Zeichen der Freundschaft: Künefe mit Scooter

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Tee und Zuckerspeise, wer sagt dazu denn schon Nein? Besonders,
wenn das verlockende Angebot nur eine Fahrstuhlfahrt entfernt wartet.
Unsere Autorin erzählt von (Wohnheim)nachbarn, die zu Freunden werden.

Mein Handy
klingelt, eine der täglichen Nachrichten von Mihri auf WhatsApp: „Schatzife,
das Künefe ist fertig, magst du vorbeikommen?“ Eine arabische Süßspeise,
zubereitet mit einer Packung geschmolzener Butter. Und ob ich will! Schnell
laufe ich zum Aufzug und fahre ein paar Stockwerke höher. Gerade in dem Moment,
als mir Mihri die Tür öffnet, fällt mir ein, dass ich meinen Teller und mein Besteck
vergessen habe. Genauso wie die Decke und die Knieschoner, die sie mir vor
einigen Wochen ausgeliehen hat und ich immer wieder vergessen hab’,
sie zurückzubringen. „Kein Problem“, sagt sie lachend, „du kannst Teller und
Besteck von mir bekommen und bring’ die Sachen dann
einfach nächstes Mal vorbei“, wohl wissend, dass ich die Sachen wahrscheinlich
auch nächstes Mal vergessen werde.

Mihri und
ich haben uns in der schönen „Stusta“ kennengelernt. Wir haben uns zunächst auf
den Wohnheimversammlungen öfter gesehen und als wir beide Tutorinnen waren,
fingen wir an, uns immer besser zu verstehen. Dabei entdeckten wir schnell
viele Gemeinsamkeiten: Sie versteht mit ihren türkischen Wurzeln genauso gut
wie ich mit meinen albanischen, wie es ist, zwischen zwei Welten aufzuwachsen.
Oft reden wir genau darüber und lachen Tränen, wenn wir uns über manch’ lustige
Erfahrung aus unserer Kindheit austauschen. Auch die „Dimensionen“, die damit
zusammenhängen und die keiner versteht, sind zu einem Running-Gag von uns
geworden. Was uns noch verbindet, ist dass wir aus derselben Ecke
Norddeutschlands stammen: Sie wohnt zufällig nur einen Nachbarort von mir
entfernt. Das heißt, dass wir sowohl in München, als auch in Niedersachsen
Nachbarn sind. Wenn wir unsere Eltern besuchen, ist es schön, sich auch dort treffen
zu können oder gemeinsam wieder nach München zu fahren.

Es ist ein
großer Vorteil, wenn eine der besten Freundinnen im gleichen Gebäude wohnt und
der Weg nur eine Aufzugfahrt entfernt ist. Wir treffen uns oft ganz spontan zum
Tee trinken. Sie wählt jedes Mal die Sorte Jasmin und ich Pfirsich. Dabei reden
wir oft über persönliche Dinge. Diese Vertrautheit, sich alles erzählen zu
können und vor allem dieses blinde Vertrauen sind das, was ich am meisten an
ihr schätze und das uns verbindet. Oft macht sie dann den Künefe, die leckerste
Kalorienbombe der Welt. Dabei sitzen wir oft mit einer weiteren gemeinsamen
Freundin auf ihrem Bett, hören Scooter und entscheiden spontan, uns ein Jahr
vor dem Konzert Scooter-Tickets zu kaufen.

Genau in
diesem Moment schreibt sie mir, dass ihre Klausur gut lief und fragt, ob ich
noch vorbeikommen mag. Ich lächle und freue mich schon auf das, was sie mir
noch zu erzählen hat. Die „Dimensionen“ versteht außer uns eh niemand.

Text: Serafina Ferizaj

Foto: Yunus Hutterer

Vertraute Töne

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Dudelsack, Trompete oder Klavier: In der Stadt erfährt man von seinen Nachbarn oft nur, wann sie worauf welche Lieder erklingen lassen. 

Der Inhaber der Dönerbude unter Rosalis Wohnung ist neidisch. Wenn das Dudelsackgedudel beginnt, kann Rosali sich ihre Doktorarbeit unter den Arm klemmen und damit in die Staatsbibliothek umziehen. Er selbst kann leider nicht seinen Dönerspieß schnappen und ihr folgen. Er ist den Musikübungen des Nachbars hilflos ausgeliefert.

In der Stadt weiß man für gewöhnlich nicht viel von seinen Nachbarn, aber man weiß, welche Instrumente sie spielen – leider meist erst nachdem man eingezogen ist. Ich selbst habe Glück: Über mir spielt nur jemand sehr professionell Klavier. Max’ Wohnheimnachbar hingegen übt nicht ganz so versiert Marschlieder auf seiner Trompete – und das bevorzugt am frühen Morgen oder späten Abend. Blasinstrumente sind sowieso besonders gefährlich. Ich werde nie verstehen, warum man Grundschulkinder massenweise Blockflöte lernen lässt – das einzige Instrument, das nicht mal dann gut klingt, wenn man es auch wirklich spielen kann.

Wie gesagt: In der Stadt erfährt man von seinen Nachbarn oft nur, wann sie worauf welche Lieder erklingen lassen. Trotzdem hat man bald das Gefühl, sehr viel mehr über diese Menschen zu wissen. Das beginnt beim Geschlecht: Max und Rosali sprechen im Bezug auf die Dudelsack- und Trompetenklänge immer unmissverständlich von ihrem Nachbarn im Maskulin, ich hingegen habe – gar nicht mal bewusst – beschlossen: Die melancholischen Klavierstücke von oben stammen von einer jungen Frau. Inzwischen bilde ich mir ein, ihr Lieblingslied zu kennen und Rückschlüsse auf ihre Stimmung ziehen zu können. Eigentlich sind wir fast schon alte Freundinnen.

Und dann kommt der Putzlappen. Oh, dieser wundervolle Putzlappen, der aus ihrer Wohnung segelt und auf dem Fensterbrett meines Mitbewohners landet – endlich ein Anlass zum Klingeln! Die Rückkehr meines Mitbewohners bringt jedoch die Ernüchterung. Ein Mann habe aufgemacht, sagt er, sehe ein bisschen aus wie ein Rocker. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.

Man kennt sich ja vom Sehen

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In München geht der Trend zum Luxus-Loft. Vollverglast, wenn möglich. Schön für alle Menschen, die gegenüber wohnen und es sich zur Abendgestaltung auf dem Balkon bequem machen.Nur das nächste Treffen mit den neuen Nachbarn im Supermarkt könnte unangenehm werden.

Judith hat sich an meiner Balkontür für einen Schaufensterbummel eingerichtet. „Und, was machen deine Nachbarn so?“, fragt sie und mustert die Fenster der Mietshäuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich zeige ihr die Wohnung, die auch während des Sturmtiefs Xaver ihre Bierkästen zum Kühlen außen auf dem Fenstersims stehen hatten, die Küche, in der manchmal ein Vater sein Baby in die Luft wirft, das Fenster, von dem aus eine junge Frau morgens beim Zähneputzen die Straße beobachtet. Ellen wiederum beobachtet uns. Und zwar kritisch. „Vor Leuten wie euch habe ich immer Angst“, sagt sie schließlich. Ellen gehört zu den Spielverderbern, die ihre Vorhänge fest zuziehen.
Voyeurismus hat keinen besonders guten Ruf. Komisch: Da beschweren sich alle immer über die Anonymität der Großstadt (mein Mitbewohner ist fest davon überzeugt, dass im Mittelalter noch vieles besser war), aber wenn man sich die Mühe macht, am Leben seiner Nachbarn teilzuhaben, ist das auch nicht richtig. Wobei: Oft muss man sich gar nicht so besonders viel Mühe geben – Panorama-Fensterfronten und riesige Plasmafernseher machen oft eher Zurückhaltung mühevoll … das sah in mittelalterlichen Städten übrigens noch ganz anders aus!

Gerade Ellen sollte das eigentlich wissen: Ihre WG hat einen perfekten Ausblick auf das vollverglaste Luxus-Loft gegenüber. Da kennt man sich ziemlich bald, ohne auch nur die Wohnung verlassen zu müssen. Als Ellens Mitbewohnerin die gläsernen Nachbarn dann mal ganz real beim Einkaufen trifft, ist die Stimmung jedoch alles andere als vertraut. Schließlich grüßt man sich zaghaft – man kennt sich ja vom Sehen –, zu einem Gespräch über den Film, der am Abend zuvor auf dem Plasmafernseher lief, kommt es dann aber nicht mehr. Judith hätte vielleicht nachgefragt.

Leider wurden die Scheiben am Luxus-Loft durch Milchglas ersetzt, ehe sie einen Umzug aus ihrer aussichtsarmen Erdgeschosswohnung erwägen konnte. Aber wer weiß: In München sind Judiths Hoffnungen, dass bald ein vollverglastes Luxus-Loft vor ihrem Fenster aufragt, eigentlich ziemlich realistisch.

Von Susanne Krause

Grölen für den Nachbarn

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Schon erstaunlich, wie sehr gutes nachbarschaftliches Verhalten von der Situation abhängt. Laut und Leise sind da lebensentscheidende Kategorien. Ein Plädoyer für den Wohnungstausch.

Heute Abend höre ich mir die ersten dreißig Sekunden eines Hip-Hop-Songs an. Nicht nur einmal. Nein. Ich verbringe mehrere Stunden damit, mir diese halbe Minute wieder und wieder anzuhören. Ich tue das nicht freiwillig; mein Nachbar von unten hört so laut Musik, dass er nicht merkt, wie ich abwechselnd gegen meinen Fußboden und seine Wohnungstür hämmere.

Wach zu liegen und stundenlang von demselben Lied gequält werden – das erinnert mich an alte Zeiten: Zu Beginn meines Studiums wohne ich noch nicht in einem Mietshaus, sondern zur Untermiete bei einer schlagenden Burschenschaft. Nachts spielen meine Vermieter das Russenspiel. Für Unerfahrene, das geht so: Ein Haufen unglaublich betrunkener Kerle in Uniformen torkelt über den Flur, grölt ein Lied, das nur aus einer Zeile besteht, und versucht alle Mitbewohner aus dem Reich der Träume in die Abgründe des Alkoholmissbrauchs zu verschleppen. Sich einzuschließen bringt wenig. Dann hämmert die Meute gegen die Tür, ganz besonders bei dem Studenten, der im Zimmer nebenan wohnt. Im Gegensatz zu mir ist er Mitglied der Burschenschaft und ganz anders als seine Verbindungsgenossen interessiert er sich nicht für dieses Spiel.

Es ist schon erstaunlich, wie sehr gutes nachbarschaftliches Verhalten von der Situation abhängt: Ich hämmere heute Abend gegen den Fußboden, damit mein Nachbar endlich leise ist und aufhört, dieses monotone Lied in voller Lautstärke und Endlosschleife zu spielen. Zum Vergleich: Die besoffenen Burschen schlagen ihrem Kameraden fast die Tür ein, damit er endlich aufhört, leise zu sein, und mit ihnen stattdessen in voller Lautstärke ein monotones Lied in Endlosschleife singt. Es ist schon paradox, wie schlecht die Welt organisiert ist – wo man sie doch theoretisch so leicht in Ordnung bringen könnte. Ein einfacher Wohnungstausch und, voilà: Mein Nachbar von unten könnte all seine Abende mit schlechter Musik verbringen und im Gegenzug erhielten der Russenspiel-Verweigerer und ich endlich unsere verdiente Nachtruhe. In der Praxis ist die Welt leider nicht so leicht in Griff zu bringen.

Und so bleibt nichts übrig, als mir einzureden, die Hip-Hop-Endlosschleife heute sei wenigstens besser als das Burschenschaftsgegröle von damals. Aber um ehrlich zu sein, hat das Russenspiel einen entscheidenden Vorteil: Das einzige, was es irgendwie erträglich macht, ist schon inklusive – Schnaps.

Von Susanne Krause

Nostalgie und Nachbarschaft

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München ist wie ein Dorf, heißt es. Nur irgendwie anonymer. Zwar trifft man regelmäßig Bekannte an den entlegensten Ecken, doch die Menschen über, unter und neben einem sind völlig fremd. Echte Nachbarn sind eine Rarität in dieser Stadt. Umso schöner, wenn man aber doch mal einen findet.

Seit kurzem habe ich eine Nachbarin. Eine richtige Nachbarin! Ich bin immer noch ganz aufgeregt. Um das klarzustellen: Ich lebe in einem siebenstöckigen Mietshaus, mitten in München. Drüber, drunter, links, schräg oben – überall wohnt wer, aber die kenne ich kaum. Das zählt nicht. Weil ich vom Dorf komme, bilde ich mir ein, dass ein Nachbar jemand ist, dessen Haustiere ich füttere und wo ich meinen Ersatzschlüssel deponieren kann. Nachbarn sind die einzigen Menschen, bei denen man noch klingelt, ohne sich im Voraus anzumelden. Ist das nicht wunderbar nostalgisch?

Um seine Nachbarn kennenzulernen, gibt es spezielle Internetseiten. So viel zur Nostalgie. Mir jedenfalls erscheint es paradox, Datenpakete um den Globus zu jagen, um herauszufinden, ob der Mensch zweieinhalb Meter über mir heimlich hofft, dass ich mal seinen Chinchilla füttere. Aber einfach klopfen und Obstkörbe vorbeibringen – das geht doch nur in Hollywood-Filmen, oder? Kurzum: Die Kontaktaufnahme zu anderen Hausbewohnern ist eine Herausforderung. Meine Nachbarin von links habe ich erst nach eineinhalb Jahren kennengelernt, als ich ihr das Wasser in der Küche abgedreht habe. Und kaum war der Kontakt auf so kreative Weise hergestellt, ist sie ausgezogen. Ihr Nachmieter ist nur einmal vorbeigekommen, weil seine Dusche nicht warm wurde. Danach: Stille. Ich hatte schon überlegt, ein bisschen am Haupthahn zu drehen.

Aber dann taucht meine Nachbarin auf. Als ich und eine Kollegin abends ein Stück zusammen gehen wollen, stellt sich heraus, dass wir den gesamten Heimweg gemeinsam gehen können: Sie wohnt seit Jahren im Nebenhaus. Ich habe eine Nachbarin kennengelernt – auf analogem Weg und bei voll funktionstüchtiger Wasserversorgung! Ein bisschen stolz bin ich schon. Meine Nachbarin hat zwar kein Haustier, dafür aber einen Ersatzschlüssel und die Angewohnheit, sich auszuschließen. Alles ist so wie in meinen nachbarschaftlichen Wunschfantasien. Vielleicht kann ich mir sogar irgendwann ein Ei leihen! Zu Hause angekommen, zeigen wir uns gegenseitig unsere Klingelschilder. Wir können jetzt ja einfach mal läuten. Es entsteht eine kurze Pause. „Wir können aber auch unsere Handynummern austauschen“, beschließen wir dann. Nachbarn-Sein müssen wir irgendwie noch üben.

Von Susanne Krause