Band der Woche: LCAW

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Seine Mutter und seine Schwestern sind in der Klassik unterwegs, aber Leon Weber alias LCAW zieht es in eine andere Richtung. Früher war der Musiker als House-DJ bekannt, nun wagt er sich mit Eigenkompositionen in die Popwelt vor.

Das Wort frühreif wird oft negativ verwendet. Man stellt sich einen Streber vor, der trotz geringer Erfahrung alles besser weiß und altklug kommentiert. Der Münchner Musiker, Produzent und DJ Leon Weber, alias LCAW, zeigt jedoch eine Art der frühen Reife, die ziemlich beeindruckend ist. Der 23-Jährige, der als House-Remixer von Indie-Tracks schon vor vier Jahren international bekannt wurde, veröffentlicht nun Ende März mit „Meet me in the Middle“ seine erste EP mit eigenen Tracks. Für die erste Single „Hummingbird“ konnte er die britische Sängerin Sophie Ellis-Bextor als Gast gewinnen. Die ist 38 Jahre alt und hatte 2001 mit „Murder on the Dancefloor“ ihren ersten Nummer-1-Hit. Dennoch hat man hier nicht das Gefühl, dass eine gesetzte Sängerin sich mit jugendlichem Produzenten verjüngen möchte oder dass ein junger Musiker versucht, den Stil eines erwachsenen Stars zu kopieren. In „Hummingbird“, einer leichfüßigen Disco-House-Nummer, treffen zwei Musiker auf gleicher Höhe aufeinander, auch wenn sie 15 Jahre Erfahrung trennen.

„Manchmal schreibe ich ein Lied und habe direkt eine Stimme im Kopf, die perfekt dazu passen würde“, sagt Leon. Als er an seiner EP arbeitete, war das mit der Stimme von Sophie Ellis-Bextor der Fall. Doch weil Leons Remixes eben da schon international erfolgreich liefen, befand sich der junge Musiker in der glücklichen Lage, die Person hinter der Stimme, die er im Kopf hatte, auch ganz reell anfragen zu können. Aufgenommen wurde der Song dann in einem Londoner Studio, in dem auch schon James Blunt oder Adele gearbeitet hatten. Herausgekommen ist eine ziemlich zugängige Pop-Nummer, deren Produktion reif und gesetzt wirkt. Da komponiert jemand, der sich handwerklich und stilistisch sehr sicher ist – obwohl das, neben ein paar Singles, das erste Mal ist, dass Leon mehrere selbstgeschriebene Songs gebündelt veröffentlichen wird. Für Leon ist dieser Song dabei auch der Beginn einer neuen künstlerischen Richtung. Man hört zwar seine Anfänge als House-Remixer durch, doch „Hummingbird“ ist ein richtiger Popsong, den er als „eine moderne Art von Disco und Funk“ beschreibt. Es hat in Leons Karriere allerdings ein bisschen Zeit gebraucht, bis es zu so einer Zusammenarbeit und dieser stilistischen Positionierung kommen konnte. Während er in seinen Remixes immer das musikalische Material anderer Künstler weiterverarbeitete, hat er hier selbst komponiert. Um damit in die Öffentlichkeit zu gehen, wollte und musste er sich sicher sein.

Schon 2014, als seine Laufbahn als DJ und Remix-Produzent bereits internationale Kreise zog, arbeitete er an Original-Tracks, also an Eigenkompositionen. Doch bis er diese für gut genug befand, um sie zu veröffentlichen, dauerte es. Da schwingt ein ziemlich hoher Anspruch an die eigene Musik durch, der vielleicht auch daher kommt, dass Leon von frühester Kindheit an mit klassischer Musik konfrontiert war. Seine Mutter und seine beiden Schwestern sind Berufsmusikerinnen in der Klassik. Leon selbst spielt Klavier und Cello, gewann den Wettbewerb „Jugend musiziert“ und spielte im Bundesjugendorchester. Für eine Karriere in der Klassik habe ihm das permanente Üben jedoch zu wenig gelegen, erklärt er. Sich aber in der Musik fest zu beißen, lange an etwas zu arbeiten und zu feilen, das ist – neben dem musikalischen Grundverständnis – wohl etwas, was er aus der klassischen Ausbildung mitgenommen hat. Gleichzeitig befähigt ihn nun genau das, Songs zu produzieren, die trotz seines Alters auf dem internationalen Pop-Markt bestehen können. 

Stil: Pop/House
Besetzung:
Leon Weber (Komposition, Produktion)
Seit:
2013
Aus:
München
Internet:
www.lcawmusic.com

Text: Rita Argauer


Foto: Yunus Hutterer

Fremdgänger: Klassisch flirten

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Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der eine oder andere Kulturschock. Unsere Autorin tauschte Punk-Konzerte im Milla mit klassischen Choraufführungen in Oxford- und wundert sich, wie ähnlich sich die beiden Welten doch sind.

Die mächtigen Tore der Kirche öffnen sich. Eine Menschenmasse ergießt sich in die von Straßenlaternen und den Fenstern der anliegenden Häuser erleuchtete Gasse. Es ist Sonntagabend, der „Evensong“ im Merton College wurde gerade von einer letzten Hymne beendet, wer will, kann jetzt noch dem Priester die Hand schütteln und sich für den schönen winterabendlichen Ausflug in diese verzauberten Hallen bedanken. Mittendrin: ich mit zwei Freundinnen. Wir halten halb abgebrannte Kerzen in den Händen und sehen uns mit verträumten Augen an.

Ich erinnere mich, einen ähnlich seligen Gesichtsausdruck zuletzt auf dem Gesicht einer Freundin aus München gesehen zu haben, als wir nach dem Konzert einer Punkrock-Band in einer nicht ganz so großen Menschentraube aus dem warmgetanzten Milla in die Holzstraße geschwemmt wurden. Weit weg scheint das alles, zwischen all den schicken Wintermänteln, Tweet-Jackets und Pelzmützen der Menschen um mich herum. In Oxford wüsste ich nicht, wo ich in einem kleinen Club zu lauten Gitarrenriffs auf und ab hüpfen könnte. Ich bin mir sicher, diese Clubs gibt es irgendwo außerhalb der Reichweite ehrwürdiger College-Mauern – ich habe sie nur noch nicht gefunden. Dafür bin ich viel zu beschäftigt, die einfacher zu erreichenden kulturellen Höhepunkte abzuklappern. Denn wie sich herausstellt, schaffe ich es hier, innerhalb von sechs Tagen vier klassische Chorkonzerte zu besuchen. Jedes davon ist voll besetzt bis auf die hintersten Reihen, zu einem nicht zu verachtenden Anteil von Studenten. Auf Facebook lädt man sich nicht zu Partys im traditionellen Münchner Sinne ein, sondern zu Symphonien, Theaterstücken, Chören, Buchvorstellungen und Gedichtlesungen. 

Ich ertappe mich dabei zu bemerken, dass auch in kulturell anspruchsvollen Umgebungen – wie einem Konzertsaal oder gar einer Kirche – soziale Dynamiken ablaufen, die denen einer Nacht in der Münchner Club-Szene nicht unähnlich sind. In der Vorweihnachtszeit wurden die in den meisten Colleges regelmäßig abgehaltenen „Evensongs“ (ein anglikanischer Gottesdienst, bei dem es vor allen Dingen um die Musik geht) von „Carol Services“ (dabei geht es noch mehr und vor allem um weihnachtliche Kirchenmusik) ergänzt. Und als ich vor ein paar Wochen einen solchen besuchte, ebenfalls inklusive Kerzen und Weihrauch, begann mein Mitbewohner auf einmal, angeregt mit der langbeinigen dunkelhaarigen Engländerin zu flirten, die vor ihm saß. Sehr elegant, dachte ich mir. Und ich? Ich sitze im mittelalterlichen Kirchenschiff des Merton College und starre fasziniert auf das von einer schiefen Kerze im Kronleuchter über mir tropfende Wachs, als ich merke, wie süß der Typ mir gegenüber ist. Verstohlen schaue ich immer wieder zu ihm hinüber und bin mir fast sicher, dass er hin und wieder sogar zurückschaut. 

Ich werde nervös. Auf einmal ist die hölzerne Kirchenbank ziemlich unbequem. Kurzzeitig wünsche ich mir, ich wäre in München, in einem Club. Da gäbe es zumindest eine Bar, eine Tanzfläche und (zur Not) ein alkoholisches Getränk, hinter dem ich mich effektiv hätte verstecken können, während gleichzeitig zumindest potenziell die Möglichkeit bestanden hätte, mir ein Herz zu fassen und endlich hinüber zu gehen, um ihn anzusprechen. 

Ich schließe die Augen, ich denke zurück an jenen Abend im Milla. Ja, auch da gab es einen Typen auf der anderen Seite der Tanzfläche. Aber auch da hatte ich nicht den Mut, hinüber zu gehen.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat

Wolle statt Masche

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Die Kraft des Glückspullis: Anna-Laura Schlimm, 24, entwirft eine Mode-Kollektion zum Wohlfühlen. Die positive Wirkung eines Kleidungsstücks stößt allerdings auch an Grenzen

Von Stefanie Witterauf

An stressigen Tagen verlässt Anna-Laura Schlimm, 24, ihr Haus nur in Gelb. Knallgelb. Das ist die Farbe ihres Glückspullovers. Der Stoff ist weich. Das wohlige Gefühl auf ihrer Haut beruhigt Anna-Laura. In diesem Pulli übersteht sie anstrengenden Termine. Sie denkt sich: „So einen Pullover sollte jeder haben.“ Und genau aus diesem Gedanken heraus entsteht ihre Mode-Kollektion, mit der sie das Wohlbefinden der Menschen fördern will. Wohlfühlen statt zur Schau stellen, Wolle statt Masche. Die Modebranche setze nur auf Oberflächlichkeiten, sagt sie, die Menschen würden vernachlässigt.„Material Emotion“ nennt die junge Designerin das Projekt ihrer Abschlussarbeit.

Schon in der Schule interessierte sich Anna-Laura für Mode. Im Gymnasium in Unterhaching fertigte sie ihre erste eigene Kollektion als Facharbeit an. Sie bewarb sich nach ihrem Abitur 2010 an den besten Modeschulen der Welt und wurde schließlich am Londoner Central Saint Martins Collage angenommen. Berühmte Modedesigner wie Alexander McQueen, John Galliano und Stella McCartney haben dort ihren Abschluss gemacht – für viele ein Traum.
Doch in London wendete sie sich vom klassischen Modedesign ab. „Diese Welt ist mir fern. Vielleicht ändert es sich noch einmal, aber gerade vertrete ich nicht, was sie verkörpert“, sagt Anna-Laura. Sie hat glatte dunkle Haare, hohe Wangenknochen und blasse Haut.
Manchmal arbeitet Anna-Laura auch als Model. Doch sie will sich gegen die Oberflächlichkeit wehren, die oft in der Modewelt herrscht.

Ihr geht es nicht um den Schein, ihr geht es um Menschen. Menschen wie ein Freund von ihr, der unter Angststörungen leidet. Seinen Namen möchte Anna-Laura nicht verraten. „Ich fühle mich immer hilflos, weil ich nicht weiß, wie ich helfen kann“, sagt sie. Je mehr sie über Angststörungen nachdenkt, desto öfter erinnert sie sich an Situationen, in denen sie sich selbst nicht wohl fühlt. Und an ihren Pullover, der ihr in solchen Momenten hilft. Ihre Überlegung: Vielleicht wirkt das auch bei anderen. Also entwirft sie eine Kollektion, die ausschließlich aus Dingen bestehen soll, die ihr betroffener Freund mag: Reisen, Sonnenuntergänge und Madrid.

Bei ihren Recherchen für ihre Abschlussarbeit stößt Anna-Laura auf die Behandlung von Alzheimer-Patienten. Vertraute Gegenstände aus dem früheren Alltagsleben der Patienten lösen Assoziationen aus,
Reize werden über die Haut aufgenommen, um Erinnerungen zurückzubringen. Für ihre Arbeit befragt Anna-Sophie vier Menschen, die von Ängsten im Alltag begleitet werden, nach schönen Erinnerungen, Hobbys, Lieblingsfarben und -formen. Während sich eine Betroffene in der Natur wohl fühlt und Holz als angenehmes Material angibt, ist ein anderer von Architektur und klaren Formen begeistert.

Die Antworten versucht Anna-Laura in eine Kollektion zu verarbeiten, am Ende werden es vier. Die Neigungen der Befragten unterscheiden sich stark. Was dem einen helfen könnte, hat keine Wirkung auf den anderen. Der Arbeitsaufwand für ihre Abschlussarbeit hat sich dadurch vervierfacht.
Mit Silikon schafft sie Muster, die nicht nur zu sehen, sondern auch zu spüren sind. Doch ein Kleid aus Holz stellt sie vor eine Herausforderung. Das Material ist nur bedingt für Mode zu bearbeiten und im Alltag kaum tragbar. Deswegen fertigt sie eine Tasche aus Holz und Kork an, die die Betroffene bei sich tragen kann. Für die anderen drei fertigt sie zusätzlich zu ihrer Kollektion Pullover, damit sie die Wirkung testen können.

Doch können ein Pullover oder eine Tasche wirklich bei Angstzuständen helfen? „Das Kleidungsstück ist gebunden an positive Gedanken und kann so eine positive Wirkung auf den Patienten haben. Es ist jedoch fraglich, wie stark diese Wirkung ist“, sagt Psychotherapeut Andreas Hilz. Er gibt zu bedenken, dass Angstpatienten dazu neigen, die Auslöser für ihren Angstzustand zu katastrophisieren – begleitet von Schweißausbrüchen, Herzklopfen und Kribbeln in Armen und Beinen. „Das ist ein zu heftiger körperlicher Zustand. Da kann ein Kleidungsstück oder Glücksbringer die Patienten nicht zur Beruhigung bringen“, sagt Hilz.

Anna-Laura sieht ihre Kollektion auch nicht all zu sehr wissenschaftlich. „Nicht nur Angstpatienten haben Probleme in ihrem Alltag und brauchen Unterstützung“, sagt sie. Das Projekt ist für sie auf jeden Fall noch nicht zu Ende. „Kleidung kann eine positive Wirkung auf Menschen haben, da bin ich mir sicher.“

Foto: Jacob Chabeaux

Neue Wege

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Mit offenen Augen durch die Stadt: Anna Blumenkranz bringt das Kunstprojekt „100 Word Pilgrimage“ von London nach München. Versteckte, besondere Plätze der Stadt werden von den Künstlern vorgestellt und kreativ dargestellt.

Drei rote Londoner Telefonhäuschen leuchten auf dem Bildschirm ihres Smartphones. Anna Blumenkranz, 26, (Foto: privat) ist angetan von der Stadt und ihren Menschen. Während eines Auslandsstudiums hat sie gelernt: Je schneller man von den bekannten, touristischen Wegen abkommt und seine geheimen Lieblingsplätze entdeckt, desto heimischer fühlt man sich in der Fremde. „Die Leute sollen mit offenen Augen durch die Stadt gehen und sich auf eine neue Art und Weise bestimmten Plätzen annähern“, sagt sie.

Nach ihrem Studium in Kunst und Multimedia an der LMU München
ging Anna für eineinhalb Jahre nach England, um dort ihren Masterabschluss zu
machen. Diese Zeit hat sie und ihre Kunst sehr geprägt. Durch Zufall lernte sie
dort das Londoner Künstlerkollektiv Beddow ’n’ Battini kennen – und dadurch die
geheimen, besonderen Orte der Stadt. Diese Gruppe hat in London die
Ausstellungsreihe „100 Word Pilgrimage“ initiiert – dieses Konzept hat Anna
Blumenkranz nun nach München gebracht und eine eigene Ausstellung organisiert.

Die Idee ist folgende: Zunächst notieren verschiedene Autoren ihre
Eindrücke von ausgewählten, für sie besonderen Orten in der Stadt. Dafür dürfen
sie nur 100 Worte verwenden. Die entstandenen Texte inspirieren daraufhin
Künstler, die den Ort bildlich darstellen sollen – so entstehen Malereien, Collagen
und Zeichnungen. Zum Schluss erwecken Trickfilmzeichner die Bilder und Texte zu
bewegten Animationen. Die kann der Besucher in der Ausstellung mit einer App
sogar auf seinem Smartphone oder Tablet abspielen. Die Besucher bekommen am
Ende einen Stadtplan mit allen geheimen Orten und können diese selbst abgehen.

Die Tour wird die Münchner Besucher vom 8. bis 12. Mai zu den
Eisbach-Surfern, zur Reichenbachbrücke und zur Feldherrnhalle führen. In den
Werken werden aber besondere, meist unentdeckte Details hervorgehoben oder der
Ort in einen anderen Kontext gestellt. Sandra Singh setzt sich am Odeonsplatz
zum Beispiel mit einer kleinen Absenkung im Bürgersteig auseinander. „Viele
Radfahrer im Sommer nehmen diese Abkürzung, obwohl es verboten ist“, erklärt Anna.
Oder Daniel Bacarreza. Er lässt einen Surfer in einer Tasse Kaffee, und nicht
in der Isar reiten.

Bei allen drei bisherigen Ausstellungen des Londoner
Künstlerkollektivs hat Anna sowohl als Organisatorin als auch als Künstlerin
mitgewirkt. Auf einem ihrer Bilder hat sie sich mit dem Stadtteil Rotherhithe
im Süden Londons auseinandergesetzt, hier lebte sie während ihres Aufenthalts.
Auch wenn sie bereits am zweiten Tag ausgeraubt wurde, fühlte sich Anna in
London wohl. „Durch das Projekt habe ich viel über die Geschichte des Viertels
gelernt“, sagt sie. Das Bild ist düster und zeigt eine Person, die mit den
Händen einen Fluss wie ein Stück Stoff festhält und nach oben hebt: der
Rotherhithe-Tunnel. Er wurde Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet und verläuft
unter der Themse, heute ist dort eine stark befahrene Straße.

Die Ausstellung in München hat Anna aber nicht nur organisiert, um
auf versteckte Plätze aufmerksam zu machen. Sie wollte ebenso verschiedene
Künstler zusammenbringen, als Gruppe arbeiten lassen. „Ich brauche andere
Menschen, um kreativ zu sein“, sagt sie. „Der Austausch mit anderen inspiriert
mich.“ Zwischen der Londoner und Münchner Kulturszene will sie einen großen
Unterschied erkannt haben: Während in London eine offene Atmosphäre herrsche
und es viele partnerschaftliche Kunstprojekte gebe, würden Münchner Künstler
meist alleine arbeiten und sehr auf die eigene Person konzentriert sein. Dem
wollte Anna entgegenwirken, sie suchte 18 Münchner Künstler für das gemeinsame
Projekt.

Sehr bedrohlich und surreal wirkt Annas Bild für die aktuelle
Ausstellung: Zu sehen ist ein menschenähnliches Wesen mit tiefschwarzen
Augenhöhlen und dünnen Lippen, der Blick ist nach unten gerichtet. Sein Kopf
ist oben nicht geschlossen, sondern weitet sich zu angedeuteten Beckenknochen
aus. Daraus steigt eine Kugel, die beschriftet ist. Kurze Sätze wie „Wo ist die
versprochene Hülle“ oder einzelne Worte sind zu lesen. „Das ist die Plazenta“,
erklärt Anna. „Ich möchte die kreative Geburt darstellen.“ Die Auswahl des Themas
hat einen Grund: Anna ist im siebten Monat schwanger. Das Bild spielt auf den
Kriechbaumhof an, eine alte hölzerne Herberge im Stadtteil Haidhausen. Annas
Geburtsvorbereitungskurs findet hier statt. So fließen die persönlichen
Erfahrungen und Eindrücke der Künstler in die Werke ein und werden an den
nächsten weitergegeben. Die Animation zu Annas Bild erstellt sie aber selbst.
„Die ist noch nicht fertig“, sagt sie. „Aber ich möchte die Buchstaben und
Sätze zum Leben erwecken und auf Details im Hintergrund aufmerksam machen,
indem sie immer größer werden.“

Seit rund einem Jahr arbeitet Anna als selbständige
Medienkünstlerin und –pädagogin. Die gebürtige Ukrainerin unterrichtet in ihrem
alten Studienfach an der LMU. Außerdem gibt sie Kunst-Workshops für Kinder und
Erwachsene. Zum Beispiel im elektrischen Nähen, einer weiteren Idee, die sie
aus England mitgebracht hat. Genäht wird hier mit einem Faden, der mit Metall
vermischt ist und somit Strom leitet. Anna bringt den Kindern bei, Stromkreise
zu nähen und dadurch zum Beispiel Kuscheltieraugen aus LED-Lampen zum Leuchten
zu bringen.

An der Münchner Ausstellung arbeiten auch die Künstler aus England
mit. Vor zwei Wochen besuchten einige von ihnen die bayerische Landeshauptstadt
und setzten sich künstlerisch mit den versteckten Orten auseinander, erstellten
Texte, Bilder und Animationen wie ihre deutschen Kollegen. Einen touristischen
Anziehungspunkt konnten die Londoner Gäste nach getaner Arbeit dennoch nicht
umgehen: das Münchner Hofbräuhaus.
  
Weitere Informationen unter www.platform-muenchen.de.

Jenny Stern