viele Leute sind gezwungen, mir zuzuhören!“

Irgendwann wird Fee freiwillig von der Slam-Bühne treten. Sie will nicht Poetin werden, sondern Opernsängerin. Über den Kinderopernchor der Staatsoper, in dem sie früher sang, ist sie längst hinausgewachsen. Mittlerweile tritt sie mit Kirchenmusik auf – mit Arien manchmal sogar im Rokoko-Kostüm. Gesang schlägt Dichtkunst – vor allem, weil die Stimme bei Auftritten in verrauchen Slam-Bars gefährlich heiser wird. „Das kann man sich im Gesang nicht leisten“, sagt Fee pragmatisch.